Die Ulmer CDU-Politikerin Annette Schavan war Bundesforschungsministerin (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/Jörg Carstensen)

Krieg in der Ukraine: Interview mit der früheren Ministerin Annette Schavan aus Ulm

"Putin lässt sich nicht zeitnah stoppen"

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INTERVIEW
Jürgen Klotz
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Christine Janke
SWR Aktuell Autorin Christine Janke (Foto: SWR)

Die CDU-Politikerin Annette Schavan aus Ulm hat am Mittwoch an einer Podiumsdiskussion des Theaters Ulm zum Krieg in der Ukraine teilgenommen. Vorab sprach sie im SWR auch über Putin und Angela Merkel.

SWR: Frau Schavan, täglich erreichen uns Bilder aus der Ukraine, die kaum auszuhalten sind, von denen wir geglaubt haben, dass es sie niemals in Europa mehr geben wird. Was macht das mit Ihnen? 

Annette Schavan: Das ist schrecklich. Das berührt mich tief, denn ich gehöre zu der Generation der Politikerinnen und Politiker, die davon überzeugt waren, nach der Wiedervereinigung Europas wird die Liebe zur Freiheit überall Platz greifen.

Wir erleben nun Bilder, die wir uns nicht mehr haben vorstellen können. Und wir erleben einen Zynismus und eine Gewalttätigkeit, Verstöße gegen das Völkerrecht, einen Angriffskrieg 30 Jahre danach, das ist einfach nur schrecklich. 

Dieser Krieg geht jetzt schon seit mehreren Wochen, und mein Eindruck ist, dass der Politik im Westen nichts einfällt, um diesen Krieg zeitnah zu stoppen, obwohl jeden Tag auf beiden Seiten Menschen sterben. 

Putin lässt sich nicht zeitnah stoppen. Das ist die Lehre der letzten vier Wochen. Es gibt - davon bin ich überzeugt - unglaublich viele Bemühungen. Die EU stand nie so fest zusammen wie heute. Der amerikanische Präsident ist nach Europa gekommen. Wir, die wir jetzt eher zuschauen, sollten nicht den Eindruck vermitteln: "Die tun nix Gescheites." Es ist hochkompliziert, weil in der Politik immer ein schmaler Pfad zu beschreiten ist, um den wirklich richtigen Weg zu finden.

Eine große Diskussion ist entbrannt, um den Stopp von Gas und Öl aus Russland. Manche sagen, die Einschläge für die deutsche Wirtschaft wären gar nicht so groß. Ist es eine Blamage aus unserer Wohlstandssicht, den Menschen in der Ukraine zu sagen: Wir wollen noch ein bisschen Gas und ein bisschen Öl haben? 

Andere sprechen vom Wirtschaftskollaps. Ich bin keine Ökonomin und kann deshalb nicht sagen, ob das eine oder das andere stimmt. Ich bin aber davon überzeugt, dass die jetzige Bundesregierung alle Informationen hat, die für eine solche Entscheidung notwendig sind und gewissenhaft prüft, wie weit wir gehen können. Es geht ja nicht um ein bisschen mehr Gas, es geht um die Industrie, es geht um eine Gesellschaft, die in einen Wirtschaftskollaps, so sagen andere, geführt werden könnte. Deshalb ist die beste Weise jetzt, nicht viel zu reden - was diejenigen angeht, die nicht drin stecken, die die Vermerke und Fakten nicht kennen.

"Ich habe Vertrauen zur Bundesregierung, dass sie das tut, was möglich und wirksam ist." 

Es ist bekannt, dass sie ein sehr gutes Verhältnis zu Angela Merkel haben. Politiker auch aus Ihrer Partei, der CDU, haben vorgeschlagen, Merkel müsste sich in die aktuelle Situation mehr einmischen, auch als Bundeskanzlerin a.D. Wissen Sie, warum Sie das nicht macht? 

In ihrer gesamten politisch aktiven politischen Zeit hat Angela Merkel dann gesprochen, wenn es soweit war. Ich habe viele Situationen in Erinnerung, in denen viele gesagt haben, sie muss doch jetzt mal was sagen. Sie wägt ab, sie überlegt sehr genau was jetzt die richtige Botschaft ist, was ist die richtige Art, zu welcher Einschätzung komme ich? Sie wird nach der aktiven Zeit nicht anders reagieren, wie sie das zu ihren aktiven Zeiten getan hat.

Aber geht das, wenn täglich Menschen sterben, es auszusitzen und zu warten? 

Sie ist nicht Regierungschefin. Sie wartet nicht. Es sind Viele Tag und Nacht aktiv, um dieses schreckliche Leid zu begrenzen, zu beenden. 

Sie diskutieren am Mittwochabend (13.4.) im Ulmer Theater, unter anderem mit Jürgen Knappe, dem Generalleutnant a.D. und mit der ukrainischen Sopranistin Maryna Zubko. Was erwarten Sie sich von diesem Gespräch?

Es werden gewiss am Ende mehr Fragen als Antworten stehen. Wir werden uns austauschen über unsere Erfahrungen: der Militär-Experte, die Ukrainerin, die ihr Land kennt und die letzten Jahre gut bewerten kann - und ich aus meiner aktiven politischen Zeit, die ja genau die Zeit war, in der wir davon überzeugt waren - ich bin es übrigens immer noch - dass Wandel durch Annäherung eine gute politische Strategie ist. Mehr Wissenschaftsbeziehungen, mehr Wirtschaftsbeziehungen, die Modernisierungspartnerschaft, das alles ist ja in dieser Zeit entstanden. Und manche sagen jetzt: Warum habt ihr das eigentlich getan, wenn jetzt Krieg geführt wird? Weil Friedenspolitik immer wichtig ist in jeder Generation. Unverzichtbar! Auch wenn ich weiß, dass sie nicht automatisch gelingen muss. Jede politische Entscheidung, die getroffen wurde in dieser Zeit, war eine Entscheidung auf der Grundlage dessen, was wir wussten, und es wird auch in Zukunft so gelten.

"Die Kunst der Politik besteht darin, sich immer wieder um den Dialog zu bemühen. Immer wieder Frieden stiften zu wollen, immer wieder neu zu überlegen: Wie können wir aufeinander zugehen, uns besser kennenlernen, so dass Friede möglich ist?"