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Ausland Krieg in der Ukraine

„Die Ukraine untergräbt Putins Projekt allein durch die Tatsache, dass sie existiert“

So reagiert die Bundesregierung auf den russischen Angriff

Bundeskanzler Olaf Scholz fordert Russlands Präsident Putin auf, das Blutvergießen sofort zu stoppen und seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen. Zugleich kündigte er weitere harte Sanktionen an und versicherte der Ukraine die volle Solidarität Deutschlands.

Quelle: WELT/ Achim Unser

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Während die russische Armee ihre Invasion in der Ukraine fortsetzt, verhängt der Westen wirtschaftliche Strafmaßnahmen. Die amerikanische Historikerin Anne Applebaum sieht darin die Fortsetzung der gescheiterten Russland-Politik. Und erklärt, was Deutschland jetzt tun muss.

Die US-Historikerin und Publizistin Anne Applebaum ist Expertin für Russland und Osteuropa, ihre Veröffentlichungen wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Im Interview geht sie hart mit den Fehlern Europas gegenüber Russland ins Gericht.

US-Historikerin Anne Applebaum
US-Historikerin Anne Applebaum
Quelle: picture alliance / Ger Harley / EdinburghElitemedia

WELT: Ist geschehen, was geschehen musste?

Anne Applebaum: Putin ist in die Ukraine eingedrungen, weil deren Entschlossenheit, ein demokratisches Land zu werden, eine echte Herausforderung für sein nostalgisches und imperiales Projekt darstellt. Es ist eine autokratische Kleptokratie nach dem Vorbild der Sowjetunion, in der er selbst der Herrscher ist. Die Ukraine untergräbt dieses Projekt allein durch die Tatsache, dass sie als unabhängiger Staat existiert. Sie ist zu einem gefährlichen Gegner Russlands geworden, weil sie mehr will: Freiheit und Wohlstand. Die „Revolution der Würde“ in der Ukraine im Jahr 2014, als der korrupte und kriminelle Präsident Janukowitsch aus dem Land floh, war genau die Art von Revolution, die Putin selbst fürchtet. Er weiß, dass die Russen fragen werden: Wenn die Ukraine in ihrem jahrzehntelangen Streben nach Demokratie und Integration in Europa erfolgreich ist – warum dann nicht wir?

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WELT: Musste es zu einem Krieg kommen? Haben wir etwas verpasst?

Applebaum: Unsere Diplomatie ist gescheitert, weil wir uns Putin als die Art von Führer vorgestellt haben, die wir haben: nämlich als einen, der das Wohl seiner Bürger verfolgt. Aber er ist nicht so. Sein Ziel ist nicht ein blühendes, wohlhabendes, friedliches Russland, sondern ein Russland, das er beherrscht. Es ist ihm egal, ob die Russen arm sind – sie sollen gefügig sein. Er schert sich nicht um Sanktionen, weil sie seine Macht und seinen persönlichen Reichtum nicht bedrohen. Darüber hinaus hat er aus seinen Erfahrungen mit früheren westlichen Sanktionen gelernt. Trotz all unserer Reden hat niemand jemals ernsthaft versucht, die russische Geldwäsche im Westen oder den russischen politischen und finanziellen Einfluss zu beenden – und nicht nur einzuschränken. Niemand hat ernsthaft gefordert, dass Deutschland vom russischen Gas unabhängig werden muss. Oder dass Frankreich politische Parteien verbieten sollte, die Geld aus Russland beziehen. Oder dass das Vereinigte Königreich und die USA russischen Oligarchen den Erwerb von Immobilien in London oder Miami verbieten sollten. Niemand hat vorgeschlagen, dass die Antwort auf Putins Informationskrieg gegen unser politisches System unser Informationskrieg gegen sein Russland sein sollte.

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WELT: Wohin könnte uns dieser Krieg führen?

Applebaum: Es handelt sich nicht nur um eine Invasion in der Ukraine. Dies ist ein Angriff auf die Weltordnung der Nachkriegszeit, auf die Vereinbarung, dass zumindest in Europa Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden. Putin hat dies schon einmal im Jahr 2014 getan, aber wir dachten, dass seine Ambitionen dort endeten. Jetzt ist klar, dass sie keine Grenzen haben. Vor einigen Jahren erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die deutsche Wiedervereinigung sei „illegal“. Putin erinnert sich an die Zeit, als die Sowjetunion in Ostdeutschland stationiert war, schließlich war er selbst dort als KGB-Offizier. Er muss nostalgisch auf diese Zeiten zurückblicken. Genauso, wie er den Rest des Sowjetimperiums vermisst.

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WELT: Was nun? Dämmerung des Westens?

Applebaum: Es ist an der Zeit, dass Europa und die USA ihre strategische Haltung gegenüber Russland vollständig überdenken. Wir müssen russisches Geld und politischen Einfluss aus unserem System entfernen. Dazu gehört die Bestrafung aller russischen Oligarchen im Umfeld Putins. Beschlagnahmen Sie ihr Eigentum im Westen und verbieten Sie ihnen weitere Geschäfte. Deutschland und alle anderen Länder müssen vom russischen Gas unabhängig werden. Solange die Besetzung der Ukraine andauert, kann es keine Rückkehr zu normalen Handelsbeziehungen mit Russland geben. Wir müssen den Einsatz der Nato-Truppen überdenken, die Verteidigung der osteuropäischen Länder und Deutschlands ernster nehmen und die Öffentlichkeit auf die höheren Rüstungskosten und die Möglichkeit eines russischen Angriffs vorbereiten. Wir müssen in Bezug auf Russland strategisch neu und anders denken. Wie können wir die einfachen Russen erreichen? Wie können wir die russische Opposition und die Medien unterstützen? Wie können wir Putin und seine Kumpane in Russland und anderswo unter Druck setzen? Europa braucht Außenpolitik. Josep Borell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, hat in Bezug auf Russland auf ganzer Linie versagt. Aber dies ist vor allem ein Versagen der europäischen Regierungen, die ihn nicht unterstützt haben.

Dieses Interview erschien zuerst bei der polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“.

Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben WELT die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „Le Figaro“ aus Frankreich, „Gazeta Wyborcza“ aus Polen, „Le Soir“ aus Belgien sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Tages-Anzeiger“ an.

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