„Die Passion“ auf RTL: Ungläubige Fragen und Antworten - WELT
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Trends Leiden Jesu im TV

„Kassel soll unser neues Jerusalem sein“ – Was war denn das?

Managing Editor LIFESTYLE
RTL Musik-Spektakel «Die Passion» 2024 in Kassel RTL Musik-Spektakel «Die Passion» 2024 in Kassel
Ben Blümel ist Jesus und wird von Francis Fulton-Smith als Pontius Pilatus zum Tode verurteilt
Quelle: dpa/Swen Pförtner
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„Die Passion“ auf RTL erzählte die Ostergeschichte, wie es zu erwarten war: unangenehm, dabei seltsam unterhaltsam und mit skurriler Besetzung. Jenny Elvers mimte eine blinde Bettlerin, Jimi Blue Ochsenknecht den Judas. Was war da bloß los? Ungläubige Fragen und die Versuche von Antworten.

Was war das?

Kurz gesagt: der Versuch, den Leidensweg Christi als massentaugliches TV-Event zu erzählen. Dafür wurde ein geradezu genial ausgewählter Cast aus Reality-TV-Personal, Popstars und Schauspielern durch den strömenden Regen (Petrus, was war da los?) in Kassel geschickt, der in Live- und vorab aufgezeichneten Spielszenen im Musicalstil die letzten Tage im Leben von Jesus Christus nachstellte. Parallel trugen normale Menschen, die sich vorher bei RTL beworben hatten, ein riesiges Leuchtkreuz auf den Friedrichsplatz in Kassel und erzählten, warum sie an Gott glauben. Die Idee für dieses Format stammt aus den Niederlanden, dort gehört das TV-Event schon seit 13 Jahren zu den meistgesehenen Formaten an den Ostertagen.

Und so versuchte man es nun auch hierzulande zum zweiten Mal: Schauspieler und Umweltschützer Hannes Jaenicke bat zur Andacht („Kassel soll unser neues Jerusalem sein“) und erzählte die Geschichte der Tage vor Jesus‘ Auferstehung, als würde sie heute passieren, zeitgemäß garniert mit gleich mehreren Witzchen um die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn und Bemerkungen zur Deutschen Nationalmannschaft. In den Spielszenen fuhren die Jünger auf hippen Miet-E-Scootern zu ihrem Treffen mit Jesus im Dönerladen, mehr oder weniger aktuelle Popsongs wurden mehr oder weniger passend eingesetzt, parallel wurden die Kreuzträger zu ihrem Glauben interviewt (die mit dieser Aufgabe betraute Angela Finger-Erben war sich nicht zu schade, deren Leidensgeschichten rund um Affären und Krebserkrankungen anzumoderieren mit: „Sie haben auch ihr Kreuz zu tragen“).

TV-Ausblick RTL - Jesus-Musical "Die Passion"
Die Jünger reisen auf E-Scootern durch die Stadt: René Casselly, Joey Heindle, Stefanie Hertel und Timur Ülker
Quelle: dpa/Stefan Gregorowius

Wer spielte wen und warum?

Die Auswahl der Darsteller konnte man besonders genießen, wenn man über ein wenig popkulturelles Sekundärwissen verfügte: Ben Blümel spielte den Jesus, es ist Sänger Ben mit der Mütze jetzt ohne Mütze, der durch den Hit „Engel“ bekannt wurde, Jimi Blue Ochsenknecht war Judas, im schwarzen Hoodie mit Lederjacke, und besser hätte man es nicht treffen können: Auf Instagram liefert er seit Monaten unsägliche Statements zu seiner Tochter Snow mit Reality-TV-Star Yeliz Koc ab, etwa: Er sei ja nur ein „unfreiwilliger Erzeuger“ gewesen, ließ sich gar das Schneeflockentattoo entfernen. Er soll über das PayPal-Konto seiner Mutter ohne deren Wissen seine Tankfüllungen bezahlt haben, „aus Versehen“, doch seine eigene Schwester glaubt ihm das nicht. Und die Polizei, bei der er als Judas schließlich Jesus verrät, die könnte ihn doch gleich mal wegen ausstehender Unterhaltszahlungen befragen.

Gottesmutter Maria wurde von „No Angel“ Nadja Benaissa gespielt, die im wahren Leben alleinerziehende Mutter ist und jünger als Ben Blümel, aber wer will schon so kleingeistig sein, sind eben alles Wunder.

RTL Musik-Spektakel «Die Passion» 2024 in Kassel
Maria singt natürlich Helene Fischer
Quelle: dpa/Swen Pförtner

Jenny Elvers hatte ebenfalls einen Gastauftritt – während sie aktuell in der Amazon-Reality-Show „The 50“ zu sehen ist, wo sie eine Liebelei mit dem TV-Betrüger Yasin Mohamed hat. Sie sollen sogar Sex gehabt haben, über den Yasin sagte: „Ich hab sie geb***, und in dem Moment, in dem ich gekommen bin, hab ich mir gedacht: Was hab ich da gemacht?“ Elvers spielte eine blinde Bettlerin.

Francis Fulton Smith, also Dr. Kleist, ist von Eisenach nach Kassel gereist, um als Pontius Pilatus sein Urteil zu fällen und wie der einzige echte Schauspieler auf der Bühne umherzuschreiten, Rainer Calmund darf in der Dönerbude auf Jesus treffen.

Was war der größte Fremdscham-Moment?

Jenny Elvers kauert am Boden und kann nichts sehen. Jesus, also Ben ohne Mütze, nimmt ihr die Sonnenbrille ab und enthüllt je ein Kilo schwere Fake-Wimpern. Er rät ihr, die Lashes zu reduzieren und schon kann sie wieder sehen. Zugegeben, ganz so lief diese Szene nicht ab, aber wäre auch nicht absurder als: Ben-Jesus heilt die blinde Jenny Elvers während Mola Adebisi, Larissa Marolt, Joey Heindle und Jimi-Judas „Tage wie diese“ singen.

Was war das Highlight?

Der Herkulesberg in Kassel erschien plötzlich wie eine dramatische Kulisse aus „Game of Thrones“, mit hollywoodreifen Kamerafahrten präsentiert, in Nebel gehüllt und wahrlich beeindruckend inszeniert – bis sich dann Judas-Jimi dort oben an einer Art Rock-Oper versuchte. Und: Rainer Calmund isst Würstchen in der Würstchenbude, in der Jesus Brot für das letzte Abendmahl holt.

Außerdem der Showdown: Jimi-Judas und Jesus-Ben treffen aufeinander, der eine mit Polizeieskorte hinter sich, der andere mit seiner Trash-TV-Jünger-Schar, und sie singen und rappen sich gegenseitig an mit „Out of the Dark“ von Falco – nur mit „Bad“ von Michael Jackson hätte das noch mehr Pathos gehabt.

Sollte das unterhaltsam sein?

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Das mag die Gretchenfrage aller Passions-Inszenierungen sein – warum schaut man sich das an? Und in diesem speziellen Fall: Warum schaut man sich DAS an? Aber es wäre auch langweilig und kurzsichtig, das RTL-Spektakel nur als überinszenierten Quatsch zu verurteilen. Jeder Fünfte hat keine Ahnung von der Ostergeschichte, die Schnittmenge mit den Instagram-Followern von Jimmy Blue Ochsenknecht oder Ex-GNTM-Kandidatin Larissa Marolt mag da durchaus relevant sein. Und die haben nun vielleicht zum ersten Mal verstanden, warum man eigentlich Ostern feiert. Warum sie an Karfreitag nicht in ihren Club gehen können und sogar RTLs „Let‘s Dance“ sich ans „Tanzverbot“ hält. Rund drei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer haben „Die Passion“ 2022 angeschaut, für eine Art Bibel-TV ein beachtlicher Erfolg (und damals die meistgesehene Sendung nach der „Tagesschau“).

Und auch, dass das alles wirklich als Live-Inszenierung auf Sendung ging, wie profan, schlecht geschauspielert oder bemüht zeitgeistig es auch gewesen sein mag, macht durchaus einen besonderen Rezeptionsreiz aus. Es ist absurd und faszinierend zugleich, Schlagersänger Vincent Gross, DSDS-Star und Ex-Dschungelkönig Joey Heindle und Stefanie Hertel durch Kassel hüpfen zu sehen, während sie völlig ernst die Bibel rezitieren. Man kann nicht wegschalten, wenn Jimi Blue Ochsenknecht wie in einer komischen Neuauflage der „Wilden Kerle“ umherstapft und schlecht rappt, wenn Angela Finger-Erben „wunderbare Menschen“ wie Kevin aus Kassel interviewt und mit ihm über die „Worte der Barmherzigkeit“ spricht. Alles wirkt wie Satire, ist aber ernst gemeint und das macht es so unangenehm, dass es gleichzeitig komplett unterhaltsam und kurzweilig ist.

Und tatsächlich gab es auch an diesem Fernsehabend Szenen, die wahrhaftige Momente erahnen ließen, in denen das TV-Musical manch einem vielleicht die Passionsgeschichte, das Thema Glauben, näherbrachte, als es ihm sonst je gekommen wäre. Und ganz grundsätzlich ist es doch so: All die Themen, die hier zur Sprache kamen, Freundschaft, Verrat, Versöhnung, Liebe, Schuld und Hoffnung, finden sich im Leben eines jeden TV-Zuschauers wieder – und aufbereitet in Szenen zwischen ganz kurz mal wirklich berührenden Songs. Vor allem Nadja Benaissa konnte hier durchaus überzeugen, stoisch durch den Regen schreitend, vor 600 Kasslern in Plastikumhängen, und dabei trifft sie als einzige jeden Ton.

Was sagen eigentlich die Kirchen dazu?

Die freuen sich, dass sich endlich mal jemand für ihre Geschichten interessiert. Das katholische Bonifatiuswerk und die Deutsche Bibelgesellschaft haben RTL gar im Vorfeld beraten, das Bonifatiuswerk hat zudem ein Impulsheft zur Show herausgebracht, in dem sie RTLs „Passion“ als „Chance zur Begegnung“ bezeichnen. Die Evangelische Kirche in Deutschland schlug vor, dass man sich das „Musik-Live-Event“ in Familien oder Kirchengemeinden gemeinsam anschauen solle, und stellte ebenfalls Materialien zur Verfügung: darunter ein Leitfaden, wie man den gemeinsamen Trash-TV-Abend gestalten könne (Essen ab 18 Uhr, Gebetsanregungen, Skizze für eine Abschluss-Andacht).

Für die Werbepausen war geplant, Spots der christlichen Initiative „Alpha“ zu senden, die allen, die durch das Spektakel ihr Interesse an der Kirche entdeckt haben, speziell auf „Die Passion“ abgestimmte Online-Glaubenskurse anbieten will. Das war kurzfristig aus „medienrechtlichen Gründen“ nicht möglich, online wird aber darauf hingewiesen. Am Friedrichsplatz wurden am Abend Tausende kleiner Kreuze verteilt und die Karlskirche war geöffnet.

Die Inszenierung im TV folgte übrigens dem Text der BasisBibel, einer neuen Übersetzung, die besonders verständlich ist.

TV-Ausblick RTL - Jesus-Musical "Die Passion"
Jesus – Ben Blümel ist nicht mehr in der Kirche
Quelle: dpa/Sander Mulkens

Welche Songs waren zu hören?

„An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen, wenn sich alle Jünger treffen, um das letzte Abendmahl vorzubereiten.

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„Phänomen“ von Helene Fischer, als Ode von Maria an ihren Sohn Jesus.

„So soll es bleiben“ von Ich und Ich – wenn Jesus mit seinen Jüngern beim letzten Abendmahl das Brot bricht.

„Weil ich dich liebe“ von Marius Müller Westernhagen, auch von Maria an Jesus.

„Ich kriege nie genug“ von Christina Stürmer, gesungen von Judas-Jimi kurz bevor er Jesus verrät.

„Alles brennt“ von Johannes Oerding, Jesus besingt seinen drohenden Tod.

„Liebe ohne Leiden“ von Udo Jürgens – so besingt Maria den drohenden Tod ihres Sohnes

„Wie soll ein Mensch das ertragen?“ von Philipp Poisel – schon wieder Maria über Jesus. Oder über diesen TV-Abend?

„We don‘t need another Hero“ von Tina Turner mit neuem Songtext – als Duett von Jesus und Pontius Pilatus.

„Kreise“ von Johannes Oerding – alle zusammen kurz vor der Kreuzigung.

„Lass es Liebe sein“ von Rosenstolz – Maria für Jesus.

„Wunder gescheh‘n“ von Nena – na klar: Maria nach Jesus‘ Tod.

„Bedingungslos“ von Sarah Conner – Jesus nach der Auferstehung.

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