Ernestine Reuter: War sie Oberfrankens erste Frauenrechtlerin? | www.obermain.de
aktualisiert:

LICHTENFELS / HOCHSTADT

Ernestine Reuter: War sie Oberfrankens erste Frauenrechtlerin?

Ernestine Reuter
War sie Oberfrankens erste Frauenrechtlerin? Ernestine Reuter liegt seit 1934 auf dem jüdischen Friedhof in Burgkunstadt begraben. Foto: ArsAntiqua (Diskussion), Bildausschnitt, CC BY-SA 4.0

In jeder Hinsicht war Ernestine Reuter eine für ihre Zeit herausragende Persönlichkeit. In Horb am Main 1870 geboren, wuchs sie im benachbarten Hochstadt auf, wohin sie mit ihrer Familie in der Kindheit zog. 1904 übernahm sie das väterliche Textilgeschäft, das sie 30 Jahre lang erfolgreich fortführte.

Bereits ihre berufliche und finanzielle Unabhängigkeit war für eine Frau im frühen 20. Jahrhundert mehr als ungewöhnlich. Die damit verbundene Freiheit nutzte sie, um sich auf unterschiedlichste Weise für die Menschen in ihrem Umfeld einzusetzen.

Ihr karitatives Engagement begann mit dem Beitritt zum örtlichen Rot-Kreuz-Verein. Dort war sie ab 1911 für mehr als zwei Jahrzehnte im Vorstand. Bedeutung erlangte Ernestine Reuter vor allem durch ihren Einsatz als wohl erste Frauenrechtlerin in Oberfranken.

Überregionales Wirken

Auf ihre Initiative hin wurde 1910 in Lichtenfels eine Ortsgruppe des „Deutschen Verbands für Frauenstimmrecht“ gegründet, deren Vorsitz sie übernahm. Weitere Ortsvereine existierten zu diesem Zeitpunkt nur in den bayerischen Großstädten München, Nürnberg/Fürth, Aschaffenburg und Würzburg.

In den folgenden Jahren organisierte sie Vorträge, auf denen prominente Frauenrechtlerinnen wie Lida Heymann, Anita Augspurg oder Rosika Schwimmer sprachen und die auf reges Interesse stießen. Über die Region hinaus wirkte sie durch ihre Teilnahme an internationalen Kongressen, wie etwa 1913 in Wien und Budapest.

Leitung eines Lazaretts

Während des Ersten Weltkriegs übernahm sie die Leitung eines Lazaretts in Hochstadt, wofür sie 1916 mit dem König-Ludwig-Kreuz und im Jahr darauf mit der Rot-Kreuz-Medaille ausgezeichnet wurde. Nachdem Frauen 1919 das Wahlrecht erhalten hatten, setzte sie sich innerhalb der „Women´s International League for Peace and Freedom“ für Frieden und Völkerverständigung ein.

Das NS-Regime verfolgte sie ab 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft sowie ihrer politischen Überzeugungen und trieb sie letztlich in den Suizid. Im April 1934 nahm sich Ernestine Reuter das Leben. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem jüdischen Friedhof bei Burgkunstadt.

Hintergrund

In Lichtenfels steht die Umbenennung der Conrad-Wagner-Straße, gegenüber des Bahnhofs, aufgrund der NS-Vergangenheit des Fabrikanten zur Debatte. Die Fraktion „Bündnis 90/ Die Grünen“ hatte einen entsprechenden Antrag bei der Stadt eingereicht. In diesem werden zwei Namen als Alternativen genannt: Ernestine Reuter und Helene Sievers. 

Von Christian Porzelt

Weitere Artikel