250 Jahre „Götz von Berlichingen“ – Was Teufel fällt dem Wolfgang ein?
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250 Jahre „Götz von Berlichingen“ – Was Teufel fällt dem Wolfgang ein?

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Schon durch die Massenszenen galt er zunächst als unaufführbar: „Götz von Berlichingen“, hier 1927 auf der Freilichtbühne in Witten.
Schon durch die Massenszenen galt er zunächst als unaufführbar: „Götz von Berlichingen“, hier 1927 auf der Freilichtbühne in Witten. Imago Images © imago images/Arkivi

Goethes „Götz von Berlichingen“ ist angeblich ganz ungeeignet für eine Bühne. Doch am 12. April 1774 wird das Stück uraufgeführt.

Am 12. April 1774 wird Goethes „Götz von Berlichingen“ uraufgeführt. Das geschah im 1764/65 erbauten Schuchischen Comödienhaus. Es stand in der Berliner Behrenstraße, in etwa dort, wo heute die Komische Oper ist.

Inszeniert hatte Goethes Bühnendebüt Heinrich Gottfried Koch (1703–1775). Er hatte gerade erst die Leitung des Theaters übernommen. Koch war ein immer wieder höchst erfolgreicher Erneuerer des deutschen Theaters. Er arbeitete in Leipzig und Hamburg. Ende der 60er Jahre war er zwei Jahre in Weimar. Sein Erfolgsrezept war die Verbindung von großer Tragödie – er führte z. B. den „Hermann“ von Johann Elias Schlegel auf – mit kleinen, unterhaltsamen Stücken mit viel Musik. So bediente er sowohl den Wunsch nach patriotischer Erhebung als auch die Lust am Spaß.

Das Stück „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“ war im Jahr zuvor bereits als Buch erschienen. Ein unaufführbares Lesedrama. Mehr als 50 Handlungsorte, eine Unmenge Personal. Erotische Verwicklungen, Verschwörungen und die Bauernkriege. Christoph Martin Wieland schrieb, der „Götz“ sei „ein Stück, das man nicht aufführen kann — bis uns irgendeine wohltätige Fee ein eigen Theater und eigene Schauspieler dazu herzaubert“.

Ich habe keine Ahnung, wie Koch das Stück auf die Bühne brachte. Auf dem Theaterzettel vom 12. April 1774 hieß es: „Heute wird die von Sr. Königl. Majestät von Preussen allergnädigst privilegirte Kochische Gesellschaft teutscher Schauspieler aufführen: ‚Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand‘. Ein ganz neues Schauspiel in 5 Akten, welches nach einer ganz besondern und jetzt ganz ungewöhnlichen Einrichtung von einem gelehrten und scharfsinnigen Verfasser mit Fleiss verfertigt worden. Es soll, wie man sagt, nach Shakespearschen Geschmack abgefasst seyn. Man hätte vielleicht Bedenken getragen, solches auf die Schaubühne zu bringen, aber man hat dem Verlangen vieler Freunde nachgegeben, und so viel, als Zeit und Platz erlauben wollen, Anstalt gemacht, es auszuführen. Auch hat man, sich dem geehrtesten Publicum gefällig zu machen, alle erforderlichen Kosten auf die nöthigen Decorationen und neue Kleider gewandt, die in den damaligen Zeiten üblich waren. In diesem Stück kommt auch ein Ballet von Zigeunern vor.“

Das Stück war ein großer Erfolg. Es wurde an sechs Tagen hintereinander aufgeführt und insgesamt 14 Mal im Jahre 1774. Bühnen in Hamburg und Mannheim übernahmen die Berliner Fassung. Der Autor Goethe war eine Berühmtheit. Sein noch im selben Jahr veröffentlichter Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ machte aus ihm einen der bekanntesten europäischen Schriftsteller.

Die „Vossische Zeitung“ schrieb über die Berliner Aufführung: „Weder Einheit der Handlung noch Vorbereitung einer Begebenheit zur andern, aber dafür so viel damalige deutsche Sitte und Denkungsart, als aus manchem deutschen Geschichtsbuche in folio mit aller Scharfsinnigkeit nicht heraus zu kommentieren ist. Trugen diese Deutschinnen keine Chignons und ellenlange Kleiderschleppen, so hatten sie doch auch ihren schönen Putz, und sagten die galanten Damen damals nicht, wie jetzt, mon cher, so sagten sie, mein lieber Junge. Und dass dies verliebten Rittern ebenso reizend gewesen sein muss, als jenes, beweiset diese Geschichte selbst; denn das mein lieber Junge aus einem schönen Munde vermochte den braven Ritter Weisslingen so gut zu einer schlechten Handlung als das mon cher mancher unserer Zeitgenossen vermag. Wenn also dieses Stück auch keinen andern Vorzug hätte (und es hat gewiss noch viele andere!) als diesen, dass es uns mit den deutschen Ritterzeiten bekannt machte, so wäre es schon für jeden Deutschen Bewegungsgrund genug, es nicht einmal, sondern vielmal zu hören. Denn es ist doch wunderlich genug, die alten Römer so emsig zu studieren, und von den mittlern Zeiten Deutschlands nicht eine Silbe zu wissen!“ Ja richtig: „Deutschinnen“ schrieb 1774 die „Vossische Zeitung“.

1786 wurde der Götz auch in Frankfurt aufgeführt. In der Stadt also, in der Goethe ihn geschrieben hatte.

Er war 1773 vom Reichskammergericht in Wetzlar zurück ins Haus seiner Eltern nach Frankfurt gegangen. Unter Bekannten hieß er „der Wanderer“, weil er täglich Stunden zu Fuß unterwegs war. Er soll bis Darmstadt gegangen sein und öfter nach Bad Homburg. Auf diesen Wegen trug er sich unter anderem mit seinen Gedanken an die unglückliche Liebe zu Charlotte Buff herum, aus denen sein Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ hervorging. Auch den Faust wälzte er damals schon hin und her. Vor allem aber war er absorbiert von dem Hin-und-Her-Bewegen des „Götz von Berlichingen“.

Kurze Szenen, die aus kontrastierenden Perspektiven nicht nur den Protagonisten, sondern mehr noch eine Epoche zeigten, die den Reichsrittern den Garaus machte. Der Götz ist – so gesehen – Deutschlands Don Quijote. Ein Blick auf eine Welt von gestern, die es niemals gegeben hatte und die es auch niemals geben würde. Von Anfang an nichts als eine Vorstellung. Aber gerade die sind übermächtig.

Der durchschlagende Erfolg des Götz war nicht allein den Kostümen, dem Nationalismus zu verdanken, wie kritische Betrachter wie Lessing und Nicolai behaupteten, sondern hatte sicher zentral damit zu tun, worum es im Götz ging. Der Titelheld stemmte sich gegen die Fürsten. Er war gegen das Gewaltmonopol des Staates. Er erklärte, der Staat wolle ihm die Waffen nehmen, nicht um das Land zu befrieden, sondern um die Bevölkerung zu unterdrücken. Wer Gerechtigkeit wollte, dem halfen Recht und Gesetz nicht. Dem stellten sie sich in den Weg. Sie waren Herrschaftsinstrumente der Mächtigen. Das drückte Götz mit einem Feuer und einer Kraft aus, die man in Deutschland so noch nicht gehört hatte.

Das Publikum wird vor Aufregung rote Backen bekommen haben. Vor Freude die einen, vor Wut die anderen. Niemand träumte im April 1774 von einer Revolution. Selbst die USA ahnten noch nichts von ihrer Gründung. Die Boston Tea Party hatte im Dezember 1773 stattgefunden, aber was daraus werden würde, wusste niemand. Aber hier in der Berliner Behrenstraße bevölkerten revoltierende Bauern die Bühne, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Dank der Bemühungen der von Sr. Königl. Majestät von Preussen allergnädigst privilegierten Kochschen Schauspieltruppe. Es gab damals kein Grundgesetz, Zensur fand statt.

Aber der „Götz“ durfte aufgeführt werden und die Köpfe erobern. Unter anderen den von Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757–1828). Als der junge Fürst 1775 nicht mehr unter der Vormundschaft seiner Mutter Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel stand, war eine seiner ersten Amtshandlungen die Einstellung des Bürgers der Freien Reichsstadt Frankfurt am Main, des Juristen Johann Wolfgang Goethe. Ob er Goethes zwölfseitige Doktorarbeit gelesen hatte, weiß wohl niemand.

Aber Karl August hatte den „Götz“, den „Werther“ und die satirische Farce „Götter, Helden und Wieland“ gelesen und wollte den Autor unbedingt kennenlernen. Zu diesem Treffen kam es 1775. Im November wurde der 26-jährige Goethe als geheimer Legationsrat in das geheime Concilium des Fürsten gerufen. Er erhielt dort Sitz und Stimme.

Er wurde zu einem der engsten Berater, ja einem Freund des Fürsten. Goethes Attacke auf die Fürsten hatte ihm zu einer Lebensstellung bei einem Fürsten verholfen. Später wurde Goethe von vielen „Dichterfürst“, von andern „Fürstenknecht“ genannt. Sein Freund, der Darmstädter Kriegsrat Johann Heinrich Merck, schrieb damals: „Was Teufel fällt dem Wolfgang ein, am Hofe herumzuschranzen und zu scharwenzeln? Gibt es nichts Besseres für ihn zu tun?“

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