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Als Deutschland die russische Revolution in Gang setzte

Im April 1917 setzte Deutschland Lenin in einen Zug nach Russland, um die russische Regierung zu Fall zu bringen – und den Krieg im Osten zu beenden. Der Kopf hinter der Aktion war ein schillernder russischer Agent. Er selbst nannte sich Parvus.
Illustration zum Thema "Der Mann, der die Oktoberrevolution ins Rollen brachte" Welt am Sonntag, ET 02.04.2017 Illustration zum Thema "Der Mann, der die Oktoberrevolution ins Rollen brachte" Welt am Sonntag, ET 02.04.2017
Lenin, Wilhelm II. und sein Mann Parvus: Die Passagiere, die ein Zug im April 1917 von Zürich nach Petrograd brachte, sollten zur wirksamsten Waffe des Deutschen Reiches werden
Quelle: Stefan Kiefer für Welt am Sonntag

Es war ein Zug, der Weltgeschichte schrieb – vor hundert Jahren, im April 1917, ein Jahr vor Ende des Ersten Weltkrieges.

Der Generalstab des deutschen Kaisers Wilhelm II. hatte dem im Schweizer Exil lebenden Berufsrevolutionär Wladimir Iljitsch Lenin einen Sonderzug zur Verfügung gestellt, um quer durchs Deutsche Reich nach Russland zurückzukehren. Das gemeinsame Ziel des Kommunisten und des Kaiserreichs: der Sturz der russischen Regierung.

Lenin wollte die Macht, der Kaiser und seine Feldherren wünschten sich einen Waffenstillstand an der Ostfront. Als der Kommunist in Petrograd, wie St. Petersburg seit 1914 hieß, eintraf, kabelte die deutsche Oberste Heeresleitung an das Auswärtige Amt: „Lenins Eintritt in Russland geglückt. Er arbeitet völlig nach Wunsch.“

Das Kaiserreich verlor den Krieg trotzdem – und Lenin, der von der kaiserlichen Armee mit Millionenbeträgen gesponserte russische Revolutionär, und seine Nachfolger errichteten ein kommunistisches Terrorregime, das gut siebzig Jahre hielt.

Hinter der geschichtsmächtigen Operation des kaiserlichen deutschen Geheimdienstes steckte ein kluger Kopf, selbst Kommunist, der das Spiel mit den Geheimdiensten beherrschte wie kaum ein anderer Agent.

Alexander Lvovich Parvus, born Israel Lazarevich Gelfand
Israil Lasarewitsch Helphand alias Alexander Parvus (1867-1924)
Quelle: Olga Shirnina

Israil Lasarewitsch Helphand, ein großer grobschlächtiger Mann, der sich Alexander Parvus, lateinisch „der Kleine“ nannte, beeinflusste die Weltgeschichte wie kaum ein anderer, und doch ist seine Rolle nur wenig bekannt. Die Sowjetunion, die DDR, den Kalten Krieg – all das hätte es ohne ihn möglicherweise nicht gegeben. Von ihm stammte der Plan für die russische Oktoberrevolution. Er überzeugte die Führung des deutschen Kaiserreichs, den Umsturz im Feindesland zu finanzieren. 1917 arrangierte er die Fahrt des in der Schweiz lebenden Exilanten Lenin in einem Eisenbahnwaggon durch Deutschland nach Russland.

Auch privat war Parvus eine faszinierende Gestalt. In armen Verhältnissen aufgewachsen, servierten ihm später livrierte Diener in seinen Villen Champagner zum Frühstück. Ein eher hässlicher Mann, der die Frauen dennoch anzog. Ein Harem von Blondinen umgab ihn, und selbst die scheinbar so kühle Rosa Luxemburg erlag seinen Reizen.

Das Deutsche Reich arbeitete damals nach einer vermeintlich bewährten Devise: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ursprünglich ein arabisches Sprichwort, wurde es im Laufe der Geschichte von vielen Herrschern zitiert und beherzigt. Nach diesem Prinzip verfuhr das katholische Frankreich, als es im Dreißigjährigen Krieg die protestantischen Schweden gegen die Habsburger unterstützte. So agierte Großbritannien, als es sich im amerikanischen Bürgerkrieg zunächst auf die Seite der Südstaaten schlug, obwohl die Briten die Sklaverei bereits ablehnten. Auch in der jüngeren Vergangenheit handelten Regierungen nach diesem Motto, wenn sie eigene Interessen schützen wollten: Die Vereinigten Staaten bewaffneten in den Achtzigerjahren mithilfe Pakistans die islamistischen Mudschaheddin, die in Afghanistan gegen die russischen Besatzer kämpften.

Der Feind meines Feindes – ist auch mein Feind

Doch zu Ende gedacht wurde selten, was es bedeuten könnte, den Feind seines Feindes zum Freund zu erklären. Denn immer wieder stellte sich heraus: Der Feind meines Feindes – ist auch mein Feind.

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Als das Königreich Frankreich im späten 18. Jahrhundert die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterstützte, holte sich der Hochadel die Revolutionsidee damit praktisch selbst ins Land. Aus nicht wenigen Mudschaheddin wurden später unter der Führung Osama bin Ladens Terroristen von al-Qaida. Und als der Westen den brutalen irakischen Diktator Saddam Hussein loswerden wollte, trug der Krieg gegen ihn zumindest indirekt dazu bei, dass sich später der sogenannte Islamische Staat ausbreiten konnte. Das Bündnis mit dem Feind des Feindes wird also leicht zum Bumerang, wie diese Beispiele zeigen. Sie bleiben aber möglicherweise Fußnoten der Geschichte im Vergleich zu dem, was am frühen Nachmittag des 7. Januar 1915 seinen Ausgang nahm, gut fünf Monate nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs.

Ein Mittvierziger, gut gekleidet, beleibte Gestalt, gepflegter Bart, Handschuhe und Zylinder, fährt vor der Kaiserlichen Deutschen Botschaft in Konstantinopel vor. Es handelt sich um den zu erstaunlichem Reichtum gelangten russischen Revolutionär Helphand, der unter seinem Kampfnamen Parvus bekannt ist. Drinnen empfängt ihn Botschafter Konrad Freiherr von Wangenheim. Der in Konstantinopel ansässige deutsche Agent Max Zimmer hat das Treffen eingefädelt.

*05.03.1871-15.01.1919+ Politikerin (KPD), D Rosa Luxemburg (links) im Gespräch mit Dr. Alexander Helphand, genannt Parvus (Bildmitte mit hellem Hut) - 1903 - 01.01.1903-31.12.1903 Es obliegt dem Nutzer zu prüfen, ob Rechte Dritter an den Bildinhalten der beabsichtigten Nutzung des Bildmaterials entgegen stehen.
Revolutionäre unter sich: Rosa Luxemburg (l.) im Gespräch mit Alexander Parvus (mit hellem Hut)
Quelle: ullstein bild

Mit großen Posen und in gewandter Rede unterbreitet Parvus dem Botschafter einen Plan: Die kaiserliche Regierung müsse sich mit den russischen Revolutionären verbünden, „preußische Bajonette und russische Proletarierfäuste“, wie er sich ausdrückt, sollten sich vereinen. Nur so lasse sich der Zar, Deutschlands Kriegsgegner, besiegen. Er, Parvus, habe dafür bereits ein Aktionsprogramm entworfen. „Die Interessen der deutschen Regierung sind mit denen der russischen Revolutionäre identisch“, sagt Parvus. Am nächsten Tag kabelt der Botschafter ans Auswärtige Amt, spricht von einer „durchaus deutschfreundlichen Haltung“ seines ungewöhnlichen Gastes und endet: „Bitte Dr. Parvus in Berlin empfangen.“

1867 wurde Israil Lasarewitsch Helphand in Beresino im weißrussischen Gouvernement Minsk geboren als Sohn einer einfachen jüdischen Familie. Es war die Zeit der Pogrome. Aufgehetzte Russen ermordeten jüdische Männer, vergewaltigten und töteten jüdische Frauen. Selbst vor Kindern und Säuglingen machte der Mob nicht halt. Russen demolierten die Geschäfte der Juden und zündeten ihre Häuser an. Die Polizei des Zaren schaute weg, bestraft wurde in der Regel niemand. Israils Vater Lasar Helphand war Schmied, seine Ehefrau half in dem kleinen Geschäft mit aus. Ihr Stadtviertel brannte ab, die Familie musste in die Hafenstadt Odessa umziehen. Der wissbegierige Junge litt vor allem unter der Zensur. Er wollte sich mit der Welt auseinandersetzen, doch kritische Bücher waren in Russland verboten.

Deshalb entschloss er sich, das Land zu verlassen, und studierte ab 1888 in Basel Volkwirtschaft, Physik und Mineralogie. Dort lernte er Werke wie „Das Kapital“ und das „Kommunistische Manifest“ kennen und entwickelte sich unter ihrem Einfluss zum Marxisten. Auch persönlich machte er wichtige Bekanntschaften, etwa mit einer polnischen Kommilitonin, die in Zürich Nationalökonomie studierte und später wie Parvus Deutsche wurde: Rosa Luxemburg.

Nach der Promotion sah der junge Herr Doktor seine Zukunft in Deutschland: Dort, so meinte er, stehe die sozialistische Revolution bevor. Russland hingegen sei viel zu weit zurückgeblieben. „Die deutsche Sozialdemokratie wurde mein neues Vaterland“, wird er später schreiben.

In seiner Neigung zum Abenteuer ging er ohne Scheu jedes kalkulierbare Risiko ein
Klara Zetkin über Parvus

1891 siedelte er nach Deutschland über, zunächst nach Stuttgart. In der dortigen SPD lernte er zwei wichtige Persönlichkeiten kennen: Karl Kautsky, damals neben Friedrich Engels der wichtigste lebende Denker des Sozialismus, und Clara Zetkin, später führende Politikerin der Kommunistischen Partei Deutschlands. Sie wird einmal über Parvus sagen: „Er war ein Mann von extremer Lebendigkeit und konnte einen sehr beeindrucken. Er sprühte vor Geist, warf leichthändig Althergebrachtes über Bord und übte so eine Faszination auf das nüchterne Gemüt Kautskys aus. Er gewann leicht Freunde, ließ sie aber ebenso leicht ohne Bedauern hinter sich. Er liebte das gute Leben und erfreute sich großen Erfolges beim schönen Geschlecht. In seiner Neigung zum Abenteuer ging er ohne Scheu jedes kalkulierbare Risiko ein. Allerdings ist seine Sucht nach Reichtum seine hauptsächliche Leidenschaft geworden, die alles andere in den Schatten stellte.“

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Kautsky und Zetkin ließen Parvus in den linken Blättern „Neue Zeit“ und „Gleichheit“ schreiben, für die sie verantwortlich zeichneten. Bald machte er sich einen Namen als Autor zu Wirtschaftsthemen. Doch viel verdienen ließ sich damit nicht.

Rosa Luxemburg (also Rozalia Luxenburg; Polish: Róza Luksemburg; 5 March 1871 – 15 January 1919) was a Marxist theorist, philosopher, economist and revolutionary socialist of Polish-Jewish descent who became a naturalized German citizen. She was, successively, a member of the Social Democracy of the Kingdom of Poland and Lithuania (SDKPiL), the Social Democratic Party of Germany (SPD), the Independent Social Democratic Party (USPD), and the Communist Party of Germany (KPD). In 1915, after the SPD supported German involvement in World War I, she and Karl Liebknecht co-founded the anti-war Spartakusbund ('Spartacus League'), which eventually became the Communist Party of Germany (KPD). During the German Revolution she co-founded the newspaper Die Rote Fahne ('The Red Flag'), the central organ of the Spartacist movement. She considered the Spartacist uprising of January 1919 a blunder, but supported it as events unfolded. With the crushing of the revolt by Friedrich Ebert's social democratic government, Freikorps troops captured Luxemburg, Liebknecht and some of their supporters. Luxemburg was shot and her body thrown in the Landwehr Canal in Berlin. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Rosa Luxemburg nennt Parvus einfach den „Dicken“
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Der langjährige ARD-Korrespondent und NDR-Chefredakteur Winfried Scharlau und der britische Historiker tschechischer Herkunft Zbyněk Zeman beschreiben in ihrer Biografie „Freibeuter der Revolution“ den Parvus jener Zeit so: „In der zerlumpten Kleidung steckte eine ungewöhnlich breitschultrige und vierschrötige Gestalt, von der Statur eines Michelangelo-Sklaven und mit etwas zu kurzen Beinen, einem mächtigen Kopf mit überhöhter Stirn, die wegen einer beginnenden Kahlköpfigkeit besonders hervorragte, und einem ungepflegten, kurzgeschorenen Vollbart, der die gesamte Erscheinung ebenso fremdartig wie unheimlich machte. Wenn Karl Kautskys Kinder den Namen Helphand in Dr. Elefant umprägten, so hatten sie damit seiner Formfülle einen treffenden Ausdruck gegeben.“ Rosa Luxemburg nennt ihn einfach den „Dicken“.

Bald wird es ihm in Stuttgart zu eng. Er zieht nach Berlin, wo er unter anderem für den „Vorwärts“ schreibt. Besonderes Aufsehen erregt seine Artikelserie „Die Lage in Russland“, in der er die Ursachen des Hungers dort analysiert. Auch die Preussische geheime politische Polizei beobachtet ihn. 1893 wird er als „lästiger Ausländer“ aus Preußen ausgewiesen.

Ich suche ein Vaterland, wo ist ein Vaterland zu haben für billiges Geld?
Parvus an Wilhelm Liebknecht

Ohne festen Wohnsitz bewegt er sich nun zwischen Dresden, Leipzig, Stuttgart, München und Zürich. Immer wieder trifft er in dieser Zeit Rosa Luxemburg, die zu seiner Seelenverwandten wird. Er fürchtet, nach Russland abgeschoben zu werden. An Wilhelm Liebknecht, den Chefredakteur des „Vorwärts“, schreibt er: „Ich suche ein Vaterland, wo ist ein Vaterland zu haben für billiges Geld?“ Doch seine Versuche scheitern, die österreichische oder württembergische Staatsbürgerschaft zu erlangen.

Seine Artikel schreibt er unter wechselnden Pseudonymen. Er gehört in dieser Zeit zum radikalen, fundamentalistischen Flügel der SPD. Als diese 1894 im Bayerischen Landtag dem Haushalt der Regierung zustimmt, empört er sich in der „Neuen Zeit“: „Keinen Mann und keinen Groschen für die herrschende Ordnung!“ Bei diesem Artikel fällt auf: Er unterzeichnet ihn erstmals mit dem Namen, unter dem er berüchtigt werden sollte: Parvus, lateinisch für „klein“, „unbedeutend“ und „bescheiden“ – natürlich eine Ironie, denn er ist sehr groß und hält sich schon damals unbescheiden für ziemlich bedeutend.

Nach einem Zwischenspiel als Redakteur bei der linken Leipziger „Volkszeitung“ wird Parvus 1896 Chefredakteur der in Dresden erscheinenden „Sächsischen Arbeiterzeitung“. Parvus ist jetzt eine stadtbekannte Persönlichkeit, wobei die Einwohner seinen Namen sächsisch aussprechen: „Dr. Barfuß“. In seiner Zeitung lässt er auch eine alte Freundin schreiben, sie kommt damit zum ersten Mal in der deutschen Parteipresse zu Wort: Rosa Luxemburg. Als ihn die sächsische Regierung 1898 aus Dresden ausweist, wird sie seine Nachfolgerin.

1RD-157-B1916-B (2024737) W.I.Lenin/ Foto 1916 Lenin, Wladimir Iljitsch (eigentl. Ulja- now) russ. revolutionärer Politiker. Simbirsk (jetzt Uljanowsk) 22.4.1870 - Gorkij bei Moskau 21.1.1924. Foto, Zürich 1916; digital koloriert. |
Revolutionäre Agitation in Schwabing: Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin
Quelle: picture alliance / akg-images

Er zieht nach München. Dort lernt er einen anderen russischen Emigranten kennen, drei Jahre jünger als er, einen gewissen Wladimir Iljitsch Uljanow. Beide wohnen im Stadtteil Schwabing. Sie gründen die Zeitschrift „Iskra“, russisch für „der Funke“, die in Deutschland gedruckt und dann ins Zarenreich geschmuggelt wird. Uljanow nutzt in München die Decknamen K. Iordanov und Mayer. Wie Parvus schreibt er unter einem Pseudonym, unter dem er später bekannt wird: Lenin.

Zunächst drucken sie die Zeitung in einer Parteidruckerei in Leipzig, dann in Parvus’ Wohnung in der Ungererstraße 80. Die Schwabinger Wohnung wird zu einem Treffpunkt der Genossen. Dort bringt Parvus Lenin mit seiner Freundin Rosa Luxemburg zusammen – die erste Begegnung der beiden.

1904 nimmt Parvus einen um zwölf Jahre jüngeren russischen Revolutionär in seiner Schwabinger Wohnung auf, Lew Dawidowitsch Bronstein. Sie entdecken viele Gemeinsamkeiten: Auch Bronstein entstammt einer jüdischen Familie. Er ist ebenfalls in Odessa zur Schule gegangen. Und auch er nutzt einen Kampfnamen: Leo Trotzki.

Leon Trotsky (Russian: ??? ????_????? ???_????; born Lev Davidovich Bronshtein (7 November 1879 – 21 August 1940) was a Russian Marxist revolutionary and theorist, Soviet politician, and the founder and first leader of the Red Army. Trotsky was initially a supporter of the Menshevik Internationalists faction of the Russian Social Democratic Labour Party. He joined the Bolsheviks immediately prior to the 1917 October Revolution, and eventually became a leader within the Party. During the early days of the Soviet Union, he served first as People's Commissar for Foreign Affairs and later as the founder and commander of the Red Army as People's Commissar of Military and Naval Affairs. He was a major figure in the Bolshevik victory in the Russian Civil War (1918–23). He was also among the first members of the Politburo. After leading a failed struggle of the Left Opposition against the policies and rise of Joseph Stalin in the 1920s and the increasing role of bureaucracy in the Soviet Union, Trotsky was successively removed from power in 1927, expelled from the Communist Party, and finally deported from the Soviet Union in 1929. As the head of the Fourth International, Trotsky continued in exile in Mexico to oppose the Stalinist bureaucracy in the Soviet Union. An early advocate of Red Army intervention against European fascism, in the late 1930s, Trotsky opposed Stalin's non-aggression pact with Adolf Hitler. He was assassinated on Stalin's orders in Mexico, by Ramón Mercader, a Spanish-born Soviet agent in August 1940. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
„Parvus war zweifellos eine hervorragende Gestalt unter den Marxisten": Leo Trotzki (Foto)
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Obwohl sie sich zum ersten Mal begegnen, hat Trotzki viel von Parvus gehört, dessen ökonomische Schriften und Polemiken in der linken Presse gelesen. Er sieht in Parvus einen Mentor. In seiner Autobiografie wird Trotzki später schreiben: „Parvus war zweifellos eine hervorragende Gestalt unter den Marxisten am Ende des vorigen und am Anfang dieses Jahrhunderts. Er beherrschte die marxistische Methodik vollkommen, hatte einen weiten Blick, verfolgte alles Wesentliche in der Weltarena, was ihn bei seiner außerordentlichen Kühnheit des Denkens und einem männlichen muskulösen Stil zu einem wahrhaft hervorragenden Schriftsteller machte. Seine alten Arbeiten haben mir die Fragen der sozialen Revolution nähergebracht und die Machteroberung des Proletariats aus einem astronomischen ‚Endziel‘ in eine praktische Aufgabe unserer Zeit verwandelt.“

Doch während Lenin und Trotzki eher asketisch leben, entwickelt Parvus eine zweite Seite neben dem sozialistischen Engagement: einen ausgeprägten Geschäftssinn. Dabei nutzt er seine internationalen Erfahrungen und seine Kenntnisse von Gesetzeslücken. Etwa diese: Das damalige Russland hat die Berner Konvention zum Schutz der Autorenrechte nicht unterzeichnet. Werke russischer Autoren können deshalb im Westen übersetzt und nachgedruckt werden, ohne dem ursprünglichen Verlag etwas zu bezahlen.

Parvus gründet zu diesem Zweck sein eigenes Unternehmen, den Verlag slawischer und nordischer Literatur. Allerdings verspricht er den Autoren selbst einen Anteil an den Erlösen. Und so gelingt ihm ein großer Coup: Er nimmt Maxim Gorki unter Vertrag, den neuen Star der russischen Literatur. 1902 riskiert Parvus sogar eine illegale Reise in sein Heimatland, um Gorki am Bahnhof von Sewastopol am Schwarzen Meer zu treffen.

Gorki wollte Parvus „die Ohren abschneiden“

Für Parvus werden die Gorki-Rechte zur Goldgrube. Max Reinhardt inszeniert dessen Drama „Nachtasyl“ in Berlin, dort folgen 500 Aufführungen, dann gelangt das Stück auch auf deutsche Provinzbühnen. Doch andere Buchprojekte verlaufen weniger erfolgreich, und Parvus verprasst die Gelder Gorkis bei Privatreisen nach Italien und Frankreich. Es geht um beträchtliche Summen, die dem Schriftsteller zustehen und die er, zumindest zum Teil, den Bolschewiki spenden wollte: Parvus veruntreut 180.000 Goldmark.

Ausgerechnet den linken Autor Gorki betrogen zu haben wird seinem Ansehen in revolutionären Kreisen für immer schaden. Der Sozialist Gorki kommt nach Deutschland, beschwert sich beim Parteivorstand der SPD und fordert, dieser solle dem Genossen Parvus „die Ohren abschneiden“. Die Partei bildet eine Untersuchungskommission, der solch wichtige Genossen angehören wie August Bebel, einer der Gründer der deutschen Sozialdemokratie, Karl Kautsky und Clara Zetkin. Weil dieser Fall von Bereicherung der Arbeiterpartei peinlich ist, werden die Verhandlungen vertraulich geführt. Es heißt aber, Parvus sei verwarnt worden, und er sollte für einige Zeit keine Funktion mehr in der Parteipresse wahrnehmen dürfen.

Auch sein Privatleben wird von den Parteioberen misstrauisch beäugt. Er ist damals mit Tanja, einer Hebamme russischer Abstammung, verheiratet, über die wenig bekannt ist, außer dass sie einen gemeinsamen Sohn haben. Umso mehr hört man über seine Affären, im Stich gelassene Geliebte und uneheliche Kinder. Als er sich 1905 von Tanja trennt, stellt er bald, trotz steigenden Wohlstands, seine Unterhaltszahlungen ein.

Er selbst bezeichnet sein rücksichtsloses Verhalten als heldenhaft: „Ich sorgte für meinen Nächsten, sooft und sobald ich es nur konnte, aber ich ließ mich nicht durch materielle Sorgen und Familienrücksichten in meiner geistigen Arbeit und politischen Tätigkeit einengen und zögerte nicht, wenn es galt, alles aufs Spiel zu setzen, mein eigenes Leben und die Existenz meiner Nächsten.“ Ohnehin sei die bürgerliche Ehe ein „Räubernest“. Seine „Empfindungsweise“ sprenge „den engen Kreis der Familie“. Parvus hat unzählige Affären, mit seinen insgesamt vier Frauen lebt er in wilder und offizieller Ehe.

Militär hält den Platz vor dem Winterpalais in St. Petersburg besetzt. Die russsiche Revolution von 1905-1907 wurde am 22. Januar 1905, dem sogenannten Blutsonntag ausgelöst, nachdem vor dem Winterpalais in St. Petersburg stationierte Truppen auf eine friedliche Arbeiterdemonstration schossen. | Verwendung weltweit
Mit dem Blutsonntag in St. Petersburg beginnt im Januar 1905 die Revolution
Quelle: picture-alliance / dpa

Doch trotz dieses Misstrauens unter den Genossen findet er bald Gelegenheit, seine revolutionäre Theorie in die Praxis umzusetzen – diesmal in seiner Heimat. Am 22. Januar 1905, einem Sonntag, ziehen 100.000 Arbeiter zum Winterpalais des Zaren in Sankt Petersburg, bitten um eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Sie tragen keine roten Fahnen, sondern Ikonen und Bilder von Zar Nikolaus II. Sie singen nicht die Internationale, sondern religiöse und patriotische Lieder. Trotzdem schießen Kosaken auf sie, den Befehl erteilt Großfürst Wladimir, der Onkel des Zaren. Nach unterschiedlichen Schätzungen sterben 200 bis 1500 Arbeiter. Dieser Tag geht als Blutsonntag in die russische Geschichte ein, löst Generalstreik und Revolution aus.

Die russischen Emigranten im Ausland, gespalten in untereinander zerstrittene linke Kleingruppen, sind von den Nachrichten überrascht. Spontan entscheiden sich viele von ihnen für die Rückkehr nach Russland, wollen sich an die Spitze des Aufstands stellen.

Trotzki erfährt davon in Genf, wählt den Weg über München, um dort mit Parvus zu sprechen. Parvus reist in seine Heimat über Leipzig, trotz des weiterhin dort für ihn geltenden Aufenthaltsverbots. Der Sozialdemokrat und spätere preußische Kultusminister Konrad Haenisch erinnert sich an folgenden Dialog mit Parvus:

Undatierte Fotografie des deutschen Politikers Konrad Haenisch (1876-1925).(Undatierte Aufnahme) | Verwendung weltweit
Der Sozialdemokrat und spätere preußische Kultusminister Konrad Haenisch
Quelle: picture-alliance / dpa

„Sind Sie’s leibhaftig? Woher? Wohin?“

„Aus München natürlich! Die Bestie liegt!“

„Liegt sie wirklich schon? Ist’s wirklich schon so weit? Können Sie bereits ohne Gefahr ... ?“

Haenisch fragt Parvus auch, woher er das Geld für die Reise habe.

„Vorschuss auf ein Buch, das ich über meine Erlebnisse schreiben werde. Und ich werde was erleben – verlassen Sie sich darauf!“

„Und der Verlag?“

„Der Teufel soll den Verlag holen! Was geht mich der dumme Verlag an? Jetzt ist die Revolution, mein Lieber!“

Mit einem gefälschten Pass schlägt sich Parvus nach Sankt Petersburg durch. Er und Trotzki gehören zu den ersten Emigranten, die zurückkehren. Mit ihrem politischen Geschick und rhetorischen Talent gelangen sie bald an die Spitze der Bewegung. Die Arbeiter bilden Räte, auf Russisch Sowjets – 1905 ist die Generalprobe für die erfolgreiche Revolution 1917. Damals heißt es: „Trotzki spielte im ersten Sowjet der Arbeiterdeputierten die erste Geige – und Parvus schrieb die Noten dazu.“ Doch die Erhebung wird niedergeschlagen, die zaristische Polizei verhaftet zuerst Trotzki, dann auch Parvus.

In der Haft trifft er Trotzki wieder, sie umarmen und küssen sich. Rosa Luxemburg kommt aus Deutschland angereist und besucht die beiden im Gefängnis. Sie dürfen sogar fremdsprachige Zeitungen lesen. Doch dann verbannt der russische Innenminister Parvus für drei Jahre nach Sibirien. In einem Gnadengesuch an den Minister spricht der Revolutionär die Furcht aus, die Verbannung könne zu seinem „vorzeitigen Tod“ führen. Nach eigener Diagnose leidet der jetzt 39-Jährige an „chronischer Atonie der Nieren mit Magen-Darm-Katarrh“. Statt der Verbannung solle man ihm lieber eine Kur „mit den heilenden Mineralwässern in Karlsbad“ gewähren.

Gefangentransport 1906 nach Sibirien Russisches Reich / Revolutionaere Be- wegungen: - Gefangenentransport mit politischen Haeftlingen auf dem Weg nach Sibirien: Der Zug wurde von Arbeitern bei Omsk zum Halten gezwungen. - Foto, Mai 1906. |
Gefangentransport nach der Revolution von 1905 nach Sibirien
Quelle: picture-alliance / akg-images

Doch Parvus muss den beschwerlichen Gefangenentransport nach Sibirien mitmachen, mehrere Wochen lang in Zügen, Fuhrwerken und Booten. Einige der Gefangenen haben Flaschen mit 95-prozentigem Alkohol bei sich, um die Qualen leichter zu ertragen. Parvus überzeugt sie, dass es besser ist, die Flaschen den Bewachern zu schenken und dann, wenn diese betrunken sind, die Flucht zu versuchen. Bald torkeln die Wächter. Als sich die Strafgefangenen mit Händlern und Bauern in ein Boot drängen, entfernt sich Parvus unauffällig von dem Transport.

Er kleidet sich zur Tarnung wie ein russischer Muschik, trägt gegürteten Kaftan, Hosen und Stiefel. Im Zug zurück nach Sankt Petersburg nimmt er die unterste Klasse, isst und trinkt mit den mitreisenden Bauern und spielt mit ihnen Karten. Doch die Flöhe führen ihm zu Bewusstsein, dass es leicht ist, einen Muschik zu spielen, aber wesentlich schwerer, mit anderen Muschiks zu leben. In der nächsten Stadt wechselt er die Kleider und sieht jetzt wieder wie ein vornehmer Herr aus.

Er schwört dem armen asketischen Leben ab, die neue Philosophie des Kommunisten Parvus: Nur mit Geld lässt sich die Welt verändern. In Konstantinopel baut er mit großem Erfolg ein Firmenimperium auf, das mit Getreide und Waffen ebenso handelt wie mit Holz und Eisen. Sogar Banken gehören ihm. Rosa Luxemburg und andere seiner Freunde und Genossen sind entsetzt. Trotzki schreibt einen „Nachruf auf einen lebenden Freund“. Einige Genossen spotten, Parvus sei nur nach Konstantinopel gezogen, um „die Polygamie an bester Quelle zu studieren“.

Theobald von Bethmann-Hollweg (l.) mit Staatssekretär Gottlieb von Jagow und Unterstaatssekr. v. Zimmermann vor den Stufen des Berliner Reichtagsgebäudes. Photographie. um 1915 |
Gottlieb von Jagow (r.) Chef des Auswärtigen Amtes, und Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg (l.)
Quelle: picture-alliance / IMAGNO/NB

Doch als 1914 der Erste Weltkrieg beginnt, ist seine Stunde gekommen. Das Treffen mit dem deutschen Botschafter in Konstantinopel macht den Anfang. Im Februar 1915 reist Parvus nach Berlin. Wie vom Botschafter vermittelt, besucht er das Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße. Es empfängt ihn der Chef des Auswärtigen Amtes Gottlieb von Jagow. Auch Max Zimmer, der Agent, ist wieder dabei.

Parvus erläutert seine Idee von einem Generalstreik in Russland, der den Zaren in die Knie zwingen werde. Um Aufrufe dafür zu verbreiten, benötige er deutsches Geld. Auch solle Deutschland nationale Unabhängigkeitsbewegungen in den russischen Provinzen unterstützen. Der Staatssekretär unterbricht die hitzige Vorstellung. Parvus solle seine Vorstellungen erst einmal zu Papier bringen. Dann werde man weitersehen.

Innerhalb von wenigen Tagen entwirft Parvus seinen Plan für die russische Revolution, ein mit Schreibmaschine geschriebenes Papier von 23 Seiten, das heute im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin liegt. Die wichtigsten Punkte:

Dokument im Aussenamt zum Thema der russischen Revolution. Agent Parvus
Der Plan zur Revolution liegt heute im Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin
Quelle: Amin Akhtar

–„Ein politischer Massenstreik in Russland unter der Losung: Freiheit und Frieden“

– „Dieses Werk kann nur unter der Leitung der russischen Sozialdemokratie zustande kommen. Der radikale Teil der Letzteren ist bereits in Aktion getreten.“

– „Aufstand der Schwarzmeerflotte“

– „Petroleumdepots in Brand setzen“

– „Eine besondere Beachtung ist Sibirien zu widmen. Man kennt es in Europa nur als Land der Verbannung. Es lebt aber längs der großen sibirischen Tracen, an der Eisenbahn und den Flüssen ein starker Bauernstand, von stolzem und unabhängigem Sinn.“

– „Zugleich müsste man Vorsorge treffen, um die politischen Deportierten (in Sibirien) nach dem europäischen Russland entkommen zu lassen. Dies ist eine reine Geldfrage. Man kann auf diese Weise mehrere Tausend der tüchtigsten Agitatoren, die große Verbindungen besitzen und eine schrankenlose Autorität genießen, nach den oben genannten Agitationszentren und nach Petersburg dirigieren.“

– „Broschüren in russischer Sprache können in der Schweiz herausgegeben werden.“

– „Die vielen russischen Juden und Slawen in den Vereinigten Staaten und in Kanada bilden ein sehr empfängliches Element für die Agitation gegen den Zarismus.“

– „Es ist der Abfall des Kaukasus möglich ... Die Bevölkerung dort würde gewiss eine muselmanische Regierung vorziehen.“

– „Sturz der (russischen) Regierung und rascher Friedensschluss“

– „Technische Voraussetzungen zu einem Aufstand in Russland: a) Beschaffung genauer Karten russischer Eisenbahnen und Bezeichnung der wichtigsten Brücken, deren Zerstörung notwendig ist, um den Verkehr lahmzulegen; ... b) Genaue Angabe der Menge von Sprengstoffen, die zur Erreichung des Zieles in jedem einzelnen Fall notwendig ist ... c) Klare und populäre Anweisung über die Handhabung der Sprengstoffe bei Brückensprengungen, Sprengung von großen Gebäuden. d) Einfache Rezepte zur Zubereitung von Sprengstoffen.“

– „Finanzielle Unterstützung der sozialdemokratischen Majoritätsfraktion, die den Kampf gegen die zaristische Regierung mit allen Mitteln fortführt. Die Führer sind in der Schweiz aufzusuchen.“

Mit der sozialdemokratischen Majoritätsfraktion meint er die Bolschewiki, die spätere Kommunistische Partei der Sowjetunion. Und mit deren Führern vor allem einen: den zu dieser Zeit in Bern lebenden Lenin.

Zur Unterstützung der revolutionären Propaganda in Russland werden hier zwei Millionen Mark benötigt
Gottlieb von Jagow, Staatssekretär im Auswärtigen Amt

Anders als Parvus hat dieser übrigens den Ersten Weltkrieg nicht vorausgesehen. Noch 1913 schrieb er: „Ein Krieg zwischen Österreich und Russland wäre für die Revolution (in ganz Osteuropa) sehr nützlich, aber es ist kaum anzunehmen, dass uns Franz Joseph und unser Freund Nikolaus dieses Vergnügen bereiten.“

Einen guten Monat nach Eingang des Parvus-Plans hat der Staatssekretär dessen Vorschläge geprüft und telegrafiert an das Reichsschatzamt: „Zur Unterstützung der revolutionären Propaganda in Russland werden hier zwei Millionen Mark benötigt.“ Alles in allem wird das deutsche Kaiserreich in den kommenden Jahren, nach heutigem Gegenwert, umgerechnet 500.000.000 Euro investieren in den Sieg der kommunistischen Revolution. Ziel: das Ausscheiden Russlands aus dem Krieg und damit aus der antideutschen Front. Mittelsmann im Auftrag des Kaisers ist Parvus selbst. Seine einstige Mentorin Clara Zetkin nennt ihn einen „Zuhälter des Imperialismus“.

Ein anderer Revolutionär hat da weniger Berührungsängste. Ende Mai 1915 reist Parvus nach Bern, um seinen alten Kampfgenossen Lenin in dessen bescheidener Wohnung in der Länggasse zu treffen. Sie besteht nur aus einem Raum mit Küche. Es riecht nach Kohlsuppe. Hier reden sie über eine Revolution in Russland – und über die Weltrevolution. Nach außen aber wahrt Lenin Distanz zu dem in linken Kreisen mittlerweile umstrittenen Geschäftsmann.

Eine Flasche Champagner zum Frühstück

Die österreichische Slawistin Elisabeth Heresch schreibt in ihrem Buch „Geheimakte Parvus“: „Wie Parvus seinen Reichtum zur Schau stellt, wirkt auf seine Landsleute provokant. Alles spricht davon, dass er im Zürcher Nobelhotel ,Baur au Lac‘ angeblich bereits zum Frühstück eine Flasche Champagner leere und dabei von einem Harem molliger, attraktiver Blondinen umgeben sei.“ Das Geld von Parvus nimmt Lenin aber gerne.

Parvus residiert jetzt in einer pompösen dreigeschossigen Villa in der vornehmen Kopenhagener Vodroffsvej-Straße. Wegen der Nähe zu Russland betreibt er seine Geschäfte von hier, außerdem leitet er ein 18-köpfiges Agentennetz, getarnt als „Institut zur Erforschung der sozialen Folgen des Krieges“. Sein Geschäftssinn ist ebenso gut wie sein Geschick als Agent und Revolutionär.

So wurde Rasputin zum Mythos

In den letzten Jahren der Regierung Zar Nikolaus II. von Russland gewann der Wanderprediger Rasputin großen Einfluss am Hof. Die Zarin protegierte, Frauen umschwärmten die bizarre Figur.

Quelle: Picture Alliance (14)

Er handelt mit allen Seiten, ist der Prototyp des Kriegsgewinnlers: Baumwolle aus der Türkei verschiebt er nach Russland, wo sie den nicht mehr enden wollenden Bedarf an Uniformen deckt. Er verkauft kriegswichtige Metalle wie Kupfer, Zinn und Aluminium. Von Kautschuk und Kaviar bis zu Kognak und Kondomen hat er alles im Angebot. Geschäftsbeziehungen unterhält er auch zu Rasputin, dem russischen Wunderheiler mit großem Einfluss auf Zarin Alexandra. Dieser besitzt ein großes Aktienpaket der Deutschen Kriegsmetall-AG, die Parvus mit Material beliefert, das er über Skandinavien nach Russland liefert.

Gute Geschäfte sind kein Selbstzweck für Parvus’ Geflecht aus Firmen und Agenten. Seine Leute schmuggeln kommunistische Propagandaliteratur ebenso nach Russland wie Gewehre und Dynamit. Da sie die Ostfront nicht durchbrechen können, wählen sie einen Umweg: über das 1600 Kilometer von Kopenhagen entfernte Haparanda, ein schwedisches Kaff an der Grenze zu Finnland, damals ein Großfürstentum im Russischen Reich. Manchmal bestechen sie russische Grenzer an der hölzernen Fußgängerbrücke über den Grenzfluss Torneälv, manchmal fahren sie mit Schlitten übers Eis. Das Kennwort für die Kuriere auf der anderen Seite: „Ich bringe Grüße von Olga.“ Die wissen, was sie zu tun haben. Die über Parvus angelieferten deutschen Geschenke werden beispielsweise genutzt, um Schiffe in Archangelsk zu sprengen und Häfen in Brand zu setzen.

Das zeitgenössische Porträt zeigt den deutschen Politiker und Diplomaten Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau (1869-1928) in seinem Büro. | Verwendung weltweit
"Der erste Platz in der Welt ist unser, wenn es gelingt, Russland rechtzeitig zu revolutionieren": Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, deutscher Botschafter in Kopenhagen
Quelle: picture-alliance / dpa

Im Juli 1915 wird Parvus von Graf Ulrich von Brockdorff-Rantzau empfangen, dem deutschen Botschafter in Kopenhagen (später der erste Außenminister in der Weimarer Republik). Dieser ist jetzt der Verbindungsmann zwischen Parvus und der deutschen Regierung. Parvus berichtet ihm von seinen Plänen zum Sturz des Zaren. Der Mann aus altem Adel trägt einen Siegelring und ist ganz anders als dieser Revolutionär und Lebemann, respektiert ihn aber für seine Klugheit und Verbindungen, hält ihn im Interesse Deutschlands für wichtig.

Nach dem Gespräch schreibt er an den deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg: „Der Sieg und als Preis der erste Platz in der Welt ist unser, wenn es gelingt, Russland rechtzeitig zu revolutionieren und dadurch die Koalition zu sprengen.“ Und fügt über Parvus alias Helphand persönlich hinzu: „Dass Dr. Helphand weder ein Heiliger noch ein bequemer Geist ist, steht fest; er glaubt aber an seine Mission und hat eine Probe seiner Befähigung während der Revolution nach dem Russisch-Japanischen Krieg abgelegt.“

Parvus möchte vom Reichskanzler empfangen werden. Dies wird abgelehnt. „Leute wie Parvus sollten nicht zu den obersten Stellen vorgelassen werden“, heißt es in Berlin. Doch vom 16. bis zum 20. Dezember 1915 besucht er dort erneut das Auswärtige Amt und diesmal zusätzlich das Reichsschatzamt. Staatssekretär Karl Helfferich sagt ihm eine weitere Million zu – diesmal in Rubel. Wenige Tage später erhält Parvus das Geld in bar und quittiert handschriftlich, „am 29. Dezember 2015 eine Million Rubel in Banknoten zur Förderung der revolutionären Bewegung in Russland von der deutschen Gesandtschaft in Kopenhagen erhalten“ zu haben.

Lenins Vertrauter und Geldbeschaffer Jakow Fürstenberg, später Leiter der sowjetischen Notenbank, wird kaufmännischer Direktor in der Kopenhagener Import- und Exportfirma von Parvus. Die deutsche Kriegskasse finanziert über ihn den Druck der bolschewistischen Parteizeitung „Prawda“, um die sich die Revolutionäre scharen. Aus Deutschland werden der Firma Scheinkredite gewährt, die nie zurückzuzahlen sind. Das Geld fließt an die russischen Bolschewiki. Lenin sorgt sich darum, das könne bekannt und gegen ihn ausgeschlachtet werden. Parvus beruhigt ihn: „Glauben Sie meiner Erfahrung, Wladimir Iljitsch, bei großen Dingen wird man nie ertappt. Nur kleine Fische gehen ins Netz.“

Der Geheimdienst des Zaren wusste Bescheid

In Wahrheit weiß die Ochrana, die Geheimpolizei des Zaren, längst Bescheid. 1915 berichtet ein in Kopenhagen stationierter Agent, der in den Akten „1. Burschtejn“ genannt wird, wie Parvus alias Helphand mit allen Mitteln operiert: „Aber damit sind die Aktivitäten von Doktor Gelfand (Helphand) zum Wohle Deutschlands keineswegs erschöpft: im Hotel ,Kong Frederik‘, Nummer 41, lebt eine Agentin oder Gefährtin von Doktor Gelfand – Radegonde Kaprowski Laurencean. Diese Dame unterhält eine Beziehung mit einem dänischen Leutnant, der sie pünktlich mehrmals am Tag besucht, manchmal in Anwesenheit anderer Offiziere. In den meisten Fällen erscheinen sie umgekleidet wieder.“

Bald schreiben auch russische Zeitungen über das Spionagenetz. Das Blatt „Rjetsch“ etwa bezeichnet Lenin und Parvus als deutsche Agenten. Parvus ist empört und verklagt russische Korrespondenten in Kopenhagen, bemerkt aber: „Leider erklärt mir mein Rechtsanwalt, dass die Sache sich in die Länge ziehen wird.“

Da Parvus nun für Kaiser Wilhelm II. arbeitet, will er dies nutzen, um eine persönliche Angelegenheit zu regeln – er beantragt die deutsche Staatsbürgerschaft: „Wenn ich nun jetzt mein Gesuch um die Gewährung des deutschen Bürgerrechts erneuere, tue ich das, ... weil ich ein Verlangen danach habe, dass das geistige Band, das mich mit dem deutschen Volk verbindet, auch formell anerkannt werde, wie auch besonders aus politischen Gründen.“ Damit meint er seine politische Verfolgung im zaristischen Russland, er möchte verhindern, eines Tages dorthin ausgeliefert zu werden. Er erreicht sein Ziel zum Teil: 1916 erhält er den preußischen Pass.

Die russischen Revolutionen von 1917

Die Februarrevolution des Jahres 1917 stürzte das Zarenregime. Doch die neue Führung konnte sich nicht zu Frieden und umfassenden Reformen durchringen. Das bot den Bolschewiki die Chance zum Putsch.

Quelle: Die Welt

Im Jahr 1917 ist es so weit: Die Unzufriedenheit mit der Not und dem Krieg in Russland wird immer größer. Am 23. Februar (nach dem alten russischen Kalender) streiken 87.000 Arbeiter, am Tag darauf 97.000, bald sind es 240.000. Sie gehen auf die Straße, rufen: „Brot! Frieden! Nieder mit der Regierung!“ Ganz wie von Parvus in seinem Plan aufgeschrieben: „Ein politischer Massenstreik in Russland unter der Losung: Freiheit und Frieden.“ Eliteeinheiten sollen die Unruhen niederschlagen, doch sie verbrüdern sich mit den Aufständischen. Der Zar, der sich außerhalb der Haupstadt befindet, schickt ein Telegramm: „Es ist zu spät. Jetzt bleibt nur mehr die Abdankung.“ Die Februarrevolution hat gesiegt.

Doch für Deutschland reicht das nicht aus, denn die neue Regierung setzt den Krieg fort. Jetzt unterstützt das deutsche Kaiserreich erst recht Lenins Bolschewiki, die den Krieg sofort beenden wollen.

Am 2. März 1917 erhält die Vertretung der Deutschen Reichsbank in Stockholm Anweisung Nr. 7443 aus ihrer Zentrale: „Hiermit wird Ihnen mitgeteilt, dass Sie aus Finnland Anfragen für Auszahlungen für pazifistische Propaganda in Russland erhalten werden. Die Anfragen werden von einer der folgenden Personen an Sie gestellt: Lenin, Sinowjew, Kamenjew, Trotzki, Sumenson, Koslowski, Kollontai, Sievers oder Merkalin.“ Das klingt wie ein Who’s who der russischen kommunistischen Bewegung. Doch das Problem der deutschen Regierung ist das der Revolutionäre: Ihr Anführer Lenin lebt weit von den Ereignissen entfernt, mittlerweile in der Spiegelgasse 14 in Zürich, „eingepfropft wie in einer Flasche“ (Parvus).

Die Reiseroute der Bolschewiki war bis ins Detail festgelegt
Die Route Lenins und seiner Parteigenossen ist bis ins Detail festgelegt
Quelle: Infografik Die Welt

Botschafter Brockdorff-Rantzau telegrafiert an das Auswärtige Amt in Berlin, ganz im Sinne seines Gesprächspartners Parvus alias Helphand: „Uns muss allein daran liegen, die Anarchie und das Chaos dort so anwachsen zu lassen, dass Russland für den Krieg nicht mehr in Betracht kommt. ... Hatte Gelegenheit, den in russische Verhältnisse tief eingeweihten Dr. Helphand ausführlich zu sprechen, der gerade jetzt an der Arbeit ist, uns durch eine zielbewusste Aktion in Russland sehr große Dienste zu leisten.“

Die „zielbewusste Aktion“: Parvus schlägt seinen deutschen Gesprächspartnern vor, Lenin in einem Eisenbahnwaggon von der Schweiz nach Russland zu bringen. Der werde dann eine bolschewistische Revolution anführen und den Krieg gegen Deutschland stoppen.

General Erich Ludendorff, nach Generalfeldmarschall von Hindenburg zweiter Mann der Obersten Heeresleitung, erklärt, eine Durchfahrt Lenins könne Deutschland große Kriegsvorteile bringen. Kaiser Wilhelm II. stimmt zu, wirkt aber etwas naiv. So sagt er, man solle Lenin und seinen Genossen die kaiserliche Osterbotschaft überreichen, „damit sie in ihrer Heimat aufklärend wirken“.

1RD-157-T1917 (20215) Lenin, Vereinbarung über Rückreise Lenin, Wladimir Iljitsch (eigentl. Ulja- now); russ. revolutionären Politiker; 1870-1924. - Vereinbarung der Gruppe russischer Bolschewisten mit dem deutschen General- stab über die Reise nach Petrograd, Bern-Zürich, 9. April 1917. - Mit Unterschrift Lenins. F: Lénine, Vladimir Ilitch (Oulianov) Lénine, Vladimir Ilitch (Oulianov) ; révolutionnaire russe ; 1870-1924. - Accord entre les membres bolchéviks des soviets et le général d'État-major allemand pour se rendre à Pétrograd, Berne-Zürich, 9 avril 1917. - Avec la signature de Lénine. |
Lenins Name führt die Unterschriften unter die "Vereinbarung über Rückreise" an
Quelle: picture alliance / akg-images

Als Lenin von der Durchfahrtgenehmigung hört, meint er: „Wenn die deutschen Kapitalisten so dumm sind, uns nach Russland zu bringen, schaufeln sie damit ihr eigenes Grab. Ich nehme das Angebot an – ich fahre.“

Das Zusammenspiel von Kaiser und Kommunisten soll geheim bleiben. Doch die Information ist durchgesickert. Als Lenin und 31 weitere russische Emigranten am 9. April 1917 in Zürich den für sie von Deutschland bereitgestellten Sonderzug besteigen, rufen demonstrierende Russen: „Provokateure, Lumpen, Schweine“ und „Verräter! Wilhelm bezahlt euch die Reise!“ Sie blockieren die Gleise, es scheint, sie könnten die Ausfahrt des Zuges verhindern und den Plan von Parvus vereiteln. Doch dann werden sie von prokommunistischen Demonstranten verdrängt. Diese singen die Internationale, der Zug fährt ab.

Ein Triumphzug. In Deutschland hat Lenins Zug Vorfahrt, sogar gegenüber dem Sonderzug von Friedrich Wilhelm, dem 34-jährigen Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen, der im Bahnhof Halle zwei Stunden warten muss. Die Reisenden im Zug aus Zürich singen französische Revolutionslieder, was Lenin schließlich verbietet, um Konflikte mit den Deutschen zu vermeiden. Lenin führt bereits die Planwirtschaft ein: Da immer wieder Raucher die Toilette besetzen, schneidet er Berechtigungen zu. Nur mit dieser Karte darf man auf dem Abort rauchen.

RUSSIA - DECEMBER 16: Nikolai Lenin, pseudonym of Vladimir Ilyich Ulyanov (1870-1924), on the road to Petrograd in April 1917 (in sealed one-carriage train), drawing by Pyotr Vasilievich Vasiliev (1899-1975). Bolshevik Revolution, Russia, 20th century. (Photo by DeAgostini/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Deutsche Offiziere versorgen die Reisenden mit Milch und Tageszeitungen
Quelle: De Agostini/Getty Images

Oft liest man, der Zug sei plombiert gewesen, aber das stimmt nur zum Teil. Zwar waren drei Türen des Waggons mit einem Metallsiegel versehen. Doch über die vierte Tür versorgten deutsche Offiziere die Kommunisten mit Milch und Tageszeitungen – ein Service Erster Klasse.

In Berlin bleibt der Zug fast vierundzwanzig Stunden auf einem Abstellgleis stehen. Sind Parvus und Lenin auf einen Trick der kaiserlichen Geheimpolizei hereingefallen? Werden die Kommunisten jetzt verhaftet? Vertreter der deutschen Reichsregierung betreten den Zug. Sie erlauben die Weiterfahrt. Was sich in der Zwischenzeit abspielte, ist bis heute ungeklärt.

Russische, englische und französische Geheimagenten beobachten Lenin und Parvus. Die englische Regierung warnt in einem Telegramm Russlands Provisorische Regierung vor der Ankunft Lenins. Diese reagiert gelassen. Der russische Außenminister Pawel Miljukow schreibt in seinem Antworttelegramm: „Wenn bekannt wird, mit wessen Hilfe sie kommen, werden sie so diskreditiert sein, dass sie keine Gefahr mehr darstellen.“

Lenins Ankunft am Finnischen Bahnhof. Gegen alle historische Wahrheit verortete M. G. Sokolow auch Stalin auf seinem Propagandagemälde
Lenins Ankunft am Finnischen Bahnhof in Petrograd. Gegen alle historische Wahrheit verortete M. G. Sokolow auch Stalin auf seinem Propagandabild
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Lenin trifft mit seinem Sonderzug auf dem Bahnhof von Petrograd ein. Begeisterte Anhänger begrüßen ihn, singen die Internationale. Arbeiter und Soldaten mit roten Fahnen bilden ein Spalier, eine Musikkapelle spielt auf. Lenin hält eine Rede: „Nieder mit der Provisorischen Regierung! Alle Macht den Sowjets! Frieden sofort!“ Deutschlands Oberste Heeresleitung kabelt an das Auswärtige Amt: „Lenins Eintritt in Russland geglückt. Er arbeitet völlig nach Wunsch.“

Die russische Regierung will ihn verhaften lassen. Lenin wird von einem Freund mit Kontakten zum Justizministerium gewarnt. Er versucht zu flüchten, doch überall wimmelt es von Polizisten. Fast wird er entdeckt, im letzten Moment gelingt es ihm, in der Menge unterzutauchen und in einen Hauseingang zu flüchten. Er rasiert sich den Bart ab, verkleidet sich als Bauer und flüchtet nach Finnland. Der Parvus-Plan scheint gescheitert.

Lenin erhält in seinem Versteck in Finnland den Bericht eines Kuriers, Österreich habe insgeheim Russland und den Westmächten einen Separatfrieden angeboten. Er ist schockiert. Denn damit wäre der Krieg zu Ende – und die Bolschewiki ihrer populärsten Losung „Frieden sofort“ beraubt. Im Gespräch mit Kampfgenossen ruft er dazu auf, sofort nach Petrograd zurückzukehren und gegen die Provisorische Regierung loszuschlagen, bevor sich die Friedensnachrichten verbreiten.

Am 10. Oktober, nach damaligem russischem Kalender dem 27. September, kehrt Lenin nach Petrograd zurück. Er trifft auf Menschen, die für seine Parolen empfänglich sind: enttäuschte russische Soldaten, verletzt, hungernd, sie haben den Krieg satt. Lenin und Trotzki rufen sie zur Meuterei auf, organisieren einen bewaffneten Trupp.

Am 7. November 1917, nach damaligem russischem Kalender dem 25. Oktober, feuert der Panzerkreuzer „Aurora“ eine Platzpatrone aus einer Bugkanone. Dies ist das Signal für den Sturm auf das Winterpalais, den Sitz der Provisorischen Regierung. Die Putschisten marschieren dorthin und platzen in die Sitzung der Provisorischen Regierung mit den Worten: „Sie sind verhaftet! Ihre Zeit ist um!“ Der Putsch, später zur „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ verklärt, hat gesiegt. Bolschewiki mit roten Fahnen feiern den Sieg, Lenin verkündet das „Dekret für den Frieden“, also die Absicht, aus dem Weltkrieg auszusteigen.

Währenddessen schickt der Staatssekretär im Berliner Auswärtigen Amt (und faktischer Außenminister) Baron Richard von Kühlmann, ein „streng geheim“ eingestuftes Telegramm an General Ludendorff: „Die Bolschewiki-Bewegung hätte ohne unsere stetige weitgehende Unterstützung nie den Umfang annehmen können, den sie heute besitzt.“

Generalleutnant Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff, Portrait | Verwendung weltweit
"Es musste sein, damit Russland fällt“: Erich Ludendorff, Erster Generalquartiermeister der deutschen Obersten Heeresleitung
Quelle: picture alliance / arkivi

Ludendorff telegrafiert dankend zurück: „Das Auswärtige Amt hat durch die der Minierarbeit der Sektion Politik gewährte Unterstützung, namentlich an reichlichen Geldmitteln, dazu beigetragen, den Erfolg der militärischen Operation an der Ostfront durch die Stärkung zersetzender Elemente zu vertiefen.“ Später wird General Ludendorff schreiben: „Wir haben eine große Verantwortung auf uns genommen, indem wir Lenin nach Russland brachten, aber es musste sein, damit Russland fällt.“

Der Rest ist Geschichte. Am 17. Juli 1918 erschießen die Bolschewiki Zar Nikolaus II., einen Cousin zweiten Grades des deutschen Kaisers Wilhelm II. Ebenfalls ermordet werden seine Frau Zarin Alexandra und ihre fünf Kinder Anastasia, Alexej, Olga, Tatjana und Maria, der Hausarzt und drei Bedienstete. Lenin erklärt auf einer Parteisitzung: „Ich werde oft beschuldigt, in der Revolution mithilfe deutschen Geldes gesiegt zu haben. Diese Tatsache habe ich nie geleugnet – noch tue ich das jetzt. Ich will jedoch hinzufügen, dass wir mit russischem Geld eine ähnliche Revolution in Deutschland inszenieren werden.“

Mit dem Sieg der Oktoberrevolution scheint Parvus sein großes Ziel erreicht zu haben – doch er wird bitter enttäuscht. Lenin will ihn nicht als Minister in seiner Regierung, erlaubt ihm nicht einmal die Rückkehr in seine alte Heimat. Er lässt ihm ausrichten: „Die Revolution duldet niemanden, der schmutzige Hände hat.“

Über den Terror der Bolschewiki gegen Andersdenkende, schlimmer als unter dem Zaren, ist Parvus entsetzt. Er beschreibt Lenins von der Geheimpolizei gestützten Staat als „Gewaltregime, das sich nur mit einer bewaffneten Schutzmacht gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen“ kann.

Auch seine deutschen Auftraggeber gehen auf Distanz zu Parvus, als sie ihn nicht mehr brauchen. Es klingt wie eine Bestätigung des Spruchs: Geliebt wird der Verrat, nicht der Verräter. Materiell geht es Parvus aber gut, er zehrt weiter von seinen Geschäften im Krieg. Er kauft eine Villa im Schweizer Dorf Wädenswil am Zürichsee. Bei den Schweizer Steuerbehörden gibt er 1919 und 1920 ein Vermögen von 2,2 Millionen Franken und ein Jahreseinkommen von 123.000 Franken an. Doch in der biederen Schweiz hat man wenig Verständnis für den Playboy und Revolutionär a. D. Die Lokalpresse spricht von wilden Orgien und einer „Haremswirtschaft“ in der Villa des preußischen Bürgers russischer Herkunft.

Bald zieht er deshalb auf die Halbinsel Schwanenwerder im Berliner Wannsee, wo später Joseph Goebbels Hof halten wird. Der Herrensitz, den Parvus gekauft hat, liegt in einem Park, mit Bootssteg zum Wannsee. Doch er ist vom Leben enttäuscht: „Ich habe das Gefühl, hier zugrunde zu gehen ... Ich mag das Berlinertum nicht, diese Weltstadtskepsis und diesen Weltstadtzynismus ohne französischen Esprit, dagegen mit dem grobschlächtigen Ton von Emporkömmlingen.“

Der antisemitische Freikorpsführer Kapitän Hermann Ehrhardt, 1920 am Kapp-Putsch beteiligt, führt Parvus in seiner Todesliste, auf der auch der 1922 bei einem Attentat erschossene deutsche Außenminister Walther Rathenau steht. Im selben Jahr wollen zwei preußische Offiziere Parvus in seiner Villa mit Handgranaten in die Luft sprengen, doch der Plan fliegt auf und scheitert deshalb.

Vereinsamt stirbt Alexander Parvus am 12. Dezember 1924 in Berlin – im Alter von nur 57 Jahren an einem Schlaganfall. Die von ihm maßgeblich und mit deutschem Geld ermöglichte sowjetische Herrschaft von Wladiwostok bis zur Elbe brach erst in den Jahren 1989 bis 1991 zusammen. Parvus’ Rolle bei der Machtergreifung Lenins wurde so gut es ging vertuscht oder heruntergespielt – von den Sowjets genauso wie von den kaisertreuen Deutschen.

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The Last Russian Emperor of the Romanov dynasty, Nicholas II with his family: his wife Alexandra, daughters Maria, Olga, Tatiana and Anastasia, and son Alexei.
Der Zar und seine Familie: Dieses und das Farbfoto von Parvus in dieser Bildstrecke ist das Ergebnis aufwendiger digitaler Bearbeitung von Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Sie wurden von de...r Russin Olga Shirnina vorgenommen, die sich auf diese Arbeit spezialisiert hat
Quelle: Olga Shirnina

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