Zierrat

11. April 2024

»Zierrat« ist ein typografischer Fachausdruck aus dem gewerbespezifischen Sprachschatz dspr. Schriftsetzer, Schriftgießer und Drucker aus der Periode des materiellen Schriftsatzes mit physischen Drucktypen aus Metall (z.B. aus einer Blei-Zinn-Antimon-Kupfer-Legierung), Holz (z.B. aus Birnenholz) oder Kunststoff (z.B. aus Kunstharz) für dekorative Verzierungen oder Schmuckelemente, die dazu dienen, einen Schriftsatz dekorativ zu gliedern und/oder zu schmücken, beispielsweise mit Schmuckzeichen, Ornamenten oder Linien; typografische Verzierungen; typografische Schmuckelemente. 1)

Ursprünglich gehörte der typografische Zierrat zum Buchschmuck 2) und wurde in der Regel bei den Akzidenzschriften aufbewahrt. Dazu zählten beispielsweise Alineas (z.B. Englische Linien), Amoretten (Darstellungen des Liebesgottes Amor), Fleurons (florale Verzierungen), heraldische Symbole (z.B. gemeine Figuren wie Wappentiere oder Fantasiewesen), Rebranken, Vignetten (bildhafte oder abstrakte Schmuckzeichen) 3) oder Voluten (Schneckenformen in der künstlerischen Ornamentik). Auch zählten ehemals dekorative Initialen (z.B. verzierte Anfangsbuchstaben), Schmuckbuchstaben (z.B. Monogramme), Lunetten bzw. Lünetten (halbkreisförmige oder kreissegmentförmig gerahmte Motivfelder), Bordüren (verzierte Einfassungen) und Rahmen dazu. 4)

»Verzierte Schluss-Linien« für den Bleisatz. Abbildung: Schriftmusterbuch »Schrift-Proben« der Schriftgießerei Julius Klinkhardt, Leipzig und Wien, Handausgabe, ca. 1885. Foto: www.typolexikon.de
»Verzierte Schluss-Linien« für den Bleisatz. Abbildung: Schriftmusterbuch »Schrift-Proben« der Schriftgießerei Julius Klinkhardt, Leipzig und Wien, Handausgabe, ca. 1885.
Alineas sind Schmuckzeichen, Zierstücke, Vignetten oder Schlusslinien zur Text- oder Raumgliederung. Beispiel gesetzt aus der Linotype Decoration P1 von Linotype. Infografik: www.typolexikon.de
Alineas sind Schmuckzeichen, Zierstücke, Vignetten oder Schlusslinien zur Text- oder Raumgliederung. Beispiel gesetzt aus der Linotype Decoration P1 von Linotype.
Das Aldusblatt (Hedera-Zeichen) ist ein blumenartiges Alinea (Zierornament), das im deutschsprachigen Raum nach dem venezianischen Typografen Aldus Manutius (1449–1515) benannt wurde, der es gerne in seinen Aldinen verwendete. Vom Aldusblatt gibt es heute unzählige Varianten. Beispiel: Drei Aldusblätter aus der Schrift »Minion Pro« (Display) von Robert Slimbach.
Das Aldusblatt (Hedera-Zeichen) ist ein blumenartiges Alinea (Zierornament), das im deutschsprachigen Raum nach dem venezianischen Typografen Aldus Manutius (1449–1515) benannt wurde, der es gerne in seinen Aldinen verwendete. Vom Aldusblatt gibt es heute unzählige Varianten. Beispiel: Drei Aldusblätter aus der Schrift »Minion Pro« (Display) von Robert Slimbach.
Messing-Accidenz-Linien für den Bleisatz. Abbildung: Schriftmusterbuch »Schrift-Proben« der Schriftgießerei Julius Klinkhardt, Leipzig und Wien, Handausgabe, ca. 1885.
Messing-Accidenz-Linien für den Bleisatz. Abbildung: Schriftmusterbuch »Schrift-Proben« der Schriftgießerei Julius Klinkhardt, Leipzig und Wien, Handausgabe, ca. 1885.

Eine generelle, übergreifende Klassifikation von Zierrat existierte nicht. Jede Epoche, jede Schriftgießerei und jede Offizin hatte ihr eigenes Klassifikationsmodell, was vermutlich abhängig von der Größe der Buch- und Zeitungsdruckerei bzw. dem Spezialisierungsgrad der jeweiligen Akzidenzsetzerei war.

Zierrat gab es in allen gängigen Kegelgrößen, metrischen Größen, nach Gewicht oder am laufenden Meter. Der ein oder andere Zierrat erhielt – wie auch bei physischen Drucktypen üblich – Mittelnamen. Beispielsweise wurde die Größe eines Schmuckzeichens in ca. 4,5 mm bis 5 mm auch als »Cicero« bezeichnet.

Die grafische Gestaltung von Zierrat passt sich bis heute modischen Strömungen an. Zu den produktivsten Epochen im materiellen Schriftsatz zählen sicherlich der Jugendstil und Historismus bzw. die Gründerzeit.

Heute ist die Vielfalt von Zierrat unüberschaubar. In der aktuellen Schriftklassifikation wird er bei den Bildzeichen (Symbol oder Icon Fonts) oder ggf. bei den Zierschriften eingruppiert. Gegenwärtig zählen zu den prominenten Beispielen vermutlich die »ITC Zapf Dingbats« von Hermann Zapf (1918–2015) oder der Symbol-Font »Wingdings« von Microsoft ®.

© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de

Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:
1 Literaturempfehlung: Walther, Karl Klaus: Lexikon der Buchkunst und Bibliophilie, Verlag: Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1987, ISBN 10: 3323000935 und ISBN 13: 9783323000933.
2 Literaturempfehlung: Gerlach, Martin (Hrsg.): Das Alte Buch und seine Ausstattung vom XV. bis zum XIX. Jahrhundert. Buchdruck, Buchschmuck und Einbände, Verlag Gerlach & Wieldling Wien und Leipzig, 1915/18. Online verfügbar im Internet Archive unter https://archive.org/details/dasaltebuchundse00gerl (11.4.2024).
3 Anmerkungen: In einigen typografischen Lehrbüchern wird darauf hingewiesen, dass Vignetten nicht zum Zierrat zählten (Beispiel: Luidl, Philipp: Typografie, Herkunft, Aufbau, Anwendung. Schlütersche Verlagsanstalt und Druckerei, Hannover, 1984, ISBN 3–87706-212–1, Seite 51).
4 Museumsempfehlung: Stiftung Werkstattmuseum für Druckkunst Leipzig, Nonnenstraße 38, 04229 Leipzig, Informationen online unter https://www.druckkunst-museum.de verfügbar (11.4.2024).
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