Nachruf auf Albert Speer Jr.: Der rastlose Stadtplaner

Der rastlose Stadtplaner

Er war in China ebenso gefragt wie in der arabischen Welt.

Der gebürtige Berliner Albert Speer hat in Frankfurt am Main, wo er lange lebte, deutliche Spuren hinterlassen (hier das Oval am Baseler Platz).
Der gebürtige Berliner Albert Speer hat in Frankfurt am Main, wo er lange lebte, deutliche Spuren hinterlassen (hier das Oval am Baseler Platz).Archiv

Er hat stets weit ausgegriffen, weltweit. Ergab sich die Gelegenheit, so streckte er, sobald er auf einen zusteuerte, die Hand aus. Albert Speer gab sie einem gerne. Immerzu ein direkter Draht, auch wenn er einen Vortrag hielt. Wer ihn dabei erleben konnte, konnte zusehen, wie er unaufdringlich, dabei aber durchaus munter sein Pensum bewältigte. Ein sich zurückhaltendes Charisma. Zweifellos sprach er selbstbewusst von seinem Büro, und weil Albert Speer ein Global Player war, berichtete er zwangsläufig von Wettbewerben. Auffällig dabei die Loyalität gegenüber der Konkurrenz, mit der er sich international maß. Das tat Albert Speer von Frankfurt aus für die Expo in Hannover, für eine Satellitenstadt in China oder die später sogenannte Allianz Arena im München. Mal Baku, mal Nigeria. Mal ein Stadtentwicklungskonzept für Luxemburg, mal eine Agenda für eine Olympiabewerbung, dazwischen ein Konzept, die Neuschreibung eines Masterplans, nicht nur für das in sich verstrickte Köln.

Pläne und Masterpläne

Durch seine Hände gingen Pläne und Masterpläne. Seine Rastlosigkeit als Stadtplaner war nicht zu bewältigen ohne eine immense Beweglichkeit. Immerzu mobil. Doch hatte Albert Speer zur Mobilität ein kritisches Verhältnis. Mobilität, heißt es in einem der Bücher, die über ihn und sein Büro veröffentlicht wurden, erzeuge Stillstand. Das mag widersinnig klingen, und ist doch nicht paradox, weil es sogleich heißt, Mobilität müsse, um nicht zu erstarren, unbedingt geplant und kontrolliert werden.

Stadtplanung begriff er als eine „Weichenstellung“ – darin hat Albert Speer mit seinen Büros, unter verschiedenen Namen, mit unterschiedlichen Partnern gearbeitet, seit den 60er-Jahren, von Anfang an in Frankfurt, mit der für einen jungen Architekten denkbar schwersten Hypothek belastet. Speer, 1934 in Berlin geboren, wuchs in Berchtesgaden mit fünf Geschwistern auf als Sohn von Hitlers Leibarchitekt, als Kind des Rüstungsministers. Der Junge saß er „zum Tee bei Hitler“, traumatisiert erlebte der junge Architekt die zweite Karriere des Vaters, der sich in den 60er-Jahren als Zeitzeuge hervortat, hochgradig belastet, hochgradig fragwürdig, aber, vor allem in den frühen 70er-Jahren von einflussreichen Medien hofiert.

Der Jugendliche, schwer stotternd, ging in eine Schreinerlehre, studierte dann bei Hans Döllgast in München. Speer, den Namen eher beiläufig erwähnend, sagte es nie selbst so: dass die Entscheidung für Döllgast auch ein kathartischer Akt war, Orientierung an einem Lehrer, der in München die großen Narben-Architekturen hinterlassen hat, am eindrucksvollsten mit der kritischen Rekonstruktion der Alten Pinakothek, der noch heute anzusehen ist, dass das Rettungswerk gewaltigen Zerstörungen abgerungen wurde.

Der 30-Jährige Speer hatte früh Erfolg mit Wettbewerben – mit anonymen Konkurrenzen, wie Speer nicht selten, konfrontiert mit einem zähen Sippenhafteifer, klarstellen musste. Die Erfolge des Büros basierten auf den Erfahrungen des Amerikafahrers Speer, der, früher als die Konkurrenz in Deutschland, sich neuen Herausforderungen stellte, nicht mit Stilfragen, sondern sozialen Anforderungen.

Albert Speer jr. (1934–2017)
Albert Speer jr. (1934–2017)dpa/Gero Breloer

Speer ließ die Diskurse über die Moderne und Postmoderne an sich vorüberziehen. Das hatte zum einen damit zu tun, dass Speer sich nie als entwerfender Architekt verstand. Zum anderen aber damit, dass Speerplan, sein Büro von 1964 bis 1981, interdisziplinäres Forschen und ganzheitliches Planen favorisierte.

Das Wort mag pathetisch klingen, aber tatsächlich organisierte er, denn das war Ausdruck einer Aufbruchsstimmung, gemeinsam mit Bürgern und Soziologen Sanierungskonzepte für Lübeck, Speyer oder Worms. „Frankfurter Allerlei“ überschrieb er 1992 ein Kapitel in seinem Buch „Die intelligente Stadt“, darin versammelte er empiriegesättigte Texte über Fehlentwicklungen in der eigenen Stadt. Und tatsächlich, Frankfurt konnte zusehen, wie die Stadt den Main entdeckte, auch weil Albert Speer darauf Einfluss nahm. Den Fluss entlang galt so etwas wie ein Boulevard-Gedanke. Auf Speers Schreibtisch lagen Konzepte für den Bahnhof, den Flughafen, das Hafengebiet und nicht zuletzt der für das Europaviertel. Das Büro expandierte, und mit dieser Ausweitung plante und baute es im Auftrag der Unesco in China. Das Büro ging nach Saudi Arabien oder Katar, wofür es zurecht kritisiert worden ist, gerade auch der Kommunikations- und Konsensvirtuose Albert Speer.

Unaufgeregte Zuversicht

In „Die intelligente Stadt“ rückte er 1992 das Verhältnis von Stadt und Region, Metropole und Peripherie in den Vordergrund. Sprach er abwinkend, weil er auf Frankfurts Altstadtpläne zu sprechen kam, geschah es fast entschuldigend. Zeigte er sich optimistisch, dann deshalb, weil er die Idee einer Internationalen Bauausstellung für das Rhein-Main-Gebiet nicht aufgeben wollte.

Albert Speer war von einer unaufgeregten Zuversicht, auch vor wenigen Monaten, als er von seinen Plänen sprach. Dass er nur auf der Terrasse sitzen wolle – undenkbar, trotz des Blicks über den See, trotz des Alpenpanoramas. Wenn er von Murnau erzählte, dann von einem Weltwinkel, in dem er dann doch den Flugzeugen hinterherschaute.

Albert Speer ist tot, er starb am Freitag im Alter von 83 Jahren an den Folgen eines Unfalls zu Hause. Die Weltweite verstand er als globales Dorf und das globale Dorf als Betätigungsfeld für das europäische Stadtmodell. Zu seinem Vertrauen in den Optimismus gehörte, dass er es bei der Einsicht, dass der Begriff Nachhaltigkeit bis heute nicht in internationalen Verträgen verankert sei, nicht bewenden ließ.

Sein Enthusiasmus für eine Stadtplanung als vernunftgesteuerte Dienstleistung ging weit. Er gab zu bedenken, dass man Nachhaltigkeit „grundsätzlich als völkerrechtlichen Terminus verstehen“ könne.