„Alices Welt“ über eine Schweizerin im Libanon als TV-Premiere | Evangelische Zeitung

„Alices Welt“ über eine Schweizerin im Libanon als TV-Premiere

Der Historien- und Liebesfilm „Alices Welt“ erzählt in poetisch-verfremdeten Bildern die Geschichte einer Schweizerin, die in den 1950er Jahren in den Libanon auswandert und später in die Wirren des Bürgerkriegs gerät.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Die junge Schweizerin Alice (Alba Rohrwacher) nimmt in den 1950er-Jahren eine Au-Pair-Stelle im Libanon an, lernt den Astrophysiker Joseph (Wajdi Mouawad) kennen und heiratet ihn. Das gebildete Paar baut sich mit einem gemeinsamen Kind in Beirut ein erfolgreiches Leben auf. Doch als 1975 der Bürgerkrieg ausbricht, ist es mit der Idylle vorbei.

In poetischen Bildern, die Theaterkulissen und Animationssequenzen einbeziehen, reflektiert das Drama von Chloe Mazlo von 2019 über Ankommen, Bleiben und Gehen und skizziert gleichzeitig eine Liebesbeziehung, die unter den politischen Spannungen zu zerbrechen droht. Die Verfremdungseffekte verharmlosen dabei auch das Kriegsgeschehen nicht, sondern unterstützen trefflich die Wahrnehmung eines rational nicht zu fassenden Unglücks.

Im März 1977 begibt sich Alice im Libanon auf ein Schiff. Sie wird in ihre schweizerische Heimat zurückkehren, die sie seit Jahrzehnten nicht mehr besucht hat. Ihr Zuhause ist jetzt Beirut, doch in der seit zwei Jahren vom Bürgerkrieg versehrten Stadt kann sie nicht mehr bleiben. Noch auf dem Schiff schreibt Alice (Alba Rohrwacher) ihrem Ehemann einen Brief. Dabei rollt „Alices Welt“ ihre Lebensgeschichte auf, erzählt von Aufbruch, Ankommen und einem letzten, unfreiwilligen Gehen.

Alice wächst in einer italienischsprachigen Familie in der Schweiz auf und will dem eintönigen Alltag samt strengen Eltern und drei Geschwistern entkommen. Als per Post das Angebot einer Au-Pair-Mädchen-Stelle in Beirut eintrudelt, zögert die junge Frau nicht lange. Sie begibt sich auf ein Abenteuer in ein fernes, fremdes Land, von dem sie nicht ahnt, dass es ihre neue Heimat werden wird.

Denn in der libanesischen Hauptstadt lernt sie bald den zurückhaltenden, aber charmanten Astrophysiker Joseph (Wajdi Mouawad) kennen. Er träumt davon, ein Team von libanesischen Kosmonauten auf den Mond zu schicken. Bald heiraten die beiden, richten sich in einer schönen Wohnung mitten in der Stadt ein und bekommen eine Tochter. Das Leben in der von internationalem Flair bestimmten Küstenmetropole, in der auch Josephs Verwandte Alice herzlich aufgenommen haben, meint es gut mit Alice und ihrer Kleinfamilie.

Doch irgendwann kippt das politische Klima. Anschläge und kämpferische Auseinandersetzungen machen den Beirutern ab 1975 zu schaffen – Angst hält in Alices zuvor so sorglosem Leben Einzug. Auch Josephs Labor wird Opfer eines Angriffs, während die Wohnung der Familie bald als Refugium für Josephs Familie dient und nun ein Dutzend Menschen eng beieinander wohnen. Bald machen sich angesichts des anhaltenden Bürgerkriegs erste Familienmitglieder ins Exil nach Frankreich auf. Doch Alice und Joseph sind fest entschlossen, in Beirut zu bleiben.

Der Debütfilm der libanesischstämmigen französischen Regisseurin Chloe Mazlo beschreibt das Leben in einem offenbar unbeschwerten Beirut, das es in dieser Form aus verschiedenen Gründen seit Jahrzehnten nicht mehr gibt. Die Protagonisten bewegen sich in bürgerlichen, gebildeten Kreisen und vertreten westliche Werte, die maßgeblich von der französischen Kolonialzeit herrühren. So fungiert denn auch Französisch als Lingua franca.

Der Libanon erscheint im Kontrast zur dörflichen Enge und der relativen Borniertheit von Alices Schweizer Familie als liberales, aufgeschlossenes Land, was der Film durch Animationssequenzen in Stop-Motion-Technik umsetzt. In einer Szene – Alice telefoniert darin aus dem Libanon mit ihrer Familie in der Schweiz – lässt der Film sie sogar mit animierten Figuren interagieren. Ein Split-Screen spaltet das Bild auf: Die Puppen-Eltern treten auf der einen, Alice auf der anderen Seite auf.

In der Gegenüberstellung der steifen (Stoff-)Puppen mit Alice offenbart sich auch die Entwicklung ihrer Figur, die in der Ferne aufblüht und sich persönlich und beruflich (als Illustratorin) verwirklicht. Geradezu traumhaft und idealisiert erscheint das Leben in Beirut, was durch die Pappkulissen – sie erinnern an Eric Rohmers „Die Lady und der Herzog“ – zusätzlich unterstrichen wird. So gibt es kaum natürliche Dekors, doch die gewollt künstliche Studio-Ästhetik steht dem Film gut.

Auch die zunehmenden Spannungen und kriegsähnlichen Situationen werden eher theatralisch und verfremdend abgehandelt, wirken dabei aber nicht verharmlosend. Angehörige von Milizen agieren in choreographierten Szenen, während eine Frau im Pflanzenkostüm leitmotivisch über die Leinwand geistert und dabei auch die den Krieg kennzeichnende „grüne Linie“ darstellt. Kämpfer stürmen wiederholt die Wohnung von Alice und Joseph, suchen nach Waffen und lassen sich anschließend bewirten.

So vergiften die politische Situation und die daraus resultierende dauerhafte Anspannung allmählich auch die Beziehung von Alice und Joseph. Die Wohnung als heimeliger Ort, in dem sich die Figuren zum Zeichen ihres Sichwohlfühlens häufig im Schlafanzug bewegen, verliert ihren beschützenden Charakter. Alles, was das Leben des Paars im Libanon in Friedenszeiten ausgemacht hat, ist verloren gegangen. So bleibt zuletzt nur der Rückzug, mit dem sich ein narrativer Kreis schließt und der am Ende ein poetisches Bild für die Beziehung der Eheleute findet, ohne dass er sich auf eine eindeutige Aussage festlegen ließe.