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Geschichte Adolf Eichmann

Wie man einen Nazi gefangen nimmt

In München zeigt die Ausstellung „Operation Finale“ Details über die Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien im Mai 1960. Die Aktion des israelischen Geheimdienstes Mossad war die Voraussetzung für den vielleicht wichtigsten aller Holocaust-Prozesse.
Leitender Redakteur Geschichte
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Adolf Eichmann mit Augenmaske im Flugzeug der El-Al, das ihn nach Israel bringt. Das Negativ ist bei der Entwicklung beschädigt worden
Quelle: Mossad-Archiv / Israelisches Staatsarchiv
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Rache mag riskant sein, doch Recht ist es manchmal noch viel mehr. Die Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad hätten Adolf Eichmann, den Cheforganisator des Mordes an Millionen europäischer Juden, einfach erschießen können, nachdem sie ihn am 11. Mai 1960 in einem Vorort von Buenos Aires gekidnappt und wenig später eindeutig identifiziert hatten. Doch auf das alttestamentarische Prinzip „Auge um Auge“ (2. Buch Mose 21,24), das meist missverstanden wird als Rechtfertigung der Selbstjustiz, wollte das Team um Mossad-Chef Isser Harel eben nicht zurückgreifen. Oder höchstens, falls ihr eigentlicher Plan scheitern sollte.

Der israelische Premier David Ben-Gurion hatte den Befehl erteilt, Eichmann in Jerusalem vor Gericht zu stellen. Da eine formell korrekte Auslieferung aus Argentinien, dessen Verwaltung mit Antisemiten durchsetzt war, unvorstellbar schien, setzte Harel auf ein kompliziertes Manöver: Der schon gewagten Entführung des ehemaligen „Judenreferenten“ des Reichssicherheitshauptamtes sollte ein heimlicher Transport folgen.

Die Aktion ist der größte, zumindest der größte bekannte Triumph des Mossad. Doch eigentlich ging dabei ziemlich viel schief. Das zeigt die von Freitag an in München zu sehende Ausstellung „Operation Finale. How to catch a Nazi“, eine ursprünglich israelisch-amerikanische Schau. Nach Deutschland geholt hat sie die gemeinnützige Adolf Rosenberger-Gesellschaft, benannt nach dem ehemaligen Teilhaber von Ferdinand Porsche, der 1935 nach kurzer Haft Richtung Paris emigrieren konnte.

Gezeigt wird sie im Sonderausstellungsraum des Ägyptischen Museums der bayerischen Landeshauptstadt. Zwar hatte Eichmann nichts mit Ägypten zu tun (er wurde zeitweise in Syrien vermutet, aber soweit bekannt nie ernsthaft am Nil), dafür aber besteht zwischen Ausstellungsort und Thema eine Verbindung: Das erst seit 2013 hier heimische, unterirdische Museum liegt direkt neben dem „Führerbau“, in dem 1938 das Münchner Abkommen geschlossen wurde.

Adolf_Eichmann Ende 1941 oder später
Adolf Eichmann, aufgenommen Ende 1941 oder später
Quelle: Public Domain

Für die nächste, nie vollendete Ausbaustufe wurden hier Bunkeranlagen für das „Parteiviertel“ der NSDAP im Stadtteil Maxvorstadt in den Boden betoniert, nachdem man die Privathäuser abgerissen und deren jüdische Bewohner entrechtet hatte. Deshalb liegen hier auch Stolpersteine (ungewöhnlich in München, wo dieses Projekt des Künstlers Günter Demnig auf kommunalem Grund verboten ist). Erst nachdem diese Bunker 2008 tiefentrümmert waren, konnte das Grundstück neu genutzt werden. Museumsdirektor Arnulf Schlüter war es wegen dieser Verbindung des Standortes zur NS-Geschichte ein Anliegen, die Eichmann-Ausstellung bis Ende April 2024 in seinem Haus zu zeigen.

Die Schau, die der frühere Mossad-Mitarbeiter und Kulturjournalist Avner Avraham konzipiert hat, stellt die Entführung und den anschließenden Prozess in den Mittelpunkt. Dazwischen lag die Aufgabe, Eichmann klandestin aus Buenos Aires zu schaffen. Denn vor allem im argentinischen Militär gab es Kräfte, die daran kein Interesse hatten.

Nach der wahrscheinlichen Identifikation des deutschen Immigranten „Riccardo Klement“ als Adolf Eichmann durch Fotos (in der Ausstellung sind Abzüge zu sehen und die Kamera, mit der diese Aufnahmen entstanden) im März 1960 und der Entscheidung, ihn zu entführen, setzte der Mossad-Chef auf eine überraschend sich ergebende Option: Aus Anlass des (vermeintlich) 150. Jahrestag der Unabhängigkeit hatte Argentiniens Regierung eine Delegation aus Israel eingeladen. Tatsächlich in Kraft getreten war die Selbstständigkeit der einstigen spanischen Kolonie zwar erst am 16. Juli 1816, doch sollte bereits der 25. Mai 1960 gefeiert werden – an diesem Tag jährte sich der Beginn der Mai-Revolution von 1810.

Adolf Eichmann vor einem Richter in seinem Gefängnis außerhalb von Nazareth. 11. März 1961. Photographie.
Eichmann (l.) im März 1961 bei einem Termin mit dem Untersuchungsrichter (sitzend)
Quelle: picture alliance / brandstaetter images/Votava

Ursprünglich war dieser Besuch, so zumindest Harels Darstellung, für den 11. bis 13./14. Mai 1960 geplant. Also wurde die Entführung für den 10. Mai angesetzt – dies würde genug Zeit für eine sichere Identifikation lassen, aber den argentinischen Behörden nicht zu viel Spielraum für die zu erwartende Fahndung geben. Doch dann wurde der Besuch der israelischen Delegation verschoben, auf den 19. bis 21. Mai.

Da das Mossad-Team nicht zu lange warten wollte (immerhin bestand die Gefahr, dass die wenigen fremden Männer, von denen nur einer gut Spanisch sprach, aufgefallen wären), setzte Harel die Entführung für den Abend des 11. Mai fest. Doch Eichmann saß nicht in dem Bus, mit dem er üblicherweise von der Arbeit kam, und auch nicht in den folgenden beiden. Erst als die Agenten eigentlich schon aufgeben wollten, entdeckten sie ihre Zielperson im vierten Wagen der Linie.

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Das Festnehmen gelang problemlos, und schon nach kurzer Zeit im Versteck gab Eichmann seinen Widerstand auf, räumte seine wahre Identität ein. Nun hieß es warten. Und hoffen, dass die Behörden keine Spur zum Versteck der Agenten fanden. Der Gefangene hatte sich wohl abgefunden damit, dass sein Untertauchen gescheitert war.

Eichmann in seiner Zelle im Gefängnis in Israel – hier durfte er seine „Memoiren“ verfassen
Eichmann in seiner Zelle im Gefängnis in Israel – hier durfte er seine „Memoiren“ verfassen
Quelle: picture-alliance / dpa

Am 19. Mai 1960 um 17 Uhr Ortszeit landete das Flugzeug der israelischen Gesellschaft El-Al mit der offiziellen Regierungsdelegation in Buenos Aires; der Rückflug war offiziell für den 21. Mai um fünf Uhr morgens angesetzt. Harels Plan sah vor, Eichmann mit einem falschen israelischen Pass als angeblich krankes Mitglied der Besatzung durch die argentinische Kontrolle zu bringen. Auch diese Papiere sind in der Ausstellung zu sehen.

Der gerade einmal 54 Jahre alte, aber älter wirkende, hagere Mann wurde mit Spritzen sediert. Doch zu viel an Medikamenten durfte man ihm nicht geben, denn er sollte keinesfalls an ihnen sterben. Er musste eine El-Al-Uniform anziehen, dann fuhr das Mossad-Team über ruhige Seitenstraßen zum Flughafen.

Harel hatte den Start um fünf Stunden vorziehen lassen und die israelische Delegation vorzeitig zur Maschine bestellt, einem Langstreckenflugzeug vom Typ Bristol Britannia. Um 0.05 Uhr Ortszeit hob der Sonderflug ab, quer über den Atlantik nach Dakar, der Hauptstadt des Senegal. Eichmann saß getrennt von der Delegation in der Kabine und trug eine Augenmaske.

Nur ein Foto hat sich erhalten von diesem Flug, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist – es ist wohl beim Entwickeln beschädigt worden. Da sich die Schau an ein junges Publikum richtet, das sich möglicherweise an den Bildfehlern stören würde, ist es für die entsprechende Ausstellungstafel retuschiert worden. Doch das Gesicht Eichmanns mit der Maske (die ebenfalls gezeigt wird) war von der Bearbeitung nicht betroffen. So gesehen handelt es sich bei der Bearbeitung um eine ästhetische, nicht aber um eine inhaltlich relevante Entscheidung.

Nach dem Auftanken in Dakar ging der Flug weiter nach Tel Aviv. Bei der Ankunft erwarteten zwei Holocaust-Überlebende den Ankömmling – Benno Cohn und Fritz Meyer, die ihn beide in Wien hatten kennenlernen müssen, als Eichmann 1938 nach dem „Anschluss“ die dortige Jüdische Gemeinde unter Druck gesetzt hatte. Es war der letzte Schritt vor der offiziellen Bekanntgabe der Festnahme Eichmanns durch David Ben Gurion am 23. Mai 1960.

Zur Ausstellung haben die Historiker Frank Bajohr, Leiter der Holocaust-Forschungsstelle am Institut für Zeitgeschichte München, und Sybille Steinbacher vom Frankfurter Fritz-Bauer-Institut einen Sammelband herausgegeben, der den Forschungsstand zu Eichmann zusammenfasst (Metropol-Verlag Berlin. 182 S. 19 Euro). Denn so bekannt sein Name ist, so unterschiedlich sind die Bewertungen.

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War Eichmann nun „von empörender Dummheit“, wie es im Briefwechsel von Hannah Arendt und dem Journalisten Joachim Fest hieß? Oder der eigentliche Kopf hinter dem Holocaust? Zu Recht urteilen Bajohr und Steinbacher, dass Arendts Formulierung von der „Banalität des Bösen“, so eingängig sie fraglos ist, die Realität stark verzeichnete. Man könnte auch sagen: Die bekannte Philosophin war auf Eichmanns Selbstdarstellung im vielleicht wichtigsten aller Holocaust-Prozesse hereingefallen.

Die Ausstellung in München soll die wahre Geschichte des Haupttäters Adolf Eichmann auf eine Weise vermitteln, die auch für ein an Zeitgeschichte eher wenig interessiertes Publikum interessant, ja spannend ist. Entsprechend sind die Schwerpunkte gesetzt und die Darstellung gewählt. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung, die man auf Tafeln gebracht hat. Wenn Avner Avrahams Schau die Rolle Adolf Eichmanns im monströsen Verbrechen des Judenmordes über die Kreise der ohnehin zeithistorisch Interessierten hinaus bekannt macht, dann hat sie alles erreicht, was zu erreichen ist.

Operation Finale. How to catch a Nazi. Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München. Bis 30. April 2024.

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