Adam Smith zum 300. Geburtstag: Staunen als Prinzip - WELT
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Staunen als Prinzip

Adam Smith (1723-1790) Adam Smith (1723-1790)
Adam Smith (1723-1790)
Quelle: INTERFOTO/PHOTOAISA
Kaum ein Denker steht stärker unter Ideologieverdacht als der Begründer der bürgerlichen Wirtschaftstheorie. Doch Adam Smith war mehr als ein Ökonom – ein umfassender Gelehrter, ein Aufklärer. Vor allem eine seiner Ideen ist revolutionär geblieben, auch 300 Jahre nach seiner Geburt.

Adam Smith wuchs in einer Welt auf, in der die Kirche noch etwas zu sagen hatte, eine Welt der verbotenen Bücher: Als er in Oxford einmal auf seinem Zimmer in David Humes „Traktat über die menschliche Natur“ las, stürmten wachhabende Professoren die Stube, um das häretische Buch zu konfiszieren, denn Hume galt wegen seiner empiristischen Skepsis als Gotteslästerer. Der Student Smith erhielt einen Verweis, konnte darüber aber kaum überrascht sein. In einem Brief, dem ältesten aus seiner Hand überlieferten Schriftstück, hatte er sich zuvor bei seiner Mutter über die falsche Schwerpunktsetzung an seiner Universität beklagt: „Unser einziges Geschäft hier ist es, zwei Mal am Tag zum Gebet und zwei Mal pro Woche zur Vorlesung zu gehen.“

Die Anekdote deutet an, dass Fortschritt im 18. Jahrhundert nicht vom englischen Zentrum des britischen Empire ausging. In der schottischen Peripherie hingegen waren die Universitäten progressiver, weshalb der Norden eine ganze Reihe von Geistesgrößen hervorbrachte. Smiths Zugehörigkeit zu dem, was als Schottische Aufklärung in die Geschichte einging, wird zuweilen zu seiner Entlastung angeführt. Denn wenige Denker stehen unter stärkeren Ideologieverdacht, als der Begründer der bürgerlichen Ökonomietheorie. Freilich ist es auch bei kaum einem Denker leichter, den auf ihm lastenden Verdacht zu entkräften als bei Smith.

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Kontemporäre Interpreten weisen zurecht darauf hin, dass seine Interessen vielfältiger waren, als es das Vorurteil über ihn will - so auch der jüngst bei Suhrkamp veröffentliche Band mit Texten von Smith. Er enthält neben Auszügen aus den beiden Hauptwerken („Theorie der moralischen Gefühle“, „Wohlstand der Nationen“) auch zwei bislang nicht ins Deutsche übersetzte Aufsätze des Jubilars. Philosophische Schriften lautet der Titel, der das Programm des Bandes zusammenfasst: Smith war mehr als ein Ökonom – ein umfassender Gelehrter, ein Aufklärer.

Der Ursprung der Erkenntnis

Die jetzt erstmals in unsere Sprache übertragenen Essays können das gut belegen. Sie behandeln Themen wie ästhetische Nachahmung und Erkenntnistheorie. Insbesondere der Aufsatz mit dem sperrigen Titel „Die Prinzipien, welche philosophische Untersuchungen leiten und lenken, illustriert durch: Die Geschichte der Astronomie“ steht für den fundamentalen Anspruch der Smithschen Philosophie. Der Autor wagt sich darin auf das Gebiet der Geschichtsphilosophie und fragt nach dem Ursprung der Erkenntnis.

Dafür setzt Smith in der frühesten Vorgeschichte an, respektive zu einer Zeit, als die Menschheit mit der Erklärung der allermeisten Naturphänomene noch ihre Probleme gehabt haben dürfte. Seine Überlegung ist, dass die Menschen auch schon damals jede Unterbrechung des gewöhnlichen Ablaufs der Dinge als störend empfunden hätten. Die mal peinliche, mal Bewunderung erzeugende Empfindung von Ungereimtheiten – Blitz und Donner sind das Beispiel – sieht Smith daher am Ursprung aller Theoriebildung: „Das Staunen also ist das erste Prinzip, das die Menschen zum Studium der Philosophie antreibt.“ Unbekanntes soll in Bekanntes verwandelt werden – so lautet die Formel von Smiths Theorie der Theoriebildung, die Norbert Paulo in seinem lesenswerten Nachwort auf den Begriff „Psychologie der wissenschaftlichen Erkenntnis“ bringt.

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Auch in den bisher schwerer zugänglichen „Vorlesungen über Jurisprudenz“, die den Band komplettieren, wendet Smith eine historische Methode an, und entwirft in Ansätzen eine idealtypische Geschichte der Regierungsformen. Er hatte sie ab 1748 in Edinburgh gehalten, wohin es ihn nach dem Studienabschluss im englischen Exil gezogen hatte. Ein privater Bildungsverein verschaffte ihm die Möglichkeit, öffentliche Vorträge zu halten, deren Qualität sich rumsprach: Bald saß auch der verehrte David Hume im Publikum.

Smiths Edinburgher Auftritte waren ein derartiger Erfolg, dass sie dem damals 28-Jährigen, der bislang nichts publiziert hatte, sogleich einen Ruf an die Heimatuniversität in Glasgow einbrachten. Hier lehrte Smith die folgenden 12 Jahre und verfasste das erste von nur zwei Büchern, die er zu Lebzeiten veröffentlichte: „Die Theorie der moralischen Gefühle“. Sie macht den größten Teil des jetzt erschienen Bandes aus.

Ethik als Zuneigung

Die Deutschen sind an den kategorischen Imperativ Immanuel Kants gewöhnt, dessen Pflichtstrenge die Sinnlichkeit nicht gerade aufwertet; darum klingt die Leitidee der Gefühlsethik in ihren Ohren leicht etwas frivol, aber tatsächlich vertritt Smith in seiner Moralphilosophie die Auffassung, dass sich das Gute als ein emotionaler Impuls gewissermaßen in unserem Körper regt. Sympathie ist der Grundbegriff seiner Ethik, verstanden als Zuneigung, aber in einem anderen als dem uns vertrauten Sinn, nämlich als die Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinzuversetzen und ihr Tun und Leiden nachzuempfinden. Den höchsten Punkt in Smiths Entwurf nimmt ein fiktiver Beobachter ein, der unparteiisch und panoptisch über allem wacht. In Gedanken nehmen wir seine Perspektive ein, was uns mit Stolz oder mit Scham erfüllt, je nachdem, wie wir uns verhalten haben.

Diese nicht nur psychologisch äußerst weitreichende Morallehre ist heute eher in der Fachwelt bekannt. In der damaligen Zeit wurde sie auch vom Publikum begeistert aufgenommen. Lange galt die „Theorie der moralischen Gefühle“ als Smiths größtes Werk. Übersetzungen folgten rasch und machten den Autor auch auf dem Kontinent bekannt, insbesondere in Frankreich und Deutschland.

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Vom europäischen Festland sollte sich Smith schon recht bald selbst ein Bild machen. Er verließ die Glasgower Universität, um einen jungen Hochadeligen auf seiner kontinentalen Kavaliersreise zu begleiten. Das erste Ziel war Paris, wo auch die Gesellschaft Humes lockte, den Smith mittlerweile als seinen Freund bezeichnete. Merkwürdigerweise verließ er die Hauptstadt aber schon nach kurzer Zeit, um mit seinem Schützling ganze anderthalb Jahre im Süden Frankreichs zu verbringen, wo sich der Reiselehrer Smith schrecklich langweilte.

„Ich habe begonnen, ein Buch zu schreiben, um die Zeit vergehen zu lassen“, schrieb er von Toulouse an Hume nach Paris. Zwar betonen Biografen, Smith habe die Arbeit am ökonomischen Hauptwerk, das hier gemeint ist, bereits sehr viel früher in Glasgow und eigentlich schon bei seinen Vorlesungen in Edinburgh begonnen. Und trotzdem hat die Geschichte ihren Reiz: Die Geburt der Volkswirtschaftslehre aus dem Ungeist des touristischen Ennui.

Die „Inquiriy into the Nature and Causes of the Wealth of Nationsgilt als das Skript für den Kapitalismus und manchem daher politisch als fragwürdig, doch war das Buch in seiner Zeit eine kritische Theorie. Smith attackiert darin die auf persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen basierende Produktionsweise, also den in Europa vorherrschenden Feudalismus, mitsamt seines Überbaus einer merkantilistischen Staatstheorie. Der Merkantilismus verstand unter Reichtum einen Effekt des geschickten Handels: Der Wohlstand derjenigen Volkswirtschaft wachse, die in der Lage sei, ihre konkurrierenden Nachbarn durch geschickte Import- und Exportpolitik zu überlisten.

Solch ein Gegeneinander erschien Smith in der Praxis problematisch, die zugehörige Theorie oberflächlich. Er wandte sich vom Markt ab und der Güterherstellung zu, womit er den Ursprung volkswirtschaftlicher Wertschöpfung sehr viel konkreter erfasste. Diese Verlagerung der Perspektive auf die Sphäre der Produktion ließ auch Karl Marx Smith unter den bürgerlichen Ökonomen hervorheben.

Unfreiwillig subversiv

Heute zählt die Schrift zu den Klassikern. Ihr ergeht es wie allen substanziellen Werken, die nicht mehr ernstgenommen werden, weil sie allzu bekannt sind. Hinzu kommt, dass in der gegenwärtigen Volkswirtschaftslehre jeder systematische Anspruch in Smiths Denken verdrängt wird. Die in der Disziplin immer noch vorherrschende Marktgläubigkeit, eigentlich etwas Vorbürgerliches/Merkantilistisches, besagt, Angebot und Nachfrage würden es richten. Doch die Metapher von der unsichtbaren Hand verwies auch auf eine vernünftige Organisation des Ganzen. Dieser in Smith keimende Gedanke, der Reichtums einer Gesellschaft lasse sich objektiv erfassen und folglich auch gerecht verteilen, ist revolutionär geblieben.

So umstürzend sein Denken war, so wenig entsprach gerade der reife Smith als Person dem Typus des Revolutionärs. Subversiv war er wenn dann unfreiwillig. So in der Frage der Nachlassverwaltung seines besten Freundes David Hume. Dessen Gesundheitszustand verschlechterte sich nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung des „Wohlstands der Nationen“ und die britischen Feuilletons blickten gespannt nach Edinburgh, wo der bekennende Atheist auf dem Sterbebett lag: Man wollte wissen, ob der Ketzer, dem zu Lebzeiten jede akademische Stellung verweigert wurde, doch noch die Taufe annehmen würde; für alle Fälle sozusagen.

Aber statt sich um das Jenseits zu kümmern, besorgte Hume die Frage, wer seine letztverfasste Schrift, die „Dialoge über natürliche Religion“, wohl herausgeben könnte und natürlich dachte er zuerst an seinen engsten Gefährten Smith. Der konnte sich zwar nicht zur Übernahme des Auftrages durchringen, veröffentlichte aber eine ebenso ehrliche wie liebevolle Darstellung der letzten Tage seines Freundes, der kurz darauf ungetauft starb. Dafür wurde Smith mit Schmähungen überzogen, wie sie einen Aufklärer nur adeln können. Er resümierte, sein Bericht über Humes Tapferkeit habe ihm „zehnmal mehr Beschimpfungen eingebracht als die sehr heftigen Attacken auf das gesamte Handelssystem Großbritanniens“.

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Wie sich den Worten unschwer entnehmen lässt, gefiel Smith die Rolle des Rebellen nicht allzu sehr. Er war eher ein Institutionenmensch. Als man ihm etwas später den Ehrentitel des Rektors der Universität Glasgow zutrug, nahm er mit den Worten an: „Der dreizehn Jahre, die ich als Mitglied dieser Körperschaft verlebt habe, erinnere ich mich als der nützlichsten und darum glücklichsten und ehrenvollsten Periode meines Lebens“. Viel zu tun gab es in der Funktion des Rektors nicht. Trotzdem verfasste Smith kein großes Werk mehr. Teils weil er ein geselliges Leben vorzog, teils weil er als Zollkommissar mit anderen Aufgaben beschäftigt war.

Dabei wäre Forschungsmaterial genug vorhanden gewesen. Wir können uns nur ausmalen, was aus den 16 Manuskriptbänden hätte werden können, die er von Freunden kurz vor seinem Tod, als er sich selbst schon nicht mehr bewegen konnte, ins Feuer werfen ließ. Nur eine Handvoll Essays aus dem riesigen Korpus blieben verschont und es ist ein großes Glück, zwei dieser Texte endlich auf Deutsch vorliegen zu haben. Die „Philosophischen Schriften“ sind ein würdiges Geschenk zum 300. Geburtstag und werden die Auseinandersetzung mit Adam Smith befördern. Seine Philosophie hat es verdient.

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