Porsche 911 Carrera (992) im Test | AUTO MOTOR UND SPORT

Porsche 911 Carrera (992) im Test
Fährt der Basis-Elfer dem S-Modell den Rang ab?

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An der Extraklasse des 992 bestand von Beginn an kein Zweifel, nur die ganz großen Elfer-Gefühle, die fehlten bislang. Mit dem Carrera kehren sie zurück.

Porsche 911 Carrera, 992, Exterieur
Foto: Hans-Dieter Seufert

Hockenheim im Frühjahr 2019. Draußen auf der Strecke drehte der neue Carrera S gerade seine ersten Runden. Nach einer Minute, 53 Sekunden und ein paar Zerquetschten war klar: Auch dieser 911 wird wieder der Schnellste sein. Und: der Beste. Business as usual.

Doch irgendwas war anders damals. Als wir nach getaner Testarbeit um ihn herumstanden und lauschten, wie die abebbende Hitze durch seine Innereien knisterte, fehlte jedenfalls jene Begeisterung, die Frühere seiner Art in solchen Momenten zu entfachen pflegten. Keiner gestikulierte Fahrmanöver in die Luft, kein Superlativ blieb ohne Zwischenton. Nach einer Weile fiel es dann, das Wort, das die Ursache der gedämpften Euphorie auf den Punkt brachte: Panamicro!

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Eine Prise Panamera

Ja, ein Panamicro war er geworden, der neue Elfer. Ein kleiner Panamera. Sportlicher zwar, schlanker, agiler, na klar, aber stellenweise eben ein bisschen verschwommen und ein bisschen sehr geleckt im Fahrgefühl. Nun muss an dieser Stelle erwähnt sein, dass im Eifer des Rundenzeitengefechts auch mal klarer getextet wird, dass gelegentlich Worte fallen, die erst von ein, zwei Cappuccini weichgespült werden müssen, ehe man sie in ein Heft drucken kann. Doch "Panamicro" war nicht nur so dahingeplappert, an "Panamicro" war was dran, auch wenn der mitschwingende Zynismus freilich nicht über die faktische Brillanz des 992 hinwegtäuschen darf.

Porsche 911 Carrera, 992, Interieur
Hans-Dieter Seufert
Mit dem Basis-Elfer kehren die Porsche-Gefühle zurück.

Ein Dreivierteljahr später stehen wir wieder in unserem Hocken-Heim, wieder verschnauft ein neuer Neunelf in unserer Mitte, wieder war er schneller als sein Vorgänger. Nur die Stimmung, die hat sich gedreht. Okay, keiner ist völlig von den Socken, das gibt die Modellausprägung nicht her, muss sie gar nicht, soll sie nicht. Dennoch ist jegliche Panamicro-Assoziation auf einmal wie weggeblasen. Mehr noch: Dieser 911 fuhr sich, wie sich ein 911 zu fahren hat. Real, unschattiert, mit diesem direkten Draht, der ihn so einzigartig macht. Wie kommt’s? Spinnen wir?

Fangen wir die Erklärung vorne an. Im Juli 2019, als Porsche das Einstiegsmodell des 992 offiziell im Markt einführt. Den Carrera. Mit 104.655 Euro Grundpreis nistet er sich rund 15 Tausender unterhalb des S-Modells ein – also mit grob demselben Abstand wie zuletzt. Im Gegenzug muss er mit kleineren Ladern auskommen, die dem Dreiliter-Boxer nur 385 statt 450 PS entlocken. Das Drehmoment reduziert sich um 80 auf 450 Nm, liegt aber einen Tick weitflächiger an. Außerdem hat er die Serienausstattung gestutzt bekommen: kleinere Räder, schmalere Reifen, Bremsscheiben mit reduziertem Durchmesser.

Davon abgesehen ist auch dieser Elfer so, wie dieser neue Elfer halt so ist. Dazu gehört unter anderem die breite Hinterachse. Vormals den Allradlern, den GT- und GTS-Modellen vorbehalten, soll sie zusammen mit der gleichfalls aufgesäumten Vorderachsspur ein wesentlicher Bestandteil der verbesserten Fahrdynamik sein. Wobei die Vereinheitlichung kein reiner Akt der Nächstenliebe ist. Nein, man spart sich dadurch schlicht und einfach eine Variante in der Produktion. Und das spart Geld.

Auch das Gewichtsthema bedarf einer differenzierteren Betrachtung. Auf den ersten Blick ist die Enttäuschung groß: 1.506 Kilo früher zu 1.528 jetzt. Wieder zugenommen. Hmmm! Doch die Zusatzkilos stecken nicht in der Struktur, die dank diverser Detailmodifikationen sogar abgespeckt haben soll. Stattdessen konzentrieren sie sich im Getriebe. Im neuen Doppelkuppler, der neben einem achten Gang auch Platz für ein Hybridmodul beherbergt.

Handschalter ab Sommer

Aktuell ist man laut Porsche aber noch nicht in der Lage, die Elektromotorik Nachteil-neutral zu implantieren. Deswegen steht das Kabäuschen vorerst leer und bringt ...? Genau, nichts! Das ist fraglos ein Übel, aber schon bald kein notwendiges mehr. Zur Jahresmitte wird nämlich das Siebengang-Schaltgetriebe erhältlich sein. Es ist dasselbe wie zuletzt, spart aufgrund des aufwendigen PDK jetzt aber fast 40 Kilo ein, sodass der Gewichtsvergleich zum Vorgänger wohl null auf null aufgeht.

Porsche 911 Carrera, 992, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Ab Sommer gibt es den Carrera für Puristen auch mit Handschaltung.

Doch auch in dieser Konfiguration, das sei mit etwas Grimm bemerkt, ist die Bilanz am Ende positiv. Der 992 mag sich nicht mehr auf Fahrspaß reduzieren, zu fördern vermag er ihn aber nach wie vor: Verwaistes Alpsträßchen, reichlich Wintersonne, dazu das Krähen des Sechszylinders – wem da nicht das Herzerl hüpft, dem kann eigentlich nur noch mit unserem Schwestermagazin "Women’s Health" geholfen werden, wo sich die Kollegen – welch schöner Zufall – gerade mit der Frage beschäftigen, warum man genau jetzt mit dem Laufen anfangen sollte.

Sicherlich, die geschrumpften Turbos mit kleineren Turbinen- und Kompressorrad-Durchmessern dämmen die Windstärke im Durchzug ein. Auch fehlt einem Carrera dieser charakteristische Leistungskick, der das S-Modell ab 5.000 Touren noch mal ordentlich an der Wurzel packt. Dafür spricht die softere Aufladung untenrum noch geschmeidiger an, sie reagiert, ich betone, noch feiner auf Gaswechsel und erzeugt mit ihrer sehnig-linearen Kraftentfaltung die fast perfekte Illusion vom Saugmotor – ohne dessen Nachteile, versteht sich. Selbstverständlich hält sich der Carrera dabei stets an die Stallorder: 3,9 Sekunden auf hundert und 14,7 auf zwohundert bedeuten 0,3 beziehungsweise 2,2 Sekunden Rückstand auf seinen direkten Vorgesetzten.

Hier, drei Kilometer vor Hintertupfingen, verschwimmen derlei Differenzen im Gesamteindruck, in diesem Cocktail aus einer hochsensiblen, nun direkter übersetzten Lenkung und dem Adaptivfahrwerk, das seine Härte selbst im Sportmodus nur dann auslebt, wenn man sie explizit einfordert.

Porsche 911 Carrera, 992, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Der Zutritt in die 911-Welt startet aktuell bei 104.655 EUR.

Haken irgendwo? Nur die bekannten. Das Dashboard zum Beispiel, dessen Displays in ihren äußeren Bereichen stets vom Lenkradkranz verdeckt werden. Oder auch seltsam: die sparsame Hinterleuchtung der Drehzahlmesser-Skala, die sich auf die vollen Tausender begrenzt. Tagsüber ist das egal, nachts jedoch erschwert es das Selberschalten ungemein, weil der Motor seinen Begrenzer dort aufgestellt hat, wo der Zeiger im Dunkeln tappt – bei 7.500/min.

Simplere Technik, tiefes Gefühl

Und dann ist da eben noch die Sache mit dem Panamicro, dessen plötzliches Verschwinden tatsächlich mit der Ausstattung zu erklären ist. Präziser: mit Hightech wie der Wankstabilisierung und der Hinterachslenkung, die dem Basis-Carrera dienstgradmäßig nicht zusteht.

Der Performance als solcher ist das freilich nicht zuträglich: Den Kurvenverlauf stören leichte Rollbewegungen der Karosserie, gleichzeitig fehlt der Drehscheibeneffekt mitlenkender Hinterräder, der Befehle je nach Tempo anspitzt oder auswiegt. Die Folgen: etwas weniger Schwung beim Einbiegen, etwas mehr Untersteuern im Kurvenverlauf, etwas mehr Arbeit für das Rest-aktive ESP. Andererseits rücken Fahrzeug und Fahrer durch das Fehlen zwischengeschalteter Variablen enger zusammen. Der Bewegungsablauf wird natürlicher, die Arbeit ehrlicher, der Himmel klart auf.

Aber sind Gefühle nicht Geschmackssache? Jein! Sicher wird es Leute geben, die es technisch mögen, die sich lieber von einer elektronischen Steuerung unter die Arme greifen lassen, als bis zu den Schultern in der Mechanik zu stecken. Und offen gesagt schließe ich mich da gar nicht aus. Jedoch beweist der Carrera mit seiner herausragenden Slalomzeit, dass sich Subjektivität auch objektiv verfestigen kann.

Fazit

Runtergebrochen auf die harten Fakten fährt der Basis-Carrera genau dort, wo ihn Porsche haben will – mit gebührendem Abstand zum deutlich teureren, deutlich stärkeren S-Modell. In unserer Gunst steht der Einstiegs-Elfer letztlich aber ganz weit oben. Mangels Hightech- Intervention bescherte er uns die besten Fahrgefühle, die wir im 992 bis dato hatten.

Technische Daten
Porsche 911 Carrera Carrera
Grundpreis122.493 €
Außenmaße4519 x 1852 x 1298 mm
Kofferraumvolumen132 l
Hubraum / Motor2981 cm³ / 6-Zylinder
Leistung283 kW / 385 PS bei 6500 U/min
Höchstgeschwindigkeit293 km/h
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten