Ein Freizeitsportler, der diese Zeilen liest, wird sich spontan fragen, was sein Sport mit Datenbetrug denn überhaupt zu tun haben soll. Jeder Mensch hat in seinem bisherigen Leben Sport in irgendeiner Form betrieben und das aus gutem Grund, sei es nur aus Spaß im Kindergarten, als Jugendlicher, in der Freizeit zur Stärkung des Selbstbewusstseins oder als Schulsport zwangsweise. Schon die alten Römer wussten „Mens sana in corpore sano“ – der Geist bleibt fit, wenn der Körper fit ist. Denn der Sport fördert in Maßen genossen nicht nur die Gesundheit, sondern bietet Ausgleichs- und Freizeitvergnügen, wichtig bei einer immer stärker schrumpfenden Lebensarbeitszeit. Er stellt an die Aktiven die Herausforderung, den inneren Schweinehund zu überwinden und fördert beiläufig beim Mannschaftssport die Teamfähigkeit. Wie jeder weiß, wurde Sport nicht erst mit Turnvater Jahn und seinem Drill populär. Als „Schmankerl“ gibt es für Sportler und Sportlerinnen hin und wieder einen Preis für ausgezeichnete Leistungen – im wahren Amateursport eher mit hohem ideellen und weniger geldlichen Wert. Das reicht von Lob und Anerkennung, über Siegerurkunden bis hin zu Pokalen, Trophäen und kleinen Aufmerksamkeiten. So kann sich der Autor dieser Zeilen an den Gewinn der Landesmeisterschaft im Fußball der fünften Klassen der Berliner Grundschulen im Jahr 1953 erinnern. Jedem Spieler meiner Elf überreichte der Schulrektor, sicherlich aus seiner Privatschatulle finanziert, aus Anerkennung und als Dankeschön eine 100 g Tafel Vollmilchschokolade – in damaliger Zeit von uns als eine echte Belohnung empfunden. Womit wir beim Thema sind und vom „reinen“ Amateursport zum Profisport in heutiger Zeit wechseln können. Dieser „bereicherte“ quasi das Streben nach unterhaltsamer Freizeitbeschäftigung, Fitnessvorsorge und Stärkung des Teamgeistes sowie Anerkennung um ein weiteres, ganz entscheidendes Nebenziel der „Leibesertüchtigung“: Profiterzielung. Das heutige Motto der Olympischen Spiele, der Europa- und Weltmeisterschaften sowie fast des gesamten Sports lautete von Anbeginn an bekanntlich „Schneller, höher, stärker“. Der dem Sport inhärente Wettbewerbsgedanke stellt dabei einen wichtigen Antriebsfaktor dar. Daneben spielen Prestige und Geld ein zunehmend wichtigere Rolle. In deren Folge kamen Schummeleien und handfeste Betrügereien in Wechselwirkung mit sozial gesehen anstößig hohen Vergütungen sowie Steuertricksereien ins „Spiel“. Darüber wird im Einzelnen noch zu berichten sein. Man könnte ironischer Weise das olympische Motto in „Schneller, höher, reicher“ ummünzen. So gesehen lag Pierre de Coubertin, der Begründer neuer olympischer Spiele, vor mehr als einhundertzwanzig Jahren völlig daneben, wenn er meinte „Teilnehmen ist wichtiger als Siegen“. Denn trotz Fleiß, aber ohne Sieg gibt es nicht nur im Leistungssport keinen Geld-Preis!

Will man Lug und Trug im Sport und den dadurch induzierten Datenbetrug unter die Lupe nehmen, so reicht es nicht aus, nur den einzelnen Sportler im Auge zu behalten. Vielmehr ist vor allem das sportliche Umfeld von großer Bedeutung und anfällig für oft „von oben“-veranlasste Betrügereien. Denn was kann der professionelle Eissportler ohne Eisstadion, der Leichtathlet oder Fußballer ohne Stadion, der Skispringer ohne Sprungschanze oder der Skiläufer ohne abgeholzte und mit Kunstschnee bestens präparierter Rennpiste anfangen, ganz abgesehen von der Bereitstellung eines Trainer-, Physio- und Ärzteteams sowie direkter oder indirekter staatlichen Förderung des Spitzensports? Es ist im Profisport nicht mehr so wie in den Anfängen des Fußballs: Freifläche, kugelförmiger Gegenstand (Fußball), markierte Torbereiche und zwei gegnerische Teams – los kann’s gehen. Vielmehr bedarf es eines breit und tief aufgestellten Umfelds mit Einzelsportlern, Mannschaften, Organisation und Verbänden auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Dazu gehören weiterhin TV- und Rundfunk-Anstalten und Sportzeitschriften, die von Sieg oder Niederlage Kunde geben, oder staatlichen Institutionen wie Kommunen, Städte, Länder und deren Regierungen, die den Sport massiv fördern. Kein Wunder, dass es in einem solchen Netzwerk an unterschiedlichen Stellen immer wieder knirscht.

Werfen wir zuerst einen Blick auf Schummeleien im Wintersport, die noch zum Schmunzeln anregen. So überprüfte der Kölner Ski-Journalist Schrade anhand von Geodaten die Pistenlängen von fünfzig Top-Skigebieten in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz im Jahr 2013. „Im Schnitt liegen die angegebenen Pistenkilometer bei einhundertvierzig Prozent der tatsächlichen Kilometer“ [1]. Der Haken solcher Angaben liegt, wie so oft bei solchen Aussagen, bei der Definition und damit der Berechnungsgrundlage. Reicht es für eine Abfahrt, eine Piste zu sein, nur kurz ausgeschildert, aber nicht gepflegt zu sein? Ist es die direkte Fahrlinie oder eine ausgedachte Zick-Zack-Linie mit Querschwüngen, die zählt? Alle kennen ähnliche Probleme von den Angaben der Automobilhersteller über die (zu niedrig) angegebenen typspezifischen Soll-Kraftstoffverbrauchs- und Emissionswerte von Neuwagen. Zwei krasse Ergebnisse bei den Gesamtlängen der Skipisten allerdings legen den Verdacht auf Schummelei nahe: Im Schweizer Wallis bietet das „4 Vallées-Gebiet“ statt angepriesener 412 km nur 164 km, und Hochzillertal-Hochfügen in Tirol wirbt mit Pisten von 181 km. Schrades Vergleichsmessungen erbrachten nur 75 km. Sicher, an etwa 40 %-Abweichung geht die Freude am Skifahren nicht unter. Es zeigt sich aber hier das Phänomen, dass der Kommerz den Sport weitgehend durchdrungen hat. Kürzer formuliert, „Geld verdirbt den Charakter“. Eines ist klar, klimatische Veränderungen, steigende Kosten und stetig zunehmender Wettbewerb im Wintersport zwingen die Betreiber der Skigebiete mit deren Vorzügen zu prahlen. Die Grenze von Prahlerei und Aufschneiderei zu Schummelei und Datenbetrug war, ist und bleibt unscharf.

Die große Mehrheit der Leser wird mit Betrug und Datenfälschung im Sport nicht (harmlose) Messabweichungen und Ähnliches in Verbindung bringen, sondern an erster Stelle an Doping von A wie Armstrong, über Lance bis Z wie Zülle denken, allesamt Rennradfahrer, die Furore machten. Werfen wir daher zuerst einen Blick auf die Akteure wie Staaten, Organisationen und Unternehmen. Die ARD-Dopingredaktion berichtete in der Sendung „Geheimsache Doping“ von der Verzahnung der russischen Wintersportorganisationen mit höchsten Regierungsstellen, um sog. Staatsdoping mittels ausgetauschter Urinproben zu vertuschen [2]. Erinnert sei an die olympischen Winterspiele in Sotschi 2014, wo auf breiter Front gedopt wurde. Dazu kommen auch die Winterspiele von Pyeongchang (Südkorea), wo bereits im Vorfeld von nicht fälschungssicheren Urinfläschchen, die der Aufbewahrung der A- und B-Proben dienen sollten, die Rede war. Öffnen, umfüllen, schließen – perfekt sind Manipulation einer Probe und nebenläufig die Datenfälschung [2]. Im Gegensatz zu ersten Verlautbarungen des Herstellers, des Schweizer Unternehmens Berlinger und der WADA – der Welt-Anti-Doping-Agentur, der Verschluss der Fläschchen sei nunmehr ohne Zerstörung nicht zu öffnen, konnte die ARD-Redaktion um Hajo Seppelt im Test zeigen, dass sich die Flaschen sehr wohl bei entsprechender Kältebehandlung unzerstört und nicht nachprüfbar öffnen sowie wieder schließen ließen [2]. Wie später WADA und Berlinger bekanntgaben, beschloss der Hersteller, die Belieferung des IOC mit diesen Fläschchen einzustellen [3].

Neben dem Staatsdoping, wie es jüngst in Russland und vor 1990 in etlichen ehemaligen Ostblockländern einschließlich der DDR über Jahrzehnte unter staatlicher Billigung, Anleitung und Aufsicht durchgeführt wurde, was mit massiver Datenfälschung einherging, gibt es Vergleichbares weltweit auch auf Vereins- oder Verbandsebene. Die großen Erfolge US-amerikanischer Leichtathleten und -Athletinnen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen über 100, 200 oder 400 m, Weitsprung usw. sind ohne Vereins-, Verbands- und Teamabsicherung undenkbar. Hier seien nur die überführten Dopingsünder Justin Gatlin oder Marion Jones genannt. Es reihen sich die Rennradfahrer Eddy Merckx, besonders krass Lance Armstrong (mehrfach Erster ab 1998) sowie Floyd Landis als Sieger oder Rudi Altig als Zweiter der Tour de France ein. Beim Doping selbst und bei der sie begleitenden Datenfälschung, um die Betrügereien zu vertuschen, spielen Mediziner eine zentrale Rolle. Sind Beispiele gefällig? Genannt werden muss vor allem der spanische Radteam- und Sportarzt E. Fuentes – verurteilt 2013 zu einem Jahr Haft mit Bewährung und vier Jahren Berufsverbot [4], oder der deutsche Sportmediziner A. Klümper, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg [5]. Unterlegt man dem Weisheitsspruch der alten Griechen einen etwas anderen Sinn, kann man sagen: „Natura sanat, medicus curat“, verkürzt: Der Arzt kriegt’s schon hin.

Die Bandbreite der Dopingmittel ist erschreckend. Zu den verabreichten Substanzen, Sportler und Trainer sprechen hier verharmlosend vom „Einstellen der Athleten“ mit Blick auf die großen Wettkämpfe, gehören Anabole Steroide zum Muskelaufbau, EPO als Abkürzung für Erythropoetin zur besseren Sauerstoffversorgung der Muskulatur, Stimulanzien wie Kokain und Amphetamin zur Verbesserung der Konzentration – beliebt auch bei einigen Sportschützen, Opioide wie Morphin, die beruhigend („für eine ruhige Hand“) wirken und Eigenblutdoping mit einer EPO-ähnlichen Wirkung. Wie unscharf die Trennlinie zwischen Doping und Reha-Maßnahmen ist, zeigt der Fall des deutschen Nationaltorwarts M. Neuer. Dieser wollte aus eigener und aus DFB-Sicht trotz seines erneuten Mittelfußbruchs rechtzeitig zur Fußball-WM 2018 in Russland fit werden. Die Nationale Anti-Doping-Agentur NADA wurde auf den Plan gerufen, als aus der Presse bekannt wurde, dass eine Eigenbluttherapie anstand. Bei der wurde „Blut abgenommen, in seine Bestandteile zerlegt und das plättchen-reiche Blutplasma für eine schnellere Heilung wieder zurückgespritzt“ [6]. Neuer verneinte die Anwendung einer Eigenbluttherapie und bestätigte den erfolgreichen Einsatz einer Stammzellenkur während seiner Reha. Wie BR-Sport online weiter berichtete, stand diese ebenfalls nicht auf der Dopingliste und gilt unter Experten grundsätzlich als unbedenklich. Es handelte sich nach Neuers Aussage um keine Bluttherapie, sondern um Therapie mit Stammzellen aus dem Knochenmark.

Wie schmal der Grat zwischen Heil- und Dopingmittel ist, zeigte auch der Fall der norwegische Skilangläuferin Therese Johaug, die sich im Hochsommer 2016 ihre Lippen beim Höhentraining verbrannte [7]. Eine vom Teamarzt verabreichte Creme half ihr, enthielt aber mit Clostebolacetat, einem anabolen Steroid, ein indiziertes Dopingmittel. Auf dem Beipackzettel war ein deutlicher Hinweis, den der Arzt aber versehentlich übersah. Die Einnahme des Steroids wurde bei einer späteren Dopingkontrolle entdeckt. Die Skiläuferin bekam dafür eine achtzehnmonatige Sperre.

Wenden wir uns nunmehr den internationalen Sportorganisationen wie IAAF, IOS, FIFA und UEFA zu. Diese sind bekanntlich international zuständig für Leichtathletik und Fußball. Sie organisieren Vergabe und Durchführung von Weltmeister- und Europameisterschaften sowie der Olympischen Spiele. Eine moralisch besonders anstößige Wahl war die des Austragungsortes für die Olympischen Sommerspiele 1996 unter Leitung des damaligen IOC-Präsidenten Juan A. Samaranch. Athen, Gastgeber der ersten Spiele von 1896, galt als die historisch gesehene beste Wahl für deren Austragung hundert Jahre später. Wie die Wahlunterlagen aus den insgesamt fünf Runden zeigten, war Athen bis zu dritten Runde mit vorn. Ab der vierten Abstimmungsrunde führten die USA bzw. die Coca-Cola-Stadt Atlanta mit 34:30. Sie gewannen schließlich in der Schlussrunde den Zuschlag in Runde fünf mit 51:35 Stimmen [8]. Lieber Leser, warum wohl? Honi soit qui mal y pense – ein Schelm wer Böses dabei denkt. Das Hamburger Abendblatt brachte in 2015 die offensichtlichen Tricksereien bei der Vergabe sinngemäß mit der bissigen Bemerkung auf den Punkt, dass die Logik des Geldes vor der Gleichheit des Zufalls steht. Oder wie die englische Tageszeitung „The Independent“ seinerzeit titelte: „Faster, higher, stronger, soapier“.

Licht und Schatten wie bei fast allen solchen Veranstaltungen gab es auch bei Deutschlands Sommermärchen, der umjubelten Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land. Hier stand nicht allein der begeisternde Angriffsfußball des jungen deutschen Teams im Vordergrund, sondern die schmutzige Affäre um die ominöse Zahlung von 6,7 Mio. €, ausgekungelt durch Spitzenfunktionäre des Fußballs aus DFB und FIFA in dunklen Hinterzimmern. Das Geld floss 2002 von einem Konto vom Ehrenspielführer der deutschen Fußballnationalmannschaft, dem „Kaiser“ Franz Beckenbauer, und seinem langjährigen, erfahrenen Manager Robert Schwan über die Schweiz auf ein Konto in Katar. Das gehörte zu dem Firmengeflecht des einflussreichen ehemaligen FIFA-Vizepräsidenten Bin Hamman [9]. Kettentransfers, Datenfälschung und glatte Geldbeträge sind stets Indizien, die die Aussagen von Beckenbauer, es handle sich um einen „Organisationskostenzuschlag des Weltverbandes“, völlig unglaubwürdig erscheinen lassen. Adidas-Chef Louis Dreyfus gewährt Beckenbauer im Gegenzug ein gleich hohes Darlehen und bekam diese Summe über ein Konto der FIFA zurückerstattet, offensichtlich um die Bestechung zu vertuschen. Selbst der ehemalige FIFA-Boss Sepp Blatter stellte die Fragwürdigkeit der Transfers infrage. In der Steuererklärung des DFB für 2006 tauchte der dubiose Betrag als ein Kostenbeitrag zu einer „WM-Gala“ auf, einer Veranstaltung, die jedoch nie stattfand. Die hessische Steuerfahndung forderte wegen Steuerhinterziehung konsequenterweise eine Nachzahlung von 19,2 Mio. € vom Deutschen Fußballbund [9]. Rückblickend war eine gehörige Portion Scheinheiligkeit mit im (Fußball-) Spiel. Denn allen direkt beteiligten Fußballfunktionären und vielen Politikern musste doch klar gewesen sein, dass ohne die „üblichen Bestechungsgelder“ eine WM nicht nach Deutschland zu holen war.

Wer immer noch gutgläubig ist, nachdem viele Funktionärsköpfe auf nationaler und internationaler Ebene gerollt sind – siehe die Personalveränderungen bei IOC, UEFA und FIFA, und glaubt, es wäre nunmehr die Vergangenheit bewältigt („The Past is past“), sieht sich bitter getäuscht. Denn eher ist „Business as usual“ seitdem unter FIFA-Chef Infantino auf höchster Sportebene weiter angesagt. Das stimmt etwa nicht? (Abb. 6.1)

Abb. 6.1
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FIFA-Präsident G. Infantino bei einer Pressekonferenz [23]

Greifen wir nur zwei Weltmeisterschaften aus jüngster Zeit heraus. Da ist die dubiose Vergabe der Fußball-WM im Jahr 2022 an Katar, die während des arabischen Hochsommers stattfand und der Sommerspiele 2016 an Brasilien in Rio de Janeiro, einer Stadt mit allergrößten sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Nöten. Alle diese Entscheidungen waren untrennbar mit Bestechung als Teil von Korruption und Datenfälschung zum Vertuschen der Betrügereien verbunden [10, 11]. Zu den Olympischen Spielen in Rio nur noch so viel: Der brasilianische Organisationschef C.A. Nuzman wurde wegen des Vorwurfs des Stimmenkaufs bei der Olympia-Vergabe festgenommen. Dem Sohn des IOC-Mitglieds aus Senegal, L. Diack, sollen drei Tage vor der Abstimmung zwei Mio. US$ von einem brasilianischen Unternehmer überwiesen worden sein [12]. Eine allerletzte Anmerkung zur WM-Vergabe nach Katar sei noch gestattet: „Mehr als vierzig Personen haben sich inzwischen schuldig bekannt, über zwei Jahrzehnte lang insgesamt mindestens 150 Mio. US-$ an Schmiergeldern angenommen zu haben“ [10].

Der internationale Sport ist anscheinend besonders betrugsanfällig, wohl wegen der Milliardenbudgets und der damit verbundenen höheren Chancen für Funktionäre, internationale Karriere zu machen und Geld abzugreifen. Doch Betrügereien gibt es auch auf nationaler Ebene, in Erinnerung dürfte noch der Bundesligaskandal der Saison 1970/71 sein, bei dem Spieler schlichtweg Spiele verkauften – erst rund ein halbes Jahrhundert vorbei. Anhand von Telefonmitschnitten wurde 1971 ruchbar, dass Punktspiele manipuliert und Schmiergeldzahlungen für getürkte Siege oder Niederlagen u. a. der Vereine Hertha BSC, 1.FC Köln, FC Schalke 04, VFB Stuttgart geleistet wurden. Nutznießer waren die beiden im Abstiegskampf befindlichen Fußballvereine RW Oberhausen und Arminia Bielefeld, die vorerst in der ersten Liga blieben.

Es geht nicht immer um Geld, sondern um Manipulationen rund um die sportlichen Aktivitäten selbst. Eine solche bandenmäßige Manipulation haben sich drei australische Kricketspieler jüngst geleistet, wie mit gewisser Häme über die Kricket-Weltmacht Australien in der Presse berichtet wurde [13]. Bei einem Turnier dieser ausgesprochenen Herrensportart hatten der Schlagmann, sein Team- und Vizekapitän den Ball mit einem Klebeband zu präparieren versucht, um dessen Flugeigenschaften für das Team günstig zu verändern. Dumm nur, dass das Fernsehen in einer Live-Übertragung gleich den handfesten Beweis lieferte. Das unfaire Trio wurde unverzüglich für zwölf Monate für das Nationalteam gesperrt.

Ein harmloser Fall, wenn man sich die folgenden Fälle organisierter Kriminalität vor Augen führt. Denn von ganz anderem Kaliber sind die Manipulationsversuche bei Sportwetten wie Pferderennen, Fußballspielen usw., insbesondere organisiert von Banden in Osteuropa und Asien. So gelang der slowenischen und kroatischen Polizei ein Schlag gegen die sog. Wettmafia, einem kriminellen Netzwerk von neun Beschuldigten in Slowenien und zwei in Kroatien [14]. „Die Beschuldigten haben danach Spiele im Profifußball Serbiens, Mazedoniens und Tschechiens manipuliert und dazu illegale Wetten vor allem in Asien platziert“, [14, S. 22]. Aber ein Grund für deutsche Leser, die Nase mit einem Hinweis auf „typisch Balkan“ zu rümpfen, besteht nicht. Denn der Fußball-Wettskandal von 2005 um den deutschen Schiedsrichter Robert Hoyzer und andere sollte noch in guter Erinnerung sein. Hierbei ging es um ungerechtfertigte Strafstöße, angebliche Schiedsrichterbeleidigungen und nicht korrekt verhängte „rote Karten“. Hoyzer gab zu, einige Spiele der zweiten Fußballbundesliga, des DFB-Pokals und der Regionalliga damit so beeinflusst zu haben, dass die Wettergebnisse, auf die absprachegemäß gewettet wurde, auch erzielt wurden. Obwohl seit 2005 der DFB mit dem Wettüberwachungsspezialisten „Sportradar“ zusammenarbeitet, berichtete unlängst der WDR in seinem Magazin „Sport Inside“ über weitere Verdachtsmomente bei Torwetten-Einsätzen im Zeitraum 2010–2015 [15]. Der Bericht griff auf eine gemeinsame Studie der Universitäten Bielefeld, Pennsylvania und West Virgina zurück. Dabei drehte sich die Wette darum, ob weniger oder mehr als zweieinhalb Tore je Partie erzielt werden. Bei drei von sechsundzwanzig Schiedsrichtern haben die statistischen Analysen „einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Höhe der Wetteinsätze und der Schiedsrichterbesetzung“ ergeben [15].

Wie schmutzig die Geschäfte im modernen Profifußball auf internationaler Ebene inzwischen geworden sind, vornehmlich in der Champions League, zeigte die Plattform Fußball-Leaks auf. Das größte Datenleck in der Geschichte des Sports umfasst sage und schreibe 18,6 Mio. Dokumenten [16]. Da ist zum einen der finanzielle Einfluss von Sportausrüstern wie Adidas, Nike oder Puma, die in Vereine wie Bayern München, Atlético Madrid und Real Madrid sowie Barcelona Millionen bis Milliarden investierten und diese am Verkauf von Lizenzprodukten beteiligen. Sie machen die reichsten Klubs nicht nur reicher, sondern die Finanzspritzen werden auf verschiedenen Transferwegen verabreicht. So berichtete der Spiegel, dass in einem streng vertraulichen Entwurf zum Vertrag von 2011 zwischen Adidas und Real Madrid der Sportartikelausstatter einen Teilbetrag von vierzig Mio. Euro in bar zu leisten hätte [16]. Es ist anzunehmen, dass steuerliche Aspekte sowie vertraglich nicht fixierte Nebenabsprachen eine Rolle spielten. Solche Summen passen erfahrungsgemäß auch kaum in einen Geldkoffer und sind selbst in einem kriminellen Milieu ungewöhnlich. Der Verdacht auf schwarze Kassen und Steuerbetrug in Verbindung mit Datenbetrug durch Fälschung von Dokumenten, hier Vertragsunterlagen, drängt sich auf. Zu einem zunehmend kapitalorientierten Vereinsmanagement gehört auch die große Rolle von landesübergreifenden Investorengruppen, die Anteile von Transferrechten an Supertalenten im Fußball gegen Finanzinvestitionen erwerben. Bis 2015 die FIFA diese Entwicklung stoppte, war dieses Geschäftsmodell unter dem Namen „Third-Party-Ownership (TPO)“ gang und gäbe [16]. Russische Oligarchen und zwielichtige asiatische Investoren stiegen in europäische Klubs mit Geld in Millionenhöhe ein und unterwanderten diese. Der Fall Neymar beim Wechsel von Barcelona nach Paris St. Germain ist vermutlich nur einer von vielen. Die Autoren R. Buschmann und M. Wulzinger deckten weitere Details im Profifußball auf [17]. Dieser Kreis von Investoren bereitet auch deshalb nach wie vor Sorge, weil Wettpaten darunter sind, die Riesengewinne einfahren wollen, indem sie mittels Schmiergeld Spielmanipulationen zu ihren Gunsten durchzusetzen versuchen [18].

Wenden wir uns zum Abschluss wieder den Spielern selbst zu, dem „Human Capital“, dessen Gesamtbuchwert von allergrößtem wirtschaftlichen Interesse für jeden Fußballverein im Profigeschäft und für dessen Renommee im internationalen Rahmen ist. Bei den europäischen Spitzenklubs im Fußball liegt die Größenordnung knapp unter einer Mrd. Euro. Wie oben gesehen, sind Investoren, Spielerberater, Headhunter und Spieleragenten rund um das eigentliche Fußballgeschehen aktiv. Da Bestechung, Geldwäsche sowie Steuerhinterziehung eine latente Gefahr bilden, ist klar, dass auch die von diesen betreuten, internationalen Spitzensportler Schwierigkeiten mit den Finanzbehörden hin und wieder bekommen. Spektakuläre Fälle von Steuerhinterziehung in Millionenhöhe im Fußball betrafen zuletzt die Spieler Xabi Alonso [19], Christiano Ronaldo und Trainer José Mourinho [20] sowie die Spieler Mesut Özil [21] und Lionel Messi vom FC Barcelona. Letzterer hat Ende 2016 fast zwölf Millionen Euro an die spanische Finanzbehörde, Agencia Tributaria, nachzahlen müssen [22, 23]. Die damit einhergehenden Manipulationen und Fälschungen von Dokumenten gehen in die Tausende – ein interessanter Fall für Big Data Analysten? Die nationalen Finanzbehörden setzen dagegen zur Aufklärung der Betrügereien auf Anzeigen, Zeugen, Whistleblower und die Kronzeugenregelung. Aber wo bleiben eigentlich die Big Data Analytiker, die lauthals anpreisen, alle Arten von Auffälligkeiten aufdecken zu können? Auf diesem Feld hört man nichts von Ihnen.

Gibt es bei derart umfangreicher Schattenseite des Sports noch eine positive Perspektive? Da der Sport Teil unserer Gesellschaft ist und sich dort ähnliche Probleme in verschiedenen Lebensbereichen zeigen, bleibt dem Verfasser nur an den alten Spruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ zu erinnern, der dem Erzgegner des Kapitalismus, W. I. Lenin, zugeschrieben wird. Überlassen wir die Kontrolle dann aber bitte schön nicht allein den Algorithmen und Apps – neudeutsch KI!