Ösophagusatresie

Ösophagusatresie

Bei einer Ösophagusatresie handelt es sich um eine angeborene Fehlbildung (Atresie) der Speiseröhre, welche man in der Fachsprache als Ösophagus bezeichnet. Dabei ist Speiseröhre, welche man sich als einen Schlauch vorstellen kann, nicht von oben bis unten durchgängig. Dies wird auch Kontinuitätsunterbrechung genannt. Diese Kontinuitätsunterbrechung kann verschiedene Längen haben. Man gibt die Länge meist in Zentimetern oder in der Anzahl von Wirbelkörperhöhen der betroffenen Kinder an.

Bei der Einteilung in eine kurzstreckige und eine langstreckige Ösophagusatresie ist man sich in der Literatur jedoch nicht wirklich einig. Die Einteilung erfolgt nach Vogt und berücksichtigt die Länge, die Art der Fehlbildung und eine eventuelle Fistelbildung.(Fistel = durch Krankheit entstandener oder künstlicher Kanal, der ein Organ mit der Körperoberfläche oder einem anderen Organ verbindet. Letztere ist sehr häufig, sodass das untere Ende der Speiseröhre zu 85% in die Luftröhre mündet. Typischerweise ist die Ösophagusatresie mit weiteren angeborenen Fehlbildungen assoziiert.

Lesen Sie mehr zum Thema Fisteln

Symptome & Diagnose

Welche Symptome macht eine Ösophagusatresie?

Es ergeben sich gewisse pränatale (vor der Geburt) sowie postnatale (nach der Geburt) Zeichen und Symptome, die für das Vorliegen einer Ösophagusatresie sprechen.

Vor der Geburt zeigt sich ein sogenanntes Polyhydramnion, eine überdurchschnittlich große Menge an Fruchtwasser. Das kommt dadurch zustande, dass der Fetus das Fruchtwasser wegen der Fehlbildung nicht schlucken kann. Das ist jedoch ein unspezifisches Zeichen und lässt nicht zwangsweise auf das Vorliegen einer Ösophagusatresie schließen.

Bei den betroffenen Babys handelt es sich meist um Frühgeborene, welche nach der Geburt durch Hustenanfälle und vermehrtes Speicheln auffallen. Der Speichel läuft aus dem Mund und sammelt sich schaumig vor diesem. Er lässt sich nicht schlucken. Auch ein Herauswürgen des schaumigen Speichels ist typisch. Der Allgemeinzustand der Babys ist ebenfalls verschlechtert. Eine rasselnde Atmung ist häufig zu vernehmen. Weiterhin fallen die Kinder insbesondere bei einem Fütterungsversuch durch eine Zyanose auf. Die Zyanose äußert sich durch eine Blaufärbung von Haut und Schleimhäuten, welche dadurch zustande kommt, dass die Nahrung nicht in den Magen gelangt, sondern in die Lunge aspiriert wird. Dadurch ist die Atmung der Kinder behindert. Ein Fütterungsversuch ist bei einem Verdacht auf eine Ösophagusatresie zu unterlassen. Es sollte versucht werden, eine Magensonde zu legen. Das Legen der Magensonde gelingt jedoch durch die Fehlbildung nicht.

Lesen Sie mehr zum Thema  Frühgeburt 

Bei einer Ösophagusatresie vom Typ IV nach Vogt leiden die Säuglinge an wiederholten Aspirationspneumonien, ohne weitere Symptome zu zeigen. Aspirationspneumonien sind Lungenentzündungen, die durch das wiederholte einatmen von Speiseresten entstehen.

Wie wird eine Ösophagusatresie diagnostiziert?

Vor der Geburt kann im Ultraschall ein Polyhydramnion der Mutter auffallen. Dies bedeutet, dass überdurchschnittlich viel Fruchtwasser vorhanden ist. Dieser Marker ist jedoch relativ unspezifisch, sodass man eine Ösophagusatresie allein durch diesen Befund nicht belegen kann.

Nach der Geburt versucht man, eine Magensonde zu legen. Die Magensonde lässt sich nur etwa 11 bis 12 cm vorschieben, bis ein federnder Widerstand wahrgenommen wird. Auch eine Aspiration (Material dringt in die Luftröhren ein) von Magensaft durch die Magensonde ist nicht möglich. Wird über die Magensonde Luft eingeblasen, lässt sich mit dem Stethoskop ein gurgelndes Geräusch über den Schulterblättern und dem Jugulum (Vertiefung am oberen Rand des Brustbeins) vernehmen, nicht aber über dem Magen. Dort sollte das Geräusch normalerweise zu hören sein.

Zum Beweis der Diagnose führt man dann eine Röntgenuntersuchung des Brustkorbs und des Bauches (Röntgen Thorax/Abdomen) durch. Es zeigen sich dann unterschiedliche Veränderungen, welche sich durch die verschiedenen Formen der Ösophagusatresie ergeben. Eine Luftansammlung auf Höhe des 3. Brustwirbelkörpers im Röntgenbild spiegelt eine Luftfüllung des oberen Blindsacks wieder. Beim Vorliegen einer unteren Fistel erkennt man eine Gasfüllung in Magen und Darm. Durch die Fistel tritt nämlich Luft aus den Atemwegen in den Verdauungstrakt aus.

Lesen Sie mehr zum Thema:  Röntgen des Brustkorbs (Röntgen Thorax)

Bei Vogt I, II und IIIa (siehe unten) zeigt sich keine Gasfüllung des Magens, da es hier keinen Fistelgang zwischen Ösophagus und Luftröhre gibt. Selten führt man eine Kontrastmitteluntersuchung durch, bei welcher es zu einem Kontrastmittelübertritt kommt, wenn eine Fistelbildung vorliegt. Eine Kontrastmitteluntersuchung erfolgt dann, wenn die Situation und die Art der Ösophagusatresie durch die normale Röntgenuntersuchung nicht deutlich wird. Man verwendet dafür wasserlösliches Kontrastmittel und führt mit diesem die Röntgenuntersuchung durch. Zur weiteren Diagnostik gehört eine Echokardiografie (Ultraschalluntersuchug des Herzens) und eine Ultraschalluntersuchung des Bauches. Zum einen dient dies der präoperativen Planung, zum anderen können so weitere Fehlbildungen gefunden werden.

Einteilung nach Vogt

Die verschieden Formen der Ösophagusatresie werden nach der Klassifikation von Vogt eingeteilt. Diese Einteilung besteht seit 1929. Man unterscheidet vier Typen der Ösophagusatresie. Die Einteilung berücksichtigt das Vorliegen einer Fistelbildung zur Luftröhre sowie einer Atresie (Fehlbildung) oder Aplasie (komplettes Fehlen) der Speiseröhre.

Beim Vogt Typ I handelt es sich um eine Ösophagusaplasie. Der Ösophagus fehlt also komplett. Mit circa 1 % ist diese Fehlbildung sehr selten.

Der Vogt Typ II bezeichnet eine langstreckige Ösophagusatresie ohne ösophagotrachealer Fistelbildung und macht circa 8 % der Gesamtheit aus.

Den Vogt Typ III unterteilt man in einen Typ IIIa, b und c. Eine Ösophagusatresie mit oberer ösophagotrachealer Fistel bezeichnet als Typ III a. Das untere Ende des Ösophagus endet hier blind. Mit einer Häufigkeit von >1 % ist dieser Typ sehr selten.

Die häufigste Ausprägung stellt der Vogt Typ IIIb dar, welcher circa 85% der Gesamtheit ausmacht. Dabei handelt es sich um eine Ösophagusatresie mit einer unteren ösophagotrachealen Fistel. 

Beim Typ Vogt IIIc liegt eine ösophagotracheale Fistelbildung sowohl am oberen als auch am unteren Segment vor. Diese Ausprägung liegt mit einer Häufigkeit von circa 5% vor.

Als sogenannte H-Fistel bezeichnet man den Vogt Typ IV. Dabei handelt es sich um eine ösophagotracheale Fistel ohne Atresie. Ihre Häufigkeit beträgt circa 2 %.

Behandlung

Operative Behandlung einer Ösophagusatresie

Eine operative Therapie ist die obligate Maßnahme beim Vorliegen einer Ösophagusatresie. Die Operation erfolgt nicht als Notfall-OP, sondern binnen der ersten 48 h nach der Geburt.

Eine Ausnahme stellt das Atemnotsyndrom oder eine massive Überblähung des Magens mit der Gefahr einer Ruptur( Zerreißen eines Organes) dar. Dann wird sofort operiert. Eine Verzögerung der primären Operation ist bei sehr niedrigem Geburtsgewicht oder Instabilität des Kindes möglich. Das primäre Ziel der Operation ist die Wiederherstellung einer kontinuierlichen Speiseröhre, sowie der Verschluss einer ösophagotrachealen Fistel, falls diese vorliegt. Das gewählte Verfahren hängt dabei von der Art der Fehlbildung ab.

Der Zugang erfolgt in der Regel über einen kleinen rechtsseitigen, vertikalen Schnitt an der rechten Achsel. Sollte kein großer Abstand zwischen den fehlgebildeten Abschnitten der Speiseröhre liegen, können die beiden Holhorgan-Enden über eine End-zu-End-Anastomose miteinander verknüpft werden. Das bedeutet, dass man die beiden Enden mit einer Naht verbindet. Beim Vorliegen eines sehr großen Abstandes zwischen den Enden oder einer zu geringen Länge der Speiseröhre, kann das Organ durch einen Organhochzug ersetzt werden. Dabei kann beispielsweise der Magen hochgezogen und mit der restlichen Speiseröhre verbunden werden, sodass sich eine funktionelle Speiseröhre nachbilden lässt. Es werden aber auch Dehnungsverfahren und das natürliche Wachstum der Speiseröhre genutzt, um eine ausreichende Länge dieser zu erreichen.

Zum Überbrücken der Zeit wird dem Neugeborenen bis zum definitiven OP-Termin dann eine sogenannte Speichel-Fistel angelegt. Dabei handelt es sich um einen künstlichen Magenausgang. Falls eine Fistelbildung zur Luftröhre besteht, muss diese operativ durchtrennt und verschlossen werden, da sonst Speisereste in die Lunge gelangen können. Das würde zu ständigen Lungenentzündungen und einer Zerstörung der Lunge führen. Nach der Operation erfolgt eine intensivmedizinische Betreuung. Die Kinder werden in der Regel etwa noch 2 bis 3 Tage postoperativ beatmet. Je nach Verlauf werden sie dann auch relativ schnell (ebenfalls nach 2 bis 3 Tagen) über die Magensonde ernährt. Nach circa 10 bis 12 Tagen erfolgt eine Kontrastmitteluntersuchung, bei welcher man den Operationserfolg beurteilt. Bei gutem Verlauf wird das Kind nun oral ernährt.

Ursachen & Prophylaxe

Die Entstehung einer Ösophagusatresie findet in der Embryonalzeit statt. Um zu verstehen, wie diese Fehlbildung entsteht, ist es ratsam sich die natürliche Entwicklung der Fetalzeit zu veranschaulichen. In der physiologischen Entwicklung bildet sich die Speiseröhre aus dem fetalen Vorderdarm, der sich vom Rachen (Pharynx) bis zum  Magen erstreckt. Ab dem 20. Schwangerschaftstag bildet sich am vorderen Rand dieses Vorderdarms eine Verdickung, in welcher sich Anteile der späteren Luftröhre beginnen zu differenzieren. Diesen Anteil bezeichnet man als respiratorisches Epithel. Bis zum 26. Schwangerschaftstag entwickeln sich zwei Röhren aus diesem Gebilde, nämlich die Speise- und die Luftröhre, welche durch das Septum ösophagotracheale, eine Art Trennwand, vollständig voneinander getrennt werden. Wenn es bei diesem Trennungsvorgang zu Störungen kommt, kann eine Ösophagusatresie entstehen. 

Wie häufig kommt eine Ösophagusatresie vor?

Die Ösophagusatresie stellt eine angeborene Fehlbildung dar, welche mit einer Häufigkeit von circa 1: 3500 Lebendgeburten weltweit einhergeht. Jungen sind mit 60% etwas häufiger betroffen als Mädchen. Davon ist die häufigste Ausprägung der Typ III b nach Vogt, nämlich die Ösophagusatresie mit unterer ösophagotrachealer Fistelbildung (Das untere Ende der Speiseröhre mündet also in die Luftröhre). Diese Ausprägung tritt in 85% der Fälle auf.

Die restlichen Ausprägungen nach Vogt treten mit weniger als 8% auf und sind eher selten. Eine familiäre Häufung, also das Auftreten der Fehlbildung bei mehreren Familienmitgliedern, ist selten. Bei Geschwisterkindern besteht eine Erkrankungswahrscheinlichkeit von 1%, bei eineiigen Zwillingen sind es 9%. Die Fehlbildung tritt sporadisch auf, sie ist also keinem bestimmten Genort zuzuordnen.

Die angeborene Ösophagusatresie ist häufig mit anderen angeborenen Fehlbildungen vergesellschaftet. Ungefähr 50% der Kinder mit einer Ösophagusatresie weisen zusätzlich weitere Fehlbildungen auf. Zu nennen ist die sogenannte VACTERL-Assoziation, deren Ursache weitestgehend unbekannt ist. Sie bezeichnet eine Kombination aus bestimmten Fehlbildungen. Im Einzelnen sind dies Fehlbildungen der Wirbelsäule (Vertebral), des Afterbereichs (Anal), des Herzens (Cor), der Luft- und Speiseröhre im Sinne einer Ösophagusatresie mit ösophagotrachealer Fistelbildung (Trachea und Oesophagus), der Nieren (Renal) und schließlich der Gliedmaßen (Limb).

Verlauf & Prognose

Der Zustand nach einer Ösophagusatresie bedarf in den ersten Jahren einer professionellen Nachbehandlung. Die Prognose( Heilungsaussicht) ist zwar gut, dennoch ergeben sich eine Reihe an postoperativen Komplikationen, mit denen zu rechnen ist.

Bei circa 40% der Kinder kommt es zu einem gastroösophagealen Reflux (Magensäure fließt zurück in die Speiseröhre), welcher im Kleinkindalter häufige bronchopulmonale Infekte (Infekte, die die Lunge sowie Bronchien betreffen) begünstigt. Der Reflux von Magensäure begünstigt die Aspiration kleiner Speisereste in die Luftröhre, was zu den Infekten führt. In einzelnen Fällen ist dann eine Operation (Fundoplikatio) am Mageneingang notwendig. Diese Operation sorgt dafür, dass keine Magensäure mehr in die Speiseröhre zurückfließen kann.

Eine weitere Folge ist eine erschwerte Nahrungsaufnahme. Gerade beim Umstellen von flüssiger auf feste Nahrung, kann es aufgrund einer Anastomosenenge (30-40%) zu Schwierigkeiten kommen. Eine Anastomosenenge oder Anastomosenstenose ist eine Verengung und oder ein Verschluss der operativen Verbindung der Speiseröhrenenden. Diese Verengungen kommen durch die narbige Struktur des operierten Gewebes zustande. Sollte dies der Fall sein, ist eine Aufweitung notwendig, welche in Allgemeinnarkose durchgeführt wird. Insgesamt ist die Lebensqualität von Kindern mit einer operierten Ösophagusatresie jedoch als sehr gut zu bezeichnen.

Weitere Informationen

Diese Themen könnten Sie ebenfalls interessieren:

Autor: Dr. Nikolas Gumpert Veröffentlicht: 20.01.2017 - Letzte Änderung: 27.10.2021