1 Einleitung: Politische Kultur als „subjektive Seite von Politik“

Pickel und Pickel (2015)

Rücktritte von Politikern und Politikerinnen sind ein fester Bestandteil der Fünften Republik, die seit 1958 das politische Leben Frankreichs regelt. Sie folgen unterschiedlichen Ansätzen, angefangen bei der Motivation, die hinter ihnen steht: Der Rücktretende mag Druck ausüben wollen, um seine Ideen durchzusetzen oder seine Karriere voranzutreiben, nach einer Wahlniederlage oder einem Misserfolg im Gesetzgebungsverfahren einen Schlussstrich ziehen oder durch einen Finanz- oder Sexskandal zum Rücktritt gezwungen werden. Dementsprechend können Rücktritte freiwillig oder unter Zwang erfolgen – dies kommt in dem paradoxen Terminus „être démissionné“ (gekündigt werden) zum Ausdruck, der in Medienkommentaren üblich ist und eine passive Dimension in einen Akt einführt, der doch aus einer persönlichen Entscheidung heraus erfolgen sollte. Abgesehen von diesen Unterschieden haben Rücktritte von Politikerinnen und Politikern gemeinsam, dass sie in der Öffentlichkeit sichtbar sind, meist von den Medien aufgegriffen und thematisiert werden, und somit dazu beitragen, politische Verhältnisse zu gestalten und zu verändern. In diesem Sinne sind Rücktritte eine Quelle des Wandels, ja sogar der Instabilität, die in manchen Fällen sogar zu einem Regierungswechsel führen kann. Somit stehen sie im Widerspruch zur Logik der Fünften Republik, die aus früheren institutionellen Systemen Lehren zieht und deren Verfassung gerade darauf abzielt, politische Stabilität und Effizienz rund um die starke Macht des Präsidenten der Republik zu gewährleisten, welchem Regierungsdisziplin und klare parlamentarische Mehrheiten untergeordnet sind.

Während solche und andere Merkmale des Rücktritts von Politikerinnen und Politikern in allen westlichen Demokratien zu finden sind, unterscheiden sich ihre Ausdrucksformen und noch mehr ihre Bedeutungen je nach dem politisch-kulturellen Kontext. Insofern beziehen sie ihre Bedeutung zum großen Teil aus der politischen Kultur des Landes, in das sie eingebettet sind, verstanden als „the set of fundamental beliefs, values and attitudes that characterize the nature of the political system and regulate the political interactions among its member“ (Glenda 1984, S. 279). Diese weist eine emotionale Dimension auf und wird von kollektiven historischen Erfahrungen genährt, wiederum „informed by myths and memories (for example, about France, about leadership, about past leaders, about imagined relationships between leaders and regime and nation, and between people and leaders).“ (Gaffney 2010, S. 4) In diesem Zusammenhang sieht Gaffney (2010, S. 9) in der Bedeutung, die der Performance von Politikerinnen und Politikern beigemessen wird, eines der Merkmale der politischen Kultur Frankreichs: „the political dramatization of self and of events by de Gaulle [als erster Präsident der Fünften Republik, der sie massgeblich geprägt hat, Anm. C. D.], became a constituent element of political life ; and whether real or imagined or rhetorically constructed, drama becomes continual (…), in perceptions, in language, and (…) in reality.“

Im Sinne einer vergleichenden Analyse der politischen Kultur (Pickel und Pickel 2015) werden in diesem Beitrag Rücktritte von Politikerinnen und Politikern in Frankreich im Lichte politisch-kultureller Elemente untersucht. Nach einer Skizzierung des institutionellen Rahmens von Rücktritten werden diese anhand von zwei Hauptkategorien von Motiven behandelt, die insofern ausgewählt wurden, als sie Besonderheiten des politischen Systems und der politischen Kultur Frankreichs aufzeigen: Zum einen als Folge von politischen Meinungsverschiedenheiten, zum anderen nach Skandalen unterschiedlicher Natur.Footnote 1 Da das politische System Frankreichs semi-präsidentiell angelegt ist und die Macht zwischen dem Präsidenten und dem Parlament aufgeteilt ist, bietet es sich an, Persönlichkeiten zu berücksichtigen, die auf den beiden Hauptebenen des politischen Systems tätig sind: Einerseits die Exekutive, die sowohl vom Staatsoberhaupt als auch von der Regierung und den Ministern, aus denen sie sich zusammensetzt, verkörpert wird; andererseits die Legislative. Diese zweite Ebene wird anhand der Abgeordneten der Nationalversammlung aufgegriffen, da sie in allgemeiner Direktwahl gewählt werden und ihre Aktivitäten daher stärker in der Öffentlichkeit präsent sind als die der Senatoren der zweiten Kammer.

2 Institutioneller Rahmen und Praxis der V. Republik

Im politischen System der Fünften Republik spielt das Staatsoberhaupt eine zentrale Rolle, nicht nur, weil er über weitreichende Machbefugnisse in der Innen- sowie in der Außen- und Sicherheitspolitik verfügt, sondern auch, weil er eine Schlüsselfunktion im politisch-institutionellen Prozess des Landes einnimmt. Dazu gehören u. a. die Ernennung des Premierministers, die Auflösung der Nationalversammlung, der Ausruf des Notstands und die Ernennung der Mitglieder des Verfassungsrates. Insofern verkörpert und konzentriert der Präsident eine politische Macht von zentralistischer Natur (vgl. Schild 2022). Dennoch – oder vielleicht gerade wegen des monarchischen Charakters seiner Rolle – räumt die französische Verfassung dem Rücktrittsgesuch des Präsidenten keine rechtliche Existenz ein: Eine solche Möglichkeit wird nicht wirklich in Betracht gezogen und ihre Modalitäten werden nicht erläutert. In der Tat ist dies in der Geschichte der Fünften Republik nur ein einziges Mal vorgekommen, und das Ereignis erschien damals so ungewöhnlich, dass manche darin einen „politischen Selbstmord“ oder eine „Fehlkalkulation“ erkannt haben (vgl. Fessard de Foucault 2009, S. 44).

Der einzige Präsident, der von seinem Amt bislang zurückgetreten ist, ist Charles de Gaulle, der erste Staatsoberhaupt der Fünften Republik, deren Verfassung ihm auf den Leib geschneidert wurde und die er in seiner Machtpraxis bis heute stark stilbildend geprägt hat: „De Gaulle’s Republic was not only created by his own use of ‚persona‘ and its interaction with the dying political days of the Fourth Republic, (…) it made persona, its discursive performance, and its relation to opinion an essential feature of the new republic. (…) The personal within the institutional configuration brings the discursive and rhetorical to the fore.“ (Gaffney 2010, S. 89) Auf seine Initiative hin wurde das französische Volk am 27. April 1969 in einem Referendum über eine Reform des Senats in Verbindung mit der Umsetzung eines ehrgeizigen Regionalisierungsprojekts befragt. Die Verfassung zwang ihn weder dazu, ein Referendum über ein so technisches Thema abzuhalten, dessen Feinheiten die französischen Wählerinnen und Wähler nicht unbedingt verstanden oder für das sie sich kaum interessierten, noch dazu, seine politische Zukunft vom Ergebnis des Referendums abhängig zu machen. Dennoch machte er in einem Interview mit der Presse am 10. April 1969, von dem 75 % der Wähler damals angaben, es zu kennen, kein Geheimnis aus seinen Absichten: „De la réponse que fera le pays à ce que je lui demande va dépendre évidemment, soit la continuation de mon mandat, soit aussitôt mon départ.“Footnote 2

Abseits von verfassungsrechtlichen Zwängen ging es ihm darum, seine persönliche Autorität in einem Umfeld, in dem seine Popularität angeschlagen war, unmissverständlich zu bekräftigen, wie er es bei früheren Referenden in den Jahren 1962, 1965 und 1968 erfolgreich getan hatte. Wie Schild feststellt, ist die französische Politik durch eine starke Personalisierung gekennzeichnet, die in der Person/Funktion des Staatspräsidenten ihre vollendetste Form findet und sich in einer sehr engen Bindung zwischen dem Volk und ihm niederschlägt. Diese Verbindung wird als Interaktion verstanden, insbesondere bei der Direktwahl des Präsidenten, aber in der Zeit danach auch durch die Massenmedien: „Eine informelle Machtressource, derer sich alle Präsidenten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, zu bedienen wussten, ist die politische Kommunikation über das Fernsehen. Schon General de Gaulle war ein Meister in der Nutzung dieses Massenmediums für seinen direkten Dialog mit der Bevölkerung.“ (Schild 2022) In dieselbe Logik fügt sich auch das Referendum von 1969 ein, mit dem erreicht werden sollte, dass „le rapport au peuple soit revivifié, vérifié“ (Fessard de Foucault 2009, S. 47), dass „his emotional relationship with the French and, even more importantly still, the wider role played by emotion in French political relationships“ (Gaffney 2010, S. 89) wiederbelebt wird.

Da das „Nein“ eine Mehrheit von 52,41 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt, wohl eher aus Ablehnung De Gaulles als der Reform, trat der Präsident noch am selben Abend zurück: „Je cesse d’exercer mes fonctions de président de la République. Cette décision prend effet aujourd’hui à midi.“ Am nächsten Tag übernahm der Präsident des Senats das Amt bis zu einer neuen Präsidentschaftswahl am 15. Juni desselben Jahres. Obwohl diese Erfahrung für die politische Geschichte Frankreichs prägend war, hielt sie andere Präsidenten nicht davon ab, künftig Volksabstimmungen zu initiieren. Einige scheiterten, wie Jacques Chirac beim Referendum über die EU-Verfassung im Jahr 2005: In den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit war seine Handlungsvermögen deswegen zwar gelähmt, aber wie alle anderen seiner Vorgänger trat er nicht zurück.Footnote 3

In Bezug auf den Rücktritt des Premierministers und seiner Regierung ist die Verfassung expliziter als im Fall des Staatspräsidenten, auch wenn sie nicht festlegt, wie der Rücktritt einzureichen ist. Artikel 8 der Verfassung regelt, dass der Präsident der Republik den Premierminister ernennt, aber auch dessen Amt beendet, wenn dieser den Rücktritt der Regierung einreicht. Der Rücktritt des Premierministers entzieht sich somit einer individuellen Logik und wirkt sich auf die gesamte Regierung aus, während die Ministerinnen und Minister einzeln zurücktreten können (vgl. Samuels und Shugart 2010). Ein Rücktritt kann verschiedene Gründe haben, wobei die beiden häufigsten die Präsidentschaftswahlen sind, bei denen systematisch eine neue Regierung um einen vom neu gewählten Präsidenten ernannten Premierminister gebildet wird, oder die Parlamentswahl bzw. ein anderes wichtiges politisches Ereignis, die/das zu einer umfassenden Kabinettsumbildung führt, die jedoch nicht zwangsläufig mit einem Wechsel des Premierministers verbunden ist (Gicquel 2005). In diesem Fall spricht man von einer „démission de courtoisie“ (Rücktritt aus Höflichkeit), da es sich um ein Angebot des Premierministers an den Präsidenten handelt, das dieser jedoch ablehnen kann – wie es nach den Parlamentswahlen im Juni 2022 der Fall war, als Premierministerin Elisabeth Borne Präsident Emmanuel Macron den Rücktritt der Regierung anbot. Darüber hinaus muss der Premierminister den Rücktritt seiner Regierung einreichen, wenn die Nationalversammlung dem Regierungsprogramm oder einer allgemeinen politischen Erklärung das Misstrauen ausgesprochen hat (Artikel 49 Absatz 1 der Verfassung) oder wenn ein Misstrauensantrag angenommen wurde (Artikel 49 Absatz 2 der Verfassung). In der Praxis sind solche Situationen jedoch die Ausnahme, da die erste noch nie und die zweite nur einmal im Jahr 1962 vorgekommen ist.

Der Rücktritt von Abgeordneten unterliegt, ähnlich wie bei Ministerinnen und Ministern, einer individuellen Logik. In dem von der Nationalversammlung veröffentlichten Abgeordnetenstatut (vgl. Assémble nationale o. J.) wird nur ein einziger spezifischer Fall des Rücktritts erwähnt, konkret die Unvereinbarkeit von beruflichen Tätigkeiten mit dem Parlamentsmandat, nämlich die gleichzeitige Ausübung von Wahlmandaten seit 2014 untersagt. Die betroffenen Abgeordneten haben dreißig Tage Zeit, um ihre Situation zu klären, d. h. eines ihrer Mandate zu beenden, und werden andernfalls zum Rücktritt gezwungen. Darüber hinaus ist ein Rücktritt erforderlich, wenn ein Abgeordneter eine verbotene Handlung begeht, z. B. im Zusammenhang mit der Verwendung seines Titels. In einem solchen Fall ist die Anwendung nicht nur mit sofortiger Wirkung, sondern der Rücktritt entspricht einem passiven Vorgehen, bei dem der betreffende Abgeordnete vom Verfassungsrat auf Antrag des Präsidiums bzw. des Justizministers von Amts wegen zum Rücktritt erklärt wird.

3 Loyalität, Frustration und Ehre: Das explosive Potenzial politischer Meinungsverschiedenheiten

In der politischen Kultur Frankreichs kann eine bestimmte Art des Rücktritts mit einem Prinzip der Noblesse (vgl. Perraud 2016), ja sogar der Reinheit verbunden sein, da er es dem Politiker, der sich dazu entschließt, ermöglicht, seinen Prinzipien treu zu bleiben: lieber gehen als Abstriche bei den eigenen Prinzipien und Werten zu machen. Diese Besonderheit lässt sich durch verschiedene Faktoren erklären. Zunächst einmal entspricht es einem System, in dem eine direkte Verbindung zwischen der Exekutive – verkörpert durch den Präsidenten – und dem souveränen Volk in seiner Einheit angenommen wird, wie der Rücktritt von General de Gaulle als Präsident der Republik im Jahr 1969 gezeigt hat. Darüber hinaus kann der Akt des Rücktritts auch deshalb als nobel angesehen werden, weil in Frankreich die politischen Beziehungen und sogar die Beziehungen zwischen den sozialen Akteuren eher durch Konfrontation als durch Kompromiss geregelt werden (vgl. Dulong 2019) – im Gegensatz zum föderalen System in Deutschland beispielsweise. Die phonetische Nähe zwischen den Begriffen „compromis“ (Kompromiss) und „compromission“ (Kompromittierung) ist ein Hinweis auf die Assoziation, die zwischen den beiden Begriffen in der politischen Praxis und Analyse des politischen Lebens hergestellt wird. In diesem Zusammenhang wird ein Kompromiss als ein Akt der Schwäche, ein Verlust an Autorität angesehen, während ein Rücktritt unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit bieten kann, sich zu behaupten und wieder an Größe zu gewinnen.

Schließlich führt die Dominanz des Staatspräsidenten im System der Fünften Republik zu einer Unterordnung der anderen politischen Akteure, angefangen beim Premierminister, aber auch der Abgeordneten der „Präsidentenmehrheit“. Von ihnen wird erwartet, dass sie der politischen Linie des Präsidenten und seines Premierministers treu bleiben, was bei Meinungsverschiedenheiten zu Spannungen oder sogar zu Konflikten führen kann, die in die öffentliche Meinung getragen werden. In diesem Fall kann ein Rücktritt eine Möglichkeit sein, sich zu positionieren, um in einem naturgemäß ungleichen Kräfteverhältnis wieder präsent zu sein, aber auch, um einen gewissen Stolz zurückzugewinnen. Es ist daher kein Zufall, dass in den ersten Jahren der Fünften RepublikFootnote 4 die meisten Rücktritte von Ministern durch politische Meinungsverschiedenheiten begründet waren. So traten beispielsweise Innenminister Jean Berthoin und Landwirtschaftsminister Roger Houdet, die ebenfalls Senatoren waren, im Mai 1959 aufgrund der Spannungen zwischen dem Premierminister und dem Senat zurück, oder Finanz- und Wirtschaftsminister Antoine Pinay im Januar 1960, weil er mit dem Premierminister und dem Präsidenten der Republik nicht einer Meinung war. Solange sie eine tiefe Meinungsverschiedenheit zwischen Regierungsmitgliedern aus verschiedenen Strömungen oder Parteien unterstreichen, können solche Rücktritte eine kollektive Dimension annehmen. Dies war im Mai 1962 nach einer Pressekonferenz von Präsident De Gaulle der Fall, auf der er seine Idee eines Europas der Nationen verteidigte und eine europäische Integration mit Volapük als Amtssprache – als vereinfachte und homogenisierte Sprache, in der die Stimmen der großen Länder untergehen würden – verhöhnte. Für die fünf Minister der Regierung, die für ein föderales Europa plädierten und alle Mitglieder der Mouvement républicain populaire (aus der Résistance hervorgegangene Zentristen) waren,Footnote 5 war diese Erklärung Grund genug, sofort zurückzutreten, um gegen als anti-europäisch interpretierte Äußerungen zu protestieren (vgl. Rakotoarison 2022).

Der Akt des Rücktritts aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten wurde von einem Minister thematisiert, der ihn auch mehrfach in die Tat umsetzte. Im März 1983 trat Jean-Pierre Chevènement, der sowohl Bürgermeister von Belfort als auch Minister für Forschung und Industrie war, aus der Regierung von Pierre Mauroy zurück.Footnote 6 Er, der zum linken Flügel der Sozialistischen Partei gehörte, war mit der Europapolitik von Präsident Mitterrand und insbesondere mit dessen Weigerung, Frankreich aus dem Europäischen Währungssystem austreten zu lassen, nicht einverstanden. Einige Wochen zuvor hatte er einen Satz gesagt, der in der französischen Politik berühmt wurde: „Ein Minister hält entweder seine Schnauze oder er tritt zurück.“ Wie Magali Gravier (vgl. 2003) feststellt, verweist dieser Satz und die damit einhergehende Praxis auf eine in der politischen Kultur Frankreichs ausgeprägte Vorstellung von Loyalität, der zufolge ein loyaler Politiker die Interessen seiner Gruppe verteidigen muss. Folglich hat jemand, der mit seiner Partei oder der Regierung, der er angehört, nicht einverstanden ist, statt Kritik von innen zu üben, keine andere Wahl, um sich treu zu bleiben und insofern moralisch zu handeln, als zu gehen: „Cette célèbre formule trouve son fondement dans l’impossibilité morale à adopter une posture critique de l’intérieur. Elle repose sur une conception simple de la loyauté opposant un ‚nous‛ faisant bloc, autrement dit un tout harmonieux parlant nécessairement à l’unisson, à un ‚eux‛ d’où seul peuvent venir les critiques et/ou attaques, fussent-elles seulement verbales“ (ebd., S. 80).Footnote 7

Seitdem hat dieses Prinzip zahlreiche politische Rücktritte in Frankreich begleitet, bei denen sich die Hauptbetroffenen auf ihre Werte berufen. Dies gilt für Landwirtschaftsminister Michel Rocard 1985, der sich gegen die Einführung des Verhältniswahlrechts bei den Parlamentswahlen aussprach, in dem er ein Risiko sah, die extreme Rechte zu begünstigen; für Justizministerin Christiane Taubira im Jahr 2016, die mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft für in Frankreich geborene und wegen terroristischer Verbrechen verurteilte Doppelstaatler nicht einverstanden war und ihren Rücktritt ausdrücklich als Akt des Widerstands deklarierte: „Parfois résister c’est rester, parfois résister c’est partir. Par fidélité à soi, à nous. Pour le dernier mot à l’éthique et au droit“Footnote 8 (Taubira 2016a; vgl. dies. 2016b; Astor 2016); oder für den ehemaligen Umweltaktivisten Nicolas Hulot, der seinen Posten als Minister für den ökologischen und solidarischen Wandel wegen Unzufriedenheit mit der Umweltpolitik der Regierung aufgab und in einem explosiven Radiointerview eine moralische Erklärung anführte: „Je ne veux plus me mentir“ (2018).Footnote 9 Der Rücktritt wird hier mit einer Form der wiedergefundenen Reinheit in Verbindung gebracht, die insofern edel und ehrenwert ist, als sie es einem ermöglicht, nicht nur sich selbst und seinen tiefsten Überzeugungen, sondern auch den Versprechen gegenüber den Wählerinnen und Wählern treu zu bleiben.

Die zahlreichen Rücktritte während der Präsidentschaft von Francois Hollande (2012–2017) waren ein Zeichen für eine regierende Linke, die Schwierigkeiten hatte, sich auf eine eindeutige politische Linie zu einigen – vor dem Hintergrund einer Identitätskrise der Sozialdemokratie. Abgesehen von Christiane Taubira in einer innenpolitischen Frage gaben mehrere Repräsentanten des linken Flügels der Sozialistischen Partei ihre Ministerposten auf, weil sie die Sozial-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Regierung für zu liberal hielten. So Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, der immer wieder seinen Rücktritt aus der Regierung in Aussicht stellte, weil er das Dogma der Haushaltsorthodoxie anprangerte (vgl. Bonnefous und Revault d’Allonnes 2014) – und schließlich 2014 zurücktrat oder zurückgetreten wurde, wobei beide Versionen nebeneinander bestehen. Auch Cécile Duflot (Wohnungsbau), Benoît Hamon (Bildung) und Aurélie Filippetti (Kultur) haben sich während der fünfjährigen Amtszeit von Hollande aus Frustration für einen Rücktritt entschieden und sich dabei auf eine moralische Haltung berufen: „Il y a un devoir de solidarité, mais il y a aussi un devoir de responsabilité vis-à-vis de ceux qui nous ont fait ce que nous sommes. Je choisis pour ma part la loyauté à mes idéaux.“Footnote 10 (Filippetti 2014)

Während der Amtszeiten von Emmanuel Macron, die auf die Präsidentschaft von Francois Hollande folgten (2017–2022 und 2022–2027), war die politische Konstellation eine andere. Der Kandidat hatte ursprünglich den Ehrgeiz, die traditionelle Links-Rechts-Spaltung zu überwinden und sie durch eine neue Trennlinie zwischen Nationalismus und Progressismus bzw. Weltoffenheit zu ersetzen, die einerseits von seiner Bewegung und andererseits von Marine Le Pens Partei verkörpert wird (vgl. Demesmay 2018) – mit begrenztem Erfolg, da in der Parteienlandschaft Frankreichs beide Linien nun nebeneinander bestehen. Folglich war es nicht so sehr die Schwierigkeit, eine beanspruchte linke Politik zu betreiben, die innerhalb der Regierung zu den Spannungen führte, sondern die Unmöglichkeit des von Emmanuel Macron versprochenen „sowohl, als auch“. Auch hier waren es sozial-ökonomische Themen, die zu Rücktritten aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten führten, insbesondere die Rentenreform, „die schwierigste und zugleich symbolträchtigste aller Reformen, die sich Macron und sein Team vorgenommen haben“ (Dies. und Hamann 2019, S. 2). In den Reihen der Mehrheitsabgeordneten, die über ein sehr unpopuläres Gesetz abstimmen sollten, führten sowohl die Gesetzesvorschläge der Regierung als auch ihre Vorgehensweise zu Spannungen. Da ihre Forderung, das Gesetz flexibler zu gestalten, nicht erhört wurde, zogen mehrere Abgeordnete persönliche Konsequenzen und traten aus der Partei aus (vgl. Bordas und Brahim 2021, S. 221 ff.). Wie aus der Erklärung von Annie Chapelier hervorgeht, einer Abgeordneten, die im Januar 2020 ihren Austritt aus La République en Marche erklärte, hallte die Formel von Jean-Pierre Chevènement durch das Plenarsaalgebäude: „[Fermer sa gueule et lever la main,] c’est un peu le sentiment qu’on a et qu’on attend d’un député de la majorité. Moi je continuerai à lever la main quand bon me semblera.“Footnote 11 (Ebd., S. 221)

4 Politische Skandale zwischen Unterhaltung und Anspruch auf Transparenz

Im Kontrast zu Rücktritten, die auf Meinungsverschiedenheiten über die Regierungspolitik zurückzuführen sind, stehen Rücktritte als Folge von politischen Skandalen. Während erstere meist bewusst eingegangen, ja sogar eingefordert werden, und mit einem gewissen Stolz verbunden sind, sind letztere oft gezwungen und mit einem Makel versehen. Skandale sind keineswegs eine Besonderheit der französischen Politik, doch in einer Demokratie, in der die Performance den Takt des politischen Lebens vorgibt, spielen sie in der Öffentlichkeit eine besondere Rolle und sind Gegenstand einer spezifischen Medienberichterstattung (vgl. Robert 2014). Darüber hinaus sind bestimmte Arten von Skandalen mehr oder weniger stark vertreten: Die häufigsten Skandale unter französischen Politikern sind finanzieller – z. B. im Zusammenhang mit persönlicher Bereicherung – und sexueller Natur, Plagiatsaffären sind dagegen kaum vertreten. Der Grund dafür liegt in der Struktur der politischen Elite, die größtenteils an den renommierten „Grandes Ecoles“ (u. a. Sciences Po und Ecole Nationale d’Administration, seit 2022 Institut National du Service Public genannt) ausgebildet wird. Diese stellen einen parallelen Königsweg zur klassischen Universitätsausbildung dar, bei der kein Doktortitel verlangt wird – im Gegensatz zu Deutschland ist dieser de facto nur für eine wissenschaftliche Karriere erforderlich und kommt insofern in der Politik selten vor (vgl. Joly und Weske 2009). Zwar besteht in Frankreich eine Tradition politischer Bücher, und jeder Präsidentschaftskandidat muss ein solches Buch veröffentlichen, um sich selbst zu legitimieren und ernst genommen zu werden (vgl. Le Bart 2012), aber solche Bücher sind keineswegs wissenschaftlich und die Gefahr von Plagiaten ist daher sehr gering. Die engen Verbindungen zwischen den politischen und wirtschaftlichen Eliten innerhalb des Pariser Mikrokosmos tragen hingegen eher zu anderen Arten von Skandalen bei.

Zahlreiche Bücher, oft von investigativen Journalisten verfasst, gehen politischen Skandalen auf den Grund und zeichnen so eine geheime Geschichte der Republik Frankreichs nach, die parallel zur offiziellen Geschichte verläuft (vgl. Faligot und Guisnel 2007; Broussard und Pontaut 2019). Es geht um Parteienfinanzierung, Konten in der Schweiz oder auch fiktive Beschäftigungsverhältnisse, und manche Fälle ähneln einer Seifenoper mit immer neuen Wendungen. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, all die Affären der Fünften Republik aufzulisten, die im Übrigen bei weitem nicht alle zu Rücktritten geführt haben, aber wenn man an einige erinnern müsste, dürfte die Affäre der „Bokassa-Diamanten“ nicht fehlen – benannt nach dem ehemaligen zentralafrikanischen Kaiser, der 1979 erklärte, Präsident Valéry Giscard d’Estaing Diamanten geschenkt zu haben, und die das Ende von dessen Amtszeit vergiftete (vgl. Tipsmark Bouchet 2013, S. 87–103). Man denke auch an die „Elf-Affäre“, einen der größten finanzpolitischen Skandale, der 1994 aufflog. Demnach beherbergte das staatliche Ölunternehmen Elf ein umfassendes Korruptionssystem, das nicht nur die Bereicherung seiner wichtigsten Manager, sondern auch die Bezahlung afrikanischer Machthaber im Rahmen enger Beziehungen zur französischen Exekutive ermöglichte (vgl. Jaffré 2006).

Die Praxis hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten stark verändert und die Toleranz der Öffentlichkeit gegenüber politischer Korruption ist heute viel geringer als zu Beginn der Fünften Republik. Wie der ehemalige Untersuchungsrichter Renaud Van Ruymbeke (vgl. 2022) feststellt, der über 40 Jahre lang die größten Finanzaffären Frankreichs untersuchte, hat sich die Justiz seit den 1990er-Jahren allmählich von der Einflussnahme durch die Politik gelöst. Letzterer spricht von einer „Revolution“, als Ergebnis eines langen Machtkampfes zwischen politischen Führungskräften bzw. Parteien unterschiedlicher Couleur auf der einen Seite und Untersuchungsrichtern auf der anderen. Ein erster Wendepunkt fand schon 1972 statt, als Staatssekretär Philippe Dechartre drei Wochen nach seiner Verurteilung in einer Immobilienaffäre zum Rücktritt gezwungen wurde. Es handelte sich dabei um den ersten Rücktritt eines Ministers aufgrund von juristischen Schwierigkeiten, der in erster Linie dazu diente, die Regierung zu schützen und die Stabilität ihrer Politik zu sichern. Erst zwanzig Jahre später, etablierte sich diese ungeschriebene Regel, die inzwischen als „Bérégovoy-Balladur-Rechtsprechung“ bekannt ist: Jeder Minister, gegen den eine Anklage erhoben oder der in einem Rechtsfall beschuldigt wird, soll zurücktreten. Als Bernard Tapie, Geschäftsmann und kurzzeitiger Stadtminister, 1992 in einer privatrechtlichen Angelegenheit angeklagt war, forderte ihn der sozialistische Premierminister Pierre Bérégovoy zum Rücktritt auf. Sein Nachfolger, der konservative Édouard Balladur, setzte diese Praxis fort: Im Juli 1994 musste sein Minister für Kommunikation Alain Carignon seinen Rücktritt einreichen, kurz bevor er wegen „Hehlerei und Beihilfe zum Missbrauch von Gesellschaftsvermögen“ in einer Affäre um das Unternehmen Lyonnaise des Eaux angeklagt wurde; er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt und verbrachte 29 Monate in Haft.

Seitdem sind immer wieder Ministerinnen und Minister im Zusammenhang mit Affären zurückgetreten, wie etwa Dominique Strauss-Kahn, Minister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie der Regierung Jospin im Jahr 1999 oder 2017 Justizminister François Bayrou und Verteidigungsministerin Sylvie Goulard gleich zu Beginn der ersten Amtszeit Macrons. Inzwischen ist keine Verurteilung mehr notwendig, um zu einem Rücktritt zu führen, sondern bestimmte Enthüllungen reichen aus. So beispielsweise François de Rugy, Minister für den ökologischen und solidarischen Wandel in der zweiten Regierung von Édouard Philippe, der im Juli 2019 zurücktreten musste, nachdem es zu Polemiken um pompöse Abendessen während seiner Zeit als Präsident der Assemblée nationale gekommen war. Dieses Prinzip ist jedoch nicht in der Verfassung verankert und wird daher manchmal mit einer gewissen Flexibilität angewandt, je nach dem politischen Gewicht der betroffenen Personen und ihrer strategischen Rolle innerhalb der Regierung. So blieb Justizminister Eric Dupont-Moretti 2022 auf seinem Posten, nachdem bekannt wurde, dass er wegen „illegaler Interessenwahrnehmung“ vor den Gerichtshof der Republik gestellt werden soll – und dies, obwohl Präsident Macron bereits im Wahlkampf 2017 behauptete, dass ein Minister, gegen den ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, zurücktreten müsse. Außerdem gilt die „Bérégovoy-Balladur-Rechtsprechung“ zwar für Minister, nicht aber für Abgeordnete. Die öffentliche Meinung Frankreichs toleriert als unmoralisch empfundene Situationen von Politikerinnen und Politikern weniger als noch vor einigen Jahrzehnten, und einige Abgeordnete treten lieber zurück. Allerdings gibt es in diesem Bereich keine systematische Regel (vgl. Bordas und Brahim 2021, S. 202 f.), wie der Fall des Abgeordneten Adrien Quatenns zeigt, der 2023 wegen häuslicher Gewalt zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde und vorübergehend von seiner Fraktion suspendiert wurde, aber einen Rücktritt von seinem parlamentarischen Amt ausgeschlossen hat.

Neben der erwähnten Rechtsprechung wurde das Rechtssystem Frankreichs seit Anfang der 2010er-Jahre durch Gesetze zur sog. „Moralisierung des öffentlichen Lebens“ bereichert, mit dem Ziel, die Möglichkeiten von politischen Affären einzuschränken und so das Vertrauen zwischen den Bürgern und den Politikern zu stärken. Ausgangspunkt war 2013 der Skandal um den stellvertretenden Haushaltsminister Jérôme Cahuzac, der der Geldwäsche und Steuerhinterziehung beschuldigt wurde und zurücktrat, nachdem ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden war. Unter den verschiedenen Maßnahmen des neuen Gesetzes von 2013 ist die Verpflichtung zur Interessenerklärung für öffentliche Amtsträger (Präsidentschaftskandidaten, Regierungsmitglieder, Parlamentarier, hohe Beamte usw.) hervorzuheben. Außerdem wurde 2014 die Hohe Behörde für die Transparenz des öffentlichen Lebens (Haute Autorité pour la transparence de la vie publique) gegründet, eine unabhängige Verwaltungsbehörde, die die Kommission für die finanzielle Transparenz des politischen Lebens ablöste und mit umfangreicheren Befugnissen und Ressourcen ausgestattet wurde (vgl. Haute Autorité pour la transparence de la vie publique o. J.). Im August 2017 wurde dieses rechtliche Gefüge durch zwei neue Gesetze ergänzt, die um den Grundsatz der Transparenz herum konzipiert wurden, und deren Ansatz daher untrennbar mit dem Anspruch einer guten Regierungsführung und damit dem Ideal der Demokratie verbunden ist (vgl. Puydebois 2019).Footnote 12

5 Fazit: Das politische Vertrauen auf dem Prüfstand

Die politische Kultur Frankreichs, als „subjektive Seite von Politik“ betrachtet, und die damit einhergehende demokratische Praxis lassen einige französische Besonderheiten erkennen, die durch die Rücktritte von Politikern hervorgehoben werden können. In der Fünften Republik können Letztere eine Frage der Ehre sein, um bei Meinungsverschiedenheiten mit der Regierungspolitik den rechten Kopf zu behalten, oder im Gegenteil das unausweichliche und beschämende Ergebnis eines Skandals. Während die erste Kategorie von Rücktritten in den letzten Jahrzehnten eine Konstante im französischen Kontext geblieben ist und sich durch die tiefgreifenden Transformationen des Parteiensystems sogar noch verstärkt hat, haben sich die Rahmenbedingungen für die zweite Kategorie grundlegend verändert. Seit den 1990er-Jahren und noch stärker seit Anfang der 2010er-Jahre akzeptiert die Öffentlichkeit immer weniger Skandale von Politikern und die Forderungen nach Konsequenzen werden lauter. Parallel dazu – und vermutlich lässt sich ein Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen herstellen – hat das Vertrauen der französischen Bevölkerung in die politischen Akteure und Institutionen ihres Landes in den letzten Jahren stetig nachgelassen. Während bei Easton (vgl. 1965) Vertrauen unmittelbar auf politische Unterstützung als Einstellung der BürgerInnen zum politischen System verweist, zeigte Putnam (vgl. 1993), dass es die Voraussetzung für das gute Funktionieren eines kooperativen Systems ist: „trust lubricates cooperation. The greater the level of trust within a community, the greater the likelihood of cooperation. And cooperation itself breeds trust“ (ebd., S. 171).

Seit Jahren lassen Meinungsumfragen erkennen, dass das Vertrauen der Französinnen und Franzosen in die politischen Institutionen im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen in Europa gering ist. So gaben Anfang 2023 in Frankreich lediglich 26 % bzw. 28 % der Befragten an, Vertrauen in jeweils die Regierung und das Parlament – in diesem Fall die Nationalversammlung – zu haben, im Vergleich zu 34 bzw. 33 % im Durchschnitt der vier betreffenden Länder (Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien) und 46 % insbesondere in Deutschland (Opinionway und Sciences Po 2023). In dieser Konstellation erhielten die wichtigsten nationalen Akteure ein sehr niedriges Vertrauensniveau, das zwischen 27 % für die Premierministerin, 36 % für die Abgeordneten und 29 % für den Staatspräsidenten schwankte. Die Bürgermeister hingegen schnitten gut ab und hatten mit 57 % der abgegebenen Meinungen das höchste Vertrauensniveau aller bewerteten Akteure. Diese sind zwar nicht Gegenstand dieser Analyse über politische Rücktritte in Frankreich, doch ist festzustellen, dass das Vertrauen, das ihnen – zumindest vergleichsweise relativ – entgegengebracht wird, sie nicht vor dem Phänomen schützt. Im Frühjahr 2023 wurde der Rücktritt des Bürgermeisters von Saint-Brevin-les-Pins, einer Kleinstadt in Westfrankreich, nachdem er durch einen Brandanschlag auf sein Haus ins Visier genommen worden war, zum Symbol für die Zunahme freiwilliger Rücktritte von Bürgermeistern in einem Kontext von Zwischenfällen und Gewalttaten. Der Politikwissenschaftler Martial Foucault (vgl. 2020) führt mehrere Erklärungsfaktoren an und nennt unter anderem einen Mangel an finanziellen Mitteln und eine sehr angespannte nationale politische Situation, die mit einer Polarisierung verbunden ist, die sich in vorwiegend verbaler Gewalt äußert. In diesem Sinne sind Rücktritte nicht nur ein Indikator für den politisch-kulturellen Kontext eines Landes und seine demokratische Funktionsweise, wie zum Beispiel Wahlenthaltung und extremistisches Wahlverhalten. Sie können auch zur Weiterentwicklung politischer Praktiken und der politischen Kultur, in der sie verankert sind, beitragen – sofern sie mit einem Bewusstsein für die Schwierigkeiten und dem Willen, diese zu lösen, einhergehen.