Rock ‘n’ Roll in Musik | Schülerlexikon | Lernhelfer

Rock ‘n’ Roll

Herkunft und Geschichte des Begriffs

Die Bezeichnung ist der afroamerikanischen Blues-Sprache entnommen. Die Phrase „rock and roll“ gehörte zum Standardvokabular vieler Rhythm & Blues-Texte, wo sie häufig auch in den Titeln zu finden ist, wie beispielsweise in „Good Rockin’ Tonight“ (ROY BROWN, 1947) oder in „Rock All Night Long“ (RAVENS, 1948). Rock ‘n’ Roll ist in der Sprache der Afroamerikaner ein vieldeutiger Slang-Ausdruck

  • sowohl zur Umschreibung des Geschlechtsverkehrs
  • als auch für rhythmische Bewegungsvorgänge anderer Art (die Schienenstöße der Eisenbahn).

Als allgemeine Bezeichnung für die von Teenagern damals gefeierte Musik wurde sie 1953 von dem Radio-Discjockey ALAN FREED (1921–1965) im Titel einer Rundfunksendung eingeführt. Er benannte sein „Record Rendezvous“ bei der Station WJW in Cleveland im Juli 1953 in „The Moondog Rock and Roll House Party“ um. Ab 1954 lief sie als „ALAN FREEDs Rock ‘n’ Roll Party“ über die Station WINS in der Musikmetropole New York, wo sie eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Popularität erzielte. Seine Musikauswahl hauptsächlich aus dem Umfeld des afroamerikanischen Rhythm & Blues erwies sich dabei als so verkaufsintensiv, dass unter dem Etikett Rock ‘n’ Roll schließlich auch im großen Stil Musik an Teenager vermarktet wurde.

Schwarze Musik und weiße Hörer

Die große Akzeptanz, die der afroamerikanische Rhythm & Blues Anfang der 1950er-Jahre unter Jugendlichen aus den weißen Mittelschichten in den USA fand, resultierte vor allem aus der vehementen Ablehnung in der amerikanischen Öffentlichkeit.

  • Diese Musik galt als anstößig und amoralisch,
  • vor allem aber als primitiver Ausdruck des „ganz unten“ in der sozialen Hierarchie und
  • gab deshalb ein ideales Oppositionssymbol ab.

Eine wichtige Rolle spielten dabei die seit den 1940er-Jahren aufkommenden Rhythm & Blues- Rundfunkstationen, die die sozialen Schranken zwischen „weiß“ und „schwarz“ zumindest musikalisch überwinden halfen. Die Einführung der billigen Kofferradios hatte die Voraussetzung für einen eigenständigen Umgang Jugendlicher mit diesem Massenmedium Rundfunk geschaffen. Für die etablierte Musikindustrie bedeutete diese um sich greifende Begeisterung für die afroamerikanische Musik, die von kleinen spezialisierten Plattenlabels produziert und verbreitet wurde, einen empfindlichen Verlust von Marktanteilen. Sie reagierte auf ihre Weise und produzierte die erfolgreichsten Rhythm & Blues-Titel mit den bei ihr unter Vertrag stehenden weißen Musikern einfach noch einmal nach.

Eher einen Zufallstreffer hatte mit diesem Verfahren sogenannter Cover Versionen schon 1954 die Firma „Mercury Records“, als sie mit der kanadischen Gruppe CREW CUTS den Titel „Sh-Boom“ des afroamerikanischen Vokalsextetts CHORDS in einer bei ihnen produzierten Version herausbrachten. Mit PAT BOONEs (* 1934) Versionen von FATS DOMINOs (* 1928) „Ain’t It a Shame“ (1955) sowie LITTLE RICHARDs (* 1935) „Tutti Frutti“ (1955) begann dann die systematische Ausschlachtung der Rhythm & Blues-Charts vermittels solcher Cover Versionen durch weiße Musiker. Im Zusammenhang damit wurden auch

  • BILL HALEY (1925–1981) mit JOE TURNERs (1911–1985) „Shake, Rattle and Roll“ (1954) und
  • ELVIS PRESLEY (1935-1977) mit WILLIE MAE THORNTONs (1926-1984) „Hound Dog“ (1956)

populär.

Während solche Nachproduktionen erfolgreicher Rhythm & Blues-Titel zunächst noch voll und ganz an den Produktionsnormen und der Ästhetik des herkömmlichen Popsongs orientiert waren, versuchten sowohl BILL HALEY als auch vor allem ELVIS PRESLEY

  • die Eigenheiten der afroamerikanischen Originale zu imitieren und
  • deren rhythmisch-betonte Intensität mit der starken Hervorhebung des Beat,
  • die Gesangstechnik des Shouting (schreiender Gesangsstil),
  • ihren aggressiven und aufreizenden Sound einzubeziehen.

Damit wurde die Ästhetik der afroamerikanischen Musik zu einem zentralen Faktor auf dem Popsektor und fand in den Teenagern ein neues, ungemein begeisterungsfähiges Publikum.

Für die möglichst stilgetreuen Imitationen des afroamerikanischen Rhythm & Blues durch Sänger weißer Hautfarbe aus der Country & Western-Tradition des Südens der USA wie

  • ELVIS PRESLEY,
  • CARL PERKINS (1932–1998) und
  • JERRY LEE LEWIS (* 1935)

kam damals auch die Bezeichnung „Rockabilly“ auf.

Ab 1955, angefangen mit CHUCK BERRYs (* 1926) „Maybellene“, setzten sich dann schließlich auch die afroamerikanischen Originale des Rhythm & Blues auf dem nationalen amerikanischen Markt für Popular Music durch, der bis dahin ausschließlich von weißen Musikern und ihren Firmen beherrscht worden war.

Damit geriet die Struktur des amerikanischen Musikmarktes, wie sie sich in den Auflistungsmodalitäten der Charts mit ihren verschiedenen Rubriken am deutlichsten spiegelte, erheblich in Bewegung, was zu einem äußerst harten Konkurrenzkampf um Marktanteile führen sollte.

Immer häufiger erschienen unter den Top Hundred Singles der Pop-Charts nun Aufnahmen, die zugleich auf dem Rhythm & Blues-Markt für schwarze Käufer zu den Hits gehörten, und zwar von schwarzen wie von weißen Interpreten. ELVIS PRESLEYs Version von „Hound Dog“ (1956) erreichte 1956 als erster Titel sogar die Spitzenposition

  • sowohl in der Pop-
  • als auch der Country & Western- und
  • der Rhythm & Blues-Rubrik der Billboard-Charts.

Crossover – ein Charakteristikum des Rock ‘n’ Roll

Dieses als Crossover bezeichnete Phänomen ist für den Rock ‘n’ Roll weit eher kennzeichnend als irgendein spezifisches musikalisch-stilistisches Kriterium. Das Verkaufsetikett Rock ‘n’ Roll repräsentierte nicht etwa einen neuen musikalischen Stil, sondern

  • jene Rhythm & Blues-Titel, die sich bei den weißen Jugendlichen durchgesetzt hatten (Rhythm & Blues Crossover),
  • deren Nachproduktionen durch weiße Musiker und
  • die Rockabilly-Version der Rhythm & Blues-Stilistik.

Allerdings ist der Rock n’ Roll mit dem Rhythm & Blues insofern auch nicht einfach identisch.

  • Er wurde zum einen durch Weiße interpretiert, die von einer ganz anderen Art des Musizierens herkamen, was sowohl an der Art der Intonation als auch vor allem an der rhythmischen Umsetzung dieser Stilistik spürbar blieb.
     
  • Zum anderen zwang das die afroamerikanischen Musiker zu Konzessionen an ihre neue weiße Hörerschaft, denn ihre Musik war in der Vermarktung als Rock ‘n’ Roll nicht mehr der kulturelle Ausdruck der afroamerikanischen Bevölkerungsminderheit in den USA, sondern wurde nun immer zielgerichteter für die viel größere Käuferschicht der Jugendlichen aus den weißen amerikanischen Mittelschichten produziert.

Das änderte die Inhalte – die Texte wurden den Erfahrungsbereichen von Teenagern in Elternhaus, Schule und Freizeit angeglichen. Es änderte die Präsentationsformen, die zunehmend von Showeffekten und Bühnengags beherrscht wurden:

  • LITTLE RICHARDs Klavierakrobatik,
  • CHUCK BERRYs Entengang „Duck Walk“,
  • ELVIS PRESLEYs Hüftenschwenken usw.

Und es bedeutete musikalisch eine Selektion solcher Titel und Spielweisen aus der vielschichtigen Rhythm & Blues-Tradition, die als „hot“, als ungezügelt, wild und besonders nonkonformistisch, galten.

Die Stile und Spielweisen

Insgesamt lassen sich in dem, was damals unter dem Verkaufsetikett Rock ‘n’ Roll vermarktet wurde, grob fünf verschiedene Spielweisen unterschiedlicher Herkunft ausmachen, die sich jeder einheitlichen Festlegung auf gemeinsame stilistische Kriterien entziehen:

  1. Rock n’ Roll in der Chicagoer Rhythm & Blues-Tradition repräsentierten vor allem CHUCK BERRY und BO DIDDLEY (* 1928).
     
  2. Rock n’ Roll aus New Orleans, wie er vor allem von FATS DOMINO und LITTLE RICHARD vertreten wurde, stand in der Blues- und Boogie-Tradition.
     
  3. Der gospelbeeinflusste Rhythm & Blues afroamerikanischer Vokalgruppen wie der DRIFTERS bildete nach 1955 ebenfalls einen eigenständigen Bestandteil des Rock ‘n’ Roll, auch wenn er musikalisch mit seiner ganz anderen Stilistik und eher „schnulzigen“ Songs überhaupt nicht in diesen Kontext zu passen scheint.
     
  4. Rock 'n’ Roll im Combo-Sound aus dem Norden der USA basierte auf Jump Blues und Western Swing und hatte in BILL HALEY seinen wichtigsten Repräsentanten.
     
  5. Rockabilly, die Imitation afroamerikanischer Musik durch weiße Sänger wie
    – ELVIS PRESLEY,
    – CARL PERKINS oder
    – JERRY LEE LEWIS und
    – BUDDY HOLLY (1936–1959)

war die einzige Spielweise des Rock ‘n’ Roll, die nicht schon lange vorher existiert hatte.

Gemeinsamkeiten lassen sich durch den Bezug aller dieser Spielweisen auf die Blues und Rhythm & Blues-Tradition lediglich in der durchgängigen Verwendung der Bluesformel und – als Folge der eindeutigen Funktion, für die Jugendlichen in erster Linie Tanzmusik zu sein – in der ausgeprägten Betonung des Grundrhythmus ausmachen.

Ende der 1950er-Jahre hatte die etablierte Musikindustrie die Situation dann so weit unter ihrer Kontrolle, dass ihre Produktionsnormen das Erscheinungsbild der populären Musik in den USA wieder beherrschten.

  • Einerseits verdrängte der Twist 1959/1960 den Rock ‘n’ Roll und damit wurde das inzwischen zum Tanzstil avancierte Hüftenschwenken von ELVIS PRESLEY zu einem sportlichen Massenvergnügen wieder für alle Altersgruppen des Tanzpublikums.
     
  • Andererseits wurde der neu entdeckte Teenager-Markt nun mit kurzlebigen Idolen, die kaum älter als ihr Publikum waren, und Songs nach dem bewährten Muster des traditionellen Pop-Songs beliefert.

Die Folgen

Trotzdem hatte der Rock ‘n’ Roll eine Reihe von Konsequenzen, die zur Voraussetzung für die weitere Entwicklung der populären Musik geworden sind und ihn schließlich zum Ausgangspunkt der Rockmusik gemacht haben.

Der entscheidende Faktor war dabei die Ausrichtung der Musikindustrie auf die alterspezifischen Musikbedürfnisse Jugendlicher, deren Umgangsweisen mit Musik ebenso wie ihr Lebensgefühl und ihre Lebensanschauungen sich nun immer nachdrücklicher sowohl im Text als auch musikalisch Geltung verschafften, verbunden mit der Formierung eines speziellen Jugendmarktes und darin eingeschlossen der Herausbildung spezifischer Jugendmedien.

  • Jugendzeitschriften und -magazine,
  • die Filmindustrie,
  • Radio- und Fernsehsendungen und
  • natürlich der gewaltig expandierende Schallplattenmarkt, dessen Umsatzraten mit der Verbreitung des Rock ‘n’ Roll um annähernd dreihundert Prozent stiegen,

haben mit der Kategorie Teenager ein Konsumleitbild eigener Art geschaffen. Auf dieser Basis

  • sind die Strukturen der Produktion und Verbreitung von Musik dann immer komplexer geworden,
  • wurde sie selbst immer unmittelbarer an die Medien und die Entwicklung entsprechender Technologien in diesem Bereich gebunden.

Der Tonträger begann sich damit endgültig als dominante Existenzform der populären Musik durchzusetzen. Und schließlich sind mit dem Siegeszug des Rock ‘n’ Roll die Traditionen der afroamerikanischen Musik zu einem integralen Bestandteil der populären Musikformen geworden, was die weitere Entwicklung nachhaltig geprägt hat.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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