Zum 150. Geburtstag von Karl Liebknecht: Der Mann, der sitzen blieb
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Zum 150. Geburtstag von Karl Liebknecht: Der Mann, der sitzen blieb

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Karl Liebknecht.
Karl Liebknecht. © epd-bild/akg-images

Vor 150 Jahren wurde Karl Liebknecht geboren, der einzige deutsche Abgeordnete, der 1914 gegen die Kriegskredite stimmte. Sein Tod gehört in die lange Reihe politischer Morde von rechts, in Deutschland heruntergespielt bis heute.

Berlin – Mord war und ist in der Menschheitsgeschichte immer auch eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Julius Cäsar starb ebenso von Mörderhand wie Frankreichs König Henri Quatre oder Amerikas Präsidenten Abraham Lincoln und John F. Kennedy. Die großen Revolutionen und Konterrevolutionen der europäisch-amerikanischen Gesellschaften gipfelten in politischen Mord ohne Zahl. Guillotine, Galgen und Erschießungskommandos traten dabei an die Stelle der Revolver oder Stichwaffen der Einzeltäter.

Die Porträts der Mörder bleiben schillernd: Es sind Anarchisten und Religionsfanatiker, psychisch Gestörte und labile Einzelgänger, kalte Auftragskiller und Staatenlenker. Die Tötung aus ideologischer Besessenheit, Hass oder Gründen des Machterhalts – in der neueren Zeit am häufigsten von nationalistischen, rassistischen oder pseudo-ethischen Motiven angefacht oder überdeckt – hat auch die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts mitgeprägt. In der Bundesrepublik führen die noch frischen Blutspuren nach Halle und Hanau, zu den Opfern der NSU und auf die Terrasse im nordhessischen Haus des Landrates Walter Lübcke.

Vor 150 Jahren, am 13. August 1871, wurde Karl Liebknecht geboren. Am 15. Januar 1919 starb der schärfste sozialdemokratische Kritiker der deutschen Militär- und Kriegspolitik und Mitbegründer der KPD nach einem Verhör durch den Freikorps-Offizier Waldemar Pabst und schweren Folterungen auf dem Transport in die Untersuchungshaft durch einen Genickschuss. Liebknechts Schicksal teilte zur gleichen Stunde die Kommunistin Rosa Luxemburg.

Die Gerichte sind mild, die Konservativen applaudieren

Fünf Wochen später streckte der rechtsnationale Offizier Anton Graf Arco den Sozialdemokraten und bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner mit einer Revolverkugel nieder. Bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik folterten und ermordeten Angehörige der Freikorpsverbände im Mai 1919 den Shakespeare-Forscher und deutsch-jüdischen Schriftsteller Gustav Landauer. Der linke Sozialdemokrat und Pazifist Hugo Haas starb im selben Jahr an den Folgen eines Attentates.

Am 26. August 1921, vor bald genau hundert Jahren, traf der katholische Zentrumspolitiker Matthias Erzberger seinen Mörder auf einem Spaziergang im Schwarzwald. Erzberger hatte im Gegensatz zu den konservativen Verursachern der Weltkriegsniederlage den Mut gehabt, den Versailler Friedensvertrag im Namen der Regierung zu unterschreiben. Im Juni 1922 feuerten Mitglieder der rechtsnationalen und antisemitischen „Organisation Consul“ auf den Wagen des deutschen Außenministers Walther Rathenau und töteten ihn. Rathenau war Jude und hatte im italienischen Rapallo einen Vertrag mit der Sowjetunion abgeschlossen.

Der politische Mord wird in den Jahren der Weimarer Republik zum fast alltäglichen Machtinstrument der deutschen Rechten. Weite Teile des konservativen Bürgertums applaudieren. Die rechtsradikalen Mörder finden ausnahmslos milde Richter. Stets werden Freisprüche oder geringe Gefängnisstrafen ausgesprochen, und in den Urteilsbegründungen preisen die Gerichte den Patriotismus (und indirekt den Antisemitismus) der Angeklagten mit nationalistischem Pathos.

Ganz anders sieht es aus, wenn linke Täter vor den Gerichtsschranken erscheinen müssen. Die Mitglieder der Münchner Räterepublik beispielsweise – darunter die Schriftsteller Erich Mühsam und Ernst Toller – werden zu unverhältnismäßig hohen Gefängnisstrafen verurteilt.

Thomas Mann verachtet den „wilden Sozialisten“

Der in Heidelberg lehrende Statistiker Emil Julius Gumbel veröffentlicht 1924 in seiner Broschüre „Verschwörer“ (Grundlage ist eine Denkschrift für das Reichsjustizministerium) eine bemerkenswerte Liste sogenannter Fememorde: Zwischen 1919 und 1923 wurden nach Gumbels Untersuchungen in Deutschland 376 politisch motivierte Morde begangen. 354 davon hatten Rechtsradikale zu verantworten. „Die Täter stammen aus den Freikorps, den Studentenverbindungen, der Reichswehr, also aus den mit Geheimbünden liierten Gesellschaftskreisen.“ Gegen diese Veröffentlichung laufen Professoren und Studenten der Heidelberger Universität Sturm, und im August 1932 wird Gumbel die Lehrerlaubnis entzogen.

Ein deutscher Zeitsprung: Im Verfassungsschutzbericht 2020 wurden vor wenige Tagen Zahlen präsentiert, die zumindest entfernt an Gumbels Untersuchungen erinnern. Im Berichtszeitraum gab es danach in der Bundesrepublik 22 357 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten von rechts und 9600 von links. Denkt man an die gigantische Aufrüstung, die die Sicherheitskräfte der Bundesrepublik in den Zeiten der RAF-Morde erfuhren, und vergleicht damit die zögerlichen Ermittlungen und fatalen Täterdiskussionen, die fast ein Jahrzehnt die Suche nach den Mördern aus den Reihen der rechtsradikalen NSU prägten, dann erkennt man: Berlin ist nicht Weimar, aber die Einäugigkeit bei der Verfolgung politischer Gewalttaten haben die deutschen Sicherheitsbehörden nicht verloren.

Es sind die leichtfertig heraufbeschworenen Hassbilder, die ideologischen Verfälschungen historischer Wahrheiten, die den Mördern und ihren Helfern die Hand führen. Karl Liebknecht bleibt im Bild seiner Landsleute bis heute – je nach ideologischem Standort – Teufel oder Engel. Seine bürgerlichen Zeitgenossen und die aus ihren Reihen stammenden Historiker sahen in ihm den gefährlichen Umstürzler, den radikalen Zerstörer der gesellschaftlichen und moralischen Ordnung und einen im Sinne Lenins zur Gewalt aufrufenden Bolschewisten. Einen „wilden Sozialisten“, nannte ihn Thomas Mann in seinem Tagebuch und notierte am 6. Januar 1918: „Ich verachte diese Liebknecht und Luxemburg u.s.w.“. Die sozialistischen Deuter – etwa in der untergegangenen DDR – feierten den linken Sozialdemokraten als Helden der Revolution, als Kämpfer für die Errichtung einer zum letzten Ziel gesellschaftlicher Wirklichkeit erstrebten „Diktatur des Proletariats“.

Karl Liebknecht, Sohn des legendären sozialdemokratischen Parteigründers Wilhelm Liebknecht, ist auf seinem politischen Weg weder zum Berliner Platzhalter der russischen Bolschewisten geworden, noch fühlte er sich als deutscher Lenin. Er war ein sozialistischer Demokrat, der den Marxismus ablehnte. Er kritisierte den preußischen Militarismus wie kaum ein anderer im Kaiserreich. Er erkannte schon in der Juli-Krise von 1914 und in den folgenden Wochen des nationalistischen Kriegstaumels hellsichtig, wohin der Weg von Krieg und Gewalt führen musste, den am Ende auch seine sozialdemokratischen Genossen zu gehen bereit waren. Die deutschen Historiker brauchten ein halbes Jahrhundert länger, um die Wahrheit von Schuld und Versagen der deutschen Eliten auszusprechen.

Karl Liebknecht war ein Wahrheitssucher und Menschenfreund. Er kritisierte die von Marx, Lenin und Rosa Luxemburg geforderte Führung der Massen durch die Parteielite und glaubte an die Kraft der Mehrheit. Er blieb als Rechtsanwalt, als Parteimitglied, als Landtags- und Reichstagsabgeordneter seinen humanistischen und sozialistischen Ideen treu, kämpfte gegen das preußische Dreiklassen-Wahlrecht und die soziale Ungleichheit im wilhelminischen Staat. Zweimal in seiner politischen Laufbahn ging er ins Gefängnis, weil er die aggressive Militär- und Außenpolitik des Kaiserreiches anklagte und dabei auch die korrupten Verbindungen zwischen Kriegsministerium und Rüstungsindustrie (Krupp) aufdeckte.

Im Ersten Weltkrieg wird es einsam um ihn

Bei der Abstimmung über die Kriegskredite am 2. Dezember 1914 blieb Liebknecht als einziger Abgeordneter sitzen, als der Reichstagspräsident die Mitglieder des Hauses aufforderte, ihre Zustimmung durch das Aufstehen von ihren Plätzen zu dokumentieren. Gegen den Willen der SPD-Führung befürwortete Liebknecht am 1. Mai 1916 die Massendemonstrationen, die ein Ende des Krieges forderten. Es wurde in und außerhalb seiner Partei einsam um diesen Einzelkämpfer.

Am Ende stand der Irrtum: Liebknecht war überzeugt, dass die große Mehrheit der Deutschen nach den Schrecken des Krieges und angesichts der dafür Verantwortlichen eine Rätedemokratie forderten. Die SPD-Führung um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann sah das sehr viel realistischer. Mit dem Spartakusaufstand im Januar 1919 verließ Liebknecht – zögernd, verzweifelt und dem ungeheuren Druck der aktuellen Ereignisse erlegen – den Weg der Gewaltlosigkeit. Seine Mörder warteten bereits auf ihn.

Verfolgt man den Weg der deutschen Kommunisten in den kommenden Jahrzehnten, so ist die Voraussage nicht sehr gewagt, dass auch Karl Liebknecht zum Opfer einer der vielen „Säuberungen“ geworden wäre, die für die bald von Stalin beherrschte Sozialistische Internationale charakteristisch werden sollte. Henker fanden und finden sich allemal auch auf der Seite des gesellschaftlichen Spektrums, die die Bezeichnung links für sich beansprucht. (Wilhelm von Sternburg)

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