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Meinung Kommentar

… weil er ein Jude war

Am Sonntag vor 85 Jahren wurde der damalige deutsche Außenminister Walther Rathenau erschossen. Der 94jährige Autor Ernst Cramer blickt zurück - Auf das Attentat und die Reaktionen der Nachwelt.

Ich war neun Jahre alt. In der Volksschule hatte der Lehrer an jenem 24.Juni 1922 fast nebenbei berichtet: „In Berlin haben sie wieder einmal einen erschossen; diesmal war's der Außenminister!“

Zu Hause angekommen, fand ich überraschenderweise meinen Vater vor, der sonst zumeist auch die Mittagsstunden im Geschäft verbrachte. Er reflektierte über die Erfahrung, dass es nach jeder Revolution eine Häufung der Gewalt gebe, der angeblich gesetzlichen und der illegalen. Meine Mutter beklagte die Verrohung der politischen Gesinnung.

Todernst war Chlothilde, die getreue Hausgehilfin, die 20 Jahre später – trotz Verbots – auch da war, als meine Eltern und mein jüngerer Bruder abgeholt und dann deportiert wurden. Sie sagte: „Leider ist es ganz simpel: Walther Rathenau wurde umgebracht, weil er Jude war. Ihr mögt noch so anständig und normal sein; eure Vorfahren mögen schon Jahrhunderte in Deutschland gelebt haben. Aber da werden immer Narren sein, die das nicht wahrhaben wollen, und es wird immer Verbrecher geben, die euch zu töten suchen.“ Jahrzehnte später bestätigte Theodor Heuss in seinen Lebenserinnerungen, Walther Rathenau sei ermordet worden, „ganz einfach, weil er ein Jude war“.

Am kommenden Sonntag ist es 85 Jahre her. In den frühen Stunden des 24.Juni 1922 wurde Walther Rathenau, der Außenminister im zweiten Kabinett von Joseph Wirth, in Berlin nahe seiner Wohnung in der Koenigsallee auf der Fahrt in das Auswärtige Amt erschossen. Die Mörder waren der Jurastudent Erwin Kern und der Ingenieur Hermann Fischer. Sie waren Mitglieder der Organisation Consul (OC) gewesen, die sich aus dem Nukleus der nach dem Kapp-Putsch verbotenen Brigade Ehrhardt gebildet hatte. Ernst von Salomon hatte zu den wesentlichsten Unterstützern des Mordes gehört; für fünf Jahre musste er deshalb ins Zuchthaus. Die Attentäter kamen ums Leben, Kern durch eine Polizeikugel und Fischer durch Selbstmord.

Die Ermordung Rathenaus war die politische und moralische Talsohle einer Reihe von Attentaten und Anschlägen, meistens ausgeführt von rechten Fanatikern, die alle später von den Nazis beweihräuchert wurden. Der Beginn war am 15.Januar 1919 die Ermordung der Spartakus-Anführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Kurz danach, am 21.Februar desselben Jahres, wurde der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner erschossen, der sich auf dem Weg zum Landtag befand, wo er seine Demission einreichen wollte. Es folgten die Morde an Leo Jogiches, einem kommunistischen Redakteur, dem Mitglied der Münchner Räteregierung Gustav Landauer und dem Pazifisten Hans Paasche.

Als ein Opfer des „Freikorps Oberland“ starb am 9.Juni 1921 der bayerische USPD-Landtagsabgeordnete Karl Gareis. Am 26.August 1921 wurde Matthias Erzberger, der Zentrumsmann, dem man „Erfüllungspolitik“ vorwarf, im Schwarzwald erschossen. Und am 4.Juni 1922 wurde auf den SPD-Abgeordneten Philipp Scheidemann, der 1918 die Republik ausgerufen hatte, ein Blausäure-Attentat verübt, das allerdings fehlschlug.

Die meisten der Genannten waren linke Politiker. Walther Rathenau, der eigentlich konservativ dachte, passt nur insofern in diese Reihe, als auch er – wie viele andere der Ermordeten – Jude war, und zwar ein ungetaufter und überzeugter, wenn auch von Zweifeln erfüllter Jude. Drum entstand auch das bekannte Hasslied, das auch sein Todesurteil wurde: „Schlagt ihn tot, den Rathenau, die gottverdammte Judensau!“ Warnungen, die ihn erreichten, hat er stets missachtet; Schutzvorkehrungen lehnte er ab.

Walther Rathenau wurde 1857 in Berlin als ältestes Kind des Industriellen Emil Rathenau geboren. Dieser hatte von dem amerikanischen Erfinder Thomas Alva Edison das Patent zur Nutzung der Elektrizität in Deutschland erworben und die AEG gegründet. Walther studierte in Straßburg und Berlin Chemie, Physik und Philosophie, er ergänzte das durch ein Studium des Maschinenbaus an der Münchner Technischen Universität. Obwohl er sich eigentlich dem Kunstbereich zuwenden wollte, fügte er sich einem Wunsch seines Vaters und übernahm leitende Funktionen in der AEG. Nach dessen Tod 1915 wurde er „Präsident“ der AEG.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit war er stets als Schriftsteller und Denker aktiv. Er arbeitete an Maximilian Hardens Zeitschrift „Die Zukunft“ mit. Seine Bücher „Zur Kritik der Zeit“ und „Zur Mechanik des Geistes“ beklagten die „Mechanisierung der Welt“ und plädierten für ein „Reich der Seele“. Typisch für sein Denken ist ein Satz aus dem 1916 erschienenen „Der Weg“: „Wir sind nicht da um des Besitzes willen, nicht um der Macht willen, auch nicht um des Glückes willen; sondern wir sind da zur Verklärung des Göttlichen aus menschlichem Geist.“ Das sind geistliche Gedanken, die nicht an eine Religion gebunden sind, wie sich auch Walther Rathenau nie an nur ein Glaubensbekenntnis binden ließ. Und er sagte auch einmal, auf das Göttliche Bezug nehmend: „Gewiss, die Welt und das Leben lassen sich ohne Transzendenz betrachten. Es gibt auch Leute, die Beethovens Symphonien pfeifen.“

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Als der Erste Weltkrieg ausbrach, den er trotz seiner Kritik am Kaiser unterstützte, machte Walther Rathenau die Berliner Regierung auf die unvollständige wirtschaftliche Vorbereitung aufmerksam. Darauf wurde er zum Leiter der für das ganze Reich zuständigen Rohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium berufen. Theodor Heuss bestätigte ihm später, er habe früher als andere „den Material verschlingenden Charakter der neuen Waffentechnik erkannt“. Der spätere Bundespräsident hielt Rathenau übrigens „unter den damaligen Vordergrund-Akteuren des öffentlichen Lebens“ für den „gebildetsten und zugleich als Literat farbenreichsten“.

In seinem Buch „Von kommenden Dingen“ (1917) befasste sich Rathenau mit der in der Bevölkerung notwendigen Bewusstseinsreform. Obwohl er auch an dem neuen Staat Kritik übte, stellte er sich dem Reichskanzler Wirth zunächst als Wiederaufbauminister zur Verfügung. Später wurde er Außenminister und trotz – oder vielleicht sogar wegen – seines Erfolgs in Rapallo, einer Annäherung an die Sowjetunion, ermordet.

Gerhart Hauptmann, der im Reichstag die Trauerrede hielt, verglich Rathenau mit Lynkeus, über den es bei Goethe heißt: „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt … Es sei, wie es wolle, es war doch so schön.“ Er beklagte die „Mechanisierung der Welt“ und plädierte für ein „Reich der Seele“.

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