Hohenzollern wollen auf Entschädigung verzichten – „für eine unbelastete Debatte“ - WELT
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Geschichte Hohenzollern-Chef

„Ich will den Weg freimachen für eine unbelastete Debatte“

Jahrelang gab es erbitterte Kontroversen und juristische Auseinandersetzungen, ob die Hohenzollern wegen Enteignungen nach 1945 entschädigt werden sollen. Jetzt verzichtet Georg Friedrich Prinz von Preußen auf einen großen Teil seiner Forderungen. Im Interview erläutert er seine Beweggründe.
Georg Friedrich Ferdinand Prinz von Preußen, Oberhaupt der Hohenzollern bei WELT Georg Friedrich Ferdinand Prinz von Preußen, Oberhaupt der Hohenzollern bei WELT
Georg Friedrich Prinz von Preußen, Oberhaupt der Hohenzollern
Quelle: Marlene Gawrisch

WELT: Herr Prinz von Preußen, Sie haben etwas mitzuteilen, Sie haben uns vor diesem Interview aber nicht verraten, was das ist. Also sind wir jetzt sehr gespannt: Worum geht es?

Georg Friedrich Prinz von Preußen: Seit der Wiedervereinigung befindet sich meine Familie in Gesprächen mit der staatlichen Seite, wie offene Eigentumsfragen an mehr als 10.000 Kunstwerken abschließend geklärt werden können. Für die Zuordnung von rund 4000 Objekten ist die Frage relevant, ob mein Urgroßvater Kronprinz Wilhelm von Preußen durch sein Verhalten den Nationalsozialisten „Vorschub geleistet“ hat. Wenn er das getan hätte, wäre meine Familie nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz aus dem Jahr 1994 nicht berechtigt, diese Kunstwerke zurückzubekommen. Ich bin an den Punkt gekommen, dass es nicht richtig sein kann, diese Frage vor Gericht auszutragen. Vermutlich würde das Verfahren mindestens zehn Jahre dauern. Deshalb verzichte ich als Chef des Hauses Hohenzollern auf die Kunstwerke und Ausgleichszahlungen aus diesem Komplex.

WELT: Das erstaunt.

Prinz von Preußen: Es ist meine persönliche Entscheidung, die ich auch unabhängig von möglichen Erfolgschancen getroffen habe. Mit dem Ende des Verfahrens will ich den Weg freimachen für eine unbelastete Debatte.

WELT: Was genau liegt dem Streit eigentlich zugrunde?

Prinz von Preußen: Es geht insgesamt um drei Themenkomplexe: Erstens um Dauerleihgaben aus der privaten Kunstsammlung meiner Familie, also den Vermögensteil, der nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik bzw. in West-Berlin verblieben ist. Zweitens geht es um 4000 Objekte, die sich in Liegenschaften meiner Familie in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone befunden haben, die im Zeitraum von 1945 bis 1949 ohne Gerichtsurteil enteignet wurden. Und außerdem existiert noch ein dritter Komplex von weiteren Kunstwerken, die nie enteignet wurden und nach meinem Verständnis uns gehören.

Prinz von Preußen im Gespräch mit WELT in Berlin
Prinz von Preußen im Gespräch mit WELT in Berlin
Quelle: Marlene Gawrisch


WELT: Woher kommt Ihr Sinneswandel?

Prinz von Preußen: Beim zweiten Komplex, also bei etwa 4000 Stücken aus der Kunstsammlung meiner Vorfahren, ist eine mögliche Rückgabe an die Bedingung geknüpft, dass der damalige Besitzer weder dem DDR-Regime noch dem NS-Regime „Vorschub geleistet“ haben darf. Aufgrund eines komplizierten Erbvertrags zwischen Kaiser Wilhelm II. und Kronprinz Wilhelm ist allerdings nicht ganz klar, wer eigentlich zum Zeitpunkt der Enteignungen Besitzer war. Laut Erbvertrag war der ehemalige Kronprinz nur sogenannter „Vorerbe“, während mein Großvater Prinz Louis Ferdinand „Nacherbe“ war.

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WELT: „Vorschub geleistet“ – das ist eine problematische Formulierung, denn sie ist offen für viele Interpretationen.

Prinz von Preußen: Ja, und in Bezug auf die Biografie meines Urgroßvaters wird sie noch viel schwieriger. Es gibt viele andere Personen in meiner Familie, die eine wesentlich eindeutigere Rolle in alle Richtungen gespielt haben als der frühere Kronprinz, der sicher ein Sympathisant der Nationalsozialisten war. Ob er ihnen dadurch „Vorschub geleistet“ hat, darüber gehen die Meinungen auseinander.

WELT: Wie wollen Sie die Debatte in Gang halten?

Prinz von Preußen: Wir haben für den 9. März zu einem Historiker-Podium in der Bundespressekonferenz eingeladen, wo es nicht nur, aber auch um dieses Thema geht. Dort soll der Öffentlichkeit unter anderem eine digitalisierte Quellensammlung zum politischen Wirken meines Urgroßvaters vorgestellt werden, die Professor Lothar Machtan im Zuge umfangreicher Recherchen in meinem Auftrag erarbeitet hat. Diese Veranstaltung könnte vielleicht der Auftakt zu einem größeren Symposium über die politische Verortung meiner Familie im 20. Jahrhundert sein.

WELT: Warum tun Sie dies zum jetzigen Zeitpunkt?

Prinz von Preußen: Mein Großvater Prinz Louis Ferdinand ist 1994 verstorben, einen Tag bevor das besagte Ausgleichsleistungsgesetz verabschiedet wurde. Er hatte damals noch selbst viele der Anträge gestellt, um die es noch heute geht. Einen Dialog mit der DDR-Führung, die noch vor der Wende die Rückgabe von enteigneten Liegenschaften und Kunstwerken angeboten hatte, hatte er stets abgelehnt. Als Nachfolger meines Großvaters habe ich vor fast 30 Jahren diese Themen geerbt. Doch trotz dieses langen Zeitraumes stehen wir eigentlich erst jetzt am Anfang eines Gerichtsverfahrens, das sich vermutlich lange hinziehen würde. Ich bin aber nicht bereit, über die nächsten zehn Jahre ein Verfahren zu führen – mit den möglichen NS-Verstrickungen meines Urgroßvaters im Mittelpunkt – wenn es die Möglichkeit gibt, sich womöglich über die anderen beiden ebenfalls noch zu regelnden Komplexe zu verständigen. Ohne das Gerichtsverfahren kann es dann auch endlich wieder eine unbelastete Debatte um die historische Rolle des Hauses Hohenzollern geben. Deswegen denke ich, dass es ein guter Zeitpunkt für diese Entscheidung ist.

Georg Friedrich Ferdinand Prinz von Preußen, Oberhaupt der Hohenzollern im Gespräch.
Prinz von Preußen: „Es gibt ja auch kein Handbuch, was ein Chef des Hauses Hohenzollern zu tun hat“
Quelle: Marlene Gawrisch

WELT: Das kann Ihnen nicht leichtgefallen sein. Haben Sie diesen Entschluss lange mit sich herumgetragen?

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Prinz von Preußen: Ich kann mich noch gut an ein sehr intensives Gespräch mit meinem Großvater Prinz Louis Ferdinand erinnern. Damals war ich 16, und er fragte mich ungewohnt ernst, ob ich mir eigentlich bewusst sei, was als sein designierter Nachfolger für Aufgaben auf mich zukämen und ob ich bereit wäre, mich ihnen zu stellen. Ich habe tatsächlich nicht einmal geahnt, was alles auf mich wartete – es gibt ja auch kein Handbuch, was ein Chef des Hauses Hohenzollern zu tun hat.

WELT: Wohl wahr.

Prinz von Preußen: Mir war nur bewusst, dass mein Großvater Prinz Louis Ferdinand als Person der Zeitgeschichte wahrgenommen wurde und wie er das Haus Hohenzollern vertreten hat. Meiner Ansicht nach tat er es sehr modern und zeitgemäß. Daran habe ich mich auch erinnert, als es darum ging, die Anträge, die er gestellt hatte, weiterzuverfolgen. Das war für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich glaube aber, alle von uns haben damals und auch in den vergangenen Jahren unterschätzt, welche Diskussion daraus entstehen würde, insbesondere über den Vater meines Großvaters, zu dem er übrigens ein sehr schlechtes Verhältnis hatte – auch das eine Erkenntnis aus den letzten Jahren. Ich fühle mich meinem verstorbenen Großvater gegenüber verpflichtet, die Interessen der Familie zu wahren. Dazu gehören auch die ungeklärten Vermögensfragen. Ich denke, dass mein Großvater meine jetzige Entscheidung gutgeheißen hätte. Deshalb gehe ich davon aus, dass meine Familie sie mitträgt.

WELT: Kann es sein, dass bei der missglückten Diskussion viele Dinge zusammengekommen sind? Da gibt es ein großes Adelshaus mit vielen Namen, das Entschädigungsansprüche geltend macht. Da gibt es mit Ihrem Urgroßvater eine Person, die Sympathien für den Nationalsozialismus hatte. Dann gibt es die schwammige Frage, ob er den Nazis „Vorschub geleistet“ geleistet hat oder nicht. Ist das nicht ein idealer Nährboden für Meinungen aller Art?

Prinz von Preußen: Ja, absolut. Ich finde das gerade vor dem Hintergrund schade, dass wir eine große Familie waren und immer noch sind. Trotz des Endes der Monarchie 1918 standen wir noch stets im Licht der Öffentlichkeit, auch wenn es aus meiner Sicht weitaus weniger war, als von der einen oder anderen Stelle behauptet wird. Die Gesetzgebung von 1994 finde ich übrigens durchaus nachvollziehbar, denn damals wollte man Nachkommen von Menschen außen vor lassen, die erwiesenermaßen dem Nationalsozialismus oder dem Kommunismus den Boden bereitet hatten.

WELT: Was folgt für Sie daraus?

Prinz von Preußen: Die Diskussion um meinen Urgroßvater führte dazu, dass auf einmal alles, was ich sagte, mit Vorsicht betrachtet wurde, und das nicht nur von Historikern: „Versucht die Familie, sich einen Vorteil zu verschaffen, indem sie jetzt das eine oder andere Familienmitglied vermeintlich weißwäscht oder plötzlich den einen oder anderen zum Widerstandskämpfer macht, der es gar nicht war?“ Irgendwann war eine Gespensterdebatte daraus geworden.

WELT: In Gespensterdebatten haben Deutsche eine gewisse Expertise.

Prinz von Preußen: Es ist absolut richtig, sich mit Kronprinz Wilhelm kritisch auseinanderzusetzen, wir haben inzwischen viele Erkenntnisse zu seiner Person. Und das Ergebnis ist aus meiner Sicht, dass bei ihm eben nicht eindeutig nachweisbar ist, dass er den Nationalsozialisten Vorteile verschafft hat, selbst wenn er es selbst gewollt haben sollte. Er hat aber ganz klar die Nähe zum NS-Regime gesucht. Und wenn sich jemand dem Rechtsextremismus anbiedert, dann kann derjenige nicht für unser Haus traditionsstiftend sein.

WELT: Das ist eindeutig.

Prinz von Preußen: Ich persönlich habe überhaupt kein Problem damit, mich mit der Geschichte meiner Familie kritisch auseinanderzusetzen. Mir ist allerdings umgekehrt wichtig, dass man im Umgang mit der eigenen Familie nicht einfach Vorfahren verurteilt und sie dann aus dem familiären Gedächtnis tilgt. Damit macht man es sich zu leicht. Man kann keine Schlüsse ziehen und nichts lernen. Die intensive Diskussion der vergangenen Jahre war deshalb gut, aber jetzt müssen wir auch weiterkommen.

Prinz von Preußen: „Alle von uns haben unterschätzt, welche Diskussion daraus entstehen würde“
Prinz von Preußen: „Alle von uns haben unterschätzt, welche Diskussion daraus entstehen würde“
Quelle: Marlene Gawrisch

WELT: Wie sähe das Ihrer Meinung nach am besten aus?

Prinz von Preußen: Der Umgang mit meiner Familie darf aus meiner Sicht nicht dadurch belastet sein, dass es den Verdacht einer verdeckten Agenda gibt. Denn ich denke, dadurch sind Vorbehalte entstanden – gerade auch auf staatlicher Seite. Obwohl wir seit Jahrzehnten in Berlin und Brandenburg zu den großen privaten Leihgebern von Kunstwerken gehören, erleben wir heute, dass meine Familie bei Ausstellungen nicht beteiligt werden soll. 2019 kam im brandenburgischen Landtagswahlkampf sogar der völlig absurde Vorwurf auf, meine Familie versuche, ihre Vergangenheit zu verschleiern hinsichtlich ihrer Mitwirkung im Nationalsozialismus. Das hat mich besonders getroffen.

WELT: Was halten Sie diesen Vorwürfen entgegen?

Prinz von Preußen: Unser Archiv war jederzeit für Historikerinnen und Historiker zugänglich – auch wenn regelmäßig wahrheitswidrig das Gegenteil behauptet wurde. So sind viele Missverständnisse entstanden. Eine andere Behauptung war, dass meine Familie ihr eigenes Museum fordere, und zwar mit dem Ziel, ihre Geschichte zu beschönigen. Auch das ist nicht wahr: Die Forderung nach dem sogenannten Hohenzollern-Museum kam von staatlicher Seite. Ich habe dieses Vorhaben allerdings immer unterstützt, zumal es gerade in Berlin etwas Vergleichbares nicht gibt.

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WELT: Und jetzt?

Prinz von Preußen: Ich hielte so ein Museum immer noch für eine gute Idee. Aber ob meine Familie dort mitwirkt oder nicht, ist für mich völlig unerheblich. Allerdings bringe ich mich natürlich sehr gern mit meiner Erfahrung ein. Die Burg Hohenzollern, die Stammburg unserer Familie, ist schließlich eines der meistbesuchten privaten Museen in Deutschland. Vor zwei Jahren habe ich beispielsweise der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten eine Ausstellung zur Geschichte der Schlösser in der Weimarer Republik und der NS-Zeit vorgeschlagen, wo natürlich auch mein Urgroßvater eine Rolle gespielt hat. Man hatte auch zugesagt, eine Ausstellung zu konzipieren, da ist aber bis heute nichts geschehen. Ich bin weiterhin der Meinung, dass eine solche Ausstellung absolut überfällig ist.

WELT: Im Zusammenhang mit alldem sind Sie ja auch juristisch gegen Historiker und Journalisten vorgegangen. Wie bewerten Sie das heute?

Prinz von Preußen: Ich sehe es als einen Fehler an und bedaure, dass ich nicht früher und häufiger das persönliche Gespräch gesucht habe, in dem man Vieles hätte klären können. Daher habe ich entschieden, alle noch offenen Verfahren zu beenden, was inzwischen auch umgesetzt wurde. Schließlich gilt der Spruch: Was rechtens ist, muss nicht immer richtig sein. Was ich aber auch klarstellen möchte: Ich habe zu keinem Zeitpunkt versucht, wissenschaftliches Arbeiten einzuschränken. Wenn das so empfunden wurde, tut es mir leid.

WELT: Wie viel interessantes Material schlummert denn noch unangetastet im Familienarchiv der Hohenzollern?

Prinz von Preußen: Vieles! Es wird immer wieder etwas entdeckt. Aktuell forscht dort eine junge Doktorandin aus Chemnitz, die über meinen Großvater Prinz Louis Ferdinand promoviert, dessen Biographie ja fast das gesamte 20. Jahrhundert umfasst. Das Thema wird sie am 9. März zur Diskussion stellen. Es ist zum Beispiel zu erforschen, ob und welchen Einfluss Prinz Louis Ferdinand auf die Entwicklung der jungen Bundesrepublik hatte. Schließlich war er mit vielen Politikern freundschaftlich verbunden, beispielsweise den großen Sozialdemoraten Willy Brandt und Wilhelm Kaisen.

WELT: War Ihr Großvater wirklich in Richtung eines liberalen Parlamentarismus unterwegs?

Prinz von Preußen: Tatsächlich ja. Mein Großvater Prinz Louis Ferdinand war einerseits stark in der Tradition unseres Hauses verhaftet, aber gleichzeitig ein Demokrat und ein überzeugter Europäer. Bereits vor Gründung der Bundesrepublik hatte er sich Gedanken gemacht, wie ein demokratisches Deutschland aussehen könnte – und das ist sehr nah an dem, wie wir die heutige liberale Bundesrepublik kennen und schätzen und leider auch immer wieder verteidigen müssen. In unserem Familienarchiv findet man auch viele Zeugnisse, die vielleicht weniger von historischer Relevanz sind, aber ein menschliches Bild zeichnen. Menschen sind eben nicht nur schwarz und weiß, sondern haben auch ihre humorvollen Seiten, ihre Schwächen; dazu beizutragen, bestimmte Bilder zu komplettieren, das ist eine schöne Aufgabe, die wir auch mit diesem Archiv erfüllen können.

WELT: Wenn es menschelt, gerade auch in Königshäusern, interessiert das die Leute umso mehr. Aktuell waren die britischen Royals viel in den Schlagzeilen, Stichwort Harry und Meghan. Verfolgen Sie das?

Prinz von Preußen: Teilweise, nicht intensiv. Und ich mische mich da nicht ein. Aber ich freue mich immer, wenn es Kontakt gibt auf europäischer Ebene.

WELT: Haben Sie „The Crown“ geschaut?

Prinz von Preußen: Habe ich. Fand ich hervorragend, ich bin allerdings noch nicht in der letzten Staffel angekommen. In Bezug auf solche Produktionen ist Deutschland schließlich doch etwas hinterher. Ich denke da an Serien wie „Das Erbe der Guldenburgs“ oder so (lacht). Die habe ich zwar auch mit großem Vergnügen als Kind geschaut, aber umso mehr hat mich „The Crown“ beeindruckt. Die Serie vermittelt einem das Gefühl, dass sie von Leuten stammt, die wirklich Ahnung haben. Auch wenn die Macher ja ehrlich zugeben, dass nicht alles mit der Realität übereinstimmt.

Prinz von Preußen: „Ich bin nicht der Anwalt meiner Vorfahren und auch nicht deren Richter“
Prinz von Preußen: „Ich bin nicht der Anwalt meiner Vorfahren und auch nicht deren Richter“
Quelle: Marlene Gawrisch

WELT: Die britische Königin Victoria war die Großmutter Kaiser Wilhelms II, er war ihr Lieblingsenkel. Sie sind ihr direkter Nachfahre und haben Ihren Schulabschluss in Schottland gemacht. Wie verbunden fühlen Sie sich mit Großbritannien?

Prinz von Preußen: Sehr. Einfach weil ich dieses Land sehr gern habe, auch gerne dort bin. Ich bin auch Patenonkel von einem Windsor. Eine Anekdote: Neulich ist mir ein Buch in die Hände gefallen, das hieß „The boy’s own Book of Boats“, ein Buch, sichtlich an Kinder gerichtet, das Begeisterung für die Marine und Seefahrt wecken sollte. Auf der ersten Seite steht handschriftlich: „For dear little Willy to his 6th birthday, Queen Victoria“.

WELT: Ging Ihnen der Tod und das Begräbnis von Elizabeth II. nahe?

Prinz von Preußen: Ja, sehr.

WELT: Bei Preußen denken viele Menschen vor allem an das Reaktionäre, den Stechschritt und den Militarismus. Wie beurteilt man diesen Staat Ihrer Ansicht nach gerecht?

Prinz von Preußen: Allem voran: Ich bin nicht der Anwalt meiner Vorfahren und auch nicht deren Richter. Ich bin der Meinung, dass man immer die Gesamtschau halten muss, was aus meiner Sicht zu wenig stattfindet. Preußen war eben auch ein hochmoderner Staat, mit vielen Dingen, die man auch aus heutiger Sicht als positiv beurteilen würde, beispielsweise die Sozialgesetzgebung, die Einführung der Schulpflicht. Das geht aber Hand in Hand mit anderen Dingen, die man gerade in der Kaiserzeit sehr kritisch sehen sollte. Nur das Gesamtbild kann auch zu einem ausgeglichenen Selbstverständnis eines ganzen Landes führen. Was natürlich auch Mut erfordert. Und vieles – Gutes wie Schlechtes – wirkt ja bis heute in die Bundesrepublik herein. Das betrifft nicht nur die schwarz-weißen Trikots unserer Nationalmannschaft.

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WELT: Empfinden Sie es als eine Bürde oder als ein Privileg, ein Hohenzoller zu sein?

Prinz von Preußen: In der Rückschau als großes Privileg. Ich betone ja immer, dass ich als Bundesbürger großgeworden bin, mich als solcher wohlfühle, aber natürlich auch das große Privileg habe, in meiner Rolle überdurchschnittlich viele spannende Menschen kennenzulernen. Teilweise sind das Freundschaften, die ich noch von meinem Großvater ererbt habe. Und dazu ist es für mich auch ein schönes Gefühl, dass ich als Chef des Hauses Hohenzollern die Aufgabe habe, mich um das kulturelle Erbe unserer Familie zu kümmern und unser Gesicht für die Öffentlichkeit zu sein – in guten wie in schlechten Zeiten. Und dass es manchmal ein bisschen anspruchsvoller ist, das gehört einfach dazu.

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