Rudolf von Habsburg. Biographie von Friedrich Schoenstedt.

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[Bd. 5 S. 24]
Rudolf von Habsburg, 1218-1291, von Friedrich Schoenstedt

Rudolf von Habsburg.
Rudolf von Habsburg.
Gemälde von Ludwig Minnigerode.
[Nach wikipedia.org.]
Der König, der im Sommer des Jahres 1291 in schlichter Todesgewißheit die Straße von Germersheim nach Speyer ritt, um in dieser Stadt, in der er vor achtzehn Jahren seinen ersten Hoftag abgehalten, inmitten von Königen und Kaisern die letzte Ruhe zu finden, stand am Ende eines großen Lebens. Nicht am Ziel; denn zeitlebens war Rudolf von Habsburg König geblieben, kein Papst hatte ihm die Kaiserkrone aufs Haupt gedrückt, und die bedeutungsvolle Geste, mit der er, der Emporkömmling, sich zwischen den Herrschern aus den ehrwürdigen Häusern der Salier und der Staufer begraben ließ, sprach mehr die Richtung als den Erfolg seines politischen Mühens aus. Salier, Staufer, Habsburger – so sollte die Nachwelt, die Gräber abschreitend, sagen; aber gerade dies, die Gründung eines Hauses Habsburg, die Sohnesfolge war ihm gescheitert.

Glückte ihm nicht alles, so doch immer noch genug. Seine Gedankenwelt war minder erhaben als die seiner großen Vorgänger, die Art Königtum, die er schuf, minder leuchtend und seine Politik begrenzter, handfester als die staufische. Sie mußte schon glücken um geschichtlich zu werden. Wie aber sah die Aufgabe aus, vor die im Jahre 1273 die deutschen Kurfürsten Rudolf IV. von Habsburg mit seiner Erhöhung zum deutschen König Rudolf I. stellten, und aus welcher Welt kam der damals fünfundfünfzigjährige Graf?

Der Kampf der Staufer war ausgekämpft. Die Absetzung Friedrichs II. auf dem Konzil zu Lyon im Jahre 1245 hatte dem Papsttum die ersehnte Freiheit gegeben. Innozenz IV. schwor, keinem Sproß des verhaßten Geschlechtes jemals wieder den Weg zum Throne freizugeben; selbst aus seinem angestammten Herzogtume Schwaben sollte es vertrieben sein. Ein Pfaffenkönig, der Thüringer Heinrich Raspe, wurde dem Reich, noch zu Friedrichs Lebzeiten, gesetzt; seinen Nachfolger Wilhelm von Holland wählte man schon kurzerhand auf einem vom päpstlichen Legaten einberufenen Konzile; plantula nostra, unseren Setzling, nannte die Kurie ihn unverhohlen. Kaum war Friedrichs Sohn Konrad IV., der sich in hoffnungslosem Kampf in Italien zerrieben hatte, gestorben (1254), da trat auch der junge Rheinische Städtebund zu Wilhelm über. Aber als der beste Hasser unter den Päpsten, als Innozenz IV. im gleichen Jahr wie Konrad starb, war dem Sieg über die Staufer noch immer keine wahrhafte Befriedung gefolgt, nicht einmal in der Kirche selbst. Der milde Barfüßerfreund Alexander IV. ließ die Dinge treiben. Die deutsche Königsfrage begann dem Papsttum zu entgleiten. Im Jahr 1257 kam es [25] vor lauter Unsicherheit zu einer Doppelwahl: Zwei Ausländer, Richard von Cornwallis und Alfons von Kastilien, wurden deutsche Könige. Der erste nahm gleich nach der Krönung Abschied von dem Königsmacher, dem Kölner Domerbauer Konrad von Hochstaden, kehrte selten zurück und blieb kurz; der zweite sah sein Land nie. Dem reformeifrigen Städtebund aber brach diese Doppelwahl das Genick.

Die kaiserlose, die schreckliche Zeit nennt Schillers Ballade vom Grafen von Habsburg jene verwirrten Jahrzehnte. Dabei war an Herrschern wahrhaftig kein Mangel. Noch lebten überdies Staufer. Aber Konrads tapferer Halbbruder Manfred fiel 1266 vor Benevent; sein Neffe, der edle Konradin, ward zwei Jahre darauf in Neapel schändlich enthauptet. Beides war das Werk des Mannes, mit dessen kalter Klugheit noch Rudolf von Habsburg sich zu messen hatte, Karls von Anjou, Ludwigs des Heiligen von Frankreich Bruder, der von seinem Landsmann Urban IV. im Jahre 1265 mit Neapel und Sizilien belehnt worden war. Frankreich und das Papsttum hatten sich gefunden.

Für das Reich aber geschah nichts. Die Doppelwahl von 1257 ward nicht bereinigt. Bis 1272 dauerte dieser Zustand der Ungewißheit; die deutschen Fürsten verdankten ihm unbestrittenen Gebietszuwachs, die durch den Leerlauf der kleinen Ritterschaft ständig sich mehrenden Raubburgen fette Fänge, das deutsche Volk unsägliches Elend. Das Reich war tatsächlich, so gestand selbst ein römisches Gutachten, zu einem Nichts zusammengeschrumpft.

Endlich, im Jahre 1272, starb einer der beiden Schattenkönige, Richard. Der Augenblick traf zum Glück keinen säumigen Papst auf dem Stuhle Petri. Gregor X. (1271–1276), kein Franzose, sondern ein Visconti, kein Jurist, sondern Theologe, unterschied sich nicht nur hierin von seinen Vorgängern. Es zeigte sich, was ein großer Gedanke vermag. Frankreichs Ausdehnungswünsche, Alfons' Drängen, der harte Ehrgeiz des Anjou hatten sein Ohr und seine Höflichkeit; er stand über den Parteien. Aber er wollte mehr. Er wollte wahrmachen, was er bei seiner Abfahrt von Akkon zur Papstkrönung den zurückbleibenden Glaubensgenossen noch vom Schiff aus zugelobt hatte: daß er bei seiner Seele niemals die Sache des Heiligen Landes vergessen werde. Die Wiedereroberung des seit 1244 verlorenen Jerusalem war das Ziel, das er mit unbeirrbarer Redlichkeit betrieb; der weitgereiste, kluge und klare Mann war weltfremd genug, es für erreichbar zu halten.

Gregor brauchte ein einiges Abendland, und das hieß immer noch: ein geordnetes Reich. Richards Tod rief Bewerber genug auf den Plan. Insbesondere Přemysl Ottokar II. von Böhmen aber lauerte schon zwanzig Jahre auf diesen Augenblick. Was den anderen an Macht fehlte, hatte er zuviel; die Kurfürsten rückten von dem Ausländer ab. Ein weiterer Kandidat war gefährlicher: Karls von Anjou Neffe und Werkzeug Philipp III., der junge König von Frankreich. Aber Franzosen in Frankreich, Sizilien und Deutschland – das bedeutete für den Kirchenstaat die Gefahr des Erstickungstodes, und Gregor hatte keine Lust, den staufisch-päpstlichen Waffengang mit den Capets zu wiederholen. Mit unerschütterlicher Korrektheit [26] wurden alle diese Ansprüche zur Ruhe komplimentiert. Die ordnungsgemäße Einrichtung, das im Interregnum entstandene Kurfürstenkolleg sollte entscheiden, dann würde man sehen. Doch als im August 1273 immer noch keine Entscheidung gefällt war, verließ ihn die Geduld; er drohte mit einem Machtspruch. Die Drohung genügte. Am 1. Oktober 1273 wählten die Kurfürsten "eintrechticlichin" den Grafen Rudolf von Habsburg zum deutschen König.

Rudolfs Name war spät aufgetaucht. Er kam verhältnismäßig leicht durch; er hatte die Chance des homo novus, der einer erstarrten politischen Gruppierung beitritt: seine Neuheit schon war ein Verdienst. Aber es war keineswegs dies allein, was ihn siegen ließ. Der Name Habsburg hatte schon damals seinen Klang.

Die Habsburger, weiß die Sage zu berichten, sind – Römer. Einst wurde ein römisches Brüderpaar der Stadt verwiesen und ging nach Schwaben. Der Ältere legte das väterliche Geld in vielen festen Burgen, der Jüngere dagegen unbekümmert in einem großen Heere an. Als der Vater die Flüchtlinge besuchte, lobte er des einen Verständigkeit; den jungen aber, der am Orte der späteren Habsburg sein Heer versammelt und, stolz auf es weisend, erklärt hatte, das sei seine Burg, beschenkte er voll Entzücken über soviel adelige Frische mit einem großen Schatz. Und von diesem Brüderpaar stammen die Habsburger ab. Die kleine genealogische Lügenmär versetzt nicht schlecht in die habsburgische Luft. Beide Brüder sind Ahnherren geworden, nicht nur der junge, wie man erwarten könnte, und beide leben sie in Rudolf fort: Bedächtigkeit und Ritterlichkeit, gemessenes Wesen und Übermut, beides war ihm eigen.

Er wurde am 1. Mai 1218 geboren. Sein Vater war Graf Albrecht IV., seine Mutter die Kiburgerin Heilwig. Graf – das hieß Landgraf, Landgraf im Oberelsaß, denn die Habsburger waren nicht Römer, sondern Elsässer aus dem alemannischen Hochadel. Keine Stadt war ihnen so zugetan wie Straßburg, wo man die Kriegstaten des Vaters noch besang, als bereits der Bürger Ellenhard, die Regierungszeit des königlichen Sohnes mit Stolz als Epoche verstehend, die Stadt- und die Reichsgeschichte unter Rudolf in einem dicken Pergamentbande aufzeichnen ließ; von Straßburg hat Rudolf vor seinem Tode denn auch in aller Form Abschied genommen wie von einem Freund. Der Straßburger Bischof Werner aber war es, der auf dem

Die Habsburg, erbaut um 1020, Stammsitz der Habsburger im Kanton Aargau.
[27]      Die Habsburg, erbaut um 1020,
Stammsitz der Habsburger im Kanton Aargau.

[Bildquelle: Gerda Becker, Berlin.]
Wülpelsberg, einem südlich vom Zusammenfluß von Reuß und Aare sich hinziehenden Höhenrücken, um 1020 eine wuchtige Wohnburg, die "Habichtsburg" baute, die das in diesem natürlichen Dreieck liegende "Eigen" der Familie nebst den nahen Straßen beherrschte und dem Geschlechte den Namen gab. Das dreizehnte Jahrhundert brachte dem habsburgischen Besitz mit dem Aussterben der Zähringer und der Kiburger und durch Aneignung von Reichsgut und herrenlosem staufischem Hausgut gewichtigen Zuwachs. Ein breiter habsburgischer Gürtel zog sich das Elsaß hinauf über den Rhein zum Kaiserstuhl und den Breisgau wieder hinab zum Frickgau, Thurgau, Aargau und Zürichgau; Grafschaftsrechte, Vogteien, Lehen, Eigengut reihten sich in bunter Folge aneinander.

[27] Dies war die Welt, in die um 1240 der Jüngling Rudolf nach dem Tode seines Vaters sich als Herrn versetzt fand und die man kennen muß, um den König zu begreifen. Als er König wurde, hatte er schon ein Menschenalter Politik hinter sich.

Ein Urahn Rudolfs war mit Barbarossa nach Italien gezogen und dort gestorben; sein Großvater war ein enger Vertrauter Friedrichs II.; der Vater endete im Heiligen Land. Der Sohn sprang nicht aus der Tradition. Kaiser Friedrich II. war sein Taufpate; 1241 hat er in Faenza und vor Spoleto, in dem Schickalsjahr 1245 in Verona bei ihm geweilt. Neben seiner Treue wird seine Herkunft den jungen Grafen dem Kaiser empfohlen haben; Friedrich mochte das Elsaß. Eine gemeinsame Vorliebe verband überdies die beiden. Wie Friedrich das alte Burgenelsaß zu einem Land der Städte machte, so tat es ihm Rudolf mit seiner bescheideneren, aber in Platzwahl und Grundriß sorgsam bedachten Gründung von Waldshut nach und hat als König manches Dorf zur Reichsstadt erhoben. Schon seine Eltern hatten es vorgezogen, den unwohnlichen Palas der Habsburg ihren Dienstmannen zu überlassen und unten im aargauischen Brugg ein Stadthaus zu beziehen. Rudolf aber verließ die altkönigliche Sphäre der halbbäurischen Pfalzen und der einsamen Klöster erst recht; als König hat er lebhaft für die Städte gesorgt – Kolmar erhielt von ihm sein überaus großzügiges Recht –, hat selbst vier Jahre lang in Wien gewohnt, war als gewählter Kriegsoberster der Stadt ein Kenner [28] Straßburgs, ritt überhaupt gern in den Straßen der Städte umher und spielte wohl zum Staunen der Erfurter nach rheinischer Art mit Laune den Bierrufer. Er wurde der erste deutsche Städtekönig. Es ist kein Zufall, daß der kräftigste und geschichtlich erfolgreichste Widerstand gegen ihn aus den noch fast rein bäuerlichen Talschaften der Schweiz, aus der werdenden Eidgenossenschaft kam.

Graf Rudolfs ghibellinischer Sinn trübte ihm nicht die Augen für die Heimat. Im Auskämpfen von Erb- und Grenzstreitigkeiten, im zähen Festhalten des Erworbenen und behenden Zupacken da, wo es etwas zu erwerben gab, zeigte er bald eine frühe, am ganzen Oberrhein alsbald berüchtigte Meisterschaft. Wohl mußte mancher verdrängte Nebenbuhler wie der Graf von Toggenburg sein Brot suchen gehen; aber daß Rudolf kein blinder Raffer war, zeigt seine Begehrtheit als sachlicher Schiedsrichter bei territorialen Zwistigkeiten. Rasch gewann der habsburgische Besitz eine immerhin ungewöhnliche, durch straffe, wohl von Friedrich II. erlernte Verwaltung gekräftigte Geschlossenheit; Rudolfs Stellung war im Grunde herzoglich. Um 1250 heiratete er Gertrud von Hohenberg, die ihm in glücklicher Ehe neun Kinder gebar. Der Witwer nahm dreißig Jahre später die blutjunge Isabella von Burgund zur zweiten Frau.

Im Kleinkrieg des Territorialherrn verging Rudolfs Jugend. Seit den sechziger Jahren wuchs seine betriebsame Tatkraft. Der Kampf der Straßburger Bürger gegen die bischöflichen Herrschaftsgelüste fand ihn auf dem Platz. Die kiburgische Erbschaft mußte vor dem nach Osten drängenden Peter von Savoyen, einem ebenbürtigen Gegner, gesichert werden. Dann rief Konradin zum Italienzug. Und kaum zurückgekehrt warf Rudolf sich in die Fehde mit dem Bischof von Basel, der, wie der Straßburger, nicht nur ein Kirchenamt, sondern auch ein Territorium haben wollte. Schon nahm man sich nicht mehr nur die Weinfässer weg und brannte hier und da ein Gehöft nieder, schon drohten die gesamten südwestdeutschen Verhältnisse zerrüttet zu werden, da erschien im September 1273 Burggraf Friedrich von Nürnberg im Grafenzelt vor Basel und bot Rudolf im Namen der Kurfürsten die deutsche Königskrone. Rudolf nahm sie an. Der Bischof von Basel aber rief auf diese Kunde, Gott möge fest sitzen, sonst erschleiche dieser Rudolf noch seinen Thron, kapitulierte und soll sich, sagte man, alsbald zu Tode gegiftet haben.

So war aus dem mächtigen Grafen ein ohnmächtiger König geworden. Denn über die Lage konnte Rudolf sich nicht täuschen. Wohl hatte ein Papst in strengem Wohlwollen seine Hand über die Wahl gehalten, wohl hatten ein so mächtiger Fürst wie der Mainzer Erzbischof Werner von Eppenstein und ein so treuer Freund wie der Zoller Friedrich von Nürnberg den Angsteifer der Fürsten dem Habsburger zulenken können; wohl war Rudolf nicht der Habenichts, nicht das "kleine Lichtlein aus Schwaben", als das ihn die Eifersucht des auf seinen böhmischen Silberminen sitzenden Ottokar abzutun versuchte. Aber sowenig seine Macht mit ihrer oberrheinischen Begrenztheit so ohne weiteres zur Grundlage eines Königtumes taugte, so unsicher war es, ob Gregor X. seinem allgemeinen Appell nun die [29] besondere Billigung gerade dieses Königs folgen lassen würde, der immerhin als Ghibelline kaum aus den Bannsprüchen herausgekommen war. Den Rückhalt bei Mainz und Nürnberg in Ehren: allzuviel bedeutete auch er wieder nicht. Zwar leisteten die Kurfürsten, deren drei überdies Rudolfs Schwiegersöhne zu werden im Begriffe standen, diesem beim Aachener Krönungsmahl willig die bedeutsamen Tischdienste; aber in ihren Taschen knisterten die königlichen Pergamente, die ihre Länder jedem Zugriff entzogen, und klirrten die Handsalben, die Rudolf nach der Zeitsitte ihnen hatte geben müssen. Er hatte versprochen, alles Reichsgut wieder ans Reich zu bringen, das seit Friedrichs Absetzung von den Fürsten geraubt worden war – nur die Kurfürsten sollten verschont sein. Der einzige, der eine solche Zusage nicht besaß, war Ottokar von Böhmen, der nicht mitgewählt hatte. Gegen Ottokar allein richteten sich die Bedingungen seiner Kurbrüder; ihre Annahme bedeutete für Rudolf den Entschluß zur Machtprobe. Unter diesem Zeichen standen die ersten und wichtigsten fünf Jahre seiner Regierung.

Doch zuvor mußte die königliche Stellung gefestigt, mußte womöglich die Kaiserkrone schon erworben sein. Die Kurfürsten hatten sie erbeten, allein Gregor zögerte. Daß Ottokar die Wahl Rudolfs anfocht und den Papst mit seiner lauten Bereitschaft zum Kreuzzuge für sich selbst einzunehmen gedachte, beeinflußte diesen weniger als Alfons' Weigerung, zurückzutreten. Überdies gab es noch einen heiklen Punkt. Der Kurie galt ein König erst dann als rechtmäßiger Herrscher, wenn er die päpstliche Bestätigung nachgesucht und erhalten hatte. Nach deutscher Überzeugung dagegen war der gewählte und gekrönte Fürst Rechtens König. Der alsbald einsetzende Schriftwechsel zwischen Königskanzlei und Kurie wurde zu einem Kunstwerk diplomatischer Behutsamkeit. Weder bat Rudolf um Bestätigung, noch ging Gregor davon ab, ihn den "Erwählten" zu nennen. Man sagte sich die Meinung durch Verschweigen und hütete sich zu brechen. Endlich trat Gregor mit genauen Forderungen hervor: Bestätigung aller jemals dem Papsttume gegebenen kaiserlichen Privilegien und Eide sowie Verbürgung der Unverletzlichkeit des Kirchenstaates. Rudolfs gedämpfte Einschränkung, er werde alles tun, was nicht gerade die Rechte des Reiches verkürze, wußte der Papst zu überhören. Auf dem großen Lyoner Konzil von 1274 leistete ein Gesandter Rudolfs die gewünschten Eide, die den Papst in Stand setzten, mit der salomonischen Formel "Wir nennen dich König" die Anerkennung zu vollziehen; im folgenden Jahr wiederholte der König in Lausanne die Eide in die Hand des Papstes und nahm mit Familie und Gefolge das Kreuz. Der Königstitel wurde ihm "verliehen" und von Rudolf nach den Spielregeln "angenommen", Alfons endlich zum Verzicht bewogen, die Kaiserkrönung auf Lichtmeß 1276 festgesetzt. Das Verhältnis zur Kurie konnte, nicht zuletzt dank der unbedingt sicheren Verhandlungsführung Rudolfs, die keinerlei Schlacken seiner gröberen politischen Herkunft aufwies, als bereinigt gelten.

Rudolfs glatte Zugeständnisse mögen sich auf den ersten Blick wie eine [30] Magna Charta des Italienverzichtes ausnehmen. In Wirklichkeit verzichtete er außer auf Ancona und Spoleto nur auf die Rückeroberung Siziliens, den Alpdruck der Päpste. Wie die Dinge lagen, war dieser Eid für den Papst von größtem Werte und für Rudolf kein Opfer. Einen Teil der alten Reichsrechte in Ober- und in Mittelitalien hat er darum später doch wieder geltend gemacht, so schon 1275 zum Verdruß Karls von Anjou in Toskana. Aber nähere, dringendere Aufgaben riefen ihn vorerst nach Osten. Mitten in der Vorbereitung traf ihn die Kunde von Gregors X. plötzlichem Tod. In seiner lauten Klage über den Unersetzlichen bekundete sich die Ahnung, daß ihm die Kaiserkrone unwiederbringlich verloren sei. Aber er hatte keine Zeit, ihr nachzuhängen. Wenigstens hatte er nun die Hände frei. Der Kampf mit Ottokar, der weltgeschichtliche Erwerb Österreichs durch die Habsburger nahm seinen Anfang.

Was war Ottokars Vergehen? Er hatte einmal für seine Länder Böhmen und Mähren die Lehnserneuerung von Rudolf einzuholen verabsäumt. Er hatte zum anderen sich widerrechtlich in den Besitz Österreichs, der Steiermark, Kärntens, Krains, der windischen Mark und des dem Nürnberger unterstehenden Reichslandes Eger gesetzt. Das war das Reichsgut, das der König einbringen sollte.

Nach bald dreihundertjähriger Herrschaft waren im Jahre 1246 die tüchtigen, lebensvollen Babenberger ausgestorben, die seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts auch mit der Steiermark belehnt waren. Friedrich II. wollte zugreifen und die Länder seinem Hause sichern – der staufische Versuch einer habsburgischen Lösung. Der Plan zerschlug sich an der Wachsamkeit der Kurie. Ungarn, Böhmen und Baiern, die drei Anrainer, rüsteten sich dem Kaiser zum Trotz und nicht zum Ärger des Papstes zur schleunigen Tilgung des Vakuums im Osten. Ottokar schoß den Vogel ab. Schon 1251 zog er in Wien ein, und neun Jahre später nahm er dem Ungarn die Steiermark. Durch Erbverabredung mit dem letzten Sponheimer fielen ihm wiederum nach neun Jahren Kärnten und Krain in den Schoß; nun herrschte er vom Erzgebirge bis zum Karst. Aber das war ihm nur ein Glied einer bedeutenderen politischen Konzeption seines plänereichen, vor Ehrgeiz berstenden Kopfes. Ein Reich von der Adria bis zur Ostsee, ein frühes Mitteleuropa schwebte ihm vor. Eine rührige, nach allen Himmelsrichtungen ausstrahlende Politik diente der Vorbereitung; der Anwesenheit des Königs von Böhmen zu Ehren haben die Deutschordensritter ihrer Burggründung von 1255 den Namen Königsberg gegeben. Unabsehbare Folgen mußte das Gelingen seiner Pläne für das ganze Abendland haben. War der Tscheche auch im allgemeinen durchaus kein Deutschenhasser, so bedeutete ein přemyslidisches Ostreich doch den volksmäßigen und geistigen Untergang der abgeschnittenen deutschen Donauländer und eine gewaltige Einbuße der Reichsmacht dazu.

Rudolf, nach seiner Art, handelte ebenso überlegt wie schnell, soweit die zeitraubende Beobachtung der Rechtsformen, der Zustand der Reichskriegsverfassung und schlimmer Geldmangel es erlaubten. Ottokar ward vor das Königsgericht [31] geladen und gegen den dreimal Säumigen der Reichskrieg beschlossen. Am 1. September 1276 setzte sich ein achtbares Heer von Nürnberg aus in Marsch. In Regensburg stieß Heinrich von Niederbaiern hinzu: ein unschätzbarer Erfolg, denn jetzt war der Weg nach Wien frei, während Ottokar einen böhmischen Einmarsch erwartete. Über Passau zog Rudolfs Heer nach Linz. Scharenweise kam von nun an der österreichische Adel ins Lager geritten und wollte mittun gegen den Böhmen, der den Herren zuviel Landschreiber und zu gut geführte Grundbücher besaß. Hätten sie gewußt, daß Rudolf seine rund 14 000 Mark Silber, die er zu gleichen Teilen jährlich aus Hausgut und Reichsgut zog, mit Freuden um die etwa 18 000 Mark vermehren würde, die die gesegneten österreichischen Länder hergaben, ja daß der harte Steuerherr nach dem Siege bald noch ein Übriges herauswirtschaften sollte, sie wären langsamer geritten.

Zwar blieb Wien vorderhand gut ottokarisch; aber die Treulosigkeit nun auch des eigenen böhmischen Adels unter Zawisch von Falkenstein und die Umsicht Rudolfs, der sich eines ungarischen Hilfsheeres versichert hatte, zwangen Ottokar zu kampflosem Verzicht auf alle seine Erwerbungen. Böhmen und Mähren nahm er nun zu Lehen; die Zeitgenossen erzählten sich noch lang von dem wunderlichen Schauspiel, wie Rudolf vor Wien im grauen Rock seines Schreibers von dem auch im Unglück noch prunksüchtigen Ottokar den Lehnseid nahm und doch der Knieende der Herr schien.

Daß Rudolf seinen Erfolg durch Ehen zwischen seinen und Ottokars Kindern sichern und damit eine enge politische Verbindung zwischen Österreich und Böhmen in neuer Form wiederzuerrichten unternahm, hätten ihm die deutschen Fürsten vielleicht noch verziehen; daß er einen Teil der zurückeroberten Länder selbst verwalten wollte, weckte auf das lebhafteste ihre Mißgunst. Man hatte schließlich keine "Revindikationen" veranstaltet, damit das wiedergewonnene Reichsgut Hausgut werde. Rudolf bekam den seither nicht mehr verstummten Vorwurf, er treibe eigensüchtige Hauspolitik, statt des Reiches zu warten. Aber was hieß im spätmittelalterlichen Deutschland "das Reich"? Ohne ein starkes Hausgut des Königs gab es keine Herrschaft über die Fürsten, ohne Herrschaft über die Fürsten keine Macht des Reichs. Die Instinktsicherheit des ergrauten Territorialpolitikers fand die verzichtvolle, aber erlösende Gleichung von Reichspolitk und Hauspolitik, nach der die kommenden Jahrhunderte lebten, in Österreich in alsbald verzerrter, bei aller Reichsmäßigkeit des Denkens tatsächlich ins nur Dynastische gefährlich verstrickten Form, in Brandenburg-Preußen nüchtern zu Ende gedacht und mit dem Gelingen dieses wieder dem Reiche zuschreitenden Staates ihre ethische Gleichberechtigung erweisend.

Ottokar gab, allen Abmachungen zum Trotz, keine Ruhe. Er fand neue Freunde und alte, wie die Wetterfahne Heinrich von Baiern, wieder; bei Brünn sammelte er im Juli 1278 ein Heer und schickte sich an, sein vermeintliches Recht zu erkämpfen. Aber wieder hatte Rudolf vorgesorgt, wieder setzten die beutelustigen Ungarn zu [32] Tausenden über Donau und March und stießen zu seinen geringen Truppen. Auf dem Marchfelde bei Dürnkrut, nur durch den Weidenbach getrennt, lagerten die Heere. Am 26. August, einem Freitag – Rudolfs Lieblingsschlachttag – begann in der Frühe der Kampf. Rudolf hatte, was ihm an Zahl fehlte, durch Sorgsamkeit der Aufstellung ersetzt: weniger der ritterlich regellose Kampf Mann gegen Mann als das Neben- und Nacheinander kleiner Einheiten sollte die Schlacht tragen. Die Entscheidung fällte ein halbes Hundert schwerer Reiter unter dem langen Kapeller, die Rudolf im entscheidenden Augenblick in das Treffen warf: der Gedanke der Reserve, ein Gedanke erst des dreizehnten Jahrhunderts, brachte den Sieg; es zeugt für die Disziplin von Rudolfs Mannen, daß sie sich zu dieser Unritterlichkeit, derentwegen man sich bei den Standesgenossen zu entschuldigen hatte, hergaben. Ottokar soll 14 000 Mann verloren haben, der Rest ward von den leichten ungarischen Reitern verfolgt und niedergemacht; noch lange fischten die Bauern die Leichen aus der March. Ottokar selbst fiel von der Hand eigener ungetreuer Ritter.

Die Schlacht war ganz und gar die persönliche Leistung Rudolfs, sowohl in der politischen Vorbereitung wie in der strategischen Durchführung. Sein Kriegsruhm, der schon groß genug war, wuchs ins Ungemessene; mit abergläubischem Respekt sprach man von dem Sieger, und mit rittermäßigem Befremden ward bei einer späteren Schlacht vermerkt, dieser Habsburger scheue kein Gelände, er komme und wenn er kriechen müsse. Mit 4000 Rittern und 40 000 deutschen Fußknechten wolle er, so meinte er selbst, wohl die Welt bezwingen. Nun aber war die Schlacht seines Lebens geschlagen, Österreich dem Deutschtum gerettet. Nun wollte Rudolf kein Kriegsmann mehr, sondern "ein gut fridemacher" sein.

Aber sein frommer Wunsch tauchte im Leben unter. Der Sieg von Dürnkrut wollte befestigt sein; da ging es nicht ohne Zwistigkeiten ab. Ottokars Sohn zwar, den jungen Wenzel, ließ der Sieger in kluger Mäßigung seinen Sturz nicht zu sehr fühlen; er durfte Böhmen behalten, und die drei Jahre zuvor abgesprochene Doppelhochzeit wurde jetzt wirklich gefeiert. Streit gab es mit den deutschen Fürsten. Rudolf brauchte Jahre, bis er ihrem Argwohn die "Willebriefe" abrang, ohne die er gemäß seinen Wahlbedingungen keinerlei Verfügungen über Reichsgut treffen durfte. Endlich erhielt er ihre grämliche Zustimmung zu der 1282 erfolgenden Belehnung seiner Söhne Albrecht und Rudolf mit Österreich und Steiermark. Die Rheinfeldner Hausordnung gab im folgenden Jahr die Länder auf die Vorstellungen der Stände hin in die Hand Albrechts allein. Kärnten bekam, endgültig 1286, der alte Waffengenosse Meinhard von Tirol, der auf das zunächst ebenfalls beanspruchte Krain verzichtete – so blieb der 1382 mit der Erwerbung Triests dann vollends geebnete Weg zur Adria in der Hand des neuen Geschlechtes.

Österreich war habsburgisch. Rudolfs Königtum wuchs an Macht und Ansehen. Aber schon riefen ihn neue Aufgaben wieder nach Westen. Einmal noch, 1290, spürte der Osten seine Hand, als er das Fürstentum Breslau der zersplitterten [33] Krone Polen kurzerhand abgliederte und seinem Schwiegersohne Wenzel gab. Die eigentliche Tat der Deutschen seiner Zeit aber, die große Ostsiedelung, geschah, als eine eigenen Gesetzen gehorchende Volksbewegung, im Grunde ohne Rudolf und ohne das Reich, dessen Herzkraft dem dreizehnten Jahrhundert immer noch wie einst Otto von Freising am Rheine lag.

Die Oberrheinlande, den anderen Flügel des habsburgischen Adlers, hatte Rudolf keinen Augenblick aus den Augen gelassen. So ritt der König, kaum daß Albrechts österreichische Stellung halbwegs gefestigt war, wieder aus den Toren Wiens. Die Plackerei im kleinen, das zähe, lautlose Erringen von Fetzen Landes hier, von einer Vogtei und einer Dreiviertelserbschaft dort nahm seinen Fortgang; Sankt Gallen ward bedrängt, die Erbschaft der Rapperswiler Grafen erworben, Luzern gekauft, die Gebiete um den erst ein halbes Jahrhundert alten Gotthardpaß in Besitz gebracht. Minder erfolgreich war Rudolf nördlich des Rheins. Sein Plan, das alte Herzogtum Schwaben wiederherzustellen und es seinem aus Österreich gewiesenen Sohne Rudolf zu geben, fand den erbitterten Widerstand insbesondere Graf Eberhards des Erlauchten von Württemberg.

Eher horchte die Welt schon auf, als sie von dem Vorgehen des Königs gegen Savoyen und Burgund vernahm. Dem Savoyer nahm er Peterlingen, Gümminen und Murten. An das Pulverfaß Burgund wagte er sich nur in Gestalt zweier Angriffe auf einen Rest des alten Königreiches, die "Freigrafschaft" unter Pfalzgraf Otto. Den ersten führte er für das ehemals feindliche Basel, dessen neuer Bischof ihm eng verbunden war, und eroberte dem Basler Territorium seinen Hauptort Pruntrut zurück. Der zweite ging um mehr: um die Anerkennung der Lehnshoheit des Reiches und um die alte Reichsstadt Besançon. Nicht nur der Savoyer, sondern viele französische Ritter zogen von weither dem Pfalzgrafen zu Hilfe; es hieß nicht, aber es war im Grunde ein deutsch-französischer Krieg; die Freundschaft mit Frankreich, die Rudolf in voller Einsicht der Aussichtslosigkeit eines kriegerischen Austrages durch die Altersheirat mit Isabella hatte befestigen wollen, bestand die Probe nicht, wenn der französische König selbst auch sich im Hintergrund hielt. Aber Rudolf siegte doch; 1290 war Besançon wieder beim Reich.

Nirgendwo schimmert Rudolfs Hauspolitik deutlicher durch die Reichspolitik durch als in diesen Kriegen. Er kämpfte immer nur um das Erreichbare, auch räumlich verstanden; die verlorenen Reichsgebiete hatte er mit der echten Sorge des Königs um seine Grenzen ebenso wie mit der landesherrlichen Leidenschaft zum Abrunden erstritten. Mit dem Arelat, dem alten Königreich Burgund, sprang er ganz anders um; das war nun einmal verloren, seit die Provence 1246 von dem Anjou genommen worden und angesichts des angiovinisch-päpstlichen Bundes und den Folgen einer Verstimmung für die Kaiserkrönungsfrage schlechterdings nicht der Revindikation zuzuführen war; es wurde ebenso unbedenklich einer Eheverabredung mit England zugrunde gelegt wie es nach deren Scheitern eine [34] Tochter Rudolfs, die um des Friedens mit Karl von Anjou willen dessen Enkel heiratete, zur Mitgift bekam; nur der Schlag, den die angiovinische Macht durch die Sizilianische Vesper von 1282 erlitt und der die Hoffnung Karls auf eine frühe Einigung Italiens durch seine Hand zunichte machte, ließ aus einem Anjou-Arelat nichts werden. Verloren ging es Stück für Stück dank der französischen Ausdehnungspolitik darum doch. Ähnlich, wenn auch undurchsichtiger, schaltete Rudolf in Italien; er wahrte, was zu wahren war, erwirkte den Verzicht Karls auf das toskanische Reichsvikariat und ließ die Städte der Romagna Treue schwören; aber als der Papst auf der Zurücknahme der Eide bestand, gehorchte er ohne Kampf.

Der Vorfall beleuchtet die lähmende Macht, die das Problem des Erwerbes der Kaiserkrone für Rudolf besaß. Er hat lange für einen Italienverächter gegolten, der sich aus der Kaiserkrone im Grunde nichts gemacht habe. Bereits um 1300 erzählt ein Chronist, man habe nach dem Sieg über Ottokar den König gedrängt, "daz er ze Rom fûre und kaiser wurde". Der König aber habe mit einer Fabel geantwortet: "Es waren einmal viele Tiere geladen, in einen hohlen Berg zu gehen. Alle Tiere taten wie geheißen, nur der Fuchs wollte erst sehen, ob sie auch wiederkämen. Keines kam wieder, da blieb der kluge Fuchs lieber draußen..." Aber war Rudolf wirklich um soviel schlauer als seine Vorgänger, die es allesamt nicht lassen konnten, über die Berge zu ziehen? Auf Reichsitalien konnte er allenfalls verzichten; niemals aber auf die Kaiserkrone. Das eben war ja die neue Erfahrung seiner Zeit, daß eins ohne das andere möglich war. Die Kaiserkrone aber brauchte er, um die Sohnesfolge zu sichern. Denn nach dem geltenden Reichsrecht durfte allein ein gekrönter Kaiser seinen Sohn zum König, also zum Nachfolger wählen lassen; dem bloßen König war das versagt, zwei Könige durften nicht sein. Ohne Kaiserkrone keine Sohnesfolge: wer wollte da den deutschen Hausmachtpolitiker bewundern und im selben Atemzug den Italienverächter preisen?

Aber nicht nur der König wollte Kaiser sein, auch das Volk wollte seinen Kaiser. Freilich, ein Staufer, auch wenn er falsch war, war ihm doch lieber als der glanzlose Habsburger. Im Jahre 1284 ging ein alter Mann, den man auf dem Kölner Markt, einem heißen Boden für Phantasten, mit Blechkrone und ausgerupftem Bart verspottet hatte, nach Neuß, hielt sich Hofstaat, Siegel und Kanzlei, sandte und empfing allerlei Boten, mischte sich in den Kampf der Friesen gegen Floris von Holland, zog dann zur Reichsstadt Wetzlar, wurde dort an einem Julitag des Jahres 1285 vom Marschall von Pappenheim am Sattelriemen seines Pferdes vors Tor geführt und soll gestanden haben, er heiße Tile Kolup; dann ward er, "der auf fremdem Acker hatte mähen wollen", auf einen Wagen gefesselt und verbrannt. Rudolf hatte lange zugesehen und schließlich die Stadt Wetzlar durch wie beiläufige Zuvorkommenheit zurückgewonnen. Aber Dietrich Holzschuhs Asche glomm noch, da kamen neue Friedriche. Den einen ereilte der [35] Utrechter Galgen, den andern ertränkten die Lübecker wie einen tollen Hund, den dritten hat man in Eßlingen verbrannt. Und es dauerte noch seine Zeit, daß "nimand wuste, ab keiser Frederich tot was adder nicht".

Während der rätselhafte Mann, an dem die Kaisersehnsucht des Volkes sich entflammt hatte, schon seinem Ende entgegenging, rückte Rudolf der Kaiserkrone näher als seit langem. Von den acht Päpsten seiner Regierungszeit waren nur drei seinem Vorhaben geneigt. Der erste war Gregor X., der zur Unzeit starb. Der andere, Nikolaus III., schuf mit der habsburgisch-angiovinischen Versöhnung die Voraussetzung zur Kaiserkrönung – wie weit er sich auf jene damals umlaufenden Erbreichspläne einließ, die dem deutschen König als Preis für einen Verzicht aufs Kaisertum die Erblichkeit der Königskrone geben wollten, steht dahin; und mag Rudolf selbst auch nicht das solche Pläne entrüstet verwerfende Reichspathos des damals von dem Weltamt des Kaisers schreibenden Kölners Alexander von Roes geteilt haben: So lediglich dem Nutzen zugewandt war sein überlieferungswilliger Sinn nun auch wieder nicht, daß er hier mittat. Genug, Nikolaus wollte ihm die Krone geben; da starb im Jahre 1280 auch er, und alle Opfer waren umsonst gebracht. Der dritte Papst war der 1285 zur Herrschaft gelangende Honorius IV.; er lenkte wieder in Nikolaus' Bahnen ein. Ein Legat, Johannes von Tusculum, wurde auf Rudolfs Bitten nach Deutschland entsandt – ein verhängnisvoller Wunsch. Ein mit einem Nationalkonzil verbundener Reichstag eröffnete 1287 zu Würzburg die Verhandlungen über den Romzug. Aber es wurde ein Skandal daraus. Der Zorn der deutschen Bischöfe über die in die Millionen gehenden und nicht eben fromm verwendeten Kreuzzugszehnten fiel über den hochfahrenden Legaten her, den Drachen mit dem giftigen Schweif, der sich statt vom Quell der Wahrheit vom Quell Moneta speise und besser bei seinem lombardischen Kohl geblieben wäre. Ihr Sprecher dämpfte seinen furor teutonicus trotz Rudolfs Dazwischentreten um so weniger, als die leidige Sorge des Kurfürstenkollegs um seinen Bestand, die erst die Goldene Bulle von ihm nahm, in der unverhinderten Abkanzelung des Sendlings nicht nur den Papst, sondern auch den König zu treffen hoffen durfte: man wußte sehr wohl, daß hinter der Kaiserkrone die verhaßte Sohnesfolge hervorluge, die die Kurfürsten um Macht, Einfluß und zuträgliche Wahlverhandlungen gebracht hätte.

Als kurz darauf Honorius starb und sein Nachfolger abwinkte, war die Kaiserkrone so gut wie entschwunden. Rudolfs verzweifelter Versuch, sein Ziel unter Verzicht auf sie durch unmittelbare Abmachungen mit den Kurfürsten zu erreichen, scheiterte am Widerstand Böhmens, und als der angeblich untragbare Albrecht durch seinen Bruder Rudolf ersetzt wurde, an dessen plötzlichem Tod. Nicht Albrecht, sondern der mittelmäßige Graf Adolf von Nassau wurde Rudolfs Nachfolger, und als Albrecht sich bei Göllheim dennoch das Reich erstritt, setzte die Mörderhand seines Neffen dem Leben des schroffen, aber weit- [36] blickenden und tatkräftigen Herrschers schon bald ein verhängnisvoll frühes Ziel. Erst 1438 mit Albrecht II. erhob sich das Geschlecht zur Dynastie, die den reinen Ansatz Rudolfs und seines Sohnes schicksalhaft verderben mußte.

Konnte Rudolf die Kaiserkrone auch nicht erringen: zur Ordnung von Recht und Frieden in seinem Reich konnte er ihrer entraten. Er hat Erstaunliches geleistet. Immer wieder erneuerte er den Landfrieden; die Raubzölle wurden beseitigt, die Burgen der ihr Fehderecht nur noch als Vorwand benutzenden Raubritter gebrochen; allein der denkwürdige Erfurter Hoftag von 1289/90 brachte die Zerstörung von wohl 66 solcher "schädlichen Häuser", und an 29 um Ilmenau ihr Unwesen treibenden Räubern statuierte Rudolf vor Erfurts Toren ein strenges Exempel. "Heimliche", fest besoldete Räte wurden zur Wahrung der landesherrlichen wie der königlichen Rechte und bald auch, als Ergänzung des an der Zufälligkeit seiner Zusammensetzung krankenden Hofgerichtes, zur Wahrung des Rechtes eingesetzt. Aber so sehr die landesherrliche Praxis in die Reichsverwaltung hinübergriff: grundsätzlich waren seit Rudolf von Habsburg Reichsgut und Hausgut geschieden. Das strenge System der kurfürstlichen Willebriefe für jede Veräußerung von Reichsgut sorgte dafür, daß der König, schon um sich nicht ins eigne Fleisch zu schneiden, Friedrichs II. bewußtem Zusammenwerfen von Reichs- und Hausbesitz keine Folge gab; das Wahlreich trug seine Früchte. Reichslandvogteien im Elsaß, in Schwaben und in Franken mit absetzbaren Vögten, unverbindlichere Reichsverweserschaften insbesondere für Thüringen und für den Norden versuchten, durch eine Burgenkette von der Pfalz bis Wimpfen gesichert, das auseinanderstiebende Reichsgut wieder einzufangen. Von dem Kraut und den Hühnern freilich, die die Güter lieferten, konnte der König vielleicht satt werden, aber keine Kriege führen – da mußten die Städte helfen, denen Rudolf, um sie doch zum Zahlen zu bringen, durch Burgenbau bis in die Mauern nachlief. Städtische Jahressteuern, Sonderumlagen, ja Vermögenssteuern mußten die italienischen Einkünfte und die längst vergessenen Abgaben der Fürsten ersetzen. So kam es, daß Rudolf zwar volkstümlich, aber nie recht beliebt wurde. Nicht alle seine Maßnahmen hatten Erfolg; doch daß das Reich überhaupt erst wieder einmal verwaltet wurde, war ganz und gar sein Verdienst.

Überhaupt war er zwar leutselig, aber nicht bieder. Galt seine Zuverlässigkeit auch selbst an der Kurie als sprichwörtlich, so hat er sich doch oft von dunkleren Kräften tragen lassen als von Vernünftigkeit und gelassenem Planen. Schon als Graf scheute er sich nicht, das Reuerinnenkloster bei Basel in jähem Überfall nächtlich zu verbrennen. Dem Streit mit Sankt Gallen machte er einmal ein Ende, indem er einfach zum Kloster ritt und sich an die Tafel des Abtes setzte – männlich geradheraus gehandelt und doch hintergründiger: wer drei Fehden habe, sagte er, solle eine davon beilegen; beilegen aber, wußte er, war nicht vergessen. Ein junger Ritter, dessen Burg er haben wollte, bekam es zu spüren: erst vergebliche Fehde, dann ein Scheinfrieden, schließlich ein Mord aus dem Hinterhalt. Einen Ver- [37] schwörer lud er zu sich, trank mit ihm und ließ ihn hinterdrein unterm Eis ertränken. So war er, offen und verschlagen zugleich; war er aber böse, so war er es doch immer unter persönlichem Einsatz und verschanzte sich nicht hinter seinem Pult.

Grabmal Rudolfs von Habsburg in der Krypta des Domes zu Speyer.
[32a]      Grabmal Rudolfs von Habsburg
in der Krypta des Domes zu Speyer.

[Bildquelle: Walter Hege, Naumburg.]
Er war ein großer, schlanker, fast hagerer Mann von dennoch ebenmäßigem Wuchs; einmütig reden die Quellen von seiner gracilis statura; feingebildete Hände, ein schmaler bartloser Kopf mit langem braunem Haar, eine große Adlernase gaben seiner Gestalt edle Art. Unvergleichlich zeigt den Greis das nach dem Lebenden geschaffene, runzelgetreue Grabdenkmal aus rotem Sandstein im Speyerer Dom, ein Abbild auch des neuen Königstypus, den Rudolf schuf: bewegter, gespannter als etwa Barbarossas feste Heiterkeit, schmallippig, immer vor dem Zugriff und immer in Anstrengung, die Zeit in die Fugen zu bringen.

Gegen sich selbst war er hart. Leckerei, Prunksucht, Aufwand aller Art waren ihm ein Greuel. Daß der Graf von Hachberg so gern Kapaune aß, reizte seine Spottlust. Er kleidete sich schlicht, ja ärmlich; bei Dürnkrut siegte er in rostiger Rüstung. Als er einmal in Ensisheim dringend benötigte Soldknechte angeworben hatte und diese bei Tische, unzufrieden mit dem vorgesetzten Brot und dem sauren Wein, sich bessere Sorten kaufen gingen, hob er die Tafel kurzerhand auf und entließ die Leute; er sei zufrieden, so könnten auch sie es sein. Vor Besançon klaubte er sich Rüben aus dem Feld und flickte selbst sein Wams, in Mainz konnte man ihn sich in der nächsten Backstube die Hände wärmen sehen. An die fünfzig Anekdoten gingen schon zu Lebzeiten von ihm um; um 1320 hat man sie bereits gesammelt. Das Volk hatte seinen Spaß an der Geschichte, wie Rudolf einen Wirt, der ein Darlehen nicht zurückzahlen will und von dem Gläubiger beim König verklagt wird, bei einem Empfang launig um seine schöne Mütze bittet, insgeheim einen Boten zur Frau des Halunken sendet, dem durch die Mütze Beglaubigten das Geld auszahlen läßt, es dem Gläubiger zurückerstattet und den Schuldigen verprügelt. Eine volkstümliche Justiz. Man bestaunte den klugen König, der mit einem reichen Fernhändler Halbpart macht, ihn seinen Hering ausnahmsweise statt in Straßburg in Köln, seinen Wein statt in Köln in Straßburg verkaufen heißt und viel dabei gewinnt. Und Rudolf selbst erzählte gern, wie er in Zürich auf der Brücke einem Greis mit schönem weißem Haar begegnete und zu seinem Begleiter meinte, der habe sein Leben wohl angenehmer verbracht als er, worauf der Alte sich einmischte und widersprach; in seiner Jugend hatte er eine alte, im Alter eine junge Frau; für die Häßlichkeit der einen war er zu jung gewesen, der Schönheit der anderen zu alt geworden – so ging es ihm nie nach Wunsch. Daß ihr König sich über solche Geschichte hellauf vergnügen konnte, machte ihn seinen Städtern so vertraut.

Er war fromm, aber weder Fanatiker noch bigott. Am liebsten mochte er noch die Barfüßer; die Abneigung gegen die Weltgeistlichkeit teilte er mit seinem Schützling und Freund Heinrich Knoderer aus Isny, den er aus einem Bäckerssohn und Mainzer Klosterlektor zum Bischof von Basel machte und endlich zum [38] höchsten Reichsamt, zum Reichskanzler und Mainzer Erzbischof berief – ein merkwürdiger, hitziger Mann, dem man nachsagte, er habe bei einem Gastmahl Pfaffen als Stühle verlangt. Offenbar hat er bedeutenden Anteil an Rudolfs Politik gehabt. Er war nicht der einzige Vertraute, den Rudolf auf einen hohen Posten brachte – der Einfluß des Königs auf die Vergebung geistlicher Stellen hat sich als recht beachtlich herausgestellt – doch war er der treueste.

Wie weit Rudolf dem geistigen Leben der Nation verbunden war, ist ungewiß. Wenn sein Landsmann Albert der Große sich beim Papst für seine Wahl verwandte, so geschah es schwerlich seiner philosophischen Bildung wegen. Friedrich II. und ihn trennt auch hier eine Welt. Gern litt er Dichter um sich, ob er sie auch knapp hielt; der Thurgauer Ritter Steinmar zog mit ihm und trug ihm seine handfesten Herbstlieder vor, und kurz vor der Schlacht auf dem Marchfelde durfte Heinrich Frauenlob von Meißen nach seiner Preisliedermanier einen Ritterschlag besingen. Aber das war alles nicht Kunst – die Kunst wohnte damals in jener Bauhütte zu Straßburg, wo man über den Plänen zum Wunderwerke des Münsters sann; schon rechts des Rheines aber zeigten Starre und krisenhafte Überladenheit, daß zuweilen auch die bildende Kunst dem Tiefstand der Dichtung nicht mehr ferne war. Die höfische Welt versank; die Töne, die sie noch eingab, waren schon dem lehrhaft scholastischen Meistersang nahe oder wurden laut und falsch. Die Stimmen aber, die aus dem Munde einer Mechthild von Magdeburg sprachen und ihre machtvolle Gestaltung durch Meister Eckhart finden sollten – der zu Rudolfs Zeit Student war –, die mystischen Stimmen einer gewaltig anhebenden Epoche der religiösen Lebensdurchdringung, die Vorzeichen einer neuen, bürgerlichen Kultur, all das, was für Goethe "das historisch Interessante" erst mit Rudolf von Habsburg beginnen ließ, es erreichte sicherlich nicht des Königs Ohr.

Das war auch nicht sein Amt. Zu anderem war er berufen, und das hat er vernommen. Ein bedeutendes Territorium ward im Südwesten des Reiches aufgebaut, die Gefahr der savoyischen Verwelschung der Schweiz gebannt, das Deutschtum der Donaulande dem Reiche gerettet, das Verhältnis zum Papsttume wieder erträglich gemacht, Verwaltung, Recht und Frieden wiederhergestellt. Rudolf rettete das Reich, das schon beinahe keines mehr gewesen war, und in seiner Bescheidung ist dieses Werk groß. Dem Fegfeuer, in das ihn Dante um seiner Saumseligkeit in Italien willen getan hat, hat die Geschichte ihn längst entführt.

"Zu den anderen hin will ich", sagte der König, als er mit dreiundsiebzig Jahren in Germersheim den Tod nahen fühlte, "hin nach Speyer, wo viele meiner Vorgänger liegen, die auch Könige waren; und daß man mich nicht hinbringen muß, will ich selber zu ihnen geritten kommen." So ritt er aufrecht nach Speyer. Dort ist er am 15. Juli 1291 gestorben.




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz