Historiker spricht von „schwieriger Beziehung“: Hindenburg in Dietramszell
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Historiker spricht von „schwieriger Beziehung“: Hindenburg in Dietramszell

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Umstrittene Aktion: Der Künstler Wolfram Kastner legte die abmontierte Büste Hindenburgs 2014 im Garten der Familie von Schilcher ab.
Umstrittene Aktion: Der Künstler Wolfram Kastner legte die abmontierte Büste Hindenburgs 2014 im Garten der Familie von Schilcher ab. © SH/Archiv

Michael Holzmann setzt auf Aufklärung: In Dietramszell beleuchtet er den Umgang der Gemeinde mit Paul von Hindenburg - und er räumt mit einem Vorurteil auf.

Dietramszell – Der Umgang mit einzelnen Protagonisten im „Dritten Reich“ ist umstritten. Paul von Hindenburg ist einer von ihnen. Als Reichspräsident verhalf er den Nazis Anfang der 1930er-Jahre zur Macht, indem er Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Blickt Dr. Michael Holzmann in diesem historischen Kontext auf die vergangenen 20 Jahre in Dietramszell zurück, stellt er fest: „Hindenburg und Dietramszell – das ist eine schwierige Beziehung“. So stieg der Historiker kürzlich in seinen Vortrag im Dietramszeller Pfarrheim ein.

Historiker spricht von „schwieriger Beziehung“: Hindenburg in Dietramszell

Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg griff nach dem Tod seiner Ehefrau 1893 eine alte Freizeitbeschäftigung wieder auf: die Großwildjagd. In seiner Sammlung fehlten laut Holzmann Gämse. Hindenburg suchte also nach einer Region, in der diese Tierart vertreten war – so wurde Dietramszell zu seinem bevorzugten Sommerurlaubsdomizil. „Jedes Jahr hielt er sich für drei Wochen bei der Familie von Schilcher auf und ging zur Jagd“, berichtete der Geschichtsexperte. Anfangs sei von Hindenburg ein gern gesehener Gast im Klosterdorf gewesen, 1926 wurde er sogar dessen Ehrenbürger.

Die Stimmung sei im Laufe der Zeit gekippt. „Die Bewohner warfen ihm zahlreiche Kleinigkeiten vor, die sich in der Masse als gravierende Vorwürfe zeigten“, so der promovierte Historiker. Unter anderem habe der Reichspräsident zu einem Festessen den Dietramszeller Bürgermeister nicht eingeladen – und die offenkundige Not der Bauern sei ihm gleichgültig gewesen.

Den Ansehensverlust belegte Holzmann anhand der Reichspräsidentenwahl 1932: „Während im ersten Durchgang 157 Dietramszeller für den parteilosen Paul von Hindenburg stimmten, bekam NSDAP-Konkurrent Adolf Hitler 228 Stimmen.“ Von Hindenburg habe diese Wahlschlappe sehr getroffen: Bis zu seinem Tod im Jahr 1934 setzte er keinen Fuß mehr in die Gemeinde.

Wie kam Hindenburg an die Klostermauer von Dietramszell?

Trotz seiner anfänglichen Abneigung ernannte von Hindenburg Hitler 1933 zum Reichskanzler. Holzmann bezeichnete den Staatsmann deshalb als „bedeutendsten Steigbügelhalter“. 1939 – fünf Jahre nach seinem Tod – brachte man an der Klostermauer in Dietramszell eine Bronzebüste Hindenburgs an. Warum? Das ist laut dem 69-Jährigen bislang nicht belegt. Er spricht von einer „Retourkutsche“ der Nazis gegenüber der Kirche: Der Journalist und Politiker Herrmann Esser – unter anderem Mitglied des Bayerischen Landtags, später des Reichstags und einer der frühesten Gefolgsleute Hitlers – hatte laut dem Referenten „ein Faible“ für die Zeller Gegend. Er habe mehr Einfluss auf die Klosterschule nehmen wollen. Das Dorf aber habe sich quergestellt. Holzmann vermutet, dass Esser aus diesem Grund die Büste an der Mauer anbringen ließ.

Michael Holzmann
Dr. Michael Holzmann, Historiker aus Dietramszell © SH/Archiv

Büste verschwand nach dem zweiten Weltkrieg - Hindenburg-Denkmal

Nach dem Kriegsende 1945 verschwand das Denkmal. Denn: „Alles, was an den Nationalsozialismus erinnert, muss aufgelöst werden“, so lautete der Beschluss der Alliierten nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland. Erst sieben Jahre später tauchte die Bronzebüste wieder auf. An der Klostermauer in Dietramszell, fünf Meter rechts vom ursprünglichen Standort entfernt. „Wo die Büste in der Zwischenzeit war, lässt sich bis heute nicht belegen“, so Holzmann.

Bis 2014 blieb das Abbild Hindenburgs an dieser Stelle. Dann griff der Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner zu, montierte die Büste ab, pappte aufs rechte Auge einen Hakenkreuz-Aufkleber und legte sie unter ein Holzkreuz im Garten der Familie von Schilcher ab. Auf ein Plakat schrieb Kastner, die Büste sei nach ihrem Verschwinden 1945 „wieder von alten Nazis aufgestellt, 2014 endgültig entfernt und Hindenburg-Verehrern S. unter das Kreuz gelegt“ worden. Den Historiker hat das nach eigenen Worten „stark verärgert“. Denn: „Niemand aus der Familie von Schilcher ist ein NSDAP-Funktionär gewesen.“

„Braunes Nest?“ Historiker räumt mit Vorurteil auf

Der Fachmann hat beobachtet, dass viele Dietramszeller – nicht erst seit der umstrittenen Kunstaktion von Kastner – die Sorge hatten, „als braunes Dorf konnotiert zu werden“. Auch er selbst habe diese Erfahrung gemacht: Bevor er selbst ins Klosterdorf zog, habe man ihn gewarnt: „Dietramszell? Da kommst du in ein braunes Nest.“ Doch „bis heute“ hat Holzmann „nie aus erster Hand einen braunen Ton oder eine Äußerung gehört“.

Der Dietramszeller setzt sich intensiv mit der Thematik auseinander. Er startete mit einem Symposium in der Gemeinde 2019 mit Wolfram Pyta, Professor für Neuere Geschichte aus Stuttgart. Die Aufklärungsarbeit soll weitergehen: So wird derzeit ein Geschichtspfad mit zehn Stationen zu von Hindenburgs Person und seiner Beziehung zu Dietramszell erarbeitet (wir berichteten). Der 69-Jährige „möchte auch junge Menschen mit ins Boot ziehen“. Er hat vergangenes Jahr mit Kindern aus der Dietramszeller Montessori-Schule das Stadtarchiv in Wolfratshausen besucht. „Das Interesse der Kinder ist groß. Deshalb setzen wir dieses Projekt in diesem Jahr fort.“

Und die Hindenburg-Büste? Die wurde wie berichtet im vergangenen Herbst ins Haus der Bayerischen Geschichte nach Regensburg gebracht. Holzmann bezeichnet dies als „die beste Lösung“. Sie – versehen mit einem erklärenden Text – wieder an die Klostermauer zu schrauben, wäre für den Historiker keine Option gewesen: „Es wäre zur Gefahr geworden, dass wir einen Personenkreis in Dietramszell bekommen hätten, den wir hier nicht haben wollen.“

ELISA KIESLINGER

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