Interview mit Nicola Lubitsch zu Kindheitserinnerungen und den Lubitsch-Touch

Geschichten aus dem Lubitschland

Ein Gespräch über Kindheitserinnerungen, den Lubitsch-Touch und deutsche Bürokratie.

„Die Filme, die heute gedreht werden, verkaufen den Zuschauer für dumm“: Nicola Lubitsch in der Lounge des Hotels Honigmond in Mitte.
„Die Filme, die heute gedreht werden, verkaufen den Zuschauer für dumm“: Nicola Lubitsch in der Lounge des Hotels Honigmond in Mitte.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Wie jedes Jahr in der letzten Januarwoche ist Nicola Lubitsch in Berlin. Seit 25 Jahren begeht sie den Geburtstag ihres Vaters, des Meisterregisseurs Ernst Lubitsch, in dessen Heimatstadt. Sie selbst ist im Oktober 80 Jahre alt geworden, eine kleine, drahtige und offenbar mit dem Witz und der Herzlichkeit ihres Vaters gesegnete Person.

Sie empfängt uns in einem kleinen Hotel in Mitte, unweit des Elternhauses von Ernst Lubitsch. In dessen Namen wird heute Abend im Babylon der „Lubitsch-Preis“ für die beste komödiantische Leistung im deutschen Film vergeben. Er geht an Lars Eidinger und Bjarne Mädel für den Film „25 km/h.“ Stargast des Abends ist jedoch Nicola Lubitsch.


Zur Person

Berühmte Eltern: Nicola Lubitsch wurde am 27. Oktober 1938 in Los Angeles geboren. Sie ist das einzige Kind des Regisseurs Ernst Lubitsch (1892–1947). Ihre Mutter war die englische Schauspielerin Vivian Gaye (1907–2010).

Beruf und Erbe: Sie besuchte zunächst eine Schauspielschule, spielte kleine Rollen auf dem Broadway und studierte an der Comédie-Française in Paris. Später arbeitete sie als Rundfunkproduzentin. Sie ist gern gesehener Gast bei Lubitsch-Festivals und -Retrospektiven auf der ganzen Welt. Nicola Lubitsch lebt in Los Angeles und hat seit 2017 einen deutschen Pass.
  


Frau Lubitsch, offenbar ist es Ihnen ein Anliegen, den Geburtstag Ihres Vaters am 29. Januar in dessen Heimatstadt zu begehen.

Ich muss mich da vor allem bei Timothy Grossman vom Babylon bedanken, der mich jedes Jahr nach Berlin holt, wenn er den Geburtstag meines Vaters mit einem Lubitsch-Special feiert. Das erste Mal war ich noch auf Einladung von Gunter Rometsch hier, der damals das „Notausgang“-Kino in Schöneberg betrieb, einem passionierten Lubitsch-Fan, der für sein Kino ja auch die hölzerne Lubitsch-Figur hatte anfertigen lassen, die jetzt ihren Ehrenplatz im Babylon hat. Das muss kurz nach dem Mauerfall gewesen sein, denn in Ost-Berlin zahlte man noch mit Ostmark. Und ja, ich fühle mich hier inzwischen sehr zu Hause, und nirgendwo anders fühle ich mich meinem Vater so verbunden.

Gibt es ganz bestimmte Orte, die Sie besuchen, wenn Sie in Berlin sind?

Ich wohne immer in einem kleinen Hotel in der Tieckstraße – das ist nicht weit von der Gegend, in der mein Vater aufwuchs. Sein Elternhaus am Fuß der Schönhauser Allee, Hausnummer 183, ist ja vom Krieg verschont geblieben. Die Lubitschs wohnten im zweiten Stock, unten im Haus hatte sein Vater eine Mantelschneiderei. Als vor Jahren eine Dokumentation gedreht wurde, durfte ich auch mal rein. Die Leute, die dort inzwischen wohnten, verbrachten zufällig ihren letzten Tag in der Wohnung, bevor sie nach langen Jahren fortziehen mussten. Von daher war es doppelt emotional.

Ihr Vater war ja ein Nesthocker.

Ja, er wohnte bis er 27 war bei seinen Eltern. Erst 1919, nachdem „Madame Dubarry“ solch ein Erfolg wurde, zog er nach Schöneberg in die Ansbacher Straße.

Wo finden sich noch Spuren von Lubitsch in Berlin?

Ich besuche fast jedes Mal das Grab seiner Eltern, meiner Großeltern, in Weißensee. Als ich zum ersten Mal dort war, war es komplett verwildert, meine Tochter war dabei, es hat in Strömen geregnet, und wir konnten es lange nicht finden, weil die Grabsteininschrift total verwittert war. Als wir es dann doch fanden, war es dennoch ein extrem emotionaler Moment. Sie müssen wissen, dass nicht nur meine Tochter dabei war, sondern auch meine Cousine, die nicht viel jünger war als mein Vater – sie hatte ihm seinerzeit noch das Lunchpaket ins Deutsche Theater gebracht, als er da unter Max Reinhardt seine ersten Schritte auf der Bühne tat. Sie ist inzwischen gestorben, aber sie hat wenigstens noch einmal das Grab von Simon und Anna Lubitsch gesehen.

Wie geht es dem Grab heute

?

Ich habe es restaurieren lassen. und ich hatte zum Glück einige nette Menschen, die mir dabei durch die Bürokratie geholfen haben. Sie glauben nicht, was so eine schlichte Grabrenovierung für einen Papierkrieg erfordert.

Doch.

Ja, das ist sehr deutsch.

Warum gibt es noch keine Lubitschstraße in Berlin?

Das frage ich Sie.

Ich fürchte, weil er keine Frau war.

Es gab da schon Anläufe, von Gunter Rometsch, später von Timothy Grossman, wenigstens einen Teil der Torstraße in Lubitschstraße umzubenennen. Oder einen Abschnitt der Weydingerstraße zwischen Volksbühne und Rosa-Luxemburg-Straße. Aber es geht nicht wegen dieser absurden Regel, dass Männern so lange keine Straßennamen zustehen, bis ein paritätischer Stand erreicht ist. Ich werde es also nie erleben. Was soll das? Wer macht so was? Ernst Lubitsch. Ein Sohn dieser Stadt. Aber eines Straßennamens nicht würdig, weil er das falsche Geschlecht hatte? Zu Hause in Los Angeles kann ich das keinem erklären.

Haben Sie denn einen Lieblingsfilm von Ihrem Vater?

„Ninotschka“, mit Abstand. Ich glaube, ich habe den Film fünfzig Mal gesehen. Ich mag alles daran, die Garbo, die Musik – überhaupt wie mein Vater die Musik eingesetzt hat: Nie, um dir damit etwas in den Kopf zu hämmern, sondern um Szenen Flair zu geben, sie musikalisch so preziös auszustatten, wie er sie vorher mit anderen Dingen ausgestattet hat. Als ich den Film zum ersten Mal in Berlin gesehen habe, war auch Elisabeth Trautmann-Heymann da, die Tochter von Werner Heymann, der die Musik für „Ninotschka“ komponiert hatte. Ich konnte das gar nicht glauben. Ich meine, seit meiner Kindheit liebe ich diese Musik, und jetzt steht da die Tochter dieses Genies vor mir. Heute ist sie eine meiner besten Freundinnen.

Sie haben über den Film noch eine andere Freundin gefunden.

Ja, Laura von Wangenheim, die Enkelin von Gustav von Wangenheim. Wissen Sie, mein Vater fuhr seinerzeit zur Vorbereitung für „Ninotschka“ nach Moskau, weil er sich Anregungen holen wollte. Er fand da natürlich wenig. Das einzige Highlight war ein Abendessen bei Gustav von Wangenheim, einem Veteranen seiner frühen Filme, der während der NS-Zeit nach Moskau emigriert war. Und dieses Setting schaffte es dann in den Film. Die Szene, in der die Sowjet-Gesandten Ninotschka besuchen, jeder bringt sein Ei mit, und die Garbo rührt daraus ein Omelette – das hat er von diesem Abend übernommen. Laura zeigte mir ein Bild der Moskauer Wohnung ihrer Großeltern, es ist eins zu eins wie im Film. Ich lernte sie kennen, als sie für ein Buch über ihre Großmutter recherchierte.

Wo waren Sie, als „Ninotschka“ gedreht wurde?

Ich war knapp ein Jahr alt und in England. Meine Mutter Vivian Gaye war Engländerin, müssen Sie wissen. Meine Rückfahrt nach Amerika war für den 2. September 1939 gebucht, auf der „Athenia“. Meine Mutter brachte mich und mein deutsches Kindermädchen Schwester Lina auf das Schiff, damit wir noch rauskommen, bevor der Krieg losbricht. Aber am 3. September wurde das Schiff von einem deutschen U-Boot torpediert. Schwester Lina konnte die schon halb unter Wasser stehende Kabinentür aufstemmen, nahm mich auf die Schultern und kämpfte sich nach oben. Und sie blieb bei mir, bis ich geborgen war. Ich verdanke ihr mein Leben.

Was wurde aus Schwester Lina?

Mein Vater kaufte ihr einen Candy-Shop. Aber offenbar wurde sie damit nicht glücklich, denn später arbeitete sie wieder als Nanny, für den Schauspieler John Payne. Das erfuhr ich aber erst viel später von dessen Tochter Julie Payne. Sie erzählte mir auch die Geschichte von der „Athenia“, ich selbst hatte ja keine Erinnerung daran.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Vater?

Ich sehe ihn am Klavier sitzen. Er konnte keine Noten lesen, und wir konnten die berühmtesten Musiker zu Gast haben, Horowitz, Rubinstein, Iturbi, aber er spielte trotzdem ununterbrochen. Wenn wir alleine waren, setzte er mich oft neben sich auf den Klavierhocker, klimperte vor sich hin und erzählte mir Geschichten dazu, die er sich selbst ausdachte, Geschichten aus dem Lubitschland. Das Klavier hatte ihm übrigens Jeanette MacDonald zur Hochzeit geschenkt. Ich habe es immer noch.

Es muss großartig gewesen sein, in Hollywood in den 40er-Jahren aufzuwachsen.

Meine Eltern ließen sich leider scheiden, als ich vier war, und ich lebte mit meiner Mutter in New York. Aber in den Ferien, zu Weihnachten und Ostern war ich bei meinem Vater in Los Angeles. Victoria, die Tochter von Billy Wilder, war dort meine beste Freundin.

Wie würden Sie den vielzitierten Lubitsch-Touch definieren, der die Filme Ihres Vaters auszeichnete?

Lassen Sie es mich so sagen: Ein Theater hat drei Wände, ja? Der Lubitsch-Touch ist die vierte Wand. Im Grunde sind es Sie selbst: Ihre Vorstellungskraft, Ihre Intelligenz. Die Devise meines Vaters war: Man muss nicht alles zeigen, sondern kann manches auch der Fantasie des Zuschauers überlassen, und das wirkt im Zweifelsfall viel nachhaltiger. Die Pointe wird Ihnen nicht eingehämmert, sie entsteht erst in Ihrem Kopf.

Geben Sie ein Beispiel

Wenn Sie zum Beispiel einen fetten König haben, der aus dem Boudoir seiner Frau kommt. Dann will er seinen Gürtel umschnallen, aber der ist zu eng. Schon ist klar, es ist nicht seiner, und es ist auch klar, was er gerade getrieben hat. Lubitsch wäre nie auf die Idee gekommen, das zu zeigen.

Die Kunst des Weglassens ist im Hollywoodkino von heute nicht sehr verbreitet.

Die Filme, die heute gedreht werden, machen das genaue Gegenteil: Sie zeigen alles, walzen alles aus, lassen keine Frage offen, damit noch der Letzte kapiert, was Sache ist – sie verkaufen den Zuschauer für dumm. Lubitsch ging grundsätzlich davon aus, dass der Zuschauer intelligent und des Denkens fähig ist.

Sie sind seit kurzem im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ...

.. ich durfte sogar schon wählen.

Für die Tochter eines von den Nazis ausgebürgerten Juden ist das ein echtes Statement.

Ich fühle mich überhaupt nicht jüdisch, und auch mein Vater war nie bitter. Er war sicher bitter auf Hitler, aber Deutschland und den Deutschen fühlte er sich bis zu seinem Tod sehr verbunden. Es gab deutsches Essen zu Hause und zu Weihnachten einen Baumkuchen und auch immer wieder deutsche Abende, an denen meine Mutter Dirndl trug. Von daher ist das für mich jetzt schon so eine Art Nach-Hause-Kommen, und ich fühle mich auch sehr zu Hause hier. Und ich bin derzeit viel stolzer auf Deutschland, als ich es auf Amerika bin.

Ach ja?

Ich war in Berlin am Tag von Donald Trumps Inauguration, und es überkam mich so ein Gefühl von Abscheu. Da habe ich das beschlossen. Timothy Grossman hatte mich schon eine Weile zuvor darauf aufmerksam gemacht, dass ich das Recht auf einen deutschen Pass habe.

Beobachten Sie denn die politische Situation in Deutschland?

Ja, und ich mag Angela Merkel. Ich weiß, dass sie hier so ihre Schwierigkeiten hat, aber ich halte sie für integer. In einer Welt, die auseinanderbricht, in der in so vielen Ländern Nationalisten und Rechtspopulisten am Ruder sind, scheint sie geradezu wie ein Leuchtturm an Vernunft und Anstand. Ich finde es schade, dass sie sich zurückziehen will.

Was würde Ernst Lubitsch tun, wenn er noch leben würde?

Er würde eine Komödie über Trump drehen: diese Vulgarität, das schlechte Benehmen, das Vokabular eines Kindergartenkindes. Der ganze Mann ist ja eigentlich schon ein Witz.