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Die Welt ist voller Sommer – Eine Familiengeschichte von Rügen

„Die Welt ist voller Sommer“ ist die Geschichte einer Familie aus Sellin auf Rügen, deren Leben sich zwar alljährlich um den Sommer dreht, aber nicht immer sonnig ist. Im ersten Teil dieser dokumentarischen Erzählung nimmt Christiane Töllner den Leser mit auf eine abwechslungsreiche Reise von der Gründung der ersten Seebäder Rügens bis zur staatlich organisierten Enteignungswelle „Aktion Rose“ 1953. Die Autorin lässt die heitere bis tragische Chronik aus der Sicht eines Hauses erzählen, des Hauses, das ihr Urgroßvater 1903 in Sellin bauen ließ.
Diese ungewöhnliche Erzählweise entfaltet eine fesselnde Beschreibung des Schicksals von Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn inmitten von Krisen, Kriegen und politischen Umbrüchen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das geschickte Verweben persönlicher Erlebnisse und historischer Fakten mit den wunderschönen Orten und Besonderheiten Sellins und seiner Umgebung zeichnet ein facettenreiches Bild deutscher Zeitgeschichte auf Rügen.

9783939680574Die Welt ist voller Sommer

Eine Familiengeschichte von Rügen

Christiane Töllner

Edition Pommern
ISBN 978-3-939680-57-4
208 Seiten mit Abbildungen
€ 19,95 (D)
Broschur, Größe 16 cm x 22 cm

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Christiane Töllner über ihren Weg zum Buch:

Eine erste Idee, die Geschichte meiner Familie zu erzählen entstand, als ich nach dem Tode meines Vaters 2014 seinen Nachlass sichtete. Alte Briefe und Dokumente kamen zum Vorschein, aber vor allem Unterlagen zu dem Haus, das mein Urgroßvater Fritz Töllner 1903 in Sellin auf Rügen bauen ließ. Das Haus Helene. Ich begann, mich durch die Papiere zu wühlen, und war fasziniert von dem, was bei diesem Prozess so alles ans Licht kam. Die ersten Steine eines riesigen Mosaiks. Der fadenscheinige Motorradführerschein meines Opas von 1927, das Gutachten des Taxators für das Haus Helene von 1928, eine Art Kurztagebuch meines Vaters, das die Jahre 1935-1945 stichwortartig beschreibt., Ottos Gedächtnisprotokoll bezüglich der Vorkommnisse rund um die Aktion Rose 1953, die Briefe meiner Oma aus ihrem West-Berliner Exil von 1953 bis 1961. „Da müsste man mal was draus machen“, dachte ich. Eine Familienchronik. Das wäre doch was. Mir war bewusst, dass meine Schwestern und ich die einzigen sind, die die Geschichte meiner Familie aufschreiben können. Die nächste Generation ist nicht mehr in der Lage dazu. Meine beiden Neffen haben keine Ahnung, wer auf welchem Foto zu sehen ist, sie könnten die Bezüge nicht herstellen und hätten die Geschichten, die mein Vater uns Kindern von seiner Kindheit und Jugend auf Rügen erzählte, nicht präsent. Aber um tatsächlich loslegen zu können, brauchte ich noch so einige Informationen aus der Zeit, die am weitesten zurückliegt. Wie gut, dass es Kirchenbücher gibt. Garz, Sagard, Binz, Sellin. Mal durften wir selber blättern und versuchen, die alte Schrift zu entziffern, mal musste ich meine Fragen schriftlich einreichen. Immer mehr Steine des Mosaiks kamen hinzu, und dann musste ich noch einen wichtigen Aspekt klären: Soll es einen Ich-Erzähler in dieser Chronik geben, und wenn ja, wer soll das sein? Ich ging spazieren, und plötzlich flog mir der Gedanke zu: „Das Haus! Es ist das Haus, das alles gesehen und erlebt hat.“ Ich war begeistert von dieser Idee, sie fühlte sich einfach richtig an; gleichzeitig hatte sie eine große Schwachstelle. Ich wusste absolut nichts zum Bau des Hauses. Weder das Baujahr, noch wieviel es gekostet hat, noch sonst irgendetwas. Aber wie das so ist mit den Wundern. Sie kommen immer wieder. So auch zu mir. Ich werde diesen Tag nicht vergessen. Ich saß bei Gerhard Parchow, dem Selliner Ortshistoriker in seinem Büro im Seefahrerhaus. Er arbeitete selbst gerade an einem Buch, das die Entwicklung Sellins vom Badedörfchen zum Ostseebad beschreibt. Er verfügt zwar über ein schier unerschöpfliches Fotoarchiv, das er über 30 Jahre zusammengesammelt hat, aber er war dennoch sehr am alten, braunen Fotoalbum meines Vaters interessiert. Und wie wir da so saßen und ich ihm erzählte, dass ich vorhabe, ein Buch über meine Familie und das Haus Helene zu schreiben, meinte er: „Ich glaube, ich hab da was“, und zieht mit einem Griff eine dicke Mappe aus dem Regal. Ich traute meinen Augen nicht. Darin befand sich ein Hefter mit den gesamten Unterlagen zum Bau des Hauses Helene. Die Originalbriefe, die zwischen meinem Urgroßvater und dem Kreisbauamt in Bergen hin- und hergingen, die Korrespondenz mit dem Architekten, die Bauzeichnungen. Was für ein Glück! Der Ordner war nach der Wende im Selliner Wasserwerk gefunden worden. „Und außerdem“, meinte Gerhard und fischte ein rotes Buch aus dem Regal, „steht hier auch noch was über die „Helene“ drin“. Werner Schumann: „Studentenzeit eines Leipzigers“ von 1956. Ich wusste zwar, dass meine Großeltern den Pensionsbetrieb ab 1931 an Schumann-Reisen aus Leipzig verpachtet hatten, aber ich ahnte nicht, was dort in der ersten Saison vor sich ging. Für mich waren diese neuen Informationen wahre Geschenke.

Im Januar 2017 konnte ich endlich loslegen. Das Schreiben selbst ist mir nicht schwer gefallen. Ich habe immer schon gerne geschrieben. Tagebücher, Briefe, Gedichte, ich fasste meine fünf Irlandjahre für meinen Mann zusammen, machte schriftliche Geburtstagsgeschenke. Alles blieb bis auf wenige Ausnahmen im privaten Bereich und war doch immer eine Leidenschaft. Eine Leidenschaft, der ich mich jetzt hemmungslos hingeben konnte. Die Schwierigkeiten bestand für mich darin, über etwas zu schreiben, das ich größtenteils selbst nicht erlebt hatte und die einzelnen Steinchen zu einm großen Ganzen zusammenzufügen. Das war ungewohnt für mich. Mir war außerdem schnell klar, dass ich nicht nur Jahreszahlen aneinanderreihen konnte, sondern dass alles in einen historischen Kontext eingebettet werden musste. Also verbrachte ich viel Zeit mit Recherche und der Befragung von Zeitzeugen. Auch dieser Teil der Arbeit hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Ich wurde während dieser Zeit von vielen Freunden unterstützt, allen voran meinem Mann, der selbst an diesem Prozess sehr viel Freude hatte. Am liebsten hätte ich mich auf eine einsame Insel zurückgezogen, um mich dem Buch ganz und gar widmen zu können, aber das blieb eine Traumvorstellung, und so musste ich das Schreiben mit meiner Tätigkeit als Physiotherapeutin, der Arbeit in Haus und Garten und meinen Freunden teilen, was mir oft nicht leicht gefallen ist. Ich hangelte mich über mehrere Jahre hinweg durch das letzte Jahrhundert mit seinen Krisen und Umbrüchen, den Kriegen, der deutschen Teilung, der Aktion Rose über die Wende bis in die Jetzt-Zeit, musste entscheiden, was ich mit reinnehme, was ich weglasse, was wichtig ist, was zu privat. Und dann lernte ich durch Zufall den Verleger Michael Handwerg kennen. Wieder so etwas, das mir zugefallen ist. Ihm gefiel das Skript, und er meinte, dass er es verlegen würde. Da war ich platt und gleichzeitig glücklich. Die nun konkret gewordene Vorstellung, dass das, was ich gerade schreibe, jenseits der Familie einmal jemand lesen würde, veränderte meine Herangehensweise nicht. Ich schrieb einfach weiter wie zuvor und fügte Stein um Stein und Dank Gerhard Parchow auch Foto um Foto dem immer größer werdenden Mosaik hinzu. Der erste Teil des Buchs ist nun fertig, am zweiten arbeite ich noch.

Wenn ich gewusst hätte, wieviel Arbeit dieses Projekt machen würde, hätte ich es dann überhaupt angefangen? Ja. Hätte ich. Ich habe mich in den Jahren des Schreibens unglaublich erfüllt gefühlt und wahnsinnig viel gelernt. Meine Großeltern, die ich nie wirklich kennen gelernt habe, sind mir jetzt viel näher als zuvor. Außerdem habe ich tolle Erfahrungen auf vielen verschiedenen Ebenen gemacht. Da sind Beziehungen zu alten Sellinern entstanden, die sich freuten, ihr Wissen von damals mit mir zu teilen. Die Insel mit ihrer Geschichte und ihren Geschichten habe ich viel tiefer entdeckt, ich habe Vieles herausgefunden, von dem ich nichts wusste, und schließlich die angenehme Zusammenarbeit mit Herrn Handwerg, die ich immer als sehr respektvoll erlebt habe. Ich hatte durchweg das Gefühl, dass mein Buch bei ihm in guten Händen ist.