Ernst Ludwig von Hessen: Die Sehnsucht des letzten Großherzogs nach dem Diktator
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Ernst Ludwig von Hessen: Die Sehnsucht des letzten Großherzogs nach dem Diktator

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Großherzog Ernst Ludwig (mit „Pickelhaube“) am 1. Juli 1933 in Mainz bei der Einweihung des Denkmals für die Gefallenen des Großherzoglich-Hessischen Regiments Nr. 117.
Großherzog Ernst Ludwig (mit „Pickelhaube“) am 1. Juli 1933 in Mainz bei der Einweihung des Denkmals für die Gefallenen des Großherzoglich-Hessischen Regiments Nr. 117. © Großherzogliches Familienarchiv im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt

Die Neuedition der Erinnerungen des letzten hessischen Großherzogs wirft einen anderen Blick auf den Förderer des Jugendstils und Gründer der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt. War der 1918 gestürzte Regent ein Nazi?

Das Image von Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, dem letzten hessischen Großherzog, das in den vergangenen Jahrzehnten vermittelt wurde, war überaus positiv und von Wertschätzung geprägt.

Auch von der jüngeren Forschung ist der 1937 verstorbene Darmstädter Regent, der nach der Novemberrevolution 1918 gestürzt wurde, nach den Worten des Kunsthistorikers Thomas Aufleger „primär als herausragender Förderer der künstlerisch-sozialen Reformbewegung um 1900, als Gründer der Darmstädter Künstlerkolonie rezipiert worden“. Das dürfte sich nun allerdings ändern.

Hessen: Neuedition der Erinnerungen des früheren Großherzogs Ernst Ludwig erschienen

Im Fokus: Anlässlich des 150. Geburtstags von Ernst Ludwig im November 2018 wurde im Museum Künstlerkolonie auch eine Büste des Großherzogs ausgestellt.
Im Fokus: Anlässlich des 150. Geburtstags von Ernst Ludwig im November 2018 wurde im Museum Künstlerkolonie auch eine Büste des Großherzogs ausgestellt. © Michael Schick

Aufleger, stellvertretender Leiter des Fachgebiets Museen beim Landesbetrieb Staatliche Schlösser und Gärten Hessen in Bad Homburg, hat im Auftrag der Historischen Kommission für Hessen die Erinnerungen Ernst Ludwigs neu ediert. Bei dem 240 Seiten umfassenden Werk handelt es sich jedoch nicht um einen bloßen Nachdruck der bereits im Jahr 1983 erschienenen Erinnerungen Ernst Ludwigs.

Diese hatte der damalige Kommissionsvorsitzende und frühere Leiter des Hessischen Staatsarchivs Eckhard G. Franz – der nach seiner Verabschiedung in den Ruhestand 1996 bis zu seinem Tod 2015 Direktor des Großherzoglich Hessischen Haus- und Familienarchivs war – unter dem Titel „Erinnertes. Aufzeichnungen des letzten Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein“ mit einem Essay des Historikers Golo Mann publiziert.

Geschichtsklitterung bei Erstedition der Memoiren aus dem Jahr 1983

Wie sich nun allerdings herausstellt, hat der frühere Leitende Archivdirektor Franz bei der Herausgabe der von ihm betreuten Edition der Erinnerungen Ernst Ludwigs Geschichtsklitterung betrieben. Wie Aufleger in der Einleitung zu der von ihm neu edierten Publikation schreibt, ist der frühere Herausgeber bei der vor mehr als vier Jahrzehnten veröffentlichten Edition „in hohem Maße selektiv“ vorgegangen.

Auch nach Rücksprache mit dem Historiker und Schriftsteller Golo Mann, der mit Ernst Ludwigs Schwiegertochter, Margaret Prinzessin zu Hessen und bei Rhein, eng befreundet war, wurden kritisch einzustufende Formulierungen etwa bezüglich eines deutschen Diktators aus dem Jahr 1921 oder zur sogenannten Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 entweder „eigenmächtig umformuliert oder kommentarlos gestrichen“, so Aufleger.

ERNST LUDWIG VON HESSEN UND BEI RHEIN

Ernst Ludwig wurde am 25. November 1868 in Darmstadt als Sohn des Großherzogs Ludwig IV. von Hessen-Darmstadt und dessen Frau Alice von Großbritannien und Irland geboren. Seine Großeltern mütterlicherseits waren die britische Königin Victoria und Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha.

Nach dem Tod seines Vaters wurde der erst 23-jährige Ernst Ludwig am

13. März 1892 Großherzog von Hessen-Darmstadt.

In Coburg heiratete Ernst Ludwig am 19. April 1894 seine Cousine, Prinzessin Victoria Melita von Sachsen-Coburg-Gotha (1867-1936). Die Ehe wurde am 21. Dezember 1901 geschieden.

Zum zweiten Mal heiratete Ernst Ludwig am 2. Februar 1905 in Darmstadt Prinzessin Eleonore von Solms-Hohensolms-Lich (1871-1937).

Der vielseitig künstlerisch interessierte Großherzog hat selbst geschrieben und komponiert. Er war ein begeisterter Anhänger des Komponisten Richard Wagner und ein Förderer von Max Reger. Wichtiger noch wurde sein Einsatz für die bildende Kunst.

Mit der 1899 von Ernst Ludwig gegründeten Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe und ihrer Ausstellung „Ein Dokument deutscher Kunst“ im Jahr 1901 sowie den Folgeausstellungen avancierte Darmstadt zum Zentrum des deutschen Jugendstils.

Obwohl er eine formelle Abdankung verweigerte, akzeptierte Ernst Ludwig den erzwungenen Regierungsverzicht am 12. November 1918.

Am 9. Oktober 1937 starb Ernst Ludwig an Lungenkrebs. Seine Grabstätte befindet sich auf der Rosenhöhe. jjo

Die Diktator-Sehnsucht des früheren Großherzog Ernst Ludwig von Hessen

Die Ausstellung „Das Neue frisch zu wagen!“, die 2018/2019 im Museum Künstlerkolonie zu sehen war, wurde von Philipp Gutbrod, dem Direktor des Instituts Mathildenhöhe, kuratiert.
Die Ausstellung „Das Neue frisch zu wagen!“, die 2018/2019 im Museum Künstlerkolonie zu sehen war, wurde von Philipp Gutbrod, dem Direktor des Instituts Mathildenhöhe, kuratiert. © Michael Schick

In der neu edierten Fassung können die äußerst brisanten Zitate nun nachgelesen werden. So äußerte sich Ernst Ludwig am 12. September 1921 auch vor dem Hintergrund der Neugründung extrem rechter und linker Parteien in der Weimarer Republik wie folgt:

Es fängt schon an, der Schrei nach dem Diktator, denn der Parteihader zerreißt das Volk, sodass der gegenseitige Hass und vor allem die innere und äußere Feigheit wächst. Käme ein Diktator, so kann und muss es einer sein, der keinen Egoismus und Parteianschauung hat. Er muss nur für das Volk leben. Die Deutschen müssen einen Deutschen wählen. Nur wenn der Grundgedanke Deutschland echt und wahr ist, wird Deutschland wieder auferstehen können.

Großherzog Ernst Ludwig am 12. September 1921

„Mein Traum und meine Hoffnung sind erfüllt. Wir haben einen Kanzler, der Diktator ist.“

Und knapp zehn Monate nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler bekundete Ernst Ludwig anlässlich seines 65. Geburtstags am 25. November 1933 euphorisch:

Mein Traum und meine Hoffnung sind erfüllt. Wir haben einen Kanzler, der Diktator ist. Aus dem Volk entstanden, hat er um die deutsche Seele gerungen und gekämpft. Das Volk hat ihn gewählt! Der ganzen Welt gegenüber hat das deutsche Volk seine Einheit mit seinem Kanzler, seinem Führer entgegengerufen.“ Und er schließt mit den Worten: „Groß ist unsere Zeit! Und ich weiß jetzt, warum ich lebe.

Großherzog Ernst Ludwig am 25. November 1933, seinem 65. Geburtstag

Einstiger Großherzog Ernst Ludwig von Hessen erinnert sich an Geschehnisse und Menschen

Der Impuls, sich an Geschehnisse und Menschen zu erinnern, ging von Ernst Ludwigs Söhnen Georg Donatus und Ludwig aus. Die Memoiren zählen Aufleger zufolge „zu den wichtigsten Selbstzeugnissen des Regenten“.

In acht Kapiteln schreibt Ernst Ludwig über seine Jugend- und Studienzeit, über Verwandte, die Malerei, Musik, Kunst und Theater, über Politik, den Ersten Weltkrieg, seine „Fürstenkollegen“ und seine Regierungszeit. Das Buch enthält überdies etliche Anekdoten, die den Leser oder die Leserin schmunzeln lassen.

Zum Thema: Ernst Ludwig von Hessen: Plädoyers für Aufklärung und kritische Aufarbeitung

Geschehnisse und Menschen. Erinnerungen von Ernst Ludwig. Großherzog von Hessen und bei Rhein. Bearbeitet von Thomas Aufleger. 240 Seiten, Preis: 34 Euro
Geschehnisse und Menschen. Erinnerungen von Ernst Ludwig. Großherzog von Hessen und bei Rhein. Bearbeitet von Thomas Aufleger. 240 Seiten, Preis: 34 Euro © Hessische Historische Kommission

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