Kommentar zum Abtreibungsrecht: Der Unrechtsparagraf
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Kommentar zum Abtreibungsrecht: Der Unrechtsparagraf

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Der sogenannte Kompromiss zum Abtreibungsrecht ist frauenverachtend. Ein Kommentar.

Es ist eine elendigliche Debatte. Beim Thema Abtreibung, im Streit um den Paragrafen 218, laufen die immer gleichen Argumentationsketten ab wie in Dauerschleife. Seit Jahrzehnten. Die Protagonist:innen mögen wechseln, Text und Auftritte bleiben sich gleich. Und die Unversöhnlichkeit. Hier wird eine patriarchale Bastion verteidigt: die Herrschaft über den weiblichen Körper.

„Heute ist ein sehr großer Tag für unsere Republik. Er besiegelt einen langen Kampf für die Freiheit. Ein Kampf aus Tränen, Dramen und gebrochenen Schicksalen.“ Mit so viel Pathos feierte der französische Staatspräsident Macron kürzlich einen politischen Coup. Als erstes Land der Welt hat Frankreich das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert.

Und Deutschland? Während Frankreich die weibliche Selbstbestimmung stärkt, ist hierzulande die Wiederauflage des Kulturkampfs zum Strafrechtsparagrafen 218 zu erwarten. Dabei würde – sollte der nach den Empfehlungen der Expertenkommission tatsächlich kippen – endlich umgesetzt, was die Weltgesundheitsorganisation und der UN-Frauenrechtsausschuss seit Jahren fordern: Dass in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden. Frauen stehe es zu, eigenständig über ihren Körper und ihre Lebensplanung zu entscheiden. Doch das sehen Union, AfD und selbst die FDP anders. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus den 1990 Jahren sei der Kampf um das Abtreibungsrecht doch seit langem entschieden und auch gesellschaftlich befriedet, lautet ein Lieblingsargument von konservativer Seite. Warum also die „Büchse der Pandora“ erneut öffnen?

Abtreibungsrecht stammt noch aus dem Kaiserreich

Warum wohl?

Warum wohl sollten Frauen sich einfach abfinden, dass ihnen sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung verboten ist? Damit abfinden, dass ihnen der Schutz ungeborenen Lebens nicht anvertraut wird und man sie per Gesetz für unmündig und verantwortungslos erklärt? Damit abfinden, dass sie eine Beratung über sich ergehen lassen müssen, die demütigend, weil verpflichtend ist? Warum sollten sie weiterhin ein Gesetz ertragen, das 1871 im Deutschen Kaiserreich eingeführt wurde und Abtreibung kriminalisiert?

Der 218 ist ein Unrechtsparagraf, der nichts befriedet. Gibt es für Männer irgendein vergleichbares Gesetz, das dermaßen stark in ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung eingreift?

Kundgebung unter dem Motto „Feminismus in die Offensive“ am 13. April in München.
Kundgebung unter dem Motto „Feminismus in die Offensive“ am 13. April in München. © IMAGO/Moritz Schlenk

Hier wird Machtpolitik über Körperpolitik – den weiblichen Körper – ausgetragen. Seit der Spätantike müssen Frauen um das Recht auf Abtreibung streiten. Die Herrschaft über Frauenkörper ist die älteste und effektivste Form weiblicher Unterdrückung. Wen wundert’s, dass Papst Franziskus den Schwangerschaftsabbruch noch vor wenigen Tagen als Verstoß gegen die Gott gegebene Würde des Menschen geißelte.

Dabei zeigen alle Untersuchungen: Weder hat die Kriminalisierung der Abtreibung jemals geholfen, Abbrüche zu verhindern, noch sind diese nach einer Liberalisierung gestiegen. 60 Länder haben in den vergangenen drei Jahrzehnten ihre Abtreibungsregeln zugunsten der Frauen liberalisiert. Zum Beispiel Mexiko. Zum Beispiel das ehemals erzkonservativ-katholisch geprägte Irland. Zum Beispiel Kanada, das Abtreibungen vollständig entkriminalisiert hat.

Konservative stellen sich quer

Angesichts dieser internationalen Entwicklung ist es lächerlich, dass Vertreter:innen der Union sich an die vor dreißig Jahren beschlossene Regelung klammern, mit dem Bundesverfassungsgericht drohen und als Lebensschützer:innen auf den Plan treten. Sind etwa in all den Staaten, die das Abtreibungsrecht liberalisierten, Kindsmörder am Werk? Und ist es nicht selbstverständlich, dass eine Gesellschaft sich weiterentwickelt – selbst wenn Teile der Politik ewig gestrig bleiben?

Zweifellos irritierend ist die Position der FDP. Die Liberalen, die sich gern als Bürgerrechtspartei gerieren, werden die Empfehlung der Kommission voraussichtlich boykottieren und damit eine Neuregelung der Verhältnisse zumindest verzögern. Freiheitsrechte im Munde führen, aber die Selbstbestimmungsrechte von Frauen ignorieren – die Lindner-FDP bekommt auch das irgendwie hin.

Schon in den 1990er Jahren war der sogenannte Kompromiss zum Abtreibungsrecht ein frauenverachtender Mist und das Bundesverfassungsgericht in patriarchalem Denken gefangen. Soll das etwa in Stein gemeißelt so bleiben?

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