Alter Adel, neues Land: So leben Barone und Gräfinnen in Brandenburg

Alter Adel, neues Land: So leben Barone und Gräfinnen in Brandenburg

Nach dem Mauerfall kehrten viele adlige Familien auf ihre alten Sitze in Ostdeutschland zurück. Wie das war? Das erzählen uns zwei von ihnen.

Freut sich nicht nur über sein eigenes, sondern auch über das neu aufgebaute Berliner Stadtschloss: Bernhard von Barsewisch.
Freut sich nicht nur über sein eigenes, sondern auch über das neu aufgebaute Berliner Stadtschloss: Bernhard von Barsewisch.Theresa Lou für Berliner Zeitung Wochenende

„Dass das Berliner Stadtschloss wieder aufgebaut wurde, ist ein Segen!“, entfährt es Bernhard von Barsewisch, nachdem er, gekleidet in Trachtenjacke und Siegelring, mit preußischer Strenge durch „sein“ Museum auf Schloss Wolfshagen geführt hat.

Der Medizinprofessor, der sich sonst neutral und sachlich äußert, hielt es für ein Unding, dass die DDR-Regierung das damals in renovierungsfähigem Zustand befindliche Stadtschloss gesprengt hatte – so wie die Mehrheit seines Stands. „Eine barbarische Schandtat“, ruft von Barsewisch aus.

Er selbst gehört heute dem untitulierten Adel an, entstammt einem alten Geschlecht, das sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen lässt; Stammbäume hängen natürlich prominent im Schloss Wolfshagen.  Teil dessen sind auch die Familie der Gans Edlen Herren zu Putlitz, ein Geschlecht, das im 12. Jahrhundert in die Prignitz kam. Wie fast alle Adligen im sowjetisch besetzten Sektor Deutschlands wurde der Onkel von Barsewisch, Hans Albrecht Gans Edler zu Putlitz, aus seinem Schloss Wolfshagen vertrieben.

Platz ist in der kleinsten Hütte: Schlossherr Bernhard von Barsewisch fällt es schwer, den übersichtlichen Konzertsaal zu füllen.
Platz ist in der kleinsten Hütte: Schlossherr Bernhard von Barsewisch fällt es schwer, den übersichtlichen Konzertsaal zu füllen.Theresa Lou für Berliner Zeitung Wochenende

Barsewisch war lange Zeit in München als Professor in einer Augenklinik beschäftigt. Schon vor dem Mauerfall ahnte er, dass in Ostdeutschland „etwas am Dampfen“ gewesen sei. „Bei meinen Besuchen in der DDR sah ich, dass die Leute den Stillstand nicht mehr ertrugen und auch schon öffentlich Kritik äußerten“, so von Barsewisch.

Nach dem Mauerfall war er dann einer der ersten Adligen, die ihre alten Besitztümer wieder in Beschlag nahmen. Die Regelungen zur Besitzübertragung in dieser Zeit unter Bundeskanzler Kohl sahen nämlich vor, dass Adlige ihr einstiges Hab und Gut nicht einfach rückübertragen bekamen – sie mussten es zurückkaufen. Nur Adlige, die schon in der Nazi-Zeit enteignet worden waren, bekamen ihre Güter kostenfrei zurück.

Der Plan von Barsewisch war, im ehemaligen Anwesen der Familie seiner Mutter in Groß Pankow, vier Kilometer von Schloss Wolfshagen entfernt, eine Augenklinik zu eröffnen. Wegen der Seehoferschen Niederlassungssperre für ärztliche Praxen musste es dann ganz schnell gehen, und von Barsewisch zahlte für das Anwesen einen aus jetziger Sicht überteuerten Preis. Die Augenklinik leitete er bis zu seiner Pensionierung, heute ist der Schlossherr 88 Jahre alt.

Rosa statt grau: das renovierte Schloss Wolfshagen
Rosa statt grau: das renovierte Schloss WolfshagenTheresa Lou für Berliner Zeitung Wochenende

Doch untätig ist er nicht – er kümmert sich rührig um das Schlossmuseum, das er selbst aufgebaut hat. Hauptkümmernis ist dabei die Besucherzahl: Schloss Wolfshagen liegt im Niemandsland zwischen Hamburg und Berlin. Ringsum nur kleine Dörfer, und so kommt es, dass im vergangenen Jahre gerade mal 1500 Besucherinnen und Besucher kamen, natürlich auch wegen der Corona-Beschränkungen.

Betriebswirtschaftlich ist das ein Desaster, denkt man nur mal an die Heizkosten für das riesige Anwesen. Und die Kosten für die Kastellanin, also die Schlossverwalterin, die direkt im Hause wohnt und tagsüber an der Kasse des Museums sitzt.

Als von Barsewisch das Schloss unter seine Fittiche nahm, war es wie die meisten Schlösser in der DDR in einem miserablen Zustand, außen mit grauem Putz verschandelt, fast sämtliche Möbel fehlten. Das Gebäude wurde in der DDR als Schule genutzt. Als Hommage an diese Zeit ließ von Barsewisch im Keller ein DDR-typisches Klassenzimmer nachbauen, inklusive uriger Tapete. Für die Renovierung des Schlosses waren rund sechs Millionen D-Mark nötig, die zum Großteil aus Fördermitteln zusammenkamen.

Es ist angerichtet: Die fürstlich gedeckte Tafel
Es ist angerichtet: Die fürstlich gedeckte TafelTheresa Lou für Berliner Zeitung Wochenende

Dafür erstrahlt Schloss Wolfshagen heute in neuem Glanz. Heizkörper sind keine sichtbar, erwärmt werden die Räume von Heizschlangen, die unter dem Putz liegen. Einige originale Kamine sind noch erhalten, befeuert werden sie allerdings nicht mehr. Auch einige unter dem Putz liegende Wandgemälde konnten bei der Renovierung freigelegt werden.

Das Museum ist mit einer Mischung aus Familienbesitz und Leihgaben adliger Familien bestückt. Den Hauptteil der Dauerausstellung nimmt eine Porzellansammlung ein, daneben gibt es unzählige gemalte Ahnenportraits und Bücher. Einige sogar von Autoren aus der Familie; Gustav zu Putlitz etwa war ein Schriftsteller. In einem Raum ist das Schlafzimmer einer Bediensteten nachgebaut, ein weiterer ist ein riesiges Speisezimmer, in dem eine fürstliche Tafel gedeckt ist.

Tatsächlich essen lässt sich im Schloss und ringsherum allerdings nicht, das benachbarte Schlosshotel mit Restaurant ist zur Zeit geschlossen. „Wir sind auf der Suche nach einem neuen Pächter“, so von Barsewisch, man habe schon einige vielversprechende Kandidaten in Aussicht. Dort könnten dann Gerichte aus dem Buch „Vom Kochen und Leben in märkischen Gutshäusern“ serviert werden, das von Barsewisch herausgegeben hat.

Hübsch: Erinnerungsstücke und Familienfotos
Hübsch: Erinnerungsstücke und FamilienfotosTheresa Lou für Berliner Zeitung Wochenende

Im Schloss Wolfshagen gibt es auch eine Kapelle, die manchmal für Hochzeiten genutzt wird, und ein Konzertzimmer. Die Stühle darin sind alle handgefertigt: Eingeschnitzt wurde das Wappen der Familie der Gans Edlen Herren zu Putlitz – eine Gans mit einer Krone. Konzerte werden hier sechs- oder siebenmal im Jahr veranstaltet, doch auch in diesem Fall ist es schwer, den relativ kleinen Konzertsaal zu füllen.

Wie sich von Barsewisch nach seinem Umzug von München in ein ostdeutsches Dorf gefühlt habe? „In Groß Pankow wurde ich sehr gut aufgenommen, dort erinnerten sich ältere Bewohner noch gut an den Baron“, sagt von Barsewisch. Anders sei es in Wolfshagen, dort stünden die Neusiedler, die sich nach dem Krieg in dem Dorf niedergelassen hatten, dem Adel kritisch gegenüber.

Szenenwechsel: Im Dörfchen Lichtenhain in der Uckermark, umgeben von prächtiger Natur, hat Gräfin Daisy von Arnim nach dem Mauerfall ihre Heimstatt gefunden. Arnim ist der Name eines märkischen Uradelsgeschlechts, das auf das 13. Jahrhundert zurückgeht; die Gräfin lebt heute im Haus Lichtenhain.

Genießt den Blick auf den nächsten Kirchturm: Gräfin Daisy von Arnim auf ihrer Lieblingsbank.
Genießt den Blick auf den nächsten Kirchturm: Gräfin Daisy von Arnim auf ihrer Lieblingsbank.Theresa Lou für Berliner Zeitung Wochenende

Daisy von Arnim wird auch die „Apfelgräfin“ genannt, denn sie hat in dieser entlegenen Gegend einen Geschäftsbetrieb aufgebaut, der sich ganz der runden Frucht widmet. „Bitte nur die schönen fotografieren“, weist sie die Fotografin an. Auf dem Blech in der Backstube liegen ihre „Arnimtaler“, selbstgebackene Kekse, die sie im Hofladen verkauft. Einige davon sind nicht ganz korrekt ausgestochen. Von Arnim, selbst Buchautorin, ist im Umgang mit den Medien geübt. Mit ihrem Portrait in einer Zeitschrift, das sie anlässlich der Verleihung des Unternehmerpreises an sie auf dem Kongress Christlicher Führungskräfte zeigt, ist sie gar nicht zufrieden.

Vor dem Mauerfall hatte von Arnim als Buchhändlerin in einer Buchhandlung in Göttingen gearbeitet. Als die Mauer dann fiel, war es für sie und ihren Mann selbstverständlich, zu ihren angestammten Besitztümern in der Uckermark zurückzukehren. Der Vater von Graf von Arnim war 1945 als 16-Jähriger aus dem Schloss seiner Eltern in Boitzenburg, vier Kilometer entfernt, vor der Roten Armee geflohen. Großbauern wurden in der DDR nicht geduldet, überall entstanden die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG).

In Daisy von Arnims Apfelcafé hängen Fotos vom Gutshaus an der Wand, wie es Anfang der 90er-Jahre ausgesehen hatte: grauer, bröckelnder Putz überall. Heute erstrahlt das Gutshaus in hellem Gelb, die Blumenkästen auf den Fensterbänken sind mit adretten Schleifchen geschmückt. Man merkt, dass von Arnim einen Sinn für das Dekorative hat.

Der Weg bis dahin war aber nicht leicht: Die Gräfin probierte am Anfang, ein Geschäft für Buchsbäume aufzubauen. Das ging schief, noch heute sind überall im riesigen Garten des Gutshauses Buchsbaumhecken zu erkennen, angelegt wie ein Irrgarten.

Sieht wieder bestens aus: Haus Lichtenhain erstrahlt in Gelb, mit adretten Blumenkästen vor den Fenstern.
Sieht wieder bestens aus: Haus Lichtenhain erstrahlt in Gelb, mit adretten Blumenkästen vor den Fenstern.Theresa Lou für Berliner Zeitung Wochenende

Ende der 90er hatten die von Arnims das Gutshaus und die Nebengebäude zurückgekauft; außerdem pachtete Graf von Arnim ein bisschen Land, das er bewirtschaften wollte. Doch er hatte die Rechnung ohne die Menschen in der Umgebung gemacht, die nicht gerade angetan davon waren, dass hier ein Adeliger seine Besitztümer wieder herrichten wollte. Selbst einige Politiker, damals etwa der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), wollten den Grafen in seinem Vorhaben nicht unterstützen.

Doch die von Arnims blieben unbeirrbar. Gräfin von Arnim, praktizierende Katholikin, formuliert es so: „Ohne Gott hätten wir unser Vorhaben nicht geschafft.“ Nicht umsonst steht die hölzerne Bank am Rande des Gartens auf einer kleinen Anhöhe: Von hier bietet sich ein fabelhafter Blick, nicht nur über goldene Kornfelder, gesprenkelt von rotem Mohn, sondern auch auf den Turm der Kirche des Nachbardorfes. Es braucht kaum Fantasie, um sich auszumalen, wie hier die Gräfin schon in mancher Mußestunde betend saß.

Anfang der 2000er-Jahre fand sie dann zu ihrer neuen Geschäftsidee: dem Apfel. Vom Gutshaus führt eine alte Apfelallee rund vier Kilometer direkt bis zum Schloss Boitzenburg. Diese Bäume hatten im Herbst stets voll mit Äpfeln gehangen, die irgendwann alle herunterfielen und verfaulten. „Jammerschade“, habe sich die Gräfin damals gedacht, daraus müsse sich doch etwas machen lassen.

Läuft: Mit ihrer Apfel-Idee hat von Arnim Erfolg.
Läuft: Mit ihrer Apfel-Idee hat von Arnim Erfolg.Theresa Lou für Berliner Zeitung Wochenende

Mit ihrem Sinn fürs Geschäft erwarb sie eine mobile Mosterei, mit der sie in die Dörfer ringsherum fuhr, um es den Leuten zu ermöglichen, ihren eigenen Apfelsaft herzustellen. Und es dauerte nicht lange, da baute die Gräfin auch schon ihren Hofladen auf. Dort gibt es mittlerweile Dutzende Köstlichkeiten rund um den Apfel: Apfel-Schokoringe und Apfelchips, Apfel-Chutney und Apfelessig, Apfel-Birnenkraut, Apfel-Zimt-Marmelade. „Es gibt hier viel zu wenig Unternehmerinnen, und zu viele Träumer“, sagt Daisy von Arnim heute. „Es müsste in jedem Dorf einen Laden und ein Café geben.“

Die Busladungen voller Menschen, die vor der Pandemie noch zum Haus Lichtenhain gepilgert waren, um sich dort verköstigen zu lassen, kommen heute allerdings nicht mehr. Das könnten die von Arnims mit ihrem erschrumpften Stab an Aushilfskräften schlichtweg nicht mehr stemmen.

Dafür sind im Sommer die Ferienwohnungen, die die von Arnims im Gutshaus einrichteten haben, gut gefüllt. Doch damit ist die Apfelgräfin noch immer nicht ausgelastet: Als Rednerin hält sie in ganz Deutschland Vorträge über ihren christlichen Glauben.