Horsehead | Filmvisionaere

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Horsehead

Jessica studiert „Bewusstes Träumen“. Eine Fähigkeit, die einen dazu in die Lage bringt, sich mit verschiedenen Dingen innerhalb eines Traums zu beschäftigen. Sozusagen eine bewusste Steuerung des Unterbewusstseins im Schlaf. Telefonisch bekommt sie die Nachricht, dass ihre Großmutter verstorben sei, zu der sie allerdings keinen oder wenig Kontakt hatte. Auch ihre Beziehung zur Mutter ist komplett kalt und distanziert, aber sie tut ihr den Gefallen und fährt zur Totenwache nach Hause. Auf Fragen zur Familiengeschichte reagiert ihre Mutter abweisend. Auch weiß sie bis heute nicht, wer ihr Vater ist, und zu diesem Thema herrscht ebenfalls eisiges Schweigen. Durch einen seltsamen „Nachtmahr“ im Haus, beschließt sie sich im Traum auf die Geheimnisse ihrer Familie einzulassen und sie zu ergründen. Doch dies ist definitiv nicht ungefährlich. Ihre tote Großmutter hat auch direkt einen hilfreichen Tipp parat: “Folge dem Wolf und lauf weg, wenn du dem Pferd begegnest“.

Regisseur Romain Basset drehte mit gerade einmal 150000 Euro einen wunderbaren Film, der zum Besten zählt, was ich in den letzten Jahren gesehen habe. Das Budget merkt man dem Film niemals an und er sieht um ein Vielfaches teurer aus. Was er hier an kreativen Ideen auffährt, ist nur noch mit Leidenschaft zum Film zu erklären. Weit weg vom Mainstream-Kino entfaltet der Film schon nach wenigen Minuten einen unglaublichen Sog, der einen komplett in den Film reinzieht. Dabei benutzt er fantastische Perspektiven und taucht dabei den Film in ein surreales Licht, das man meistens nur in den goldenen Jahren von Argento, Fulci, Bava und Rollin findet. Auch wenn der Film keineswegs unmodern erscheint, findet man so eine Bildgestaltung in neuzeitlichen Produktionen einfach nur noch sehr selten. Der Film ist tatsächlich handgemacht und er wurde nicht programmiert. Dies erkennt man an den liebevollen Sets, an denen man sich nicht sattsehen kann. Der Film ist für mich so wundervoll, dass ich ihn direkt zweimal geschaut habe. Einmal im englischen Originalton und in der deutschen Synchro. Ich konnte davon nicht genug kriegen. Die Atmosphäre des Films ist im wahrsten Sinne des Wortes traumhaft und bietet einfach eine wundervolle Melange aus Design und Licht. Vielerorts wurde die Handlung kritisiert, aber da gehe ich überhaupt nicht mit konform. Die Geschichte ist absolut stark und lässt dennoch sehr viel Raum für Interpretationen. Es ist aber nicht immer einfach, dem Film zu folgen. Zumindest entnahm ich das aus einigen Kommentaren. Das Ende wurde ebenfalls oft kritisiert und ich sehe es hingegen als perfekt an. Ich liebe solche Traumwelten. Schon bei Fulci liebte ich nicht den Gore, sondern seine geschaffene Alptraumwelt. Dies geht mir hier ebenso. Der Film ist nichts für „Gore-Bauern“, hat trotz Frankreich 2014 nichts mit Terrorkino zu tun und folgt keinerlei Mainstream Strukturen. Für mich ist dies ein Film für Leute die Filme lieben und nicht um sich dabei nett unterhalten lassen zu wollen. Er besitzt einfach die Schönheit und Anmut, für die Filme geschaffen wurden. Zudem finde ich die Darsteller einfach treffsicher ausgewählt. Lilly-Fleur Pointeaux ist für mich die perfekte Jessica. Sie passt wahnsinnig gut in diese Rolle und gibt ihr einfach unglaublich viel Intimität mit. Man kann mit ihrer Figur richtig mitfühlen, an den Geheimnissen teilhaben und sie wirklich begleiten. Als ihre Mutter kommt Catriona MacColl zum Zug, die die reservierte und ablehnende Haltung perfekt auf den Punkt bekommt. Im englischen Original aber deutlich mehr, da sie mit einem sehr distanziert klingendem Englisch, die Zurückhaltung nochmal mehr unterstreicht. Auch hier ist natürlich ein klarer Bezug zu Lucio Fulci zu erkennen, da sie in seinen 3 großen Alptraum Meisterwerken jeweils die Hauptrolle spielte. Insgesamt sind auch einige weitere Verneigungen an das italienische Kino zu erkennen. Als Stiefvater sieht man Murray Head. Falls einem der Name bekannt vorkommen sollte: Er hatte mit dem von ABBA geschriebenen Song „One night in Bangkok“ einen weltweiten Nummer 1 Hit in den 80ern.

Wem das Motiv mit dem Pferd irgendwie bekannt vorkommen sollte, schlägt mal unter dem Namen Johann Heinrich Füssli nach. Das Gemälde „Nachtmahr“ aus dem Jahr 1781 stellt nämlich die Inspirationsquelle für den Film dar. Wer sich näher dafür interessiert, besucht das Goethe Museum in Frankfurt. Dort ist es nämlich ausgestellt. Dies finde ich auch sehr passend, da eher Feingeister, die sich für Kunst interessieren, bei dem Film gut aufgehoben sind.
 
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