Gneisenau verteidigt Kolberg: Der Reformer erprobt seine Ideen - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Kopf des Tages
  4. Gneisenau verteidigt Kolberg: Der Reformer erprobt seine Ideen

Kopf des Tages Gneisenau verteidigt Kolberg

„Es bleibt mir also nichts übrig, als zu fechten und zu sterben“

Nach dem Zusammenbruch des altpreußischen Staates 1806 gehörte Kolberg zu den wenigen Festungen, die den Franzosen Widerstand leisteten. Ihr Kommandeur Gneisenau entwickelte dabei seine Ideen für die Reformen der preußischen Armee.
Napoleonische Kriege / Verteidigung Kolbergs gegen die Franzosen 1806/07 durch das Militär unter Gneisenau und die Bürgerschaft unter Nettelbeck. “Die Verteidung Kolbergs im Jahre 1807”. Holzstich, um 1900, nach Gemälde von Fritz Grotemeyer (1864–1947). Napoleonische Kriege / Verteidigung Kolbergs gegen die Franzosen 1806/07 durch das Militär unter Gneisenau und die Bürgerschaft unter Nettelbeck. “Die Verteidung Kolbergs im Jahre 1807”. Holzstich, um 1900, nach Gemälde von Fritz Grotemeyer (1864–1947).
2. Juli 1807: Die Verteidiger der preußischen Festung Kolberg können sich bis zum Friedensschluss halten
Quelle: picture alliance / akg-images

Wie zahlreiche bekannte preußische Militärs war auch August Neidhardt von Gneisenau (1760–1831) kein gebürtiger Preuße. Im Gegenteil, sein Vater war ein Offizier in der sächsischen Armee, die im Siebenjährigen Krieg gegen die Truppen Friedrichs des Großen kämpfte. Die siegten im November 1760 bei Torgau, und im Chaos der Flucht wurde der kurz zuvor geborene August von seinen Eltern getrennt. Als Findelkind erlebte er harte Jahre voller Demütigungen, bis ihn sein Großvater mütterlicherseits nach Würzburg holte. Dort erhielt er eine Ausbildung, die ihm den Besuch der Universität Erfurt erlaubte.

Da Gneisenau aber mit unakademischen Eskapaden beizeiten sein Erbe durchbrachte, meldete er sich zum Militär, zunächst zum österreichischen. Auch dort hieß der Gegner im Bayerischen Erbfolgekrieg Preußen. Anschließend wechselte er in die Dienste des Markgrafen Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach, der seine Soldaten an die Engländer vermietete, die sie gegen ihre aufständischen Siedler in Nordamerika einsetzten. Erst nach seiner Rückkehr trieb es ihn nach Preußen, wo ihn Friedrich der Große als Premierleutnant aufnahm. Die Ehe mit einer wohlhabenden Frau tat ein Übriges, um Gneisenau diesmal zum Bleiben zu bewegen.

August Neidhardt von Gneisenau, Gemälde von George Dawe, 1818.
August Neidhardt von Gneisenau (1760–1831), 1818 als Generalfeldmarschall
Quelle: Wikipedia/Public Domain

Als Hauptmann nahm Gneisenau 1806 an Preußens Feldzug gegen Napoleon I. teil. Den völligen Zusammenbruch des altpreußischen Staates erlebte er zunächst bei Saalfeld, wo er verwundet wurde, und anschließend in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt, wo die jungen Marschälle Frankreichs die greisen Generäle Preußens beiseitefegten. Im Gegensatz zu vielen Kameraden ergab sich Gneisenau anschließend jedoch nicht still seinem Schicksal, sondern schlug sich nach Ostpreußen durch, wo König Friedrich Wilhelm III. und seine Frau Luise im Bündnis mit Zar Alexander I. den Krieg fortzusetzen suchten.

Die Mittel waren erschreckend gering. Ganze Heeresabteilungen hatten die Waffen gestreckt, Magdeburg, die wichtigste Festung des Landes, hatte sich beinahe ohne Gegenwehr ergeben, königliche Minister hatten in Berlin den Eid auf Napoleon I. abgelegt. Zu den wenigen Widerstandszentren gehörte die Festung Kolberg (Kołobrzeg) in Pommern. Dort erklärte ihr Kommandeur Ludwig Moritz von Lucadou, „bis auf den letzten Mann“ kämpfen zu wollen.

Lesen Sie auch

Das war ein Versprechen mit doppeltem Boden. Denn mit 700 Soldaten, die zumeist felduntauglich eingestuft waren, ließ sich die Festung kaum angemessen verteidigen. Immerhin sorgte Lucadous Äußerung dafür, dass weniger entschlossene Zivilisten die Stadt verließen. Nur 4400 blieben zurück, die in dem ehemaligen Schiffskapitän Joachim Nettelbeck ihren Sprecher fanden. Versprengte, Rekruten und ehemalige Gefangene verstärkten die Garnison. Hilfreicher noch war das Verhalten der Franzosen, die nach der Kapitulation der großen Festung Stettin (Szczecin) zunächst wenig Interesse für die schwer zu belagernde Küstenstadt inmitten eines Schwemm- und Sumpflandes zeigten.

Das änderte sich, als der Dragoneroffizier Ferdinand von Schill mit einem Freikorps den Kleinkrieg gegen die Franzosen in Pommern eröffnete. Schills bunter Truppe mangelte es an Disziplin; sie neigte zum Beutemachen bei jedermann. Aber ihr charismatischer Führer repräsentierte einen neuen, patriotischen Typ von Kämpfern, während der 65-jährige Lucadou die Öffentlichkeit scheute, von Haus aus Französisch sprach, kaum etwas vom Festungskrieg verstand und vor taktischen Neuerungen zurückschreckte.

Lesen Sie auch

Die Kritik von Offizieren und Bürgern erreichte schließlich auch Friedrich Wilhelm III., der daraufhin Gneisenau zum Major und Chef der Kolberger Festung beförderte. Der erreichte im April 1807 über die Ostsee seinen neuen Einsatzort. Dort hatten die Kämpfe durch den Kriegseintritt Schwedens aufseiten Preußens eine neue Qualität erreicht. Das Belagerungskorps des französischen Generals Louis Loison wurde nach und nach auf 17.000 Mann gebracht, denen in Kolberg nun rund 5500 Kämpfer gegenüberstanden.

Auf der Anreise machte Gneisenau seinem Herzen in einem Brief Luft: „Fürsten und Prinzen“ seien nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt geflohen. „Die hochgerühmte preußische Armee, ungeübt und eingebürgert durch langen Frieden! Wenn man ein kriegerischer Staat sein will, so muss man auch Krieg führen. Der Krieg ist eine Kunst, und jede Kunst muss geübt werden … Aber, aber, unsere Generale und Gouverneure … das waren Greuel … Tausendmal lieber sterben, als dies wieder erleben.“

(1418381) Kolberg, Stadtansicht / Photochrom Kolberg - Kolobrzeg (Pommern, Polen). - Stadtansicht. - Photochrom, um 1890/1900 (P.Z. 8255).
Kolberg um 1890
Quelle: picture alliance / akg-images
Gneisenau and Nettelbeck on the ramparts of Kolberg, 1807, (1936). 'Gneisenau Und Nettelbeck Auf Den Wällen Des Unbesiegten Kolberg, 1807'. Prussian field marshal August Neidhart, Count of Gneisenau (1760-1831), and Polish lawyer Joachim Nettelbeck (1738-1824) who represented the local populace in the Siege of Kolberg, Prussia, during the War of the Fourth Coalition, part of the Napoleonic Wars. From "Bilder Deutscher Geschichte", (Pictures of German History), No.12, cigarette card album. [Cigaretten-Bilderdienst, Altona-Bahrenfeld, Hamburg, Germany, 1936] (The Print Collector/Heritage Images)
Gneisenau und Joachim Nettelbeck bei der Verteidigung der Stadt
Quelle: picture alliance / Heritage-Imag

Umgehend baute Gneisenau die Verteidigung nach den Vorstellungen um, die er bereits zuvor in Gutachten und Eingaben vertreten hatte. Die Schanzen wurden verstärkt und ausgebaut. Junge Offiziere erhielten Kommandos über Stoßtrupps, die die Franzosen nicht zur Ruhe kommen ließen. Feldwebel wurden zu Leutnanten ernannt und bewiesen Umsicht und Tapferkeit. Damit wurden sie zu Vorbildern für „Unteroffiziere und Gemeine, (die) glänzende Handlungen verrichtet haben“, meldete Gneisenau Anfang Juli dem König.

Anzeige

Er selbst ging mit gutem Beispiel voran: „Ich verfahre mit Strenge, und dennoch hasst man mich nicht, weil ich mich ohne Ansehen der Person gerecht zu sein bestrebe.“ Gegen Disziplinlosigkeit allerdings, wie sie Soldaten des schillschen Freikorps an den Tag legten, ging er mit aller Macht vor.

Das waren die Grundzüge der Ideen, mit denen auch andere Beamte und Offiziere Staat und Armee Preußens reformieren wollten. Nicht mehr Namen und Titel, sondern die persönliche Leistung sollten über Verwendung und Aufstieg entscheiden. Umsicht und Verantwortung sollten sturen Drill, patriotische Überzeugung dumpfen Untertanengeist ersetzen, ohne allerdings in Disziplinlosigkeit abzugleiten. In diesem Sinn bekannte Gneisenau: „Es bleibt mir also nichts übrig, als zu fechten und zu sterben.“

Meeting of the Reorganisation Commission in Königsberg, 9 July 1807, (1936). 'Sitzung Der Reorganisationskommission in Königsberg, 9 Juli 1807'. The commission for military reorganisation, part of the Prussian Reform Movement, took place at Königsberg (now Kaliningrad, Russia). The two men in the foreground are General August Neidhart, Count of Gneisenau, and Gerhard von Scharnhorst, Chief of the Prussian General Staff. The man in civilian dress is Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein who introduced the Prussian reforms that paved the way for the unification of Germany. From "Bilder Deutscher Geschichte", (Pictures of German History), No.12, cigarette card album. [Cigaretten-Bilderdienst, Altona-Bahrenfeld, Hamburg, Germany, 1936] (The Print Collector/Heritage Images)
Sitzung der Kommission zur Reorganisation der preußischen Armee in Königsberg
Quelle: picture alliance / Heritage-Imag

Doch der Frieden enthob ihn dieser Konsequenz. Nach der Niederlage von Friedland im Juni 1807 blieb Friedrich Wilhelm nichts anderes übrig, als auf Napoleons Forderungen einzugehen. Preußen musste auf große Teile seines Territoriums verzichten, exorbitante Zahlungen leisten und sich in das französische Bündnissystem einreihen. Gneisenau erhielt den Orden Pour le Mérite, wurde in die Kommission zur Reorganisation der preußischen Armee unter der Führung von Gerhard von Scharnhorst berufen und stieg zu einem der bekanntesten Reformer auf.

Noch das NS-Regime suchte sich seiner Popularität zu bedienen. In Goebbels’ Auftrag drehte Veit Harlan 1943/1944 mit Tausenden Komparsen den Film „Kolberg“, in dem die Belagerung durch die Franzosen als Beispiel selbstlosen Durchhaltens in Szene gesetzt wurde. Die Premiere fand am 30. Januar 1945 statt, in Berlin und im U-Boothafen La Rochelle, den die Alliierten eingeschlossen hatten.

In ARTE am 22.03.1998 ab 20.45 Uhr THEMENABEND HEINRICH GEORGE -EIN DEUTSCHES KÜNSTLERLEBEN darin um 21.45 UhrKOLBERGSpielfilm (Farbe), 103 Min., Deutschland 1943-45Regie: Veit Harlan; Buch: Veit Harlan, Alfred Braun; Darsteller: Heinrich George, Kristina Söderbaum, Paul Wegener, Horst Caspar, Gustav Dießl, Otto Wernicke, Kurt MeiselZensur: 26.1.1945; Uraufführung: 30.1.1945 Atlantikfestung La Rochelle und BerlinPrädikate 1945: "Film der Nation". Staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll, kulturell wertvoll, volkstümlich wertvoll, anerkennenswert, Volksbildung, Jugendzeit.Fotos: ZDFBU2: Für die Filmschlachten in "Kolberg" stellte die Wehrmacht Regisseur Veit Harlan 187.000 Soldaten zur Verfügung.
Szene aus Veit Harlans Propagandafilm „Kolberg“ (1944)
Quelle: picture-alliance / obs

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema

Themen