Pfingsten als Fest der Einheit in Vielfalt - Bistum Augsburg
Predigt von Bischof Bertram im Pontifikalamt am Sudetendeutschen Tag in Augsburg

Pfingsten als Fest der Einheit in Vielfalt

19.05.2024 10:00

Liebe Sudetendeutsche, liebe Schwestern und Brüder aus Tschechien, Bayern sowie alle Gäste aus anderen Teilen der Welt, ganz bewusst möchte ich mit dieser Anrede zum Ausdruck bringen, worum es heute geht: Es ist Pfingsten, die Geburtsstunde der Kirche als einer weltweiten Glaubensgemeinschaft!

Voller Freude feiern wir dieses Fest, an dem wir als Christinnen und Christen daran erinnern, wie Gott, fünfzig Tage nach Ostern, seinen Heiligen Geist in die Welt sandte, damit seine Botschaft der Liebe über alle Grenzen hinweg zu den Völkern gelange und das Antlitz der Erde erneuere (vgl. Ps 104,30). Für einen Gottesdienst beim „74. Sudetendeutschen Tag in Augsburg“ hätte es wohl kaum einen passenderen Termin im Kirchenjahr geben können. Eingedenk der Biographie vieler hier in der Schwabenhalle mag doch gerade die Botschaft von Pfingsten ermutigend sein, dass Gott Menschen verschiedener Sprachen zusammenführt. Für mich hat das nebenbei auch eine persönliche Note. Wie manche wissen, stamme ich mütterlicherseits aus einer Familie, deren Heimat bis zur Vertreibung 1946 Domsdorf im Sudetenland war.

Auch vor diesem Hintergrund kamen mir beim Lesen der heutigen Texte vom Pfingstsonntag drei Gedanken, die ich Ihnen gerne mitgebe, und die auch gut zum Motto der dreitägigen Begegnung „Miteinander für Europa“ passen. So deute ich das Pfingstereignis als klaren Auftrag zur Völkerverständigung (1), als Aufgabe, dem Gemeinwohl zu dienen (2) und schließlich als Aufruf zu Vergebung und Frieden (3).

 

1. Pfingsten als Auftrag zur Völkerverständigung

Werfen wir zunächst einen Blick in die erste Lesung aus der Apostelgeschichte. So manche Lektorin bzw. Lektor stolpert beim Vorlesen der vielen Völker, die da aufgezählt werden. Warum, könnte man fragen, ist es dem Verfasser Lukas so wichtig, die verschiedenen Nationalitäten alle einzeln aufzuführen? Dahinter steckt eine Botschaft, denn die Völker sind nach Himmelsrichtungen geordnet. Das zeigt, dass der Geist Gottes sich über die ganze Erde hinweg ausbreitet und Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenführen will. Als Bischof, dem die Weltkirche schon immer eine Herzensangelegenheit war und der in seiner jetzigen Funktion als zuständiger Ansprechpartner der DBK ferne Länder bereist, habe ich es schon oft erlebt: Wenn es auch manchmal schwierig ist, und wir als Christinnen und Christen verschiedener Länder und Kulturen kein solches Sprachwunder (vgl. Apg 2,6) erleben, bei dem alle sich verstehen, wie es uns die Heilige Schrift vom Pfingsttag berichtet, fühlt man sich doch im Glauben und im Herzen verbunden, insbesondere beim gemeinsamen Gebet. Dabei gehört es generell zu den christlichen Grundhaltungen, allen Menschen, egal, wo sie herkommen, offen und respektvoll zu begegnen. Dies gilt ganz besonders für Notleidende wie Kriegsflüchtlinge und Vertriebene.

Wir alle wissen und haben es teilweise persönlich erlebt, dass die Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts hierbei sehr unterschiedlich waren. Unabhängig vom jeweiligen Herkunftsland gab es Menschen, die anderen ablehnend bis feindselig gegenüberstanden, während andere das Leid der Betroffenen sahen und Unterstützung anboten. So ist Pfingsten nicht nur das Fest der Geistsendung; Pfingsten ist der Auftrag, eine Geisteshaltung einzunehmen, die von einer grundsätzlichen Wertschätzung und Freundlichkeit gegenüber unseren Mitmenschen geprägt ist. Wenn wir in diesen Tagen über die europäische Idee nachdenken, erinnern wir uns auch an die Aussagen von Konrad Adenauer (1876-1967) und Robert Schuman (1886-1963), die eine freundschaftliche Völkerverständigung als ausschlaggebenden Impuls für die Gründung der EGKS (Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), einer Vorläuferorganisation der EU, ansahen.[1] Und noch heute ist es ein erklärtes Ziel der Europäischen Union, festgeschrieben im EU-Vertrag, aufeinander zuzugehen und „das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“[2]. Lassen Sie mich an der Stelle, auch mit Blick auf die anstehende Europawahl am 9. Juni, noch einmal klar sagen: Dem Geist und der christlichen Prägung Europas entspricht es, sich einerseits eigener Sorgen und Interessen anzunehmen, sie aber andererseits in Dialog und Partnerschaft im gemeinsamen kontinentalen und globalen Miteinander zu übersteigen und Lösungen für alle zu erarbeiten. Ein Zurück zu „-ismen“ wie Nationalismen, Autokratismen, Rassismen, Populismen, Egoismen usf. ist unvereinbar mit den gemeinsam getragenen Werten von Menschenwürde und Solidarität. Christliche Weltanschauung und Glaube stehen als transzendente Wertegaranten im Dienst von Wohlstand und friedlicher Völkergemeinschaft. Ein Europa der Strukturen und Institutionen ohne diesen tragenden und belebenden Geist würde kraft- und ziellos werden.

Damit spannt sich der Bogen zum zweiten Gedanken aus:

 

2. Pfingsten als Aufgabe, dem Gemeinwohl zu dienen

In der Lesung aus dem 1. Korintherbrief haben wir gehört, dass Gott seinen Geist allen Menschen schenken will (vgl. 1 Kor 12,7). Jedem gibt er von Geburt an Talente und Charismen mit, die es im Laufe des Lebens zu entfalten gilt. „Damit sie anderen nützt“ (vgl. 1 Kor 12,7), schreibt Paulus, und gibt uns gleichsam als Aufgabe mit, all unsere Fähigkeiten zum Aufbau der Gemeinde und zum Wohle der Mitmenschen einzusetzen.

Geht man die Geschichte Europas nach, dann haben viele Frauen und Männer aus dem Sudetenland hier Großes geleistet. Ich erinnere an den hl. Adalbert von Prag (um 956-997), der nicht nur in mehreren osteuropäischen Staaten die Werte des Christentums als Missionar verbreitete, sondern dessen Einfluss auf Kaiser Otto III. wohl maßgeblich zu dessen Idee einer „renovatio imperii“ im Sinne einer Einigung Europas als Staatenbund führte. Manche Historiker sehen darin die Geburtsstunde Europas. Weitere berühmte Sudetendeutsche dienten auf je eigene Weise dem Gemeinwohl, wie die erste Nobelpreisträgerin für Medizin, Gerty Cori (1896-1957). Nehmen wir diese Persönlichkeiten als Beispiel und fragen uns, welche Gaben Gott uns geschenkt hat und welchen Beitrag wir leisten können, damit Europa immer mehr zu einem Haus wird, in dem viele Nationen ihre Wohnung finden, und wo Freiheit und Gerechtigkeit keine leeren Worthülsen darstellen, sondern durch konkretes Handeln in Politik und Gesellschaft Realität werden! Grundlage dafür ist das christliche Menschenbild, wonach die Würde jedes Einzelnen und besonders der Schutz des menschlichen Lebens von der Zeugung bis zum natürlichen Tod von zentraler Bedeutung sind (vgl. aktuelle Debatte um die Legalisierung eines frühzeitigen Schwangerschaftsabbruchs).

So komme ich zu meinem dritten Gedanken, der sich hauptsächlich auf das heutige Evangelium bezieht.

 

3. Pfingsten als Aufruf zu Vergebung und Frieden

Was sind die ersten Worte, die Jesus nach seiner Auferstehung zu seinen Jüngern sagt? „Friede sei mit euch!“ Gleich zweimal sagt er das (Joh 20,19.21). Allein daran können wir erkennen, welche Bedeutung der Herr dieser Zusage beimisst. Er, der Sieger über Sünde und Tod, möchte uns mit seinem Geist einen inneren Frieden schenken, der von Gott kommt, und der uns befähigen soll, zum Frieden in der Welt beizutragen. Einer, der das früh verstanden und danach gelebt hat, war der heilige Ulrich, dem wir im Bistum Augsburg in diesem Jubiläumsjahr besonders gedenken. Viele verbinden ihn mit der Legende um den „Sieg auf dem Lechfeld“ und haben dadurch mitunter ein falsches Bild im Kopf. Denn der hl. Ulrich war alles andere als ein begeisterter Kriegsheld. Als Reichsbischof oblag ihm die Verteidigung des Gebietes, für das er zuständig war. Seine eigentlich friedliche Gesinnung aber können wir aus seinem Verhalten in „Tussa“, dem heutigen Illertissen, ablesen. Damals gelang es ihm, die drohende Schlacht zwischen König Otto I. und seinem leiblichen Sohn, dem Schwabenherzog Liudolf, durch diplomatisches Geschick abzuwenden und Frieden zu vermitteln.

Auch hier sehe ich eine Brücke zur Gegenwart und darf auf das, vor wenigen Wochen erschienene, Friedenswort der deutschen Bischöfe mit dem Titel „Friede diesem Haus“ verweisen. Angesichts der schrecklichen Kriege in der Ukraine, im Heiligen Land und in anderen Ecken der Welt ist es für die Schaffung und den Erhalt des Friedens unbedingt notwendig, Wege der Gewaltüberwindung zu suchen. Ich erinnere an die aus dem Sudetenland stammende Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843-1914), deren Ruf „Die Waffen nieder!“ uns heute noch Mahnung sein sollte. Auch wenn sich ein Land aus Notwehr selbst verteidigen muss, dürfen die Kanäle des Dialogs nie aufgegeben werden. Um auch dauerhaft Frieden zu haben, braucht es noch eine Sache, auf die uns Jesus im Evangelium hinweist: Vergebung. Vordergründig erteilt er seinen Jüngern den Auftrag, Sünden zu vergeben. Dem darf man aber wohl auch einen Aufruf an uns alle entnehmen, einander Fehler zu verzeihen - selbst, wenn das bisweilen außerordentlich schwerfällt. Vielleicht gibt es heute den ein oder anderen hier in der Schwabenhalle, der schlimme Erinnerungen im Kopf hat und sich außer Stande sieht, bestimmten Menschen ihre Untaten zu vergeben. Ihnen möchte ich ein Zitat mitgeben, das der Schriftstellerin Gertrud von le Fort (1876-1971) zugeschrieben wird: „In der Verzeihung des Unverzeihlichen kommen wir der göttlichen Liebe am nächsten.“

 

Liebe Schwestern und Brüder,

das Pfingstereignis hat die Geschichte der Welt radikal verändert. Lassen Sie uns, so wie die Zeugen dieses historischen Ereignisses, staunen über das, was in Jerusalem passiert ist, und einstimmen in das Lob Gottes, dessen Liebe keine Grenzen kennt. Glauben wir daran, dass SEIN Heiliger Geist auch heute noch in uns wirkt und wir alle gesendet sind, um diese Welt zu einem besseren und friedlicheren Ort zu machen. Sende aus Deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!

[1] Goldt, Christoph: Europas Anfang – Europas Ende? Geschichte und Perspektiven einer sagenhaften Entführung. Ein historisch-politischer Essay. Münster, Berlin 2023, hier S. 78f.

[2] Art. 3 Abs. 1 EUV.