Warum Filme schauen?
Fast jeder kann Filmen etwas abgewinnen. Doch worin liegt überhaupt der Sinn im Betrachten der Bilderfolgen? Drei philosophische Perspektiven.
Es gibt keinen guten Grund
Theodor W. Adorno
1903 – 1969
Der elitistisch angehauchte Theoretiker der Frankfurter Schule würde vermutlich die Frage zurückweisen. Gerade der Film sei doch, als „das drastische Medium der Kulturindustrie“, dazu da, die Menschen in bloße unaufgeklärte Konsumenten zu verwandeln. Reflexion und Innehalten seien hier nicht möglich, sofern man den vorbeihuschenden Fakten auf der Leinwand folgen will. Der Film wird so zu einem bloßen Gegenstand ideologiekritischer Analysen degradiert, der darüber hinaus nicht bloß wertlos, sondern zugleich verdummend ist. Doch lässt sich beim späteren Adorno der 1960er-Jahre ein differenzierterer Blick ausmachen. Er sieht nun auch bei nichtkommerziellen Filmen Ansätze von Kunst und Befreiung.
Um zu denken
Gilles Deleuze
1925 – 1995
Wie lässt sich die Zeit sinnlich erfahren? Für den französischen Philosophen Gilles Deleuze findet sich im Film ein Denken, welches im Gegensatz zur Philosophie nicht primär in Begriffen arbeitet. Das Sichtbare im Bild eröffnet Bedeutungen unmittelbar und zeitlich simultan, während sich im Gegensatz dazu das Sagbare der Schrift zeitlich nur sukzessiv entfalten kann. So werden uns seit dem Kino der Nachkriegszeit mit sogenannten Zeit-Bildern neue Zugänge zur Zeit eröffnet, welche im bloßen begrifflichen Denken verschlossen bleiben würden. Während der klassische Hollywoodfilm eine lineare und einheitliche Geschichte erzählt, folgen Autorenfilme oft einer assoziativen Logik, in der sich Gegenwärtiges, Vergangenes und Zukünftiges durchdringen.
Um das Reale zu ertragen
Slavoj Žižek
*1949
Für den slowenischen Philosophen Slavoj Žižek ist der Film eine Begehrensmaschinerie. Von der Psychoanalyse Jacques Lacans kommend, geht Žižek davon aus, dass die Erfahrung des „Realen“ so traumatisch ist, dass wir es stets mit Fiktionen überlagern müssen, um es zu ertragen. Das Kino ist der Ort, an welchem wir diesen Fiktionen in ihrer ganzen Macht begegnen: Sie sind stärker als der Zuschauer und machen aus ihm ein Objekt. Denn: Das Kino ist „die ultimative pervertierte Kunst. Es gibt dir nicht, was du begehrst – es sagt dir, wie du begehren sollst.“ Wenn wir also etwas über die Welt lernen wollen, müssen wir eines tun: Filme schauen. •
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