Das Leben – ein einziges Sursum corda - Bistum Augsburg
Predigt in der Pfarrkirche St. Lutwinus in Mettlach zur Eröffnung der Wallfahrt an Christi Himmelfahrt

Das Leben – ein einziges Sursum corda

09.05.2024 19:00

Lieber Herr Pfarrer Schmitt, lieber Thomas, liebe Schwestern und Brüder in Christus,es klingt wie eine liebevolle Ermahnung, wenn die „zwei Männer in weißen Gewändern“ (Apg 1,10) den verdutzt nach oben schauenden Aposteln zurufen: „Was steht Ihr da und schaut zum Himmel?“ (Apg 1,11) Die Reaktion ist, menschlich gesehen, mehr als verständlich. Da ereignet sich etwas völlig Erstaunliches, Wunderbares, Unerklärbares.

Einmal mehr erweist Gott an Jesus Christus seine Vollmacht, als er vor ihren Augen emporgehoben wird, eine Wolke ihn aufnahm und er so ihren Blicken entzogen wurde. Die Zeugen seiner Erniedrigung werden nun zu Zeugen seiner Erhöhung!

Eine „schöne Bescherung“, die uns da heute aufgetischt wird, eine „beeindruckende Flugreise“ – alles „nur Show“? Fantasterei? Einmal mehr eine Geschichte aus dem Reich biblischer Mythen? Bleiben wir nicht an der Oberfläche stehen! Was will uns das heutige Fest sagen? Versuchen wir den „Mantel des Legendarischen“ zu lüften, stoßen wir von der „Verpackung“ zum eigentlichen Kern vor. Nicht das „äußere Bild“ ist gefragt, sondern die „innere Wahrheit“ dieses Festes! Wagen wir einige Schlaglichter auf das heutige Fest und die damit verbundenen Feierlichkeiten zur Eröffnung der 20. Mettlacher Wallfahrt.

 

Vorweg sei festgehalten: Wir Christen sind keine „Hans-Guck-in-die-Luft“, die deswegen stolpern und „baden gehen“, so wie im Gedicht aus dem „Struwwelpeter“. Wir sind keine „Träumer im Glauben“, auch wenn heutzutage viele Zeitgenossen nur allzu gerne sehen wollen, wie wir Christen „kopfüber ins Wasser stürzen“, um uns dann lauthals ob unserer „Spintisierereien“ zu verhöhnen. Wir Christen träumen vom Himmel – ja; aber wir bleiben mit beiden Beinen auf dem Boden. Auch an Himmelfahrt heben wir nicht ab.

Unser Christsein basiert nicht auf einer Idee, ist nicht Ausfluss einer „Massen-Imagination“. Unser Glaube hat ein konkretes Gegenüber, Jesus Christus, Gottes Sohn. Was er lehrte und mit seinen Taten unterstrich, das soll in uns und durch uns fortleben. Beim gemeinsamen Mahl wurde er vor ihren Augen emporgehoben – so haben wir es eben in der Apostelgeschichte gehört (vgl. Apg 1,4). Die Mahlgemeinschaft des Auferstandenen mit seinen Freunden ist dabei nicht bloß eine äußere Geste, sondern Ausdruck der innigen Gemeinschaft mit ihm, im Letzten also Anteilnahme an seinem Leben, an Jesu Leiden, Tod und Auferstehen. Somit soll nicht nur die „Sache“ Jesu weitergehen, sondern wir verkündigen und bezeugen ihn selbst, als „Person“.

 

Die Rede von der Himmelfahrt Christi ist wohl die älteste Umschreibung, derer sich Menschen bedienen, um das eigentliche Ziel ihres irdischen Lebens auszudrücken. Sehen wir in seiner „Himmelfahrt“ also weniger das „glorreiche Ende“ in der Klimax seines bisherigen Lebens, sondern verstehen wir sie als Schlüssel dessen, was Christus für uns war und ist, und was der Mensch mit ihm an seiner Seite einmal erfahren darf. Das „Finale“ des „göttlichen Opus“ ist die „Ouvertüre“ einer neuen großen „Symphonie“, in der die Menschen aller Zeiten und Orte sowie der gesamte Kosmos zusammenklingen.

Der Himmel ist also weit mehr als ein „privates Einzelgeschick“, wie Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt vermerkt: „Mit der Überschreitung der Todesgrenze ist die Zukunftsdimension der Menschheit eröffnet (…). So wird sichtbar, wie die Unsterblichkeitshoffnung des einzelnen und die Ewigkeitsmöglichkeit der Menschheit insgesamt ineinandergreifen und beides sich in Christus trifft.“ (Einführung in das Christentum. München 1968, S. 260f.) Die Erhöhung Jesu Christi bringt zum Ausdruck: Christus kehrt heim zum Vater, nicht um uns Menschen zu verlassen, sondern um in den Gliedern seines Leibes die Hoffnung zu stärken, selbst einmal in den Himmel zu kommen – in die liebevolle Gemeinschaft mit Gott (vgl. Präfation zu Christi Himmelfahrt I).

 

Die Aussagen zur Existenz im Jenseits haben Auswirkungen auf das Mensch-Sein im Diesseits. Will sagen: Die Hoffnung, der Ausblick auf „den Himmel“ prägt unseren irdischen Weg: „Lasst uns bereits jetzt wie Bürger des Himmels leben.“ (Phil 3,20) Der Blick geht also „nach unten“, auf die Erde und damit auf den Alltag der Welt. Als Christen sind wir aufgefordert, aus der christlichen Hoffnungsbotschaft zu leben – bei allem Unverständnis und bei allen Schwierigkeiten.

Doch damit nicht genug: Durch Jesus Christus ist der Himmel für uns Menschen offen. Ein Leben ohne den Blick auf den Himmel heißt ein Leben im hier und jetzt. Wenn die Perspektive des Himmels fehlt, will ich als Mensch nichts verpassen. Bedürfnisse und Wünsche wollen da schnell befriedigt werden. Aus dem Antrieb heraus, nichts zu verpassen, stellen sich schnell Stress und ein Gefühl des Getrieben-Seins im Leben ein. Alles haben wollen – und zwar subito!

Jesu Himmelfahrt mündet in eine Mission: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Mk 16,15) Konkret: Christinnen und Christen sind keine „Daumendreher“, wir legen auch die Hände nicht einfach in den Schoß. Von Christus gesandt, sollen wir auf die Menschen zugehen, ihnen gerade nicht „den erhobenen Zeigefinger“ vorhalten, sondern ihnen „die ausgestreckte Hand“ hinhalten. Was wir ihnen sagen, was wir vorleben, soll echt und authentisch sein, vor allem wohltuend und aufbauend. Begegnen wir einander mit Respekt, wahren wir die Würde des Gegenübers. Und denken wir immer wieder dran: Genau so wichtig wie die Rechtgläubigkeit ist unsere Glaubwürdigkeit. Wenn wir so miteinander umgehen, wäre die Welt eine andere; auch innerkirchlich wäre das Klima ein anderes – angesichts mancher Spannungen und Diskussionen. Als Kirche ist es uns aufgetragen, die befreiende Botschaft Jesu Christi allen Menschen anzubieten – nicht mit Zwang, nicht aus Herrschsucht: „Die Kirche ist offen für alle!“, so Papst Franziskus.

Dem Menschen ist von Gott her seine Freiheit gegeben. So trifft er seine Entscheidungen selbst und trägt dafür Verantwortung. „Wer glaubt, wird gerettet. Wer nicht glaubt, wird verdammt.“ (Mk 16,16) So haben wir es eben im Evangelium gehört. Welch hartes Wort aus dem Munde Jesu, mag mancher denken. Fest steht: Ob unser Leben gelingt, ob es „ein Weg nach oben“ wird, hängt nicht nur von äußeren Schicksalsschlägen und Misserfolgen ab, sondern vor allem von uns selbst – von der „inneren Haltung“ den Dingen gegenüber, von der Einstellung zum Leben, vom Glauben an sich selbst und letztlich, so meine feste Überzeugung, auch und gerade der Beziehung zu Gott.

 

Mit seiner Himmelfahrt ist das Werk Christi auf Erden vollendet, und es beginnt die Zeit der Kirche. Das hat zur Folge: Glauben funktioniert nicht allein, sondern ist verwoben in das tragende Netz Gleichgesinnter, die Kirche: „Wer glaubt, ist nie allein!“, so lautet heuer das Motto der 20. Mettlacher Wallfahrt. Die Innerlichkeit des einzeln Glaubenden und der Kirche sind wechselseitig aufeinander bezogen (vgl. Romano Guardini: Der Herr. Würzburg 1951, S. 511). So freue ich mich, mit Ihnen zusammen dieses kleine Jubiläum zu begehen und die Wallfahrt zu eröffnen.

Eingeflochten in diese Gemeinschaft sind auch die Glaubenszeuginnen und
-zeugen vor unserer Zeit. Als Vorbilder im Glauben, als Fürsprecher bei Gott helfen Sie uns auf unserem eigenen Glaubensweg, so wie der hl. Lutwinus. An ihm sehen wir, was es heißt, wie Gott durch uns Menschen wirkt, damit Frieden und Gerechtigkeit keine Utopie bleiben – auch wenn die Lebens- und Zeitumstände damals ganz andere waren. Die Mosaiken an den Wänden hier im Hauptschiff veranschaulichen das sehr eindrücklich.

Eine Begebenheit aus seinem Leben will ich kurz erzählen, weil sie gut zum heutigen Fest passt; Sie kennen wohl alle das sogenannte „Adlerwunder“. Als Lutwinus bei einem Jagdausflug in der Nähe der Saarschleife auf einem Felsen hoch über dem Fluss rastet und einschläft, fliegt ein Adler herbei, der über dem Schlafenden in der Luft stehen bleibt und ihn so vor der sengenden Sonne schützt. Lutwinus deutet diese wundersame Begebenheit als einen „göttlichen Fingerzeig“.

Mit dieser frommen Legende wird nicht nur die Klostergründung erklärt, sie beinhaltet auch die Ermunterung an uns, so wie Lutwinus die „Spuren Gottes“ im Leben zu suchen und zu deuten. Winke, Hinweise, Anrufungen Gottes gibt es auch heute. Es gilt, mit Gott in Verbindung zu bleiben im Gebet und im Empfang der Sakramente, allen voran durch die Mitfeier der Eucharistie. Ich lade Sie ein: Schauen Sie am Abend zurück auf den Tag und entdecken Sie darin die Spuren Gottes im aufmunternden Wort eines Arbeitskollegen, im geschenkten Lächeln eines Mitmenschen im Bus, in der Schönheit einer blühenden Blume am Wegesrand…

An „Himmelfahrt“ ist der Herr in Bewegung „nach oben“. Wenn wir uns selbst von ihm bewegen lassen, indem wir auf Christus schauen, werden wir uns selbst und alles, was uns umgibt, aus seiner Sicht verstehen lernen. Dazu bedarf es der „Adlerperspektive der Himmelfahrt“. Das heißt: Wir sollten unsere Welt mit den Augen des Himmels anschauen. Wir gewinnen (neu) den Überblick; manches Problem relativiert sich durch die Sichtweise „von oben“. Wie heißt es doch so schön beim Propheten Jesaja: „Die auf den Herrn hoffen, empfangen neue Kraft, wie Adlern wachsen ihnen Flügel.“ (Jes 40,31)

 

Liebe Mettlacher, lieber Wallfahrerinnen und Wallfahrer aus nah und fern, wenn wir heute die Heimkehr unseres Herrn Jesus Christus zum Vater feiern, so erschöpft sich dies nicht in der Erinnerung an einen Abschied vor 2.000 Jahren, sondern ist Ausblick und Verheißung. Das heutige Fest soll unsere Sehnsucht neu entfachen, die Sehnsucht nach dem Himmel, nach Leben in Fülle, das Ziel unseres Menschseins, unsere Berufung „nach oben“, zur „Himmelfahrt mit Christus“.

Wie bei jeder hl. Messe, so rufe ich Ihnen heute in der Präfation zu: „Sursum corda!“ – Erhebet die Herzen! Mögen unsere Herzen dort verankert sein, wo die ewigen und wahren Freuden sind. Möge unser Leben ein einziges Sursum corda werden!