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Der fünfte Beatle: „Klopp hat uns nur einmal angelogen - als er sagte, er sei normal“
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  • FOCUS-online-Autor (Liverpool)

Jürgen Klopp hört als Trainer des FC Liverpool auf. Am Sonntag wird er zum letzten Mal an der Seitenlinie der Anfield Road stehen. Ein Trauertag für Liverpool. FOCUS online ist vor Ort und versucht, der Liebe und Leidenschaft für den Deutschen auf den Grund zu gehen.

Schon bei der Ankunft an der Lime Street, dem Hauptbahnhof der Stadt, strahlt einem das riesige Konterfei von Jürgen Klopp entgegen. „You’ll never walk alone again“ steht unter dem Bild, auf dem der Trainer reih an reih mit seinen Spielern steht. Dieser Tage eine bittersüße, fast schon melancholische Botschaft.

Denn „Jüörgen“, wie sie ihn hier rundum der Merseyside mit ihrem herrlichen Scouse-Akzent nur liebevoll nennen, ist am Sonntag im Premier-League-Spiel gegen Wolverhampton Wanderers ein letztes Mal der Coach des Liverpool FC. Nach neun Jahren verlässt er den Club. Neun Jahre, in denen er dem Verein und der Stadt viel mehr als nur sportliche Erfolge und Titel brachte. Klopp wurde hier zur lebenden Legende. Wie ist ihm das gelungen?

Auf Spurensuche in Liverpool

Trevor, der Besitzer meiner Unterkunft rund zehn Fußminuten vom Stadtzentrum entfernt, kann mir nicht helfen. Die erste Person, die ich in Liverpool treffe, könne mit Fußball nichts anfangen, sagt er und lacht. Er muss der einzige Mann im gesamten Nordwesten, wo Fußball gelebt und geatmet wird, sein, der sich dieser wunderbaren Sache entsagen konnte.

Der Rentner zeigt mir aber ein Foto aus dem Jahr 2019, als die Siegesparade für den Champions-League-Triumph direkt an seinem Hintergarten entlangführte. Trevor knipste das Bild aus seinem Fenster im ersten Stock. Seine Nachbarn waren auf den Zaun geklettert und jubelten der Mannschaft auf dem offenen Bus, umzingelt von einem Menschenmeer in Rot, entgegen. 

„Das ist Klopp“, sagt er und zeigt auf eine Person, die definitiv nicht Klopp ist. Ich schaue genauer hin und finde den richtigen verpixelten roten Punkt. „Gut, dass ich dich habe“, lacht Trevor. Ihm liege mehr an der Geschichte und Kultur der Stadt. Er empfiehlt mir Museen, Büchereien und historische Gebäude. Mich interessiere aber nur eine Kultur und nur ein Gebäude, entgegne ich ihm. Fußball und die Anfield Road.

Das „Kloppocar“ und das „Jürgen's“

Keine fünf Minuten in der Stadt stoße ich auf ein Auto. Es ist ein Mini Cooper, der am Straßenrand der berühmten Castle Street steht: Das Kloppocar. Ein fahrendes Kunstwerk auf Rädern voller Fußballgeschichte. Fußballgeschichte von Klopp um genau zu sein.

Das Kloppocar in Liverpool
dom Das Kloppocar in Liverpool
 

Der gesamte Wagen bildet die Karriere und wichtige Wegbegleiter des Trainers in hervorragender Detailverliebtheit ab, von seiner Anfangszeit in Mainz, über seine zwei Bundesliga-Titel mit Borussia Dortmund bis zum Sieg der Königsklasse mit Liverpool.

Passanten fotografieren und bewundern das Auto aus Deutschland. Eine Sehenswürdigkeit mehr. Leider sind die Besitzer nicht zu aufzufinden, doch der Zufall soll uns später noch zusammenführen. 

Apropos Zufall: Ich gehe weiter, bleibe aber keine hundert Meter später erneut verdutzt stehen. Über eine Bar an Hafen-Promenade „The Strand“ prangen die Buchstaben „JÜRGEN’S“. „Das gibt’s doch nicht“, denke ich mir und gehe rein. 

„Er bedeutet alles für den Club“

Es ist noch früh, also ist in der Kneipe wenig los. Nur vier junge Männer kommen gerade vom Tresen mit einem Pint in der Hand und machen es sich auf einer Eckbank gemütlich. Hinter ihnen an der Wand lacht einem das Gesicht von Klopp entgegen. Überall in dem Pub zieren ikonische Bilder des Trainers die Wand und Decke, mal strahlend, mal brüllend, so wie man ihn halt kennt. 

Shelly ist die Managerin des „Jürgen’s“. Als ich sie über ihre Liebe zum Trainer frage, errötet sie leicht und lächelt verlegen. „Er ist so toll, so liebenswert“, schwärmt sie im tiefsten, schwer verständlichen Scouse-Dialekt. „Er bedeutet alles für uns, er bedeutet alles für den Club.“

Bar-Managerin Shelly posiert vorm Jürgen's
dom Bar-Managerin Shelly posiert vorm "Jürgen's"
 

Vor fünf Jahren haben die neuen Besitzer den Laden nach Klopp benannt. Letztes Jahr stand er dann plötzlich vor der Tür. „Ich wollte schon so lange vorbeikommen, ich habe gehört der Pub ist nach mir benannt?!“, sagte er strahlend und kam rein. Er machte Fotos mit allen Mitarbeitern und Gästen. „Alle waren so überwältigt. Es war verrückt, einfach toll“, erzählt die stolze Shelly.

Diese herrlich offene und bodenständige Art von Klopp ist es, was jeden, mit dem ich an diesen Tagen in Liverpool spreche, so schwärmen lässt. Denn es macht Klopp zu einem von ihnen . Aber wer genau sind sie

Liverpool und die vier Pilzköpfe

Um die Stadt, die Menschen und die Fans zu verstehen, muss man die bewegende Geschichte kennen. Trevor erzählte mir bereits, wie die Stadt im 17. Jahrhundert als Hafenstadt in der Irischen See durch Handel mit asiatischen Ländern, aber auch durch den Sklavenhandel, zu einer der wichtigsten Städte Englands wurde. Er erzählt, wie die Stadt im Zweiten Weltkrieg zerbombt und in der Folge mühsam wieder aufgebaut wurde, wie man sich hier stets von der Regierung und dem Establishment vergessen und verraten fühlt und wie die Stadt voller Sozialisten beinahe zur eigenständigen Republik wurde. Und wie sie zur popkulturellen Hauptstadt Europas wurde.

Vier Männer haben diese Zeit in den 1960er geprägt wie sonst niemand auf der Welt. Vier Pilzköpfe. John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr - The Beatles. Die erfolgreichste Band der Musikgeschichte. Hier aus Liverpool.

Die Beatles sind ein Teil der Identität der Stadt. Liverpool-Insider Graham Agg, der in den 1990er einige Zeit in Deutschland lebte, führt mich durch die Stadt und zeigt immer wieder auf unscheinbare Pubs am Straßenrand und sagt so etwas wie; „Hier haben die Beatles immer im Keller gespielt, es sieht heute noch genauso aus wie früher“, oder „Hier gingen die Beatles immer vor ihren großen Auftritten hin, die Bank, auf der sie immer saßen, ist heute noch da“.

Auf den Bänken von John Lennon

In einer dieser Bars treffen wir John Pearman, den Chefredakteur des Fanmagazins „Red All Over The Land“. Es ist das „Ye Cracke“ im östlichen Teil der Stadt. Nur eine Querstraße weiter ging John Lennon zur Kunsthochschule. Gleich nebenan besuchte Paul McCartney das „Liverpool Institute“. Das Gebäude ist mittlerweile im Besitz der Musiklegende, die dort das „Liverpool Institute for Performing Arts“ gründete. 

Das „Ye Cracke“ war die Stammkneipe von Lennon, erzählt Graham. Fotos hinter dem Tresen zeugen davon. Auf einem Lennon vor der schmalen Eingangstür. Die milchige Fensterscheibe ist wie auf dem Foto aus den 1960er noch dieselbe und trägt die Aufschrift „Houlding Beacon Ale“.

John Pearlman (l.) und Graham Agg halten vor dem Ye  Cracke eine Flagge zu Ehren von Jürgen Klopp
dom John Pearlman (l.) und Graham Agg halten vor dem Ye Cracke eine Flagge zu Ehren von Jürgen Klopp
 

Das Holding Beacon Ale ist eine Biersorte der Liverpooler Houlding-Brauererei, gegründet 1871 von John Houlding. 1892 gründete er eine weitere Institution in der Stadt: Den Liverpool Football Club. Das „Ye Cracke“ verbindet die zwei wichtigsten Dinge der Stadt.

In jener Kneipe sitzen wir nun auf einer alten Holzbank. Die Bank, der Boden, die Tür, fast alles an diesem Pub blieb über die Jahrzehnte unverändert. So beschleicht einen das Gefühl, dieselbe Luft wie die größten Musikstars des Landes zu atmen. Vielleicht saß Lennon genau auf meinem Platz und summte die Melodie von „Love Me Do“, der ersten große Single der Band. 

Die Legenden der Stadt

Geschichten von früher werden auch an diesem Tisch erzählt. John und Graham plaudern ausgelassen über die glorreichen alten Zeiten, als Liverpool der Mittelpunkt des Universums war. Über die Beatles, aber auch über die Männer, die den Verein in den 60er und 70er an die Weltspitze brachten. Ich lehne mich zurück, lausche, lerne und genieße.

Bill Shankly führte den LFC in die erste Liga, zwei Jahre später wurde der Club gleich englischer Meister. Der charismatische Schotte wurde von den Fans verehrt, gar vergöttert. 

Auf ihn folgte 1974 Bob Paisley, ein eher zurückhaltender Zeitgenosse, aber ein von Fußball besessener Typ. Taktisch seiner Zeit voraus. Sechs Liga-Titel holte er in acht Jahren, dazu dreimal den Triumph im Europapokal der Landesmeister.

Wenn Graham und John über die größten Trainer der Geschichte plaudern, folgt in der Reihe Shankly, Paisley gleich der Name Jürgen Klopp. Er sei eine Verbindung der beiden Legenden, sagt Graham. „Er hat das Charisma eines Shankly und die taktische Raffinesse eines Paisley“, so der Liverpool-Insider.

Auf so einen Typen mussten sie lange warten. Gerade in den vergangenen zwei, fast drei Jahrzehnten ging in Liverpool einiges verloren. Die Hillsborough-Katastrophe, bei der 97 Menschen ums Leben kamen (96 beim Vorfall selbst, einer an den Spätfolgen), lähmte den Verein. Kenny Dalglish, der letzte Meistertrainer, trat kurze Zeit später überraschend, aber noch immer geprägt von dem grausamen Ereignis zurück.

Die Entfremdung des Clubs

Es folgte eine Zeit, in der der Verein ungewöhnlich oft den Trainer wechselte. Graham und John lassen sich über ehemaligen Coaches aus.

Gerard Houllier? „Er machte uns zu Zweiflern“, urteilt John mit einem traurigen Gesichtsausdruck. 

Roy Hodgson? „Eine Zeitverschwendung“, sagt er. „Kein Charisma“. 

Brendan Rodgers? „Guter Coach, aber verdammt langweilig.“ 

Sie alle konnten keine Emotionen hervorrufen, keine Leidenschaft wecken. Mehrere Besitzerwechsel führten endgültig zu einer Entfremdung und einem Identitätsverlust.

„Als Jürgen kam, gab es keine Beziehung mehr zwischen dem Verein und der Stadt“, erzählt John. Es gab keine Emotionen. 

Und dann kam Klopp

Klopp brachte sie zurück. Mit seiner erschreckend offenen Art, seinem entwaffnenden Humor, seiner Leidenschaft für den Sport und den Style seines Fußballs erreichte er die Menschen, holte sie wieder ab, verband die Stadt mit dem Verein. 

John und Graham spürten bereits bei seiner ersten Pressekonferenz, dass mit ihm etwas entstehen könnte. „Er hat gesagt, dass er uns von Zweiflern zu Gläubigen machen will. Er war direkt einer von uns“, sagt Graham. „Er hat nur an einer Stelle gelogen“, räumt John ein. „Er sagt, er sei normal“.

„The Normal One“, so stellte sich Klopp in Anlehnung an Jose Mourinhos „The Special One“ vor. Er ist einfach er, der Jürgen.

Fortsetzung folgt.

Hier geht es zu Teil 2 der Liverpool-Reportage: „Er hat das Bild des Deutschen in England auf den Kopf gestellt“

Hier geht es zu Teil drei der Liverpool-Reportage: George hat alles erlebt, doch nur Klopp machte die „Stimme von Anfield“ sprachlos 

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