Berchtesgaden: Großer Andrang bei Obersalzberger Filmgespräch
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Großer Andrang bei Obersalzberger Filmgespräch: „Zone of Interest“ zeigt anderen Blick auf Holocaust

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In einem gepflegten Garten hebt eine Mutter ihr Baby in Richtung einer Blume. Mehrere SS-Kommandanten besprechen sich an einem Tisch, auf dem ein ausgebreiteter Plan liegt. Der Kinosaal in Berchtesgaden ist bei der Vorstellung des Films „The Zone of Interest“ ausverkauft, alle Plätze sind belegt.
„The Zone of Interest“ zeigte mit seinen Einblicken in den normalen Familienalltag rund um Rudolf Höß (in der Mitte rechts oben) eine verstörende Idylle. © The Zone of Interest

Wartelisten, Gruppenanmeldungen, zusätzliche Stühle neben den Sitzreihen: Das Obersalzberger Filmgespräch war schon lange nicht mehr so gut besucht, denn „The Zone of Interest“ sorgte für ein ausverkauftes Kino Berchtesgaden. Kein Wunder, denn der Film zeigt den Holocaust aus einem anderen Blickwinkel und fungiert als Gegenstück zu „Schindlers Liste“. Die Wirkung bleibt die gleiche: verstörend, erschütternd und aufwühlend - nur eben auf eine andere Art und Weise.

Berchtesgaden - Wer eine packende und rührende Geschichte mit einer klaren Rollenverteilung wie bei „Schindlers Liste“ erwartet hatte, wurde vielleicht enttäuscht. Beinahe wie eine Dokumentation aufgebaut, lässt der preisgekrönte Film des Regisseurs Jonathan Glazer die Zuschauer in den Alltag der Familie des Kommandanten Rudolf Höß eintauchen. Ein Alltag direkt vor den Mauern des KZ Auschwitz.

„Die Verbrechen sind präsent, aber auf eine andere Art“, brachte es Sven Keller, der fachliche Leiter der veranstaltenden Dokumentation Obersalzberg, auf den Punkt. Höß war von Mai 1940 bis November 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Zusammen mit seiner Familie - Frau Hedwig und fünf Kinder - lebte er direkt an den Mauern des KZ auf einem großen Grundstück in einem zweistöckigen Haus. Und genau in dieser Idylle liegt die eigentliche Grausamkeit.

Mehrere Kinder planschen in einem Swimmingpool, mitten in einem grünen, gepflegten Garten. Mehrere Mütter und Väter unterhalten sich in Gesprächen, auf einer Wiese stehen Liegestühle. Angrenzend an das Grundstück ist die Außenmauer des KZ Auschwitz, dahinter befinden sich eine Baracke und ein Wachturm.
Im Garten der Familie Höß, bei einer gemeinsamen Feier mit anderen Offiziersfamilien. Im Hintergrund ist das KZ Auschwitz zu sehen. © The Zone of Interest

Geburtstorte, Gemüsebeete und die „Königin von Auschwitz“

Denn ohne die Szenerie um das Haus und den Garten herum fühlt man sich in einen normalen Familienalltag hineinversetzt. Höß erhält zum Geburtstag eine große Torte und von seiner Familie ein schickes Kanu, mit dem er später mit seinen Kindern auf dem naheliegenden Fluss unterwegs ist. Hedwig zeigt begeistert ihrer Mutter den gepflegten Garten und berichtet stolz, dass ihr Mann sie „Königin von Auschwitz“ nennt. Die Kinder spielen oder planschen im Swimmingpool. Immer wieder huscht der Familienhund durch das Spiel.

Auch Höß selbst wirkt keinesfalls wie das Monster, dass man bei jemandem vor Augen hat, der unter anderem für die sogenannte Ungarnaktion, den Massenmord an den ungarischen Juden, verantwortlich war. Stellenweise ertappt man sich sogar dabei, wie man anfängt, Sympathien für ihn aufzubauen. Etwa, wenn er sich zu seinen Töchtern ins Bett legt und ihnen Märchengeschichten vorliest, damit diese einschlafen können. Oder wenn er ein Buch liest und auf dem Sofa sich nach Ruhe zu sehnen scheint, aber natürlich sofort das Telefon klingelt und die Arbeit ruft.

Rudolf Höß sitzt zusammen mit anderen SS-Offizieren an einem Tisch, um sich über Pläne zum Ausbau der Krematorien auszutauschen.
Rudolf Höß mit Plänen zum Ausbau der Krematorien. © The Zone of Interest

Geräusche lassen den Massenmord erahnen

Doch es sind die Geräusche, die einen immer wieder in die Realität des KZ zurückholen. Die das Grauen erahnen lassen und im inneren Auge schreckliche Bilder produzieren. Zu sehen bekommt man eigentlich nur die Außenmauern samt Stacheldraht. Manchmal auch die Baracken, die Wachtürme, die Rauschwaden. Das Leuchten in der Nacht, wenn die Flammen wieder flackern. Visuell war's das, mehr bekommt man von Auschwitz die meiste Zeit über nicht zu sehen.

Doch immer wieder sind die Todesschreie zu hören. Das Bellen der Wachhunde und das Gebrüll der Wachleute. Die Schüsse, die einen zusammenzucken lassen. Das verzweifelte Flehen und Betteln der Opfer. Und das Rauschen, das ständige Rauschen aus den Krematorien. Besonders entfaltet sich die Geräuschkulisse in einer Szene, als im Familienhaus nachts ein Licht nach dem anderen, Zimmer für Zimmer, ausgeschaltet wird. Während dort die Stille einkehrt, dröhnt im Hintergrund das KZ. Ruhe auf der einen, Horror auf der anderen Seite.

Viele doppeldeutige Szenen

„The Zone of Interest“ ist voll gepackt mit kleineren und größeren Botschaften. Wie makaber, als Hedwig andere Offiziersfrauen zum Kaffeekränzchen einlädt und über ihre polnischen Hausmädchen lästert, während diese anwesend sind und ihre Arbeit verrichten. Oder als sie Kleidungsstücke aus dem Besitz der Häftlinge erhält, darunter ein neuer Pelzmantel für sie. Aus dem Rest sollen sich die Kinder etwas aussuchen. „Aber nur ein Kleidungsstück“, betont Hedwig. Oder als sich Höß die Funktion des neuen Ringeinäscherungsofens erklären lässt, mit dem „ein Dauerbetrieb“ möglich sei, bei anderer Gelegenheit aber SS-Angehörige für das achtlose Abreißen von Fliederbüschen auf dem KZ-Gelände bestrafen lassen will.

Eine Mutter hebt ihr Baby an eine Blume in einem gepflegten Garten.
Hedwig Höß im Garten mit ihrem Baby. © The Zone of Interest

Viele dieser Botschaften können so oder so gedeutet werden: Bricht die Mutter von Hedwig den Familienbesuch ab, weil sie die Geschehnisse hinter den Mauern im Gegensatz zu ihrer Tochter und den Kindern nicht erträgt? Weil sie begreift, was als die Geräusche und Gerüche bedeuten oder die Flammen aus den Krematorien, die nachts die Vorhänge und damit die Schlafzimmer erleuchten? Oder steht sie stellvertretend für das Wegducken und das Desinteresse von vielen Deutschen zur damaligen Zeit?

Denn beim Gartenrundgang erzählt sie noch, dass sie einst bei einer Jüdin geputzt habe, die nun vielleicht auf der anderen Seite der Lagermauer sei. Sie habe sich geärgert, dass sie zu spät von der Deportation der Frau erfahren habe und nicht mehr die schönen Vorhänge von ihr ergattern konnte.

Experten bestätigen Faktennähe

Nach der Vorführung diskutierte Keller zusammen mit der Historikerin Anna-Raphaela Schmitz und der Historiker Johannes Hürter über das Geschehene und wie es eingeordnet werden kann. Beide Experten bestätigten, dass der Film sich sehr an den Fakten orientiere und daher realistisch sei. Doch: Passt der Titel und was hat es mit „Zone of Interest“ überhaupt auf sich?

Schmitz erklärte, dass das Gelände früher SS-Interessengebiet genannt wurde. „Man darf nicht vergesse, wie groß Auschwitz-Birkenau war“, meinte sie. Hürter führte aus, dass der Titel auch doppeldeutig verstanden werden könne. „Auf der einen Seite der Massenmord, auf der anderen Seite das Familienglück. Hedwig betont ja immer wieder, dass sie ihren Lebensraum und alles, was sie sich dort aufgebaut haben, nicht aufgeben will, dass sie dort die Kinder großziehen möchte.“

Der Dienst im Lager war die gewöhnliche Arbeit und bei Feierabend waren die Kommandanten sofort Zuhause.

Historikerin Anna-Raphaela Schmitz

Im Gegensatz zu anderen Holocaust-Filmen werde erstmals der Fokus auf die Täterfamilien gelegt und auf das Narrativ einer Geschichte verzichtet. Der Nationalsozialismus habe immer eine Verheißung für die arische Mehrheitsgesellschaft geboten. „Für uns wirkt es pervertiert, dass die Familien der Lagerkommandanten direkt am KZ lebten und dort ihr privates Glück fanden. Aber dahinter steckte eine Absicht: Die Verantwortlichen sollten in einem normalen Alltag leben. Der Dienst im Lager war die gewöhnliche Arbeit und bei Feierabend waren sie sofort Zuhause“, schildert Schmitz.

„Schöner Wohnen in Auschwitz“

Das Leben am KZ stellte für viele Familien eine Beförderung dar, verbunden mit einigen Annehmlichkeiten. „Die SS hat für ein großes Freizeitangebot gesorgt. Dort ließ es sich besser leben als im Reich, und die Familien konnten sich zusätzlich noch an den Wertgegenständen der Opfer berauben“, erläuterte die Historikerin. Sven Keller, der durch den Abend führte und moderierte, fügte hinzu, dass er in Filmkritiken von „schöner Wohnen in Auschwitz“ und „brutaler Gemütlichkeit“ gelesen habe.

Hürter meinte, dass bei „Schindlers Liste“ die Rollen und Botschaften klar verteilt seien. „Mit Schindler gibt es den guten Deutschen, den Helden. Und dann ist da der grausame und brutale Amon Göth. Dazwischen die Gewalt, die Opfer, die bildstarken Szenen. Als Zuschauer kann man sich hiermit leichter identifizieren, doch geht das überhaupt bei ,Zone of Interest‘?“, fragte er. Die Täterforschung habe sich stark verändert: Es gehe nicht mehr nur um die perversen, brutalen und bösen Täter, sondern auch um die normalen Menschen.

Hürter betonte: „Das Verhalten von Hedwigs Mutter ist symptomatisch für das Verhalten vieler Deutscher: Sie waren nicht direkt beteiligt, aber es war ihnen auch einfach egal.“

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