Familie von
Von "Malcolm mittendrin" wurden zwischen 2000 und 2006 sieben Staffeln mit insgesamt 151 Episoden produziert.
imago images/Everett Collection

"Was für eine böse Mutter!" Die Rede ist von Lois aus der US-amerikanischen Serie Malcolm mittendrin. Als Kind in den frühen 2000ern war das alles, was ich gesehen habe – und das gefühlt täglich auf ORF 1 zwischen 15 und 17 Uhr: eine schreiende Frau, die ihren fünf Söhnen – Francis, Reese, Malcolm, Dewey und später Jamie – das Leben zur Hölle macht. "Life is unfair", tönt es auch im Intro von They Might Be Giants. Dass damit aber nicht die übertriebenen Strafen der Mutter, sondern das Leben und das Überleben in einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft gemeint waren, war mir mit zwölf Jahren natürlich nicht bewusst.

Bereits in den ersten Folgen wird klar: Es geht ums Geld. Malcolms Familie lebt verschuldet in einem heruntergekommenen Haus, das eigentlich renoviert gehört. Nur dafür gibt es keine Mittel. Jedes kaputte Gerät ist eine Katastrophe. Eine Behandlung im Krankenhaus – unleistbar. Coupons werden gesammelt wie Heiligtümer. Wenn es einmal auf Urlaub geht, gilt es diesen auf keinen Fall "zu ruinieren", denn das können sich laut Lois "nur reiche Leute erlauben". In fast jeder Staffel gibt es eine Szene, in der Lois mit ihrem Mann Hal verzweifelt am Küchentisch sitzt und einen Berg Rechnungen abarbeitet.

Lois Kinder Streit
Je älter man wird, desto größer das Verständnis für Lois.
imago images/Everett Collection

Obwohl die beiden Jobs haben, eisern sparen und auf jeden Luxus verzichten, scheint es für die Familie nie wirklich besser zu werden. Sie sind in ihren Rollen gefangen. Was haben sie falsch gemacht?

Die Entzauberung des "American Dream"

Gar nichts. Es ist das System, das für sie von Anfang an keinen sozialen Aufstieg vorgesehen hat. Hal kommt zwar aus einer wohlhabenden Familie, hat mit dieser aber gebrochen, nachdem sie Lois als Tochter osteuropäischer Arbeiter nie wirklich akzeptiert hat. Wir lernen: Klasse und Vermögen werden vererbt. Malcolm mittendrin entzaubert das Märchen vom "American Dream". Wer hart arbeitet, wird nicht reich, sondern kann sich das Leben gerade so leisten.

Durch alle Schauplätze der Serie ziehen sich Erzählungen und Beobachtungen von sozialer Ungleichheit. In Malcolms Schule haben nur die hochbegabten Kinder Zugang zu PCs, Instrumenten, teuren Büchern; im Supermarkt, in dem Lois angestellt ist, werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kurzerhand entlassen, weil sie eine Gewerkschaft gründen wollen. Und als in Hals Firma die Finanzpolizei ermittelt, muss er als Bauernopfer für die korrupten Machenschaften seiner Chefs herhalten. Erst im Prozess stellt sich heraus: Er kann es gar nicht gewesen sein, denn zum Zeitpunkt der Tat, nämlich an einem Freitag, war er gar nicht im Büro. Er gesteht, dass er freitags schon seit Jahren statt zur Arbeit in einen Wasserpark geht.

Was völlig absurd klingt, ist in Wahrheit aber die große Leistung der TV-Show: Die Macher bleiben nicht dabei, nur den täglichen Überlebenskampf im Kapitalismus zu porträtieren, sondern untergraben – durch völlige Überspitzung – auch dessen Ideologie.

Malcolm, Genie und Hausmeister

Einer der vielen Running Gags von Malcolm mittendrin dreht sich um die Annahme, dass die finanzielle Situation der Familie auf die Charakterschwäche der Eltern zurückzuführen sei. Das wird besonders deutlich in der Folge, in der Lois an einer Pilzinfektion erkrankt und deshalb keinen Sex mit Hal haben darf. Wie durch ein Wunder schaffen sie es, Haus und Garten in Schuss zu halten. Vom normalen Chaos zur obsessiven Ordnung. Es scheint, als hätten sie ihr Leben das erste Mal im Griff. Doch der Schein trügt, denn die humoristische Darstellung zeigt: Hier macht man sich eigentlich nur über die neoliberale Rhetorik von "Alles ist möglich, wenn man hart genug arbeitet" lustig.

Die Serie verliert bis zum Schluss nicht den Blick auf die gesellschaftlichen Strukturen, die sie immer wieder kritisiert. Das beste Beispiel dafür ist Malcolm selbst. In der ersten Folge erfährt er, dass er ein Genie mit einem IQ von 165 ist. Beim Publikum wird damit die Hoffnung geschürt, seine Intelligenz könne der gesamten Familie eine bessere Zukunft bescheren.

Malcolm Dreck
Serienfinale: Kurz bevor es zur Abschlussfeier von Malcolm losgeht, explodiert im Auto ein Fass voller Dreck und Chemikalien, das Reese in den Kofferraum geladen hat.
imago images/Everett Collection

Was jedoch stattdessen passiert, ist brutal ehrlich: Malcolms Begabung bringt ihm keine Vorteile, sondern verankert ihn tatsächlich noch fester in seiner Ausgangsposition. So schafft er es zwar nach Harvard, kann sich die Studiengebühren aber nur leisten, indem er dort gleichzeitig als Hausmeister arbeitet.

Hal, Hal, Hal

Neben der politischen Aktualität kann man ein "Wiedergesehen" von Malcolm mittendrin auch aus unzähligen anderen Gründen empfehlen. Ein Highlight ist mit Sicherheit die Performance von Bryan Cranston, der in seiner Rolle als Hal brilliert und die Regeln von toxischer Männlichkeit außer Kraft setzt. Tipp: Hal auf Rollerskates und im Kostüm beim sogenannten Race-Walking.

Hal auf Rollerskates.

Bemerkenswert für eine 2000er-Serie ist außerdem, wie deutlich sexualisierte Gewalt verurteilt wird. In einer Folge ist Malcolm kurz davor, das erste Mal Sex zu haben. Doch bevor es dazu kommt, schläft die junge Frau ein, weil sie zu viel getrunken hat. Als Malcolm seinem älteren Bruder davon erzählt, spricht Francis ganz klar aus, dass es richtig von ihm war, nach Hause zu gehen und die Situation "nicht ausgenutzt zu haben".

Leider kommt auch Malcolm mittendrin nicht ohne diskriminierende Narrative aus: Fatshaming, Homophobie und Witze über das Aussehen von älteren Frauen waren aber noch nie lustig. (Anna Wielander, 19.5.2024)