Junge Bürger, Jungwählende: Belgien senkt das Wahlalter für die Europawahl auf 16 Jahre

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Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 wird in Belgien eine neue Altersgruppe wählen. Nach dem Vorbild Österreichs, Griechenlands und Maltas werden zum ersten Mal 16- und 17-Jährige ihre Vertreter im Europäischen Parlament wählen. Nach mehreren Auslegungen entschied das belgische Verfassungsgericht, dass junge Belgier*innen der Wahlpflicht als Erwachsene unterliegen, auch wenn die Bundesregierung beschloss, dass Wählende im Alter von 16 und 17 Jahren bei Nichterscheinen nicht mit einer Geldstrafe belegt werden sollen.

Junge Menschen aus Belgien erhalten Wahlrecht für die EU-Wahlen 2024

Die Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 stehen vor der Tür. Vom 6. bis 9. Juni 2024 werden rund 400 Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger in 27 Mitgliedstaaten von ihrem Recht Gebrauch machen, ihre Vertreter*innen im Europäischen Parlament zu wählen, der einzigen direkt gewählten transnationalen Versammlung der Welt (EU, Europawahlen, 2024). Die Vertreter*innen des Europäischen Parlaments werden ihre Prioritäten in die politischen Diskussionen einbringen, die die nächsten fünf Jahre der EU-Gesetzgebung und der politischen Präsenz auf der internationalen Bühne bestimmen werden.

Diesmal wird bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in Belgien eine neue Altersgruppe in die Wahllokale gebeten: Ab Juni 2023 werden Belgier*innen im Alter von 16 und 17 Jahren an den Europawahlen teilnehmen können. Das bedeutet, dass über 270 000 junge Menschen an den kommenden Europawahlen teilnehmen dürfen. Die Maßnahme gilt auch für schätzungsweise 13.000 Belgier*innen im Alter von 16 oder 17 Jahren, die im Ausland leben (Euronews, 2022).

Die Entscheidung, das Wahlrecht auf 16- und 17-Jährige auszuweiten, ist nicht revolutionär. Belgien kündigte erstmals an, das Wahlrecht für das Europäische Parlament im Jahr 2021 auszuweiten und jungen Menschen ab 16 Jahren (statt 18 Jahren) das Wahlrecht zu ermöglichen (Walker, 2024). 

Doch erst 2022 verabschiedete das belgische Bundesparlament ein Gesetz, das das Wahlrecht für die Europawahlen auf 16- und 17-Jährige ausweitete (Elections Europa, 2024). Diese Änderung wird derzeit nur für das Wahlrecht bei den Europawahlen vorgenommen, da hierfür eine einfache Mehrheit erforderlich ist, während für die Änderung des Wahlalters bei den föderalen Wahlen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, wofür die Verfassung geändert werden muss (Belga News Agency, 2022).

Wahlrecht oder Wahlpflicht? 

Ursprünglich war das Wahlrecht für junge Menschen an eine Registrierung gebunden. Wenn 16- und 17-Jährige bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2024 wählen wollten, mussten sie sich im Voraus registrieren lassen, entweder durch Einreichung eines Formulars bei der Gemeinde oder über eine Online-Plattform (Brussels Times, 2023).

Einige Monate später entschied das belgische Verfassungsgericht jedoch, dass eine Registrierung nicht mehr erforderlich sei, da es „nicht vernünftig begründet“ sei, das Wahlrecht von einer solchen Registrierung abhängig zu machen. Allerdings bestand für 16- und 17-Jährige im Gegensatz zu Erwachsenen weiterhin keine Wahlpflicht (Walker, 2024).

Daraufhin wandte sich ein Belgier an das Verfassungsgericht, um diese Ungleichbehandlung anzuprangern (Walker, 2024). Einige Monate später entschied das Verfassungsgericht, dass die unterschiedliche Behandlung von Minderjährigen und Erwachsenen nicht durch zwingende Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt sei.

Insbesondere stellte das Verfassungsgericht fest, dass es nicht zulässig ist, dass 16- und 17-Jährige die Wahl haben, ob sie wählen oder nicht, während für erwachsene Wählende die üblichen belgischen Vorschriften für die Wahlpflicht gelten, da dies eine nicht zu rechtfertigende Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Wählenden bedeuten würde (Walker, 2024). In der Praxis bedeutet dies, dass die Wahlpflicht nun auch für Wählende im Alter von 16 und 17 Jahren gilt, was heißt, dass sie automatisch in die Wahllisten eingetragen werden und wie Erwachsene einen Wahlaufruf erhalten.

Darüber hinaus können Wahlberechtigte, die nicht wählen, nach dem belgischen System mit einer Strafe zwischen 40 und 80 Euro belegt werden (Chini, 2024). Im Wiederholungsfall beträgt die Geldstrafe 80 bis 200 Euro. In der Praxis werden diese Geldstrafen jedoch fast nie vollstreckt (YouthWiki, 2023).

Im Lichte der Auslegung des Verfassungsgerichts sollte diese Klausel auch für Jugendliche gelten. Am 27. März 2024 beschloss das sogenannte „Kernkabinett“ der Bundesregierung (der Ministerpräsident und seine sieben Stellvertreter) jedoch, dass Wählende im Alter von 16 und 17 Jahren nicht mit einem Bußgeld belegt werden sollen (Chini, 2024).

Warum bedarf es eines niedrigeren Wahlalters? 

Belgien ist nach Österreichs, Griechenlands und Maltas der vierte EU-Mitgliedstaat, der das Wahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament senkt. Deutschland hat gerade Anfang 2023 ein Gesetz verabschiedet, das das Wahlalter für die Europawahlen von 18 auf 16 Jahre senkt (EU, Wahlalter, 2024). Die belgische Innenministerin Annelies Verlinden erinnerte daran, dass die Senkung des Wahlalters eine der Forderungen der „Konferenz für die Zukunft Europas“ war (Euronews, 2022).

„Indem wir jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich aktiv an unserer Demokratie zu beteiligen, können sie sich Gehör verschaffen und wir wecken ihr Interesse an der Politik. Junge Menschen sind die Zukunft und sie werden nun in der Lage sein, diese Zukunft mitzugestalten. Ich bin froh, dass wir heute diesen historischen Schritt machen.“

– Annelies Verlinden, belgische Innenministerin (Belga News Agency, 2022)

Belgien ist nur eines der Beispiele für EU-Mitgliedstaaten, die den Vorschlag des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2022 angenommen haben. Tatsächlich legte das Europäische Parlament im Mai 2022 einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) vor und schlug vor, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken, auch wenn Ausnahmen für „bestehende Verfassungsordnungen, die ein Mindestwahlalter von 18 oder 17 Jahren vorsehen“ zugelassen werden (EU, Wahlalter, 2024).

Auch Nichtregierungsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft (CSO) fordern diese Änderung seit Jahren. So setzt sich das Europäische Jugendforum nachdrücklich für eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei lokalen, nationalen und europäischen Wahlen ein, um die Kluft zwischen der jungen Generation und den gewählten Politikern zu überbrücken (Europäisches Jugendforum, 2024).

Gleichzeitig haben junge Menschen ihre Mitgliedstaaten aufgefordert, auf ihre Stimmen zu hören und ihnen das Wahlrecht einzuräumen. So wurde beispielsweise die jüngste Öffnung des Wahlrechts für junge Menschen in Belgien von den jungen Menschen positiv aufgenommen. Ein 16-jähriger Belgier meinte, diese Änderung sei ein Meilenstein bei der Anerkennung des Wahlrechts für junge Menschen.

„Ich halte das für eine wirklich gute Idee, denn es bedeutet, dass wir tatsächlich ändern können, was wir ändern wollen. Wir können also bei den Themen, die wir für wichtig halten, mitreden und für Parteien oder Personen stimmen, von denen wir glauben, dass sie diese Werte vertreten.“

– Alexis Macrae, 16 Jahre alt (Mc Mahon, Laliberte, 2023)

Als Nichtregierungsorganisation (NRO) engagiert sich Humanium stark für das Wahlrecht von Kindern und setzt sich in seinen Online-Inhalten für die Senkung des Wahlalters ein. In unserer Arbeit unterstützen wir den Grundsatz der Inklusion und Partizipation, indem wir bewährte Verfahren und Beispiele fördern, die zeigen, dass die Stimme von Kindern gehört werden kann. Wenn Sie unsere Arbeit unterstützen möchten, denken Sie bitte über eine Spende, eine ehrenamtliche Tätigkeit oder eine Mitgliedschaft nach.

Geschrieben von Arianna Braga

Übersetzt von Daniel Rottleb

Korrigiert von Katrin Glatzer

Bibliographie:

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Chini M. (2024). No sanctions for people aged 16 and 17 who fail to vote in European elections. Retrieved from Brussels Times at https://www.brusselstimes.com/983934/no-sanctions-for-people-aged-16-and-17-who-fail-to-vote-in-european-elections, accessed on 4 April 2024. 

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Mc Mahon M., Laliberte E. (2023). A year ahead: Belgium lowers voting age to 16 for the European elections. Retrieved from https://www.euronews.com/my-europe/2023/06/12/a-year-ahead-belgium-lowers-voting-age-to-16-for-the-european-elections, accessed on 4 April 2024. 

Walker L. (2024). Voting now compulsory for people aged 16 and 17 in Belgium, Court rules. Retrieved from Brussels Times at https://www.brusselstimes.com/975806/voting-now-also-compulsory-for-voters-aged-16-or-17-court-rules-tbtb, accessed on 4 April 2024. 

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