Ich muss gestehen: Bei mir hat der Werbeclip von Apple für das neue iPad Pro M4 „funktioniert“, im Sinne von: Es war mir wirklich schwer erträglich, ihn anzusehen. In dem Video werden Kreativwerkzeuge des Menschen – eine Trompete, ein Klavier, eine steinerne Büste‚ mehrere Farbeimer, Bücher – von einer gigantischen Presse zerstört. Man sieht das Mundstück der Trompete sich biegen, dann nachgeben und brechen. Man sieht den Bildschirm eines Fernsehers, die Linsen von Kameras splittern. Einem kleinen gelben Emoji-Ball werden die Augäpfel herausgepresst.
Dazu läuft auf einer Schallplatte der Song „All I Ever Need Is You“ von Sonny and Cher. Er bereitet die Pointe des Clips vor, denn an seinem Ende hebt sich die Presse wieder und vom Vernichtungswerk bleibt – das iPad Pro M4, eine weibliche Stimme verkündet: The most powerful iPad ever is also the thinnest. Das mächtigste iPad, das es jemals gegeben hat, ist auch das dünnste.
Die Werbe-Botschaft von Apple ist nicht schwer zu entschlüsseln, sie lautet: Die Technologie dieses iPads ist so mächtig, dass sie all die symbolisch zerstörten Dinge überflüssig macht, indem sie sie in sich vereint: Sie bietet ein visuelles Erlebnis, besser als jeder Fernseher der Welt. Das Malen auf dem iPad ist ein Kreativprozess, der keine Farbe und keine Leinwand mehr benötigt. Sogar ganze Symphonien könnte man komponieren, ohne ein einziges Instrument zu berühren.
Die Art der Darstellung hat für das gesorgt, was man bis vor Kurzem einen „Shitstorm“ nannte: Sogar der britische Schauspieler Hugh Grant meldete sich zu Wort und beklagte, der Clip bewerbe die „Zerstörung der menschlichen Erfahrung durch das Silicon Valley“. Apple-Manager Tor Myhren entschuldigte sich umgehend und bekannte, man habe mit dem Video „das Ziel verfehlt“.
Es ist Werbung. Sie muss und soll emotionalisieren, und in welche Richtung sie das tut, da sollte sie meiner Meinung nach weitgehend frei sein. Dass der Apple-Werbespot wehtut, hat mit der historischen Situation zu tun, in der die Menschheit sich befindet. Viele Menschen haben, seitdem künstliche Intelligenz vor knapp zwei Jahren begonnen hat, in unseren Alltag vorzudringen, neue Ängste.
Wenn man dieses Interview mit dem französischen Mediziner Laurent Alexandre liest, werden sie konkret: Ihm zufolge ist die Frage nach der Überwindung des Menschen keine mehr nach dem „Ob“, sondern nur noch eine nach dem „Wie“. Alexandre zufolge arbeiten die Silicon-Valley-Milliardäre am „Niedergang unserer biologischen Intelligenz“, zu der natürlich auch die Kreativität zählt. Dementsprechend wehren sich Künstlerinnen und Künstler, wie in diesem offenen Brief gegen den „räuberischen Einsatz“ künstlicher Intelligenz, die droht, ihre Kompositionen und Dichtungen zu stehlen und zu imitieren.
Dieses Klima der posthumanistischen Nervosität trägt dazu bei, dass das Entsetzen über den Clip so groß ist – denn rein ästhetisch ist er eher ein bisschen „oll“. Die Grundidee, dass im minimalistischen Tech-Design die Gegenstände der Welt verschwinden, ist alt. Das Elektrounternehmen „LG Electronics“ hat schon im Jahr 2008 einen Clip mit dieser Idee veröffentlicht.
Dementsprechend denkt man auch sofort an den Minimalismustrend der späten Zehnerjahre, bei dem Konsumkritiker wie David Michael Bruno mit seiner „100 Thing Challenge“ zur Reduktion des Besitzes inspirieren wollten. Auch damals schon wurde Apple mit seinem minimalistischen Design zum Inbegriff dieser Fantasie über den Menschen der Gegenwart: Zwischen weißen buchlosen Wänden sollte er mit dem Notebook als gleichsam sakralem Objekt sitzen, digitale Bohème und spirituelle Avantgarde in Personalunion.
Dass alle diese Fantasien der Entleiblichung des Menschen – zumindest im Moment noch – scheitern, zeigt die regelmäßige „Rückkehr zum Analogen“ (das E-Book etwa führt in Europa immer noch eher ein Nischendasein), ebenso wie die Neigung eben jener Silicon-Valley-Milliardäre, ihre eigenen Kinder möglichst „Low Tech“ im Montessori-Kindergarten aufwachsen zu lassen. Insofern erinnert der Apple-Clip, so avantgardistisch er sein will, vielleicht unfreiwillig eher an den sinnlosen Trend, Dinge vor laufender Kamera zu zerstören.
Wer einen Roman lesen will, in dem die Erzeugung solcher Vernichtungsvideos eine Rolle spielt, dem sei der Roman „Content“ des jungen österreichischen Schriftstellers Elias Hirschl empfohlen. Dort arbeitet die Protagonistin in einer Content-Fabrik, in der die Arbeit unter anderem darin besteht, Videos zu erzeugen, in denen Handys geschreddert werden, damit das dann im Internet viral geht. Ich glaube, es ist ganz dringend Zeit, das iPad wegzulegen und ein Buch zu lesen.