Elke Heidenreichs Roman über das Altern: „Langeweile macht alt“

Elke Heidenreich: „Langeweile macht alt“

Die Autorin plädiert in ihrem lässig allen aufkommenden Gedanken zum Thema folgenden Buch „Altern“ dafür, sich nicht in eine Ecke zurückzuziehen.

Die Schriftstellerin Elke Heidenreich, in Köln kurz vor ihrem 80. Geburtstag fotografiert
Die Schriftstellerin Elke Heidenreich, in Köln kurz vor ihrem 80. Geburtstag fotografiertHenning Kaiser/dpa

Elke Heidenreich ist 80 Jahre alt, während sie an ihrem Buch über das „Altern“ – so sachlich lautet der Titel – schreibt. Sie sehnt sich nicht nach ihrer Jugend zurück. „Alles über sechzig ist ein Geschenk, fast alles unter dreißig war eine Quälerei.“ Damit macht sie klar, dass es kaum möglich ist, über das Altern nachzudenken, ohne es in Beziehung zur Jugend zu setzen. Wann fängt es an? Zwischen 30 und 60? Oder später?

Die Schriftstellerin zitiert die Aussage eines Models in der Zeitschrift Vogue. Die „hinreißende“ Frau sagt, auch sie werde nicht für immer jung bleiben und sei sich bewusst, dass sie „auch mal dreißig sein werde“. Elke Heidenreich kommentiert: „zu schön“, und zeigt sich altersmilde. Ganz anders als die Heldin aus ihrem Vorgängerbuch „Frau Dr. Moormann und ich“, die immer nur meckert, über den Mops und den unordentlichen Garten der Erzählerin.

Elke Heidenreichs Essay übers Altern: 80 ist das neue 60?

Ein Hund kommt in „Altern“ auch vor, Elke Heidenreich, die hier keine literarische Figur ist, sondern sie selbst, erklärt, sich das Tier angeschafft zu haben, um in Bewegung zu bleiben, zwei Stunden täglich. Denn mit richtigem Sport hat sie keine guten Erfahrungen. Dass sie vor dem Hund sterben könnte, hat sie einkalkuliert, eine Freundin stehe für den Fall bereit. Daran sieht man: In diesem Buch wird das Altern nicht verklärt. „Meine Zukunft ist nur noch kurz“, heißt es an einer Stelle trocken, an einer anderen mit einer Prise Optimismus: „Mein gefühltes Alter ist jünger als mein juristisches. Wir kennen ja den Spruch ‚Sechzig ist das neue Vierzig‘, in meinem Fall vielleicht: ‚Achtzig ist das neue Sechzig‘?“ Sie fügt abgeklärt hinzu: „Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, das ist auch nur wieder so ein Slogan, der nicht wirklich trägt.“

Dieses Buch ist Teil einer neuen Reihe von Hanser Berlin. „Das Leben lesen“ heißt sie. Zeitgleich erscheint von Theresia Enzensberger der Band „Schlafen“, mit „Streiten“ und „Lieben“ geht es im Herbst weiter. Heidenreichs „Altern“ ist ein Essay, der einiges über unsere Gesellschaft erzählt, eine Menge über Literatur und viel über Elke Heidenreich. Die Journalistin, die durch das Fernsehen berühmt geworden ist (als Kabarettfigur Else Stratmann und als Literaturvermittlerin) und einige sehr erfolgreiche Bücher geschrieben hat („Kolonien der Liebe“, „Nero Corleone“), umkreist das Thema nicht wie den heißen Brei, sondern streift darin in immer neuen Schleifen umher wie durch einen Wald mit vielversprechendem Pilzgeruch. Immer neue Aspekte gilt es aufzulesen. 

Am Anfang lässt die Autorin einen kurz erschrecken, weil sie auf einer Seite eine grummelige Kurzfassung ihres Lebens als Aneinanderreihung verpasster Chancen und Fehltritte abgibt. Dann setzt sie die rosige Variante hinterher, wieder eine Seite lang, um anschließend ins nachdenkliche und zugleich überaus unterhaltsame Erzählen zu gleiten. „Mitunter ist man so alt, wie man sich fühlt“, schreibt Heidenreich, aber sie weiß auch, dass wir heute viel leichter älter werden als die Generationen vor uns.

Nun, was heißt „wir“? Mit Ende 50, schon reichlich erfahren im Älterwerden, kann man das Buch als Vorbereitung für das Kommende lesen, auch wenn es kein Ratgeber ist. Ein paar nützliche Hinweise sind dennoch versteckt: „Niemals warmes Wasser ins Gesicht!“ etwa, auch die Bemerkung, dass täglicher Weinkonsum in Maßen nicht schadet. Heidenreich warnt davor, sich auf das Alter irgendwie einzustellen, es komme schon beim Leben selbst herbei.

Unter 30, im Alter des eingangs zitierten Models, wird man sich von Heidenreichs Überlegungen vielleicht unangenehm berührt fühlen. Aber keine Angst, sie erwähnt kaum körperliche Gebrechen, und wenn, dann mit Neugier oder Staunen: „Siehe da, die Knie wollen nicht mehr. Ach guck mal, ich höre mein Herz“, das sei ihr früher nie beim Treppensteigen aufgefallen. „Ich muss mich öfter mal setzen. Na und? Setz ich mich eben.“ Dass sie von Krankheiten nicht verschont wurde, notiert sie nur kurz, um mitzuteilen, sie gut überstanden zu haben. Hier allerdings lenkt sie von sich weg, um schwere Arbeit, Armut und Krankheit als Gründe zu akzeptieren, mit dem Älterwerden zu hadern.

Besonders angenehm an Heidenreichs Buch ist ihr offenes Denken. Sie spielt durch, probiert aus, vergleicht. Sie schließt nichts aus und bleibt neugierig – vor allem auf Bücher, aufs Lesen, aufs Schreiben. Joan Didion liefert Heidenreich viele passende Zitate. Jane Campbell, die erst im Alter zum Schreiben gefunden hat, auch. Oder Julien Green, auf den sie sich besonders gern beruft. Mit 98 Jahren schrieb er in sein Tagebuch: „In dem Alter, das ich nun erreicht habe, bin ich immer noch auf dem Schiff Hoffnung und glaube nicht an seinen Untergang.“

Nichtstun ist Heidenreich suspekt. Jemand, der wie Keith Richards mit 80 noch Konzerte gibt, bekommt ihre Bewunderung. Freundinnen, die sich früher berenten ließen, um ohne Arbeit das Leben zu genießen, bedauert sie. Freundschaft ist Heidenreich allerdings wichtig, weil sie Anregungen bringt, vor allem, wenn nicht alle Freunde der eigenen Altersgruppe entstammen. Und ist keiner da für ein Gespräch, ein Buch bringt immer Trost und neue Gedanken. Denn Vorsicht: „Langeweile macht alt.“

Manchmal wiederholt sich Heidenreich, wie es eben passieren kann, wenn man ein bestimmtes Gebiet mehrmals abgrast, um zu gucken, ob sich da noch anderes Interessantes findet. Manchmal widerspricht sie sich auch. Dann aber ist sie selbst eine Stufe weitergekommen. Qualifiziert die Autorin zunächst die eigene Zeit unter 30 ab, erkennt sie später den Wert des Erinnerns. Dann wandere sie durch „die Straßen, die ich schon gegangen bin, und ich verstehe den Sinn meines Lebens“. Denn das ist, so lernt man hier, der große Wert des Alters: Man muss bestimmte Fehler nicht mehr machen und kann den eigenen Weg (einigermaßen) realistisch einschätzen.

Bei aller eigenen Gelassenheit und allem Stolz auf das Erreichte lebt Heidenreich doch in einer Gesellschaft, die das Alter nicht schätzt. Und da teilt sie aus, schreibt von der „erbärmlichen Zeit des völlig verblödeten Äußerlichkeiten- und Jugendkults, in der ein Clan wie die Kardashians mit nichts als Schminke, Mode und einem uninteressanten Leben Millionen Menschen beeindruckt und Milliarden Dollars verdient“. Die Frage, ob sie zu alt sei, um den Begriff, das Leben einer „Influencerin“ zu begreifen, braucht keine Antwort. Elke Heidenreich schlägt hier einen Bogen von der Jugenddiskriminierung, die sie in den 60er-Jahren selbst erlebt hat, als die Haare zu lang, die Musik zu laut, die „Proteste zu unverschämt, unsere Sexualität zu freizügig“ waren, zum mittlerweile sogar von der Weltgesundheitsorganisation definierten Phänomen des Ageism, der Altersdiskriminierung.

Auch damit, das gehört zu Strategie des umherschweifenden Denkens in diesem Buch, setzt Heidenreich aber noch keinen Punkt, sondern stiftet dazu an, nicht still in der Ecke sitzen zu bleiben und sich alles gefallen zu lassen. Heidenreich sagt: „Ich bin keine nette Alte. Ich bin ich, wie immer.“

Elke Heidenreich: Altern. Hanser Berlin 2024. 112 Seiten, 20 Euro