In den vergangenen Jahren wurde die Medizinlandschaft in Deutschland durch unterschiedliche Faktoren und Krisen geradezu aufgerüttelt. Unser Gesundheitssystem galt und gilt weiterhin als hochmodern, innovativ und leistungsfähig. Das konnten wir unlängst während der Pandemie demonstrieren, in der es hierzulande keine robusten Hinweise auf Kollateralschäden bei der stationären Behandlung von kardiovaskulären Notfällen gibt, während die Situation im Ausland teilweise anders aussah [1].

Dennoch – und trotz aller Erfolge – stehen wir heute vor großen Herausforderungen, die ein gemeinschaftliches Umdenken erfordern. Gute Leistung kostet Geld. Das haben die Autorinnen und Autoren der Leitlinie des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) zur Behandlung des Bauchaortenaneurysmas in England bereits vor Jahren betont und nutzten bei internationalen Kongressen als Vergleich für unterschiedlich teure Behandlungsverfahren das Bild eines Supersportwagens gegenüber dem eines günstigen Kleinwagens. Ein streitbarer Vergleich, der kontrovers diskutiert wurde.

Am Ende der Pandemie stehen wir vor einer grundlegenden Reform des Krankenhaussystems

Am Ende der Pandemie stehen wir nunmehr vor einer grundlegenden Reform des Krankenhaussystems, dessen erklärtes Ziel primär die Senkung der ausufernden Kosten und eine dafür notwendige Zentralisierung der medizinischen Leistungen ist. Das Thema der Qualitätsentwicklung kommt in den Diskussionen allerdings erst sekundär zur Sprache. Zunehmende Bürokratisierung trifft auf Digitalisierung, während sich der Rechtsrahmen fundamental ändert. Inmitten dieser Herausforderungen steht unsere Fachgesellschaft als wichtige und große wissenschaftliche Vertretung unserer ca. 3300 Mitglieder und gemeinsame Stimme der operativen, interventionellen und konservativen Gefäßchirurgie vor der Aufgabe, dazu beizutragen, die hervorragende flächendeckende Versorgung unserer Patientinnen und Patienten auch in der Zukunft sicherzustellen. Vor dem Hintergrund der anhaltenden demografischen Entwicklung und in unsicheren geopolitischen Zeiten werden Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen außerdem dringend gebraucht, was den Ausbau der Weiterbildungsstrukturen erforderlich macht.

Die Diskussion rund um die Krankenhausreform scheint von zahlreichen Partialinteressen beeinflusst zu sein. Verständlich – jeder hat subjektiv eine eigene Vorstellung dessen, was in der Fläche passiert und welche Rolle man selbst dabei einnimmt. Es ist auch objektiv in den Krankenhausdiagnosestatistiken des Bundes und des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) ersichtlich, wie dezentralisiert und heterogen das Versorgungsspektrum der fast 700 deutschen Krankenhäuser mit gefäßmedizinischer Expertise ist. Die Leistungsgruppensystematik der Reform des Krankenhaussystems in Nordrhein-Westfalen (NRW) vermag die Ganzheit der Versorgungsrealität vor diesem Hintergrund nicht im Ansatz darzustellen. Dort taucht die Vorhaltung fachärztlicher gefäßchirurgischer Kompetenzen in verschiedenen Leistungsgruppen und auch in drei eigenen Leistungsgruppen (LG) des Leistungsbereichs Gefäßmedizin auf: LG 12.1 „Bauchaortenaneurysma“, LG 12.2 „Carotis operativ/interventionell“ und LG 12.3 „Komplexe periphere arterielle Gefäße“.

Beim Lesen der NRW-Leistungsgruppensystematik und der dort angehängten Definitionen bzw. Aufgreifkriterien wird schnell klar, dass nur ein kleiner Teil des alltäglichen gefäßchirurgischen Behandlungsspektrums entsprechend klassifiziert und reguliert ist.

Die zugrunde liegende Behandlung des Bauchaortenaneurysmas (LG 12.1) wurde 2022 insgesamt 12.756-mal von 490 Kliniken berichtet, wobei 160 Kliniken im gleichen Jahr mindestens 30 Prozeduren und 233 Kliniken mindestens 20 Prozeduren durchführten. Die Behandlungsfallzahl nimmt seit Jahren ebenso ab wie die Prävalenz dieser Erkrankung [2]. Bemerkenswert ist, dass der geringere Anteil an offen-chirurgischen Prozeduren an der Bauchaorta (ca. 20 %) technisch zunehmend komplexer wird [3, 4].

Bei der Behandlung der A. carotis (LG 12.2) werden die Einschränkungen der selbstberichteten Qualitätsdaten der Krankenhäuser und der Daten des InEK, die auch in die Krankenhausdiagnosestatistiken des Statistischen Bundesamtes einfließen, offensichtlich. Durch den teilweise nicht fallbezogenen Charakter der Leistungsdaten wird die Anzahl an Behandlungen deutlich überschätzt. Insgesamt wurden 61.699 relevante Prozeduren von 611 Kliniken berichtet. Die Daten der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) bieten hier einen realistischeren Einblick. In die Bundesauswertung für 2022 gingen dort 32.127 Datensätze von 609 Standorten ein. Bestätigt wird dies durch longitudinal verknüpfte Routinedaten der Krankenkassen, die gegenüber den InEK-Daten auch Verlegungen zwischen den Einrichtungen berücksichtigen [5].

Bei der Leistungsgruppe „komplexe periphere arterielle Gefäße“, die derzeit fast ausnahmslos offen-chirurgische Prozeduren enthält, wurden insgesamt 100.575 Einzelprozeduren von 649 Kliniken berichtet, größtenteils am Oberschenkel. Im Durchschnitt wurden etwa 2 Prozeduren pro Behandlungsfall codiert, weshalb die fallbasierte Anzahl an (kombinierten) Behandlungen niedriger ist. Die Flächenversorgung erfolgt in dieser Leistungsgruppe deutlich dezentralisierter und in höherer Frequenz, wobei 200 Kliniken mindestens 200 Prozeduren pro Jahr berichteten. Dies ist insofern interessant, als die in NRW und künftig für den Bund festgelegten Qualitätskriterien als Mindestkriterium auch die Vorhaltung einer Leistungsgruppe „komplexe Nephrologie“ und mindestens eine entsprechende Kooperation fordern – ein seltenes Privileg stationärer Einrichtungen. In einer umfassenden Analyse von Krankenkassendaten konnte übrigens unlängst ein Zusammenhang zwischen der Prozedurfallzahl der Kliniken und den Amputationsraten nach einem Jahr belegt werden [6]. Interessant war außerdem, dass in der Gruppe der offen-chirurgisch behandelten Patienten auch die Gesamtsterblichkeit mit der Prozeduranzahl assoziiert war, was für die Leistungsgruppenzuteilung in der Krankenhausreform eine besondere Rolle spielen dürfte [6].

Fasst man die Anzahl der registrierten Prozeduren (nicht Fälle oder Patienten) in den drei gefäßmedizinischen Leistungsgruppen für 2022 näherungsweise zusammen, ergeben sich theoretisch 100.000 bis 150.000 Behandlungsfälle, die aktuell an bis zu 700 Kliniken erbracht werden.

Die anonymisierten Daten aller voll- und teilstationären Fälle nach § 21 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz (§ 21-Daten) mit Entlassung im Jahr 2021 werden derzeit auch von der Regierungskommission für ein Simulationsmodell zur Folgenabschätzung der Reform verwendet. Die Autoren gehen dort von einer jährlichen Fallzahl in Höhe von 12.760 (Bauchaortenaneurysma), 28.933 (Carotis operativ/interventionell) und 55.194 (komplexe periphere arterielle Gefäße) aus, wobei ein fallbezogener Analyseansatz erfolgt ist [7].

In einem moderaten Kappungsmodell mit einer Leistungsreduktion in Höhe von 7,5 % fällt die Auswirkung auf die gefäßmedizinischen Leistungsgruppen überraschend gravierend aus. Die Autoren rechnen mit einer Standortreduktion in Höhe von ca. 40 %, wobei die geringste Fallzahl immer noch zwischen 13 (Bauchaortenaneurysma) und 47 (komplexe periphere arterielle Gefäße) liegen würde. Bei einem progressiveren Ansatz mit einer Kappung in Höhe von 20 % wäre mit einer Reduktion von bis zu 60 % der gefäßmedizinischen Standorte zu rechnen. Die jeweils geringste Fallzahl läge in diesem Fall bei 22 (Bauchaortenaneurysma), 40 (Carotis operativ/interventionell) und 78 (komplexe periphere arterielle Gefäße) [5]. Obwohl bisher keine auf dem Boden robuster Daten valide generierten Mindestmengen zu den drei gefäßmedizinischen Leistungsgruppen existieren und diese angesichts der verfügbaren Evidenzbasis teilweise auch keinen (empirisch belegbaren) Sinn machen (z. B. für die endovaskuläre Behandlung des Bauchaortenaneurysmas), ist im Referentenentwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KVHHG) bereits von einer statistischen Festlegung solcher Zahlen nach der Umsetzung der Reform die Rede.

Es zeichnet sich somit ab, dass die Politik mit dem primär kostenorientierten Reformvorhaben mittelfristig zu einer Standortreduktion im gefäßmedizinischen Bereich auf ca. 300 Kliniken abzielt und dass diese Entwicklung nicht realistisch aufzuhalten ist. Unter dieser Prämisse ist es unabdingbar, dass wir gemeinsam darüber diskutieren, wie wir die flächendeckende Versorgungssicherheit, Weiterbildung und Innovation unseres Faches auch 2027 und darüber hinaus gewährleisten. Auch in der Zukunft braucht Deutschland hoch qualifizierte offen-chirurgisch und endovaskulär kompetente Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen, die an diesen 300 Standorten nicht nur die mehr als 100.000 Behandlungen in der Leistungsgruppensystematik gewährleisten (das wären bereits ca. 300 Fälle pro Jahr pro Zentrum), sondern auch die endovaskuläre und offen-chirurgische Versorgung der chronischen extremitätengefährdenden Ischämie und des diabetischen Fußsyndroms, der akuten Gefäßnotfälle, vaskulärer Wunden, venöser Erkrankungen sowie die Amputationschirurgie und Dialyseshuntchirurgie sicherstellen – alles Behandlungen, die von den in NRW eingeführten Leistungsgruppen noch gar nicht adäquat erfasst sind. Selbst konservativ geschätzt machen diese zusätzlichen Fälle mindestens 100.000 weitere Behandlungen aus, wodurch sich eine erhebliche zusätzliche Belastung ergibt, die auch einen effizienteren Einsatz des Personals erforderlich macht.

Für diese Diskussion brauchen wir robuste und ehrliche Daten in Sinne einer Vollerhebung, die einen tiefen Einblick in die Versorgungsrealität ermöglichen. Das Deutsche Institut für Gefäßmedizinische Gesundheitsforschung (DIGG) wird den Prozess im Sinne unserer Patientinnen und Patienten und der Mitglieder der DGG begleiten.