Eine EU-Fahne weht vor dem Europäischen Parlament in Straßburg, Frankreich.

Ausufernde Bürokratie

Drei Dinge, bei denen die EU in BW für Frust und Verzweiflung sorgt

Stand
AUTOR/IN
Thomas Eberding
Thomas Eberding ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".
Hannes Köhle
Hannes Köhle ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".

Vieles ist leichter geworden durch die EU: Grenzkontrollen und Roaminggebühren sind weggefallen. Doch manche EU-Vorgabe macht alles kompliziert - und teuer. Drei Beispiele aus BW.

Am 9. Juni finden nicht nur Kommunalwahlen in Baden-Württemberg statt, sondern auch Europawahlen. Die EU ist wichtig für Baden-Württemberg - 47 Prozent aller Waren gehen in EU-Länder. Allerdings ist da auch die ausufernde Bürokratie aus Brüssel. Drei Beispiele zeigen, wie Innovationen und Projekte in Baden-Württemberg davon betroffen sind.

Baden-Württemberg

34 Angebote, eine Stimme Europawahl: Diese Parteien und politischen Vereinigungen stehen in BW auf dem Wahlzettel

Am 9. Juni ist Europawahl. In Baden-Württemberg werden 34 Parteien und politische Vereinigungen auf dem Stimmzettel stehen. Und der ist deutlich kürzer als zuletzt 2019.

Beispiel 1: Die Verwaltung

Da ist zum einen die Verwaltung. Eine kleine Gemeinde im Schwarzwald ist an der Bürokratie für die EU verzweifelt. Hannelore Reinbold-Mench ist Bürgermeisterin (Freie Wähler) von Freiamt (Kreis Emmendingen) - einer 4.200 Einwohner-Gemeinde. Im dortigen Kindergarten spielen 20 Kinder der Zebra-Gruppe im Sandkasten. Hier zeigt sich, wie hinderlich die Bürokratie für die EU sein kann.

Eigentlich hat der Gemeinderat schon 2021 beschlossen, einen neuen Kindergarten zu bauen. Doch noch immer steht das alte Gebäude. Der Grund: Weil die Baukosten eine bestimmte Schwelle überschreiten, muss die Gemeinde das Projekt europaweit ausschreiben. "Wir müssen auch Architekten aus Spanien oder Portugal eine Chance geben, in Freiamt einen Kindergarten bauen zu können", sagt Reinbold-Mench.

Hannelore Reinbold-Mench, Bürgermeisterin von Freiamt (Kreis Emmendingen) klagt über die EU-Vorgaben
Hannelore Reinbold-Mench, Bürgermeisterin von Freiamt im Kreis Emmendingen (Freie Wähler)

Für die Ausschreibung wird extra eine Agentur beauftragt

Doch der Aufwand für die EU-weite Ausschreibung hat alles so sehr verzögert, dass es nun zu spät für eine Förderung für Kindergärten ist. Der Gemeinde fehlt damit ein dringend benötigter Zuschuss von 800.000 Euro. Deswegen kann sie die Kindertagesstätte vorerst nicht bauen. "Ich bin frustriert, weil wir jetzt in der Luft hängen", sagt die Bürgermeisterin. Dabei würde sie jüngeren Familien gerne ein besseres Betreuungsangebot machen.

Hinzu kommt: Das Verfahren für die EU-weite Ausschreibung ist sehr kompliziert und aufwendig. In der kleinen Verwaltung in Freiamt würde das zu viel Arbeitskraft binden. Die Bürgermeisterin hat daher eigens eine Agentur beauftragt, damit die Ausschreibung auch korrekt läuft. Auch die hat nochmal extra gekostet: rund 20.000 Euro. "Das hätte ein neues Spielgerät für den Kindergarten sein können." Nicht der einzige Fall, bei der eine EU-Vorgabe für ein Ärgernis sorgt.

Beispiel 2: Die Medizin

Ein anderes Beispiel kommt aus der Medizin:

Im Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart arbeitet Bartosz Rylski. Als Arzt will er für seinen Patientinnen und Patienten immer das Beste rausholen. Rylski operiert am Herzen, legt zum Beispiel Bypässe. Ein Roboter könnte ihm dabei helfen, die Herzoperationen für die Menschen auf dem OP-Tisch möglichst schonend zu machen. "Die Patienten hätten viel kleinere Wunden und nach dem Eingriff gar keine Schmerzen", sagt Rylski. Der Roboter kommt zwar am Anfang der Operation zum Einsatz. Wenn aber wirklich am Herzen operiert wird, muss er in der Ecke des OP-Saals stehen. Der Grund ist die neue EU-Medizinprodukteverordnung.

Bartosz Rylski, Chefarzt am Robert-Bosch-Krankenhaus
Bartosz Rylski, Chefarzt am Robert-Bosch-Krankenhaus

Sie schreibt vor, dass in der EU alle Medizinprodukte neu zugelassen werden müssen. Das betrifft zum Beispiel Prothesen, Herzschrittmacher, Katheter und Röntgengeräte. Hintergrund für die neue Verordnung: Vor einigen Jahren gab es einen Skandal, bei dem minderwertige Brustimplantate im Körper gerissen sind. Der dabei ausgetretene Stoff hat möglicherweise Krebs verursacht. Wer jetzt in der EU Medizinprodukte zulassen will, muss strengere Regeln beachten und wird öfter kontrolliert.

Der Operationsroboter im Robert-Bosch-Krankenhaus ist zwar bereits seit Jahren erfolgreich auf der ganzen Welt im Einsatz. Dennoch muss auch er nochmal neu zugelassen werden. Das kostet viel Geld. Dem US-amerikanischen Hersteller ist das zu teuer. Er hat deshalb die europäische Zulassung für die OP am Herzen gar nicht mehr beantragt. Ein Nachteil für die Patientinnen und Patienten. Denn so muss der Arzt einen großen Schnitt machen, um am Herzen zu operieren.

"Wir könnten eine bessere Medizin anbieten, die Technologie und die Expertise ist da, nur dürfen wir das jetzt nicht mehr. Das ist letztendlich sehr traurig", sagt Rylski. Eine EU-Verordnung, gedacht zum Wohle der Kranken, die am Ende in manchen Fällen das Gegenteil bewirkt.

OP-Roboter am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart.
Der OP-Roboter ist am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart im Einsatz - aber nur zu Beginn.

Beispiel 3: Der Naturschutz

Und dann gibt es noch den Naturschutz. Der macht Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) in Tübingen zu schaffen. Die Universitätsklinik soll erweitert werden. Doch auf dem Dach des Gebäudes hatten Ornithologen einen sehr seltenen und streng geschützten Vogel gesichtet: Den Ziegenmelker. Der Vogel ist in Deutschland vom Aussterben bedroht. Die Wiese hinter der Klinik, wo der Neubau einmal stehen soll, könnte seine Nahrungsquelle sein. Und die gesetzlichen Regelungen in Europa sind klar: Naturschutz geht vor. Also erstmal keine Klinikerweiterung. Für den potenziellen Bauherren ein Irrsinn:

"Wenn Patienten hier nicht versorgt werden können, heißt es im Zweifel Menschen bekommen nicht die nötige Therapie. Vielleicht geht es sogar um Leben und Tod", sagt Palmer.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos)
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos)

Der Vogel wurde auf dem Dach zuletzt vor über einem Jahr gesehen. Die Stadt könnte schon jetzt mit dem Bau beginnen, müsste jedoch dann eine Ausgleichsfläche im angrenzenden Wald schaffen. Und da der Ziegenmelker offenes Gelände liebt, müssten dann die Bäume weg. Der Wald diene den Menschen zur Erholung und sei landschaftsprägend, so der Oberbürgermeister. "Wahrscheinlich sind um die tausend Bäume getroffen, auf zehn Hektar Wald, die gefällt werden müssen. Also, wie ich das der Stadtgesellschaft erklären soll: Da fällt mir nicht viel Gutes ein", sagt Palmer. Der BUND entgegnet, dass es einzelne Bäume durchaus stehen bleiben dürften, die Fläche würde nur aufgelichtet werden. Die geplante Erweiterung ist zurzeit erstmal auf Eis gelegt. Ende August soll nochmal geprüft werden, ob der Ziegenmelker nun wieder zurückgekommen ist.

Europawahl am 9. Juni Acht Gründe, warum die EU wichtig für Baden-Württemberg ist

Gefühlt ist die EU für die Menschen in Baden-Württemberg eher weit weg. Dabei sind die Auswirkungen von EU-Entscheidungen ziemlich entscheidend für das Land - acht Beispiele:

Was bringt uns die EU?

Drei Beispiele, bei denen die EU den Menschen in Baden-Württemberg mehr Steine in den Weg legt, als das Leben zu erleichtern. Wo die EU wichtig für Baden-Württemberg ist, lest ihr hier. Und darüber, was die EU bringt diskutieren am Donnerstag, 15.5. um 20:15 Uhr in der Sendung Zur Sache Baden-Württemberg unter anderem der ehemalige EU-Kommissar und Ex-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU)

Mehr zur EU und BW

Biberach

Gemeinsam für Demokratie und ein starkes Europa 400 Teilnehmer bei Pro-Europa-Kundgebung in Biberach

Eine überparteiliche Bewegung hat mit einer Kundgebung am Sonntag in Biberach für eine hohe Beteiligung an der Europawahl am 9. Juni geworben.

Europawahl am 9. Juni Acht Gründe, warum die EU wichtig für Baden-Württemberg ist

Gefühlt ist die EU für die Menschen in Baden-Württemberg eher weit weg. Dabei sind die Auswirkungen von EU-Entscheidungen ziemlich entscheidend für das Land - acht Beispiele:

Freiburg

Europawahl am 9. Juni: Deutschland wählt 96 Abgeordnete Wer will für Südbaden ins Europaparlament?

Bei der Europawahl am 9. Juni haben Wählende genau eine Stimme. Auf dem Zettel stehen in Baden-Württemberg 34 Parteien und politische Vereinigungen. Wer für Südbaden dabei ist.

Baden-Württemberg

34 Angebote, eine Stimme Europawahl: Diese Parteien und politischen Vereinigungen stehen in BW auf dem Wahlzettel

Am 9. Juni ist Europawahl. In Baden-Württemberg werden 34 Parteien und politische Vereinigungen auf dem Stimmzettel stehen. Und der ist deutlich kürzer als zuletzt 2019.