Am 16. April veröffentlichte die Ufo-Abteilung des amerikanischen Pentagon (AARO) eine Art Powerpoint-Präsentation sowie einen begleitenden Schriftverkehr zu einem prospektiven Geheimprogramm namens Kona Blue, siehe hier. Der Hauptteil dieser Präsentation ist ein Vorschlag aus dem Jahr 2009 an die amerikanische Militärabteilung DHS, dem Department of Homeland Security, innerhalb der Behörde ein umfangreiches Ufo-Forschungsprogramm zu etablieren.

Das DHS nahm den Vorschlag an und finanzierte den Prozess zur endgültigen Etablierung zwei Jahre lang. Danach, 2011, wurde das Projekt jedoch von höherer Stelle gestoppt. So viel zu den minimalen Fakten und zur Timeline.

Tropisches Geheimprogramm

Der nun veröffentlichte Pitch des Programms und die darin verwendeten Begriffe und Hinweise sind allerdings dennoch beachtenswert. So ähnlich wie die Wortwahl in dem Ufo-Gesetzesentwurf von Chuck Schumer voriges Jahr, siehe hier. Und auch der beigelegte offizielle Schriftverkehr rund um den Vorschlag sowie die Anerkennung und die Ablehnung des Programms verursachte einiges an Stirnrunzeln.

AARO

Wobei man das freigegebene Material durchaus auf verschiedene Weise lesen kann. So begann gleich nach Veröffentlichung der Kampf zwischen Skeptikern und Ufo-Gläubigen. Die glühenden Ufo-Fans sahen in dem Material eine endgültige Bestätigung, dass die amerikanischen Regierungsbehörden nie aufgehört haben, sich für das Ufo-Thema zu interessieren und Forschungsprogramme zu planen und durchzuführen. Einige Textpassagen wurden sogar als direkte "Disclosure", also Enthüllung der Existenz von Aliens, angesehen.

Skeptiker und vor allem Debunker, sozusagen professionelle Widerleger, dagegen zuckten nur grinsend mit den Schultern und meinten, das Ganze sei nichts anders als eine wirre Science-Fiction-Ausgeburt, die dann auch vollkommen zu Recht abgelehnt worden sei, weil eben totaler Blödsinn. Hier die wesentlichsten Details und Zeitabläufe.

Planung auf höchster Ebene

Wie seit den Enthüllungen des New York Times-Artikels aus dem Jahre 2017 bekannt ist, gelang es dem US-Senator Harry Reid mit der Unterstützung einiger seiner Kollegen Mitte der Nullerjahre, ein geheimes Forschungsprogramm rund um Fragen von Ufos und Bewusstsein zu etablieren:

Alle diese zitierten Informationen finden sich auch detailliert in den nun freigegebenen und von AARO publizierten Dokumenten und liefern sozusagen auch noch einmal eine nachträgliche offizielle Bestätigung dafür. Nachdem das Programm zwei Jahre lang lief, teilte das DIA Senator Reid mit, dass die Behörde nicht vorhatte, das Programm weiter zu finanzieren. Aber nicht etwa, weil sie an dessen Wichtigkeit oder bisher gelieferten Ergebnissen zweifelte, sondern weil es nur sehr am Rande, wenn überhaupt, mit geheimdienstlichen Themen zu tun hatte. Es wurde angeregt, dass es vermutlich besser in einem anderen Teil der Regierungsstruktur aufgehoben wäre.

Reid kontaktierte daraufhin 2009 das Department of Homeland Security, einer der vielen Zweige des amerikanischen Militärs, und traf sich zusammen mit seinen Leuten mehrmals mit Vertretern und Vertreterinnen der Behörde. Dabei gelang es Reid, damals immerhin der Mehrheitsführer im US-Senat, die Verantwortlichen zu überzeugen, dass ein solches Programm zur Erforschung von, wie es heißt, "exotischer Technik" zum einen sinnvoll und zum anderen gut beim DHS aufgehoben wäre. Vor allem deswegen, weil es in der Folge als SAP, also "Special Access Programm", aufgestellt werden sollte. Diese SAPs sind jene sagenumwobenen Geheimprogramme, in denen amerikanische Militärs angeblich gerne alles Mögliche verstecken, teilweise auch vor dem Kongress.

Das DHS nahm die Anregung auf, akzeptierte Kona Blue als offizielles, eigenes Programm und wandte sich an die nächsthöhere Stelle, die für die Genehmigung solcher SAPs zuständig ist. Nämlich das SAPCO oder "Special Access Program Control Office". Auch hier kam es zu mehreren Briefings und Besprechungen. Teilweise kann man davon sogar Sitzungsprotokolle in den freigegebenen Dokumenten nachlesen. Doch 2011 wurde das Programm schließlich endgültig abgelehnt und 2012 eingestellt.

Als einzige Begründung findet sich der Hinweis, dass das Programm keine außergewöhnlichen Sicherheitsvorkehrungen benötigen würde und daher nicht für ein SAP geeignet wäre. Damit war die Sache Geschichte.

Brisant bis heute

Dabei werden sowohl Ufos als auch Reverse Engineering (also das Studium und der Rückbau außerirdischer Technik) erwähnt – nicht konkret als solche benannt, aber mit eindeutigen Synonymen umschrieben. So findet sich statt des Begriffs Ufo die Abkürzung AAV (Advanced Aerospace Vehicle). Offenbar wollte man nicht völlig mit der Tür ins Haus fallen. Ein Teil von Kona Blue sollte sich auch mit der Aufarbeitung historischer Fakten und der Befragung von Zeitzeugen beschäftigen, um eine bereits existierende AAWSAP-Datenbank von 100.000 Vorfällen zu ergänzen. Das ganze Konzept ist dabei extrem ausgereift und gut ausgearbeitet. Wäre es zustande gekommen, wüssten wir heute vermutlich schon sehr viel mehr über das Phänomen. Oder eben darüber, dass es nicht existiert.

Bemerkenswerterweise wird in der Präsentation mehrmals konkret darauf Bezug genommen, dass Wissen zu alledem sowie auch exotisches Material bereits in anderen Regierungsbehörden (Geheimdienst und Militär) und auch privaten Firmen vorhanden sei. Es wird dabei auch mehrmals der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass Kona Blue mit diesen zusammenarbeiten werde und versuchen würde, dieses Wissen und auch Material zu erhalten. Und genau das war vermutlich der springende Punkt. Sowohl für den Antrag selbst als auch für dessen Ablehnung.

Ich lasse jetzt ein paar bürokratische Schritte aus und komme gleich zur vermutlichen Conclusio, die sich allerdings aufdrängt, wenn man das Dokument und den angehängten Schriftverkehr dazu liest. Eine exzellente journalistische Aufarbeitung dazu findet sich im Online-Magazin Liberation Times sowie in einem gerade erst publizierten langen und detaillieren Artikel auf Medium. Ebenso wird die ganze Geschichte und Motivationslage in dem von den Leitern des AAWSAP-Programms Lacatski und Colm Kelleher verfassten Buch Skinwalkers at the Pentagon dargelegt (ohne den Codenamen "Kona Blue" zu nennen) und ihrem Mitautor, dem Journalisten George Knapp, in einem Podcast genau nacherzählt.

Folgendes Bild ergibt sich dabei: Reid, Bigelow und Team wollten offenbar durch die Errichtung eines SAPs in den inneren Zirkel der sogenannten "Gatekeeper" vordringen, also jener Personen und Institutionen, die angeblich alles geheim halten, und so an Wissen und exotisches Material herankommen. Vermutlich deshalb, um es dann irgendwie auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür sprechen auch gelegentliche Andeutungen von Whistleblowern wie David Grusch und Lue Elizondo, dem letzten Leiter von AATIP, in diversen Interviews. Und vermutlich wurde das Programm genau deswegen von den "Gatekeepern", in Zusammenarbeit mit dem SAPOC, abgesägt und verhindert.

Weitere Aspekte

Noch zwei Nachträge. Der Begriff Kona Blue als abgelehntes Programm taucht in der Öffentlichkeit zum allerersten Mal in dem Bericht von AARO im Februar 2024 auf. Es ist absolut erstaunlich, so Richard Dolan, einer der prominentesten Ufo-Forscher und -Buchautoren, in einem Interview, dass Leute wie er selbst, die seit Jahrzehnten extrem tief in der Materie stecken, den Begriff Kona Blue noch nie zuvor gehört hatten. Das heißt, ihnen war der Inhalt und die Absicht eines geplanten weiteren Programms von Reid und Bigelow bekannt, aber nicht dessen Codename und welche Behörden involviert waren.

Ein interessantes Detail, durchlief der Antrag doch eine ganze Reihe von Stellen (wie man an den jeweiligen CCs der Dokumente erkennen kann), und ein ganzer Haufen von Leuten wusste darüber Bescheid. Dennoch blieb nicht nur der Antrag selbst, sondern sogar der Codename bis vor wenigen Wochen auch den interessiertesten Insidern komplett verborgen. Pikanterweise finden sich auch in der Kona-Blue-Präsentation (Seite 16) selbst Folien mit Grafiken dafür, wie man das SAP durch mehrere Scheinfirmen am besten vor der Öffentlichkeit verstecken kann.

Der zweite Nachtrag betrifft die Veröffentlichungs-Timeline. Diese nun publizierten Dokumente wurden nämlich, auch das steht in der Freigabe zu lesen, bereits Mitte letzten Jahres deklassifiziert. Das Pentagon beziehungsweise AARO haben sich aber bis jetzt damit Zeit gelassen, sie zu publizieren. Der Verdacht, so unter anderem George Knapp in dem bereits erwähnten Podcast, liegt nahe, dass das als Schlag gegen die Ufo-Community gedacht war. So im Sinne von, und wie es der ehemalige Direktor Sean Kirkpatrick in mehreren Stellungnahmen (etwa hier) formulierte: "Seht ihr, es gab einmal einen einzigen Versuch für ein Programm, und der ist gescheitert; und von diesem Versuch her stammen alle Gerüchte über Unternehmungen der USA, Ufos zu erforschen." Was natürlich nicht stimmt, da diese Gerüchte ja bereits Jahrzehnte zuvor kursierten. Vielleicht erfährt man ja im Laufe der Zeit noch mehr, aber die Enthüllung von Kona Blue ist die bisher außergewöhnlichste dieses Jahres.

In other news ...

Tatsächlich kommen in den letzten Wochen fast täglich neue Details ans Licht der Öffentlichkeit. So wurde ein interessanter Schriftverkehr zwischen David Grusch und Kirkpatrick bekannt, in dem es um potenzielle Aussagen des Whistleblowers vor AARO ging. Dann ein weiterer Schriftverkehr zwischen dem ehemaligen ranghohen Geheimdienstler und Ufo-Aufklärer Christopher Mellon und einem ebenfalls hochrangigen (aber im Text anonymisierten) amerikanischen Politiker, in dem dieser die Existenz von geborgenen Ufos und das Wissen und deren Aufbewahrungsort bestätigt. Weiters die Auskunft durch den "Freedom of Information Act", dass alle E-Mails von Lacatski (dem wissenschaftlichen Leiter von AAWSAP unter Bigelow und Reid) im Verteidigungsministerium gelöscht wurden. Ob legal oder illegal ist noch nicht ganz geklärt, es ist aber auf jeden Fall ungewöhnlich.

All diese neuen Themen und Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Ufo-Problematik, die derzeit das Licht der Öffentlichkeit erblicken, lassen sich in Form dieses Blogs kaum zeitgerecht ansprechen. Wer also regelmäßig auf dem Laufenden bleiben möchte, dem kann ich folgende englischsprachigen Podcasts empfehlen: That Ufo Podcast, The Good Trouble Show, Need to Know. Dazu Sentinel News, das wohl wichtigste europäische Ufo-News-Magazin mit Artikeln in Englisch, Französisch Italienisch und Spanisch, sowie die Liberation Times aus England. Dazu das deutschsprachige Magazin Grenzwissenschaften aktuell (ein potenziell problematischer Titel, aber inhaltlich und journalistisch sehr seriös) sowie auch meine eigenen wöchentlichen News-Updates auf Youtube. Wenn man alle Informationen der letzten Zeit zusammen nimmt, kann man sich jedenfalls kaum des Eindrucks erwehren, dass sich derzeit etwas Größeres zusammenbraut, was auch immer. Nun, vielleicht gibt es ja im nächsten Blogartikel schon mehr dazu zu berichten. (Harald Havas, 14.5.2024)