„Lichtjahre im Dunkel“ von Friedrich Ani: Jetzt noch alleiner?
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„Lichtjahre im Dunkel“ von Friedrich Ani: Jetzt noch alleiner?

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Öfter schon hat sie ihren Mann aus der Kneipe geholt. Foto: Pohl/Imago Images
Öfter schon hat sie ihren Mann aus der Kneipe geholt. Foto: Pohl/Imago Images © IMAGO/aal.photo

Friedrich Anis Kriminalroman „Lichtjahre im Dunkel“ über Menschen, die in kleinen Leben feststecken.

Es ist, als habe Friedrich Ani diesmal zwei seiner meist schmalen Romane in einen gepackt. Dazu einen Rahmen, der die ganze Geschichte in die Vergangenheit legt, einen Rahmen, in dem seine seit 1998 ermittelnde und nach Verschwundenen suchende Figur Tabor Süden im Prolog feststellt, dass er alt geworden ist, am Ende grübelt, „dass so viel Zeit vergangen sein sollte“. Melancholisch ist also der Ton.

Zuerst, „Erster Teil“ überschrieben, ein Wiedersehen mit Tabor Süden. Die Frau, deren Mann der Privatdetektiv finden soll, nennt ihn „Saus“, South, und findet: „So einer, dachte sie, schaut nicht bloß, der sieht was.“ Viola Ahorns Mann Leo versackt nicht selten in der Kneipe, manchmal geht sie und holt ihn nach Hause – aber jetzt ist er verschwunden, bleibt verschwunden. Süden macht, was er immer macht: Menschen beobachten, befragen, Spuren folgen – und seien sie noch so schwach. Eine Fotografie hilft ihm dabei, durch sie findet er einen Park, in dem Leo oft Mittagspause gemacht hat, findet einen Mann auf einer Bank, mit dem Leo regelmäßig geredet hat. Ob er einen Selbstmord Leos für möglich halte, fragt er ihn auch. „Der doch nicht“, sagt der Mann.

Dann, „Zweiter Teil“ des Romans, übernimmt die Polizei, Fariza Nasri und ihr Team. Denn Leo Ahorn ist als Leiche wieder aufgetaucht, im Kofferraum des Wagens eines bekannten Münchner (Ex-)Zuhälters. Der hat freilich ein Alibi, kennt Leo Ahorn tatsächlich überhaupt nicht; und ist zudem inzwischen in Rente, einige Jahre schon, wer also sollte jetzt mit ihm abrechnen wollen, indem er ihm eine Leiche in den Kofferraum legt?

50 000 Euro, immerhin

Logisch, dass auch Leos Frau in Verdacht gerät. Aber auch ein Kneipenkumpel käme in Frage, denn hat das Opfer nicht einen gewissen Georg Kramer immer und immer wieder und auch aggressiv bedrängt, ihm Geld zu leihen? Angeblich habe der ihm einmal 50 000 Euro zugesagt.

Das Buch

Friedrich Ani: Lichtjahre im Dunkel. Roman. Suhrkamp, Berlin 2024. 448 S., 25 Euro.

Tabor Süden verschwindet nun erstmal komplett aus diesem Kriminalroman, der den sehr Ani-kompatiblen Titel „Lichtjahre im Dunkel“ trägt. Im Vordergrund steht, wie immer bei diesem Schriftsteller, nicht die Polizeiarbeit, obwohl sie zweifellos fortschreitet. Sondern die feine, hier aber zwischendurch doch etwas zu ausdauernde, Zeichnung der Charaktere und Milieus.

Da sind zunächst die Ahorns, die einen einst geerbten Schreibwarenladen führen „in einer Welt aus Geiz und Ungeduld“, in der nicht mehr viele in einem Schreibwarenladen einkaufen. Man geht in den Supermarkt, da gibt es auch Papierwaren, da ist es billiger. Ihre Ehe ist außerdem längst schal, so hält Viola es durchaus für möglich, dass Leo aufgebrochen ist zu anderen Ufern, wie in diesen Geschichten, in denen einer angeblich nur Zigaretten holen geht. „Wäre sie dann allein auf der Welt? Alleiner noch als bisher?“

Zuerst Tabor Süden, dann der Polizei gegenüber ist Viola Ahorn trotzig, sieht trotzdem klar, spricht von ihrem gemeinsamen Leben, das „still und beschaulich und unauffällig und klein“ gewesen sei. Das kleine, unauffällige Leben, es ist schon immer Thema von Friedrich Anis Romanen. Das Münchner Schickimicki-Milieu ist seine Sache nicht, das Glamouröse schon gar nicht.

Diesmal wirft er seinen genauen, emphatischen Blick nicht nur auf die Ahorns, sondern, „Dritter Teil“, ebenso ausführlich auf Georg Kramer und seinen völlig unerwartet bei ihm auftauchenden Halbbruder, Sandro Zille. Georg wusste nichts von Sandro, Sandro nichts von Georg, bis seine sterbende Mutter ihn bat, den Bruder zu finden. Beide Kinder und deren Väter hat die damals junge Frau Knall auf Fall verlassen, Georg war erst drei, Sandro etwas älter. Das gleiche Schicksal verbindet.

Friedrich Ani nimmt, „Vierter Teil“, alle Fäden auf, verbindet sie. Keineswegs verweigert er die Erklärung, was genau passiert ist in der Nacht, in der Leo Ahorn nicht mehr nach Hause kam, wie er tot, erstochen, im Kofferraum eines Ex-Luden landen konnte. Aber weit mehr Raum nehmen die Gedankenwirrnisse und Seelenzustände der Figuren ein, darunter eine beklemmende Innensicht auf den Mörder oder eher Totschläger, dem zunächst wegen seinem Saufen jede Erinnerung an die Stunden fehlt, in denen es zum fatalen Zusammenstoß mit Ahorn kam, der sich dann Stück für Stück erinnert, quält. Und Lichtjahre im Dunkel zu verbringen scheint, bis es für ihn eine unerwartete Wendung gibt.

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