Situation im Büro mit drei Menschen an einem Tisch, eine Frau steht 
Wo sind die Unzufriedenen?
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Irgendwie stehen wir unter einem Generalverdacht: Außer nix tun wir am liebsten fast nix. In der Arbeit. Deswegen müssen wir motiviert werden, mit Sinn versorgt werden, inspiriert, kontrolliert, belohnt oder gar bestraft werden. Jedenfalls müssen wir offenbar alle sanft oder weniger zärtlich zur Leistung gebracht werden.

Es stimmt schon, manche Menschen wollen sich einfach sicher nie anstrengen in der Arbeit. Die sind aber sehr selten, und zudem verstecken sie ihre Arbeitsmoral meistens gar nicht. Viele andere wollen einfach ihren Job gut machen und dann heimgehen. Sie sind in der derzeitigen Lebensphase zufrieden und wollen nicht mehr. Nicht mehr Stunden, nicht mehr Status, sie wollen nicht einmal mehr Geld – weil sie wissen, dass dieses Mehr immer einen Preis für die Lebensqualität hat. Und den sind sie derzeit, in ihrem jetzigen Lebenskontext, nicht bereit zu bezahlen. Sie sind ja zufrieden.

Mehr und weiter und höher

Viel interessanter für Führungskräfte sind Personen, die unzufrieden sind, weil sie mehr wollen. Mehr Geld, mehr Status, mehr Bedeutung, mehr äußere Karriere. Sie lassen sich immer weiter treiben in ihrer Unzufriedenheit mit dem derzeit Erreichten. Mit ihnen lassen sich Pläne für den Aufstieg schmieden, ihnen lässt sich Verantwortung leicht übertragen, sie laufen dafür die Extrameilen. Fahren vielleicht dafür auch beide Ellenbogen aus. Auch wenn sie oft verabschiedet wurde – diese Hustle-Culture ist nicht Geschichte. Leistungsträger sagt man da gerne. Das ist praktisch für Führungskräfte, das dient der Performance, das dient dem Erfolg als Chefin oder Chef. Eine gewisse Gesundheitsgefährdung schwingt sich möglicherweise auf der Zeitachse, beim Erklimmen immer weiterer Karrieresprossen ein.

Unzufriedene gibt es allerdings auch, was innere Karrieretreiber anbelangt, etwa Menschen, die unablässig Sinn, Kollegialität und Harmonie gemäß ihrem persönlichen Wertekanon in die Organisation bringen wollen. Auch das ist nicht unpraktisch für Vorgesetzte – wenngleich etwas gefährlicher, vor allem was die Gesundheit dieser Personen mit ihrem großen Engagement betrifft. Extrameilen laufen sie allerdings auch.

Teil des Spiegels

Dann gibt es noch Unzufriedene, die eine ganz andere Qualität der Unzufriedenheit in sich tragen. Das sind die Enttäuschten, die Gekränkten, jene, die sich übersehen, hintergangen, ausgenützt und schlecht behandelt fühlen. Sie sind leise oder (selten) laut im Widerstand gegen die geforderte Leistung, was meistens nicht spontan auftritt, sondern eine Geschichte hat. Gesundheitsförderlich ist eine solche Befindlichkeit bestimmt nicht. Und Führungskräfte haben mit diesen Mitarbeitenden ein echtes Thema. Sie sind nämlich ein Teil des Spiegels der Unternehmenskultur, der Führungskultur, der Leistungskultur mit ihrem Belohnungs- und Bestrafungssystem. Sie sind auch ein Spiegel der unausgesprochenen Machtkodizes in der Firma, der Dynamiken rundherum. Auf diese Gruppe der Unzufriedenen genau zu schauen könnte besonders aufschlussreich und lohnend für die Organisation sein. (Karin Bauer, 12.5.2024)