Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang besucht Laupheim
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Nach Angriffen auf Politiker

Grünen-Chefin Ricarda Lang: „Ich werde mich nicht einschüchtern lassen“

Laupheim / Lesedauer: 8 min

Wenige Politiker werden persönlich so heftig angegangen wie Ricarda Lang. Jetzt spricht die Grünen-Bundesvorsitzende über Anfeindungen, Europawahl und grüne Politik im Südwesten.
Veröffentlicht:14.05.2024, 18:00

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Nach den heftigen Protesten beim politischen Aschermittwoch in Biberach hat die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang erstmals seit der Absage der Veranstaltung den Landkreis besucht. In Laupheim informierte sich die 30-Jährige über die jüdische Geschichte der Stadt. Im Interview spricht Lang, die in Nürtingen aufgewachsen ist, über ein Erstarken des Antisemitismus, Europas Rechtsruck, Angriffe auf Politiker im Wahlkampf und persönliche Anfeindungen.

Frau Lang, in Zeiten, in denen Antisemitismus in Deutschland erstarkt und die AfD in Umfragen zulegt: Wie wichtig ist Ihnen dieser Besuch in Laupheim mit seiner langen jüdischen Geschichte?

Sehr wichtig. Wir sehen, dass der Antisemitismus in Europa zugenommen hat. Das ist unerträglich. Es macht mich betroffen, wenn ich von einer jüdischen Freundin höre, dass sie Angst hat, in die Synagoge zu gehen. So einer Entwicklung müssen wir uns entgegenstellen. Es ist unsere Aufgabe, Jüdinnen und Juden zu schützen und dafür zu sorgen, dass sie sich überall in Deutschland sicher fühlen können.

Das funktioniert nur, wenn wir uns unserer eigenen Geschichte bewusst sind. Erinnerungskultur ist nicht einfach nur da, um auf die Geschichte zu schauen, sondern sie muss immer ein Auftrag für das Hier und Heute sein. Und dieser Auftrag kann nur heißen: Gegen jeden Antisemitismus einzustehen, egal aus welcher Ecke er kommt.

Es ist Europawahlkampf. Die SPD-Politiker Matthias Ecke und Franziska Giffey sowie mehrere andere Politker wurden tätlich angegriffen. Woher kommt diese Radikalisierung und der Hass auf die Politik?

Was mir am meisten Sorgen macht, ist, dass zunehmend nicht nur hauptamtliche Politiker attackiert werden, sondern auch immer mehr Kommunalpolitiker. Menschen, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich für die Demokratie einsetzen und viel weniger Möglichkeiten haben, sich zu schützen. Das ist nicht nur ein Angriff auf einzelne Personen oder einzelne Parteien. Das ist ein Angriff auf die Demokratie.

Ich werde nicht weichen, ich werde mich nicht einschüchtern lassen.

Ricarda Lang

Denn es geht gegen die Meinungsfreiheit und gegen die Art und Weise, wie wir Konflikte lösen: indem wir miteinander sprechen, nicht mit Gewalt. Hass und Hetze nehmen zu, davor darf man nicht die Augen verschließen. Wir sehen aber auch, dass es mit der AfD eine Partei gibt, die Ängste bewusst schürt und Zwietracht sät, die immer wieder als geistiger Brandstifter auftritt. Die kann man nicht aus der Verantwortung lassen.

Der Wahlkampf ist bestimmt von einem Rechtsruck. Die Grünen werben für ein Europa der Einigkeit und für eine weitere Unterstützung der Ukraine.

Bei dieser Wahl geht es darum, dass es eine demokratische Mehrheit im Europäischen Parlament gibt und wir auch in Zukunft ein demokratisches und geeintes Europa haben. Ich bin in den 90er-Jahren aufgewachsen, da schien es eine Selbstverständlichkeit, dass Europa zusammenwächst. Für uns hier im Ländle zum Beispiel ist Frankreich ja nicht weit, ich kenne so viele, die zum Beispiel zum Schüleraustausch dort waren. Aber Europa ist natürlich nicht nur wegen der Reisefreiheit ein großes Erfolgsprojekt, sondern vor allem, weil es ein Friedensprojekt ist. Dass die Völker Europas nach dem Zweiten Weltkrieg und all seiner Zerstörung dieses europäische Zusammenwachsen geschafft haben, ist ein unglaublicher Schatz, ein Privileg, das wir nicht als selbstverständlich nehmen sollten.

Einblicke in die Erinnerungskultur von Laupheim: Auf Einladung von Anja Reinalter gab Michael Schick (links) der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und dem Landtagsabgeordneten Michael Joukov auf dem jüdischen Friedhof einen Einblick in die jüdische Geschichte Laupheims.
Einblicke in die Erinnerungskultur von Laupheim: Auf Einladung von Anja Reinalter gab Michael Schick (links) der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und dem Landtagsabgeordneten Michael Joukov auf dem jüdischen Friedhof einen Einblick in die jüdische Geschichte Laupheims. (Foto: Thomas Werz)

Dieses Privileg gilt es, zu verteidigen. Zum einen gegenüber Rechtsextremen im Europaparlament. Ich wünsche mir da auch ein klares Bekenntnis von Ursula von der Leyen, die Spitzenkandidatin der Konservativen, die im Moment noch offen lässt, mit wem sie zusammenarbeiten will. Europas Freiheit und Demokratie müssen nach innen, aber zum anderen auch nach außen verteidigt werden - gegen autoritäre Regime wie das von Putin. Das Ziel ist Frieden. Wir unterstützen die Ukraine bei ihrer Verteidigung, weil wir wollen, dass es wieder Frieden gibt in der Ukraine, aber auch in ganz Europa.

Während des schlussendlich abgesagten politischen Aschermittwochs der Grünen in Biberach und danach in Schorndorf waren Sie Zielscheibe verbaler Attacken. Wie sehr belasten Sie diese persönlichen Angriffe?

Ich kann das mittlerweile ganz gut abschalten. Leuten, die einem Hasskommentare schreiben und persönlich beleidigend werden, geht es oft gar nicht um den Austausch von Argumenten. Es geht ihnen nur darum, Menschen einzuschüchtern und aus dem politischen Diskurs zu verdrängen. Ich habe für mich entschieden, ich werde nicht weichen, ich werde mich nicht einschüchtern lassen.

Ich bin in die Politik gegangen, um Deutschland gerechter und ökologischer zu machen. Doch ganz spurlos gehen solche Anfeindungen natürlich nicht an einem vorbei. Die große Herausforderung ist, auf der einen Seite klare Kanten zu zeigen, auf der anderen Seite nicht selbst zu verhärten. Also auch weiterhin dorthin zu gehen, wo es Kritik gibt, die Hand ausgestreckt und das Ohr offenzulassen. Mir ist es ganz wichtig, mir das zu erhalten.

Haben die Grünen die Proteste in Biberach unterschätzt?

Nein, das haben wir nicht. Erst einmal ist es ein klarer Anspruch, dass solche Veranstaltungen - in dem Fall ja auch mit dem Ministerpräsidenten - ohne Störung und Nötigung stattfinden können. Ich meine Störung nicht im Sinne, dass es Demos gibt, dass es mal Buhrufe gibt. Das ist okay, das muss man aushalten. Aber in dem Fall kam es ja zu Gewalt, die Veranstaltung konnte am Ende nicht stattfinden. Das trifft nicht nur uns Politiker und Politikerinnen, sondern auch die Leute, die diese Veranstaltungen sehen wollen, um sich in der Demokratie eine Meinung bilden zu können. Es trifft die Sicherheitsbehörden, die beschimpft und angefeindet werden. Das ist nichts, was man als normal hinnehmen darf. Ich erwarte, dass jetzt die Innenminister von Bund und Ländern noch bessere Konzepte vorlegen, wie Wahlkämpfende geschützt und wie die Wahlkämpfe friedlich ablaufen können.

Dass es Konflikte gibt, ist normal bei drei unterschiedlichen Parteien, die um den besten Weg für das Land ringen.

Ricarda Lang

Energie, Bürgergeld, das aktuell vorgelegte Rentenpaket: Die Bevölkerung ärgert der Dauerstreit in der Koalition. Warum kommt die Regierung im dritten Jahr nicht zur Ruhe?

Man muss sehen, dass sich die Zeiten, seit wir den Koalitionsvertrag abgeschlossen haben, radikal verändert haben. Wir haben ihn geschlossen, mit dem Gefühl, dass wir nach vielen Jahren des Stillstandes durch die unionsgeführte Große Koalition endlich viele Dinge angehen können. Aber dann kam der Angriffskrieg auf die Ukraine und wir mussten Politik unter ganz anderen Vorzeichen machen. Da ist uns viel gelungen: Wir sind in kürzester Zeit unabhängig geworden von Putins Gas, haben milliardenschwere Entlastungspakete geschnürt, das Land ist gut durch die Krise gekommen. Wir haben gemeinsam viel erreicht.

Dass es Konflikte gibt, ist normal bei drei unterschiedlichen Parteien, die um den besten Weg für das Land ringen. Jetzt sind wir besser darin geworden, die Konflikte am Kabinettstisch und hinter geschlossenen Türen zu besprechen. Da gehören sie hin. Zur Demokratie gehört immer auch der Kompromiss. Was die Bürgerinnen und Bürger zu Recht von uns erwarten, und das erwarte auch ich von unseren Koalitionspartnern: Dass, wenn man sich auf einen Kompromiss geeinigt hat, auch zusammen dazu steht.

Führende Entscheider aus Industrie und Wirtschaft kritisieren die Wirtschaftspolitik der Koalition. Vor allem die Grünen kommen nicht gut weg. Wie erklären Sie ihre Politik den Menschen hier in einem wirtschaftlich starken Oberschwaben?

Ganz klar ist unser Ziel, dass wir den Wohlstand erneuern. Unsere Wirtschaft hat in den letzten zwei Jahren ihre Stärke bewiesen. Eine Rezession konnte abgewendet werden, auch die Inflation ist wieder rückläufig. An diese Entwicklungen gilt es jetzt anzuknüpfen, „Made in Germany“ ist immer noch ein Qualitätssiegel. Damit das auch so bleibt, sollten wir uns auf drei Dinge konzentrieren: die Energieversorgung zu sichern durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Ausbau der Netze, unnötige Bürokratie abzubauen, sowie die Fachkräftegewinnung.

Ich würde erst mal sagen, Cem kann alles.

Ricarda Lang

Ein Schlüssel dafür sind die Frauenerwerbstätigkeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und natürlich braucht es Investitionen. In vielen anderen Industrienationen wird gerade mehr investiert, sowohl öffentlich als auch privat. Das müssen wir hinbekommen. Wer schafft es bei neuen Technologien, bei erneuerbaren Energien und damit bei zukunftssicheren Jobs vorne zu sein? Wir wollen, dass Europa, dass Deutschland und damit auch Oberschwaben bei diesen Fragen nicht abgehängt wird, sondern vorne mit durchs Ziel geht.

Die Kritik ist, Deutschland bewegt sich da im Vergleich zu langsam.

Wir sollten unser Land nicht immer schlecht reden. An vielen Stellen geht es richtig voran. Und die Regierung stellt die Weichen für mehr Tempo bei der Modernisierung: Straßen sanieren wir schneller, der Schienenausbau geht voran. Und man muss auch sagen: Viele Probleme, die wir heute gemeinsam stemmen, wurden in Zeiten der Großen Koalition geschaffen oder zumindest nicht angegangen. Beispiel: Fachkräftemangel.

Dass nun die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, ist ja seit Jahrzehnten absehbar. Da hat die Große Koalition aber lieber abgewartet. Wir gehen diese Themen nun in der Bundesregierung an. Ich verstehe, dass es da manchmal Ungeduld gibt in der Bevölkerung, dass es noch schneller gehen soll.

Video: Martin Hennings/Marcus Fey

Baden-Württemberg ist seit 2011 grünes Kernland. Offen wird spekuliert, ob Cem Özdemir Winfried Kretschmann in Stuttgart beerben wird. Flapsig gesagt: Kann Cem den Kretsch?

(Lacht) Ich würde erst mal sagen, Cem kann alles. Trotzdem verzeihen Sie mir, dass ich mich hier nicht zu Personalfragen äußern werde. Ich glaube, das ist gerade auch gar nicht die Zeit. Aber für mich ist ganz klar, dass Baden-Württemberg massiv von der Führung eines grünen Ministerpräsidenten profitiert hat. Bei Vielem, was ich gerade angesprochen habe, hat Baden-Württemberg Maßstäbe gesetzt. Das wünsche ich mir für meine Heimat auch in Zukunft.