Wenn Roederstein zur Romanfigur wird
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Wenn Roederstein zur Romanfigur wird

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Autor Florian Wacker im Gespräch mit der Kunstvereinsvorsitzenden Birgit Müller-Muth (l.). babs
Autor Florian Wacker im Gespräch mit der Kunstvereinsvorsitzenden Birgit Müller-Muth (l.). babs © babs

Lesung mit Florian Wacker an einem der Schauplätze des Bestsellers „Zebras im Schnee“

Hofheim - Wenn Frankfurt ein Buch liest, schwappt das manchmal über die Grenzen der Großstadt hinaus. Das war auch bei der 15. Auflage des Lese-Festivals der Fall. Denn für die Lesungen werden gern Schauplätze des ausgewählten Buches aufgesucht. Und da sich im diesjährigen Lesestoff - Florian Wacker „Zebras im Schnee“ - eine der beiden Hauptpersonen im Lauf der Handlung nach Hofheim begibt, taten es ihr die Gäste des Kunstvereins nach. Das gemeinsame Ziel: die Roederstein-Villa am Kapellenberg.

Das Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete Haus am Roedersteinweg mit dem charakteristischen Dach ist zwar gar kein öffentlicher Ort, sondern Privatbesitz. Doch der längst zum Roederstein-Kenner gewordene Hausherr Professor Mark Wahrenburg entsprach gern der Bitte des Kunstvereins, den das Festival als Mitveranstalter gewonnen hatte, und ermöglichte die Lesung am Originalschauplatz.

Allerdings: Das Atelierhaus, in dem der Autor die Begegnung zwischen Ottilie W. Roederstein und seiner Protagonistin, der jungen Fotografin Ella Burmeister, spielen lässt, ist ein ganz anderes Gebäude, das heute am Dr. Heimen-Weg liegt und ebenfalls Privatleuten gehört. Immerhin hat der Raum, den die Wahrenburgs für die Lesung zur Verfügung stellten, anfangs wohl Roederstein als Atelier gedient. In mühevoller Kleinarbeit wurde er zuletzt wiederhergestellt, denn für viele Jahrzehnte war er zur Zwei-Zimmer-Wohnung umfunktioniert worden.

STIPENDIEN

Noch mehr illustren Gästen hat das Ehepaar Wahrenburg im Roedersteinweg 2 den passendsten Rahmen für ihre Veranstaltung geboten. So hat Staatssekretär Christoph Degen vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur am Dienstag hier die diesjährigen Ottilie-Roederstein-Stipendien vergeben.

Insgesamt 105 Künstlerinnen aller Sparten hatten sich darum in drei Kategorien beworben. Die Jury hat neun Künstlerinnen in drei Kategorien ausgewählt. Mit der Übergabe im ehemaligen Wohnhaus von Ottilie W. Roederstein erfülle man posthum einen Lebenswunsch der Malerin, denn diese habe sich dafür eingesetzt, Künstlerinnen besser sichtbar zu machen, so Degen.

Hauptstipendiatinnen sind die Regisseurin Carolin Millner und ihre Gruppe „Eleganz aus Reflex“ sowie Valentina Kneževic. Außerdem wurden zwei Nachwuchs- und fünf Ausbildungsstipendien vergeben. babs

Die Malerin schaffte es erst spät ins Buch

Eine kurze Einführung in den Roman übernahm die als kundige Moderatorin auftretende Vorsitzende des Kunstvereins, Birgit Müller-Muth. Dann nahm Florian Wacker die Zuhörer mit hinein in die Szene, in der die junge Fotografin Ella, die 1929 dringend Aufträge braucht, um in wirtschaftlich schwieriger gewordenen Zeiten zu überleben, Roederstein als potenzielle Auftraggeberin in Hofheim aufsucht. Elisabeth Winterhalter holt den Gast am Bahnhof ab und steigt mit ihm zu Fuß hoch zur Villa und entschwindet dann, um „später noch ein paar Sandwiches“ zu machen. Im Gespräch in ihrem Atelier gibt die alte Malerin der jungen Fotografin den Rat: „Tun Sie das nur nie - heiraten. Sobald der Ring am Finger steckt, ist es aus mit Ihrer Freiheit.“ Das entlockt dem Publikum ein Schmunzeln. Wahrenburg merkt später an, Winterhalter erscheine im Buch in der Rolle einer Kaffee-Serviererin. Für ihn wird das der Chirurgin, die als erste Frau in Deutschland einen Kaiserschnitt durchführte, wenig gerecht. Sie habe auch sonst viel mehr getan, als Roederstein finanziell ein gesichertes Leben zu bieten, wie es der Text suggerierte. Für die Zuhörer nicht die einzige spannende Ergänzung, die aus der Veranstaltung mehr machte als eine Lesung. Wahrenburg stellte kurzweilig die historischen Figuren der ersten Hausbesitzerinnen vor und gab einige Einblicke in die Geschichte der Roederstein-Villa. Die Fragen von Birgit Müller-Muth zielten eher auf die Entstehungsgeschichte des Romans. Viel Recherche hat Wacker hineingesteckt und musste, wie er schildert, dabei schon aufpassen, sich nicht zu sehr darin zu verlieren. Immerhin habe er ja auch mal etwas zu Papier bringen müssen. Das ließ die Zuhörer wieder schmunzeln.

Roederstein noch mit aufzunehmen neben all den anderen historischen Personen, denen die beiden Hauptfiguren in den späten 1920er Jahren in Frankfurt begegnen, darauf habe ihn recht spät im Entstehungsprozess des Romans die Städel-Ausstellung im vergangenen Jahr gebracht, erzählt Wacker. Denn die Malerin hat ihn beeindruckt. Es sei ihm dann wichtig gewesen, „dass sie einen Platz in diesem Buch findet“, erfuhren die Zuhörer.

Dass das Buch selbst sogar einen Platz auf der Bestsellerliste erobern konnte, führt nicht nur Wacker auf „Frankfurt liest ein Buch“ zurück. Das Festival sei „ein Glücksfall für jeden Autor“, so Wacker, der es zudem grandios fand, was alles, von der Kostümschau zu den 1920er Jahren bis zu szenischen Darstellungen, sich auf Vorlage seines Buches hin entwickelt hat.

Undatiertes Foto von Ottilie W. Roederstein und Elisabeth Winterhalter (links). stadtarchiv hofheim
Undatiertes Foto von Ottilie W. Roederstein und Elisabeth Winterhalter (links). stadtarchiv hofheim © Stadtarchiv Hofheim

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