Gottes Geist macht lebendig

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zu Pfingsten

Des Herrn Hand kam über mich, und er führte mich hinaus im Geist des Herrn und stellte mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine. Und siehe, sie waren ganz verdorrt. Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Gott der Herr will euch Sehnen geben und lasse Fleisch über euch wachsen und überziehe euch mit Haut und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet; und ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin.

aus Hesekiel 37, 1–6

Die Geburt eines Kindes ist eine der eindrücklichsten Erfahrungen, die Menschen machen dürfen. Nie werde ich den Augenblick vergessen, als meine Frau unseren ersten Sohn zur Welt brachte. Ich starrte das kleine Wesen, das die Hebamme in ihren Händen hielt, mit einer Mischung aus Erstaunen, Ehrfurcht und Neugier an. Eine gefühlte Ewigkeit lang passierte nichts. Dann fing der Junge an zu atmen und ich hörte zum ersten Mal seine Stimme – für uns ein unbeschreibliches Geschenk!

Auch für routinierte Hebammen ist diese kurze Zeitspanne zwischen Geburt und dem ersten Atemzug eines Kindes ein besonderer Moment der Erwartung. Mit dem Einatmen beginnt gleichsam ein eigenständiges menschliches Leben.

Unser Leben auf dieser Erde erstreckt sich vom ersten bis zum letzten Atemzug. Als Gott den Menschen erschuf, formte er aus dem Staub der Erde zunächst einen menschlichen Körper. Erst als Gott diesem den Odem des Lebens in die Nase blies, wurde Adam ein lebendiges Wesen (1. Mose 2, 7). Es ist Gottes Odem, der alle Kreatur lebendig macht. Ohne ihn vergehen alle Lebewesen und werden wieder zu Staub (Psalm 104, 29.30).

Auch der Prophet Hesekiel teilt mit uns eine Vision, die zunächst schwer auszuhalten ist. Sie stellt ihn mitten auf ein Feld voller Totengebeine. Vor meinem inneren Auge tauchen aktuelle Bilder von Orten auf, die von Krieg und Naturkatas­trophen verwüstet wurden. Es ist ein Bild abgrundtiefer Hoffnungslosigkeit. Hesekiel greift damit das Empfinden der Israeliten auf, die den Angriff der Babylonier auf ihr Land überlebt haben. Nach der völligen Zerstörung ihrer Heimat und der Deportation der wenigen Überlebenden nach Babylon haben sie keine Zukunft mehr. Anscheinend ist dieses Volk dem Untergang geweiht. 

Mitten hinein in die Hoffnungslosigkeit eines Volkes, das seiner Zukunft beraubt wurde, weissagt Hesekiel, dass die Gebeine wieder Gottes Odem empfangen. Und tatsächlich wird dieses Volk Israel einen langen Atem ausbilden. Es wird allen Anfeindungen des Lebens trotzen und eines Tages in die Heimat zurückkehren.

Gottes Odem macht lebendig. Gottes Geist ist Inbegriff der Lebendigkeit. Das durften Jesu Jünger am Pfingstfest erleben. Sie hatten den auferstandenen Christus mit ei­genen Augen gesehen. Trotzdem  schnür­­te Angst ihre Herzen ein. Bis an Pfingsten Gottes Geist wie Feuerflammen auf die Jünger herabkam und alle Angst aus ihren Herzen blies. Gottes Geist trieb die Jünger hinaus auf die Straßen und öffnete ihnen den Mund. Begeistert erzählten sie von ihrem Glauben an den Auferstandenen. Und schon bald entstand die erste christliche Gemeinde. Mit dem Geist Gottes ist es wie mit dem Atem. Beides wird uns von Gott geschenkt. Das Leben ist Gottes Geschenk. Der Glaube, der unser Leben mit Hoffnung und Zuversicht füllt, ist Wirkung seines Geistes. Um diesen Geist dürfen wir Gott immer wieder bitten.

Enno Weidt, Dekan in Forchheim