“Good Guy – Bad Guy” – Beueler-Extradienst

Beueler-Extradienst

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“Good Guy – Bad Guy”

Eine persönliche Nachlese zu den Erinnerungen an Willy Brandt und Herbert Wehner

Alle Ministerien und Parteisitze, Pressehäuser, Fuhrparke und Lobby-Verbände waren in der alten westdeutschen Republik auf der linken Bonner Rheinseite angesiedelt. Auf der rechten Rheinseite: Nichts. Fehlanzeige. Auch die Parade-Spione Honeckers, Christel und Günter Guillaume wohnten links. In der Ubierstraße, wenige Schritte vom Rheinhotel Dreesen entfernt. Rechts behagte den Regierungsplanern nicht. Wenn denn die Armeen des Realsozialismus doch kämen, meinte man wohl, sollte Vater Rhein eine Art Grenze sein: Bis hierher und nicht weiter!

Als vor fünfzig Jahren, am 24. April 1974 Willy Brandts persönlicher Referent Günter Guillaume verhaftet wurde, spielte sich alles linksrheinisch ab. Auf der „schäl sick“, rechts, spielte sich nichts ab. Brandt wohnte auf dem Bonner Venusberg, sein von den Medien genannter Widersacher Herbert Wehner wohnte auf dem Heiderhof hoch über Bad Godesberg. Am 6. Mai 1974 trat Brandt als Bundeskanzler zurück. Fast nichts mehr erinnert links an diese Tage. Weder auf dem Heiderhof noch auf dem Venusberg. Die Parteizentralen sind mit Sack und Pack nach Berlin. Parlament und Bundesrat, Bundeskanzleramt und anderes mehr haben andere Funktionen. Willy Brandt starb am 8. Oktober 1992 in der Umgebung Bonns, in Unkel. Der frühere SPD- Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner war am 19. Januar 1990 auf dem Heiderhof verstorben. Meine letzte Erinnerung an Wehner: Der steht im „spanischen Garten“, in einem Geschäft Bad Godesbergs, in sich gekehrt. Nicht mehr ansprechbar. Greta Wehner kauft währenddessen für sie beide ein.

In den vielen Berichten über die Beziehung zwischen Brandt und Wehner wurde Willy Brandt die Rolle des „good Guy“ zugeordnet, Wehner bekam die Rolle des „bad Guy“. Willy liebten und verehrten alle, Wehner schreckte ab. Was meine Person angeht, kann ich ein solches Abschrecken nicht bestätigen. Er war freundlich zugewandt, honorierte Leistung durch Anerkennung.

Aber warum war das so? In den Tagen vor und nach der Erinnerung an den Kanzlerrücktritt und Guillaumes Enttarnung wurde all das wieder aufgewärmt. Es gibt nur wenige Stimmen, wie die des Historikers Christoph Meyer, die in der ganzen Angelegenheit auf Quellengenauigkeit in den Abläufen und Ereignissen pochen. Ansonsten verschwimmt Geschehenes mit rheinischen „Verzällchen“.

Der von mir sonst hochgeschätzte Norbert Bicher schrieb im Blog der Republik („Die Nacht von Münstereifel: Willy Brandts Rücktritt vor 50 Jahren“), Wehner habe im Herbst 1973 vor Journalisten in Moskau gelästert: „Der Herr badet gerne lau.“ Diese fünf Worte geistern nun schon seit 50 Jahren durch Interviews, Zeitungsberichte und Rundfunk-Kommentare. Was stimmt daran, was nicht?

Der ehemalige Spiegel-Redakteur und NDR-Moderator Hermann Schreiber – am 12. April 2020 verstorben – hat erklärt, dieser ominöse Satz sei nicht in Moskau vor Journalisten gefallen. Er sei in einem sechs-Augen-Gespräch im Flug von Moskau zurück in die die Bundesrepublik gefallen; aber milder als dies in den daraus entstandenen Agenturnachrichten wiedergegeben wurde. Es war also eine der üblichen Sottisen, für die Wehner bekannt war und die er beherrschte wie kaum ein anderer. Schreiber habe sich noch im Oktober 1973 für die Härte der Wiedergabe seiner Worte im Flieger bei Wehner schriftlich entschuldigt.

Davon ist nirgendwo in der aktuellen Berichterstattung die Rede.

Ebenso irreführend ist die Geschichte von der „Frauenliste“, die der DDR-Spion Günter Guillaume parat gehabt haben soll, und die den damaligen Verfassungsschutz-Präsident Günther Nollau bewegt habe, Wehner zu informieren, damit der Brandt auffordere, zurück zu treten. Nollau habe eine Erpressung Brandts befürchtet. Brandt wurde nachgesagt, er habe reihenweise Verhältnisse mit Frauen neben seiner Ehe gehabt.

Guckt man sich an, was damals Kundige sagen, so der NachDenkSeiten- Verantwortliche Albrecht Müller, seinerzeit Leiter der Planungsabteilung im Kanzleramt, wird´s richtig trüb. Er nennt das „Getuschel“. Mehr nicht. Er habe mit beschuldigten Frauen gesprochen. Müllers Fazit: „Deshalb weiß ich, dass die damalige wie auch die neu aufgelegte Behauptung eine Lüge ist.“

Andere, die noch leben und die es besser wissen als die Mauschler, schweigen. Was war geschehen. Man handelte damals mit Annahmen („Hast du Willy gesehen, der ist mit der…,“); man reichte Unterstellungen weiter („wie der….da kannst du doch dran fühlen…“); man verlängerte Augenblicksbeobachtungen. Das waberte nur so daher. Wer nichts zu sagen wusste, weil er nichts wusste, zählte nicht. Wer sich einen Eindruck verschaffen will, wie damals von Teilen der Presse gearbeitet wurde, dem kann ich einen länglichen Spiegel-Text empfehlen. Ein Text über Verdächtigungen gegen Nollau und andere. Es ist wie eine Zeitreise mit der Maschine von H.G. Wells in ein längst untergegangenes Absurdistan.

Auch SPD-Medien beteiligten sich. Am 3. Mai 2024 schrieb die Historikerin Daniela Münkel im Vorwärts: „Helmut Schmidt und Herbert Wehner kritisierten Brandts Führungsstil und unterstellten ihm mangelnde Durchsetzungsfähigkeit. Wehner tat dies sogar öffentlich vor laufenden Kameras und dazu noch ausgerechnet in Moskau.“

Ach so! Vor laufenden Kameras im Flieger! Öffentlich und nicht im Sechs-Augen-Gespräch? Nett gedichtet, kann ich dazu nur sagen. Noch schöner: „Willy Brandt war in dieser Situation nicht entschlossen genug. Um seine Autorität zu wahren, hätte er Wehner nach dessen Indiskretionen und öffentlichen Angriffen als Fraktionschef absetzen müssen.“

Boah. Wie macht ein Kanzler das? Den von den Mitgliedern der SPD-Fraktion gewählten Vorsitzenden absetzen? Einfach mal so: Romm-Bomm und weg! Da fehlen bei Frau Münkel offenkundig einige Stunden im Gemeinschaftskunde-Unterricht. Aber wenn´s gegen Wehner geht….

Vorwärts Redakteur Lars Haferkamp berichtete im Juni 2013 aus einer Veranstaltung in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung über eine Diskussion unter Weggefährten Brandts: „Schnell geht es an diesem Abend nicht mehr nur um Brandt, sondern auch um seine Zeitgenossen: um Herbert Wehner, Helmut Schmidt und Günter Grass. Plötzlich steigt die Spannung. So als Wibke Bruhns Egon Bahr kritisiert: ‘Bahrs Buch geht zu zahm mit Wehner um.’ Nach all dem, was Wehner im Hotel Lux getan habe ­– ‘Wehner war ein Mörder’, sagt Bruhns ­– , sei es ‘unglaublich’, dass die SPD Wehner gestützt habe, als er Brandt von Moskau attackierte mit dem berühmten Satz, der Kanzler bade gerne lau. ‘Welcher Alt-Nazi wäre so hofiert worden wie Wehner, nur weil er abgeschworen hat?’, fragt Bruhns erregt in die Runde. Warum sei Wehner so hofiert worden? Auch von Journalisten. ‘Wo haben wir unseren Verstand gelassen damals?’, will Bruhns wissen.“

Wibke Bruhns war eine Fernsehmoderatorin und Journalistin, sie ist am 20. 6. 2019 gestorben. Sie wurde in er oben angedeuteten Art mit Brandt in Verbindung gebracht – Gemauschel, gegen das sich Bruhns immer gewehrt hat.

Wehner – ein Mörder? Hofiert wie ein „Altnazi“? Energisch widersprochen hat damals niemand – jedenfalls hat Haferkamp nichts entsprechendes berichtet – bis auf einige erklärende Worte Egon Bahrs. Auch Wibke Bruhns kann niemand mehr fragen, was sie sich dabei gedacht hat, als die Wehner bezichtigte, ein Mörder zu sein. Sie ist 2019 gestorben.

„De mortuis nihil nise bene“ – über die Toten nur Gutes – das gilt offenkundig nicht für Herbert Wehner.

Von Autor Klaus Vater ist aktuell ein Buch im Kid-Verlag erschienen. Offenlegung: Der Verleger Hans Weingartz ist Gatte meiner Ex-Chefin Doro Pass-Weingartz. Hier ein Auszug aus dem Verlagsprospekt: “Kleine Furcht, Klaus Vater, Roman, Hardcover, 128 Seitenm 19,80 €, Oktober 2023, ISBN 978-3-949979-45-3.

Theo Kreitz, ein älterer Herr, der in Bonn Karriere gemacht hat, wird beim Abschied aus dem Berufsleben als „dreckiger Zigeuner“ beschimpft und macht sich auf die Suche nach dem, was hinter der Beschimpfung steckt. Kreitz ist kein Sinti, sondern ein Sohn aus einer jenischen Familie, einer vergessenen und verfolgten Minderheit, die es auch im Rheinland gab und gibt. In Mitteleuropa leben Hunderttausende Angehörige dieser Minderheit, deren Vorfahren waren über das Land reisende Händler und Arbeiter, die Tonwaren anboten, Kessel flickten, Alteisen sammelten, die auf Jahrmärkten Waren anboten. Kleine Furcht greift ein jenisches Leben heraus, beschreibt im Rheinland angesiedelt Lebenswege, Diskriminierung, Tradition und Leid in dieser Gruppe.”

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    In der fraglichen Zeit lebte ich noch bei meinen Eltern in Essen. Ich erinnere mich aber, als sei es gestern gewesen, an ein entsprechendes TV-Live-Interview mit Herbert Wehner. Es war eine Schalte. Ob er noch in Moskau war oder schon im Flieger? War es im “Bericht aus Bonn”? Oder einem anderen Magazin? Es war jedenfalls vom Hauptstadtstudio aus geführt. Diese Interviewerinnerung meinerseits fügt sich in die oben kritisierten “Erzählungen” nahtlos ein. Das Interview hat es wirklich gegeben. Aber an welcher Stelle trickst mich meine Erinnerung aus?

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