Theater Freiburg: Don Carlos – in manchen Momenten der Geschichte möchte man, dass das Schweigen übernimmt

Giuseppe Verdi, Don Carlos, Oper in vier Akten  Theater Freiburg, 20. Mai 2024

DON CARLOS // Kerstin Gehrig, Jenish Ysmanov, Anja Jung, Caroline Melzer, Opern- und Extrachor // Foto: Britt Schilling

Don Carlos
Oper in vier Akten

Libretto von Joseph Méry und Camille du Locle,
nach dem Drama DON KARLOS von Friedrich Schiller

Mit Kommentaren von Thomas Köck

Philharmonisches Orchester Freiburg
Opern- und Extrachor des Theater Freiburg
Statisterie des Theater Freiburg

Musikalische Leitung:  André de Ridder
Regie:  Michael von zur Mühlen
Bühne und Kostüme:  Christoph Ernst
Licht Design:  Christoph Ernst, Nicole Berry
Video Design:  Stefan Bischoff
Dramaturgie:   Andri Hardmeier
Chordirektor:  Norbert Kleinschmidt

Theater Freiburg, Freiburg, 20. Mai 2024

von Kathrin Beyer

 Ich bin sehr gespannt auf die Freiburger Inszenierung des Don Carlos, liest sich doch die Vorschau sehr interessant, weil ungewöhnlich. Es heißt, dass Texte des österreichischen Autors und Dramaturgen Thomas Köck eingebaut sind. Wie will man das bewerkstelligen, ohne dass ich mich gestört fühle?, überlege ich im Vorfeld. Außerdem ist das Theater Freiburg für oftmals außergewöhnliche Umsetzungen des Opernstoffs bekannt, ich ging in der Vergangenheit nicht immer glücklich aus den Vorstellungen.

Die Freiburger wählten für ihre Neuinszenierung des Don Carlos die vieraktige Mailänder Fassung. Hier fehlt der Fontainebleu-Akt, der aufzeigt, dass die Menschen gegenwärtig leiden und Angst haben, weil Krieg und kein Ende in Sicht ist und in dem sich Elisabeth und Don Carlos erstmals begegnen.

Die Freiburger Macher wollen nicht komplett auf diesen Hinweis verzichten und haben eine einzigartige und grandiose Idee für den Einstieg.

Stellen Sie sich vor, Sie möchten Ihren Platz einnehmen und der ist schon besetzt… durch den Chor. Ich stand zusammen mit vielen Anderen am Rand, während der Chor aus dem Zuschauerraum eine kurze Zusammenfassung des Fontainebleu- Aktes singt, um den Focus auf das Wesentliche zu lenken, auf die Geschichte, im Sinne von Weltgeschehen.

In Verdis Oper Don Carlos geht es um große Themen wie Freiheit, Menschenwürde, Freundschaft und Liebe inmitten eines politischen Machtkampfes. Die Heirat von Don Carlos und Elisabeth soll für Frieden zwischen Spanien und Frankreich sorgen. Das Schöne: Die Beiden lieben sich tatsächlich. Das Unschöne: Zu dieser Hochzeit kommt es nicht, da Philipp, Vater des Carlos und König von Spanien, Elisabeth heiratet. Diese ist tiefbetrübt, bleibt ihrem Ehemann aber treu, was dieser allerdings nicht glaubt. Der unglückliche Don Carlos hört auf den Rat seines Freundes Posa und zieht in den flämischen Freiheitskampf, um sich gegen das Regime seines Vaters zu wenden und um zu vergessen oder Ablenkung zu finden.

DON CARLOS // Jenish Ysmanov, Anja Jung, Caroline Melzer, Juan Orozco // Foto: Britt Schilling

Die Freiburger Inszenierung wartet mit einigen großartigen Überraschungen auf.

Die ersten beiden Akte erleben wir wie ein „Spiel im Spiel“. Mir scheint es, als wohne ich einer Aufführung bei, die mir nicht gilt. Die Bühne erscheint als Theater, im Vordergrund die Künstlergarderoben, nachfolgend, etwas erhöht, die Bühne und im Hintergrund findet sich der Zuschauerraum, in dem der Chor und Statisten (als das Volk) Platz genommen haben und zuschauen, was die Herrschenden so zu bieten haben, an Intrigen, Entscheidungen, Grausamkeiten und Herzschmerz.

Der Focus ist auf die Musik gelegt. Man wird weder durch ein opulentes Bühnenbild, noch durch große Gesten von der wunderbaren Musik abgelenkt.

In den letzten beiden Akten erhebt sich das Volk, zerlegt das Theater und verlässt die Zuschauerränge und somit die Passivität. Das Volk wird ein „…vielstimmiger, widersprüchlicher Chor und in ein Spannungsverhältnis zu den Entscheidungsträger:innen der Handlung gesetzt…“, ist auf der Seite des Theaters zu lesen. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.

Es wird nachgespürt, wie sich große Entscheidungen auf die einzelnen Menschen auswirken; die Texte Thomas Köcks sollen dabei wohl behilflich sein und meine Gedanken fokussieren. Ich empfinde sie allerdings bisweilen als anstrengend, phrasierend und unnötig, weil ablenkend.

Hier wäre weniger mehr gewesen. Dennoch kann ich mich dem nicht ganz entziehen, da sie bedrückend wahr sind. In manchen Momenten der Geschichte möchte man, dass das Schweigen übernimmt höre ich immer wieder. Meine absolute Zustimmung! Allerdings gilt dies auch für die „Stimme aus dem Orff“, die diese Denkanstöße zu Gehör bringt und mich übrigens an Galadriel aus “ Herr der Ringe“ erinnert.

DON CARLOS // Jin Seok Lee, Opern- und Extrachor // Foto: Britt Schilling

Jin Seok Lee als König Philipp überzeugt mit seinem wunderbar tiefen, ausdrucksstarken Bass. Er schafft es, Macht, Bösartigkeit und Verletzlichkeit stimmlich zu transportieren.

Seine Stimme klingt manchmal wie ein Grollen. Es ist ein Genuss, ihn zu hören.

Jenish Ismanov gibt sowohl einen gefühlvoll-unglücklichen, als auch heldenhaft-kämpferischen Don Carlos. Seine Tenorstimme ist klar und kann sich auch im Zusammenspiel mit dem Orchester und in der Höhe behaupten. Die Duette mit Caroline Mälzer und Mingyu Ahn sind zum Niederknien schön, die Stimmen passen perfekt.

Als Elisabeth ist Caroline Mälzer eine wunderbare Besetzung. Ihr warmer, zarter, bis in die Höhen klarer Sopran, sowie ihre aufrichtige Haltung beeindrucken mich. Sie klingt nie schrill. Scheinbar mühelos strahlt ihre Stimme bis in die letzte Ecke des Hauses und das, obwohl Frau Mälzer eine Kehlkopfentzündung hat und noch nicht ganz genesen ist. Chapeau!

Mingyu Ahn verkörpert den Rodrigo und seine lodernde, kraftvolle, leidenschaftliche und wunderschöne Stimme passt perfekt. Göttlich: Die Duette!

DON CARLOS // Caroline Melzer, Mitglieder des Opern- und Extrachors // Foto: Britt Schilling

Ivo Stanchev, als Mönch und Großinquisitor, ist die nahezu ideale Besetzung. Er singt aus dem Zuschauerraum heraus und sein überaus voluminöser, tiefer, fast schwarzer Bass ist so raumgreifend, dass er bis in die hinterste Ecke gelangt. Ich bin fasziniert von dieser Stimme.

Anja Jung gibt eine dramatische Eboli. Ihr Mezzosopran ist stark und erklimmt unangestrengt alle Höhen und Lautstärken. In ihren emotionalen Momenten höre ich Verletztheit, Wut und Trauer. Sie klingt nie schrill, aber immer stark.

Auch alle weiteren Rollen waren erstklassig besetzt.

Und dann ist da noch der Opern- und Extrachor. Dieser singt so klangschön und stimmgewaltig, dass es mir so manches Mal vor Rührung die Tränen in die Augen treibt.

Das Orchester schafft es, die Sänger zu unterstützen und zu stärken. Nie habe ich das Gefühl, dass diese gegen die Wucht des Orchesters ankämpfen müssen.

Die Dynamik ist dem Geschehen auf der Bühne angepasst und so wird dramatisches, noch großartiger und leises noch gefühlvoller.

Das Freiburger Publikum zeigte sich begeistert, indem es spontanen Szenenapplaus spendete, der mich irritierte.

DON CARLOS // Ivo Stanchev, Jin Seok Lee // Foto: Britt Schilling

Der stürmische Schlussapplaus und die Bravo Rufe waren jedoch allemal verdient.

Ich fühle mich ein bißchen mit dem Freiburger Theater versöhnt.

Auf meinem längeren Heimweg denke ich darüber nach, warum das Einhorn auf der Bühne stand, als Don Carlos und Elisabeth sich ein letztes Mal treffen. Ich war befremdet.

Jetzt weiß ich, dass Einhörner das Symbol für Reinheit, Unschuld und Freiheit sind.

Und durch dieses Wissen kann ich mich mit ihm arrangieren.

Kathrin Beyer, 21. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung

Philipp ll., König von Spanien:  Jin Seok Lee
Don Carlos, Infant von Spanien:  Jenish Ysmanov
Rodrigo, Marquis von Posa:  Mingyu Ahn
Elisabeth, Königin von Spanien:  Caroline Mälzer
Prinzessin Eboli:  Anja Jung
Großinquisitor & ein  Mönch:  Ivo Stachev
Tebaldo, Page:  Cassandra Wright

Sprechstimme( Kommentar Köck):  Marieke Kregel

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