„Theater muss sein“

Deutscher Bühnenvereins, ca. 1997Footnote 1

Die Theaterstatistik (Abb. 2.1) ist eine in der Öffentlichkeit, auch in der Kulturöffentlichkeit, wenig beachtete jährliche Veröffentlichung des Deutschen Bühnenvereins über betriebswirtschaftliche Details aus den Mitgliedsbetrieben, den Stadt- und Staatstheatern, einigen Privattheatern, Theater-, Kultur-, und Rundfunkorchestern. Gesammelt präsentiert werden Kennzahlen für jedes Mitglied, in einem Summenkapitel werden die wichtigsten Daten aggregiert: Plätze, Besuche, Vorstellungen und Konzerte, Personal, Zuschüsse, Einnahmen und Ausgaben.

Nicht einmal in den Theatern interessiert man sich wirklich dafür – den meisten Künstler:innen wird es relativ gleichgültig sein, wie viele Zuschauer:innen genau in einer Vorstellung sitzen und wie die Lage bei den Einnahmen bzw. Ausgaben ist.

Abb. 2.1
figure 1

Theaterstatistik 2020/2021 des Deutschen Bühnenvereins

Darüber schrieb Hilko Eilts in der Verbandszeitschrift des DBV:

„Als vor einigen Jahren Mitglieder des ensemble-netzwerks zu einer ‚Konferenz Konkret zur Rettung des Stadttheaters‘ zusammenkamen, fehlte es nicht an der Formulierung kulturpolitischer Appelle. Das Theater sei ‚eine notwendige und unersetzliche Dimension menschlichen Lebens und Zusammenlebens‘, die Preisgabe der vielfältig gewachsenen Theaterlandschaft samt öffentlicher Finanzierung käme einer Preisgabe von Kultur- und Menschenbegriff gleich. Unbedingt verhindert werden müsse die immer weiter fortschreitende Ökonomisierung und Rationalisierung des Theaterwesens. „Kunst in Zahlen zu messen ist C&A.

– Zahlenaversion versus Datenschutz –

Diese Kombination aus mit Pathos vorgetragenen Legitimationsmythen auf der einen und ausgeprägter Zahlenaversion auf der anderen Seite – sie ist bei Theaterschaffenden weit verbreitet und hat Tradition. Legitimationsmythen begleiten das Stadttheaterwesen seit seiner Entstehung. In Krisenzeiten verdichten sie sich zu regelrechten Dickichten, hinter denen die stadttheatralen Realitäten nahezu verschwinden. Dem Arbeiten mit Zahlen wird in Theaterkontexten folglich – gerne unter Verweis auf den Autonomieanspruch der Kunst — mit Desinteresse oder gar dem stillen Vorwurf der Kunstbanausie begegnet.“Footnote 2

Ganz anders ist natürlich die Lage in der Verwaltung, wo genau diese Daten für Buchhaltung und Controlling von großer Bedeutung sind, dort entstehen auch die Zahlenwerke, die letzten Endes jedes Jahr beim Deutschen Bühnenverein die Zahlengrundlage für die Theaterstatistik bilden.

Die ersten Theaterstatistiken gab es in Deutschland schon im 19. Jahrhundert. Der frühere Theaterleiter und spätere Gründer des Deutschen Bühnenvereins im Jahre 1849 Karl Theodor von Küstner hat seit 1853 mehrere Ausgaben veröffentlicht. Im Vorwort seiner ersten Theaterstatistik schreibt er:

„In Deutschland, wo dem Publicum bei Hof- und Unternehmungstheatern eine Kenntniß über die finanziellen Verhältnisse, über die Einnahme und Ausgabe und die vielfältigen Zweige derselben abgeht, ja wo dasselbe durch falsche Nachrichten darüber häufig irregeführt wird, macht es oft die übertriebensten Anforderungen, was sehr nachtheilig ist. Die wenigsten Personen, selbst die, welche täglich vor den Lampen sitzen, haben eine Idee von der Größe eines Theater-Ausgabeetats, von dem Betrage der sämmtlichen Gehalte und der Menge der nöthigen Ausgaben, als da sind: für Gastrollen, Statisten, Bücher, Manuscripte, Opern, Tantième, Copialien, Porto, Buchdrucker, Buchbinder, Garderobe, Decorationen, Maschinerie, Requisiten, Möbeln, Beleuchtung, Heizung, Reisegelder, Theaterwagen, Gratificationen, Entschädigungen, Vorschüsse, Miethzins, Abgaben, Feuerlöschanstalten und wie sie alle heißen.“

In der Ausgabe von 1857 heißt es vom gleichen Autor:

„Es ist daher stets ein Princip meiner Administration gewesen, hierin die größte und möglichste Veröffentlichung eintreten zu lassen, lediglich aus dem Grunde, daß ich dadurch zu nützen glaubte.”

Es folgt eine lange Durststrecke. Erstmals werden erneut theaterbezogene Statistiken 1899 und 1911 in den statistischen Jahrbüchern deutscher Städte veröffentlicht.Footnote 3 Erst ab Mitte der zwanziger Jahre stehen wieder Zuschusszahlen für die Theater zur Verfügung. Durch die Abschaffung des Kaiserreichs waren nun auch die 20 Hoftheater an die öffentliche Hand übergegangen und wurden nahtlos weiterbetrieben.Footnote 4 Letzte konkrete Zahlen werden 1941 für das Jahr 1939 publiziert.Footnote 5

Nach dem zweiten Weltkrieg wird die Theaterstatistik für die Bundesrepublik umgehend wieder aufgenommen („ein alle zwei Jahre veröffentlichter Teilabschnitt des vom Deutschen Städtetag herausgegebenen „Statistischen Jahrbuchs deutscher Gemeinden“)Footnote 6:

„Das Statistische Jahrbuch deutscher Gemeinden berichtet für das Jahr 1946 über 44 städtische Theater, die einen aggregierten Etat von rund 40 Mio. Reichsmark hatten, wovon 86 % durch eigene Einnahmen, 12,25 % durch städtische Zuschüsse und die verbleibenden knapp 1,75 % durch Zuschüsse von Ländern, Landkreisen oder anderen Städten gedeckt wurden. Im Jahr 1947 zählte die Statistik schon 48 Theater mit einem Gesamtetat von etwa 57 Mio. Reichsmark; die zur Ausgabendeckung nötigen Einnahmen setzten sich nunmehr zu 83 % aus eigenen Einnahmen, zu 14,3 % aus städtischen Zuschüssen und zu 2,7 % aus Zuwendungen der Länder, Landkreise und anderen Städte zusammen.“Footnote 7

Die Vereinheitlichung der Daten scheint nicht ganz einfach gewesen zu sein. So heißt es in der „Geschichte des Deutschen Bühnenvereins seit 1945“Footnote 8:

„Der Nutzen dieser Statistiken kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Sie vermitteln nicht nur der Öffentlichkeit ein Bild über die gesamtwirtschaftliche Lage der deutschen Theater. Das anschauliche Material läßt auch aufschlußreiche Vergleiche zwischen den einzelnen Theatern, Gemeindegrößen und Ländern zu. Diese Statistiken sind übrigens um so aussagestärker, je mehr bei den vorangehenden Erhebungen von einer gleichen Rechnungsführung der Befragten ausgegangen werden kann. Die Vergleiche litten lange Zeit darunter, daß das Schema der Kontenführung in den einzelnen Theaterbetrieben nicht immer das gleiche war. Erste Bemühungen Anfang der 50er Jahre um eine Gesamtordnung waren wenig erfolgreich gewesen. Sie wurden aber 1968 wiederaufgenommen, was schließlich dazu führte, daß 1975 in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt ein grundsätzlich einheitlicher Kontenrahmen für die staatlichen und kommunalen Theater herausgegeben werden konnte.“

Seit 1965 erscheint die Theaterstatistik für die Bundesrepublik jährlich.

Die Theaterstatistik wurde über die Jahre immer umfangreicher und differenzierter. Erschien sie früher nur alle zwei Jahre, wurde sie später jährlich veröffentlicht (Abb. 2.4). Je nach Differenzierungsgrad innerhalb der Theaterstatistiken sind bestimmte Berechnungen daher erst ab bestimmten Jahren möglich. Das ist einer der Gründe, warum manche der Berechnungen in diesem Buch 1949 starten, manche 1951, manche 1991 nach der Wiedervereinigung oder gar erst 2004, als die Kennzahl „Erlös pro Karte“ eingeführt wurde.

Die Summentabellen sind überwiegend so strukturiert, dass zuerst eine Auflistung nach Gemeindegrößen erfolgt, dann werden die gleichen Daten auf Bundesländer gemappt. Für den Stadtstaat Bremen gilt daher: die Zahlen umfassen die Bremer Theater, die Mitglied im DBV sind, also das Theater Bremen, das Stadttheater Bremerhaven, die Bremer Shakespeare Company und das kleine Schnürschuh-Theater (nicht aber weitere Privattheater wie das Theaterschiff, das Packhaustheater, das Boulevardtheater Bremen im neuen Tabakquartier etc.).

Abb. 2.2 zeigt eine Summentabelle aus der Theaterstatistik mit den Verhältniszahlen für Besuche, Einspielergebnisse und Zuschüsse, aufgelistet zuerst nach Gemeindegrößen, dann nach Bundesländern. Zum Schluss die Summenzeile, darunter die Summenzeile aus der vorherigen Spielzeit zum Vergleich.

Abb. 2.2
figure 2

Theaterstatistik 2020/21 – Beispiel für eine Summentabelle

In den Summentabellen werden in der Regel auch Durchschnitte gebildet (z. B. Einspielergebnis in % je Bundesland und insgesamt), allerdings gibt es in den vorliegenden Berechnungen gelegentlich Abweichungen, die möglicherweise auf andere Berechnungsarten oder Rundungsfehler innerhalb der DBV-Statistik zurückzuführen sind, dies ließ sich leider nicht aufklären (s. Beispiel im Anhang).

Zur Genauigkeit und Interpretierbarkeit der Zahlen schreibt der DBV im Vorwort zur Theaterstatistik 2020/2021:

„In den Summentabellen werden die Daten gemäß dem föderalen Prinzip auf Länderebene und schließlich auf Bundesebene aggregiert. Aufgrund ihrer Detailtreue bietet die Theaterstatistik somit zahlreiche Informationen und ist Basis unterschiedlichster Auswertungen. Die Theaterstatistik wird den statistischen Ämtern des Bundes, der Bundesländer und der Gemeinden zur Verfügung gestellt.

Die Interpretation der Daten bedarf an einigen Stellen der differenzierten Betrachtung, so beispielsweise beim direkten Vergleich von Auslastungszahlen zweier Bühnen (Verhältnis der Auslastung zur Anzahl der angebotenen Plätze). Zudem müssen Einwohnendenzahl und Einzugsbereich der gegenübergestellten Häuser berücksichtigt werden. Und zu guter Letzt ist auch die Anzahl der Vorstellungen bei der Interpretation von Auslastungszahlen von Bedeutung. Die Darstellung der Auslastungszahlen dient also eher der Betrachtung der hausinternen Entwicklung als dem Vergleich.

Ähnlich verhält es sich mit den Personalstärken: Im Bereich der Technik etwa sind Vergleiche nur dann möglich, wenn die technischen Rahmenbedingungen einander ähneln. Beispielsweise hat ein Theater, das über ein Bühnenhaus mit Seitenbühne verfügt, bessere Lagermöglichkeiten als eines ohne Seitenbühne. Die geringeren Transportwege und -zeiten wirken sich unter Umständen auf die Personalstärke aus.

Auch die Anzahl der Mitarbeiter:innen in den Verwaltungen lassen sich nicht ohne Kenntnis zusätzlicher Details vergleichen. So erfolgt die Personalabrechnung bei der einen Bühne gegen Verrechnung in der Stadtverwaltung, während andere Bühnen eigene Mitarbeitende hierfür beschäftigen. Auch Aufgabenbereiche wie etwa Hausreinigung, Pforte, Kasse und Garderobe bis zur Betreuung von Webpräsenz und Ticketing werden in einigen Häusern von eigenen Mitarbeitenden übernommen, während andere Häuser diese Bereiche an externe Dienstleistende vergeben.

Diese Beispiele zeigen die Grenzen einer statistischen Darstellung.“Footnote 9

Zum Vergleich zu dieser Einführung findet sich im Anhang analog der Text aus der Theaterstatistik 2004/05. Im Anschluss findet sich drei Seiten mit Änderungsanzeigen für die Theaterstatistik der gleichen Spielzeit.

Im Statistischen Jahrbuch der DDR sind deutlich weniger Zahlen enthalten als in der Theaterstatistik des DBV. Hier ein Beispiel aus dem letzten Statistischen Jahrbuch der DDR von 1990 (Abb. 2.3):

Abb. 2.3
figure 3

Besucherzahlen der DDR-Theater aus dem Statistischen Jahrbuch 1990

Insgesamt gilt: Die grundlegenden Zahlen der Theaterstatistik werden jedes Jahr vom DBV von den Theatern abgefragt. Ob jedes Theater nach der gleichen Methode seine Daten erfasst, kann hier nicht beurteilt werden, auch nicht, ob manche Zahlen z. B. aus (kultur-)politischen Gründen geschönt werden.

Abb. 2.4
figure 4

Theaterstatistiken von den Anfängen bis 2019/20 in der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen.

In den Summentabellen werden seit 1983/84 zum Vergleich die Vorjahreszahlen angegeben (s. Abb. 2.2, letzte Zeile in der Summentabelle). Das ist in der Ausgabe 2020/21 nicht sehr hilfreich, denn 2019/20 war schon von Corona betroffen (Lockdown und Schließungen wegen der Pandemie gab es ab dem 14.3.2020) – besser wäre es gewesen, die letzte vollständige Saison vor Corona (zusätzlich) mit anzubieten – das hätte Vergleiche erleichtert.

Abb. 2.5
figure 5

Auszug aus der vergleichenden Theaterstatistik 1949/50–1984/85

Überarbeitungen und Erweiterungen bei solchen langlaufenden Statistiken sind immer wieder notwendig, ihre Auswirkungen auf Vergleichbarkeit der Daten in längeren Zeitreihen muss immer mitgedacht werden (Tab. 2.1).

Tab. 2.1 Ausgewählte Neuerungen in der Theaterstatistik des DBV

Einen tabellarischen Überblick über Publikationen zur Theaterstatistik in deutschsprachigen Ländern insgesamt gibt Reimar Walthert in seiner Untersuchung zur Operette „Grüezi“Footnote 10 (Abb. 2.6):

„Der monatlich erschienene „Deutsche Bühnenspielplan“ (1896–1944) verzeichnete jeweils alle Aufführungen der professionellen, deutschsprachigen Bühnen des Vormonats. Im für ‚Grüezi‘ relevanten Zeitraum zwischen 1934 und 1944 erschien er ohne Register, weswegen die jeweiligen Aufführungszahlen nur durch manuelle Zählung ermittelt werden können, was sich durch die erschwerte Zugänglichkeit dieser Quelle als herausfordernd erwies. 1929 publiziert Hans Költzsch in der Zeitschrift Die Deutsche Bühne eine zusammenfassende Operettenstatistik der Jahre 1896 bis 1928.

Ab der Saison 1930/31 publizierte Wilhelm Altmann eine jährliche Theaterstatistik für die Oper. Diese erschien im ersten Jahr in der Zeitschrift für Musik, ab der Saison 1931/32 in der Allgemeinen Musikzeitung. Für die Spielzeiten 36/1935Footnote 11 und 37/1936 erschien auch eine Operettenstatistik, die allerdings nur Werke berücksichtigt, die auf mehr als fünfzig Aufführungen kamen. Altmanns Statistik zählte jeweils die Aufführungen von August bis Juli, während die Saison im ‚Deutschen Bühnenspielplan‘ auf den Zeitraum September bis August ausgelegt war. Bei den verzeichneten Aufführungen gibt es Lücken. Immer wieder kam es vor, dass Theater ihre Daten verspätet oder gar nicht einreichten. […]

Nach dem Krieg publizierte der Deutsche Bühnenverein ab der Saison 1955/56 eine Theaterstatistik in seinem Vereinsorgan Die Deutsche Bühne. Für Stücke, die in der Saison 1955/56 über fünfzig Aufführungen erreichten, sind im Novemberheft 1956 auch die Werte ab der Saison 1948/49 verzeichnet. Die Aufführungszahlen wurden jeweils gegen Ende eines Jahres publiziert. Für die erst nachträglich veröffentlichten Jahre 1948/49 bis 1953/54 fehlten in der Statistik die Daten aus Österreich, der Schweiz und der DDR. Ab 1966/67 fehlen die Daten der DDR. Die Publikation ‚Was spielten die Theater: Bilanz der Spielpläne in der Bundesrepublik Deutschland 1947–1975‘ fasste 1978 die Aufführungszahlen häufig gespielter Stücke zusammen. Die Publikation ist aber unvollständig und bezieht sich nur auf die Aufführungen in der BRD. Ab der Saison 1968/69 enthielt die Werkstatistik auch Zuschauerzahlen. Ab der Saison 1981/82 erschien die Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins in einer eigenen Publikation. Eine Übersicht über die verfügbaren Quellen und die in der Statistik enthaltenen Länder liefert folgende Tabelle.“Footnote 12

Abb. 2.6
figure 6

Publikationen zur Theaterstatistik, Autor: Reimar Walthert

Vergleichende Untersuchungen zur Theaterstatistik sind kaum zu finden. Gelegentlich finden sich Zeitreihen zu einzelnen Komplexen. Der Bühnenverein selbst hat bisher drei vergleichende Untersuchungen veröffentlicht, die letzte 1987 (Abb. 2.5).

Auch in anderen Ländern gibt es Theaterstatistiken, die wahrscheinlich am längsten kontinuierlich laufende in Finnland (Downloadlink in der Fußnote):

„The Finnish Performing Arts Statistics – Esittävän taiteen tilastot: Teattern, tanssin ja sirkuksen vuosi 2022 presents some of the most extensive performing arts statistics in the world on theatre, dance, and circus. Statistics on theatre have been collected in Finland since 1944, which today enables the study on changes within the field over the course of almost 80 years.“Footnote 13

In den USA veröffentlicht das National Endowment for the Arts (NEA) ZahlenFootnote 14. Diese beziehen sich auf den US-Census, der alle fünf Jahre stattfindet. Eine Theaterstatistik wie in Deutschland existiert nicht, eine Theaterlandschaft wie in Deutschland auch nicht.

2.1 Einschränkungen bei den Daten

2.1.1 Bundesrepublik

Die Theaterstatistik verzeichnet viele Details zu den Mitgliedern des Deutschen Bühnenvereins. Die Tabellen sind aufgeteilt in öffentliche Theater (inkl. Theaterorchester), Privattheater, Kultur- und Radiosymphonie-Orchester und Festivals. Zur MitgliedschaftFootnote 15 schreibt der Deutsche Bühnenverein (DBV):

„Der Deutsche Bühnenverein ist einer der ältesten und größten Theaterverbände der Welt. Er vereinigt 636 Mitglieder unter seinem Dach: Die Stadt- und Staatstheater einschließlich aller Opernhäuser, die Landesbühnen, zahlreiche Privattheater und die Orchester. Dazu kommen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und andere Institutionen als außerordentliche Mitglieder sowie die Intendant:innen und Verwaltungsdirektor:innen als persönliche Mitglieder.“

Die Daten der öffentlichen Theater werden im Kapitel „Summentabellen“ aufsummiert, die Privattheater, Kulturorchester und Festivals haben ihre eigenen Summentabellen. Eine Aufsummierung aller Daten fehlt, mehr dazu im Kapitel über die Privattheater.

Interessant ist die Zuordnung mancher Einrichtungen, so ist z. B. der Berliner Friedrichstadtpalast mit seinen Shows/Varieté-Programmen (2022: 432.468 Besuche) bei den öffentlichen Theatern aufgeführt (das Land Berlin ist seit einigen Jahren Eigentümer), ein Varieté wie das Berliner Chamäleon nicht, weil es ein Privattheater ist.

Ebenfalls bei den Privattheatern aufgeführt: die Berliner Schaubühne oder das Berliner Ensemble.

Fun Fact: Die Residenz des Berliner Ensembles, das Theater am Schiffbauerdamm, gehört einer Stiftung des Dramatikers Rolf HochhuthFootnote 16 (gest. 2020) und ist langfristig an das Land Berlin vermietet. Das Berliner Ensemble selbst wird unter den Privattheatern aufgeführt.

Keine Erwähnung finden die 416 INTHEGAFootnote 17-Mitglieder (Interessengemeinschaft der Theater mit Gastspielen), die teils von privaten Tourneeanbietern, teils von Landestheatern und freien Gruppen bespielt werdenFootnote 18. Die INTHEGA hat erstmals eine Theaterstatistik beauftragt bei Prof. Dr. Dieter Haselbach vom Zentrum für Kulturforschung Footnote 19. In den vergleichenden Untersuchungen zur Theaterstatistik von 1949–1974 und 1949/50–1984/85 werden INTHEGA-Daten zitiert. Für 1983 nimmt die Theaterstatistik z. B. 6.595.000 Besuche an. Für die Spielzeit 2018/19 geht die INTHEGA laut einer Pressemitteilung vom 21.9.2023 von ca. 3 Mio. Besuchen aus.Footnote 20

Die Daten wurden aus den statistischen Jahrbüchern der Bundesrepublik entnommen. Ebenso fehlen die Soziokulturellen Zentren und die freien Produktionshäuser wie der Frankfurter Mousonturm, Hamburgs Kampnagel oder Berlins Sophiensäle.

Bei den Orchestern fehlt z. B. die Deutsche Kammerphilharmonie BremenFootnote 21. Private Konzertagenturen wie Dr. GoetteFootnote 22 mit seinen zahlreichen Konzerten und Aboreihen, z. B. in der Elbphilharmonie, der Bremer Glocke etc. sind ebenso wenig verzeichnet wie Tourneekünstler à la David Garrett oder André Rieu. Der kleine aber feine Bremer SendesaalFootnote 23 (ehemals Radio Bremen) mit seinen ca. 80 Konzerten im Jahr mit 250 Plätzen ist nicht verzeichnet. Das Konzerthausorchester Berlin ist vertreten, nicht aber die übrigen Veranstaltungen im Konzerthaus Berlin, die teils durch Fremdveranstalter durchgeführt werden.

Bei den Sparten sind Musicals verzeichnet, es sind aber nur die Zahlen der öffentlichen Theater erfasst, kommerzielle Erfolgsmodelle wie „König der Löwen“ der Stage Entertainment (2019: ca. 3,5 Mio. TicketsFootnote 24) oder die Harry-Potter-ShowFootnote 25 von BB-Promotion kommen nicht vor.

Es wäre aber wünschenswert, alle diese Daten zu erheben und in einer zentralen Kulturstatistik zusammen mit den Besuchen von Museen und Ausstellungen zu erfassen und auszuwerten. Regionale Ansätze dazu gibt es (s. die Arbeit des IKTFFootnote 26 in Berlin), die geplante ausführliche Erhebung von Kulturdaten (2023 ff.) in NRW (in Kooperation mit dem IKTF) und die geplante Erhebung in Hamburg (Kultursenator Carsten Brosda ist gleichzeitig Präsident des Deutschen Bühnenvereins), allerdings mit anderen Partnern und anderer Methodik, was wahrscheinlich zu wenig kompatiblen Daten führen wird.

Auf die Berechnung des Inflationsausgleichs anhand des Verbraucherpreisindexes wurde weitgehend verzichtet (Ausnahme: das Kapitel zum Thema Betriebszuschuss), um die Berechnungen und Darstellungen nicht weiter zu verkomplizieren.

Auch haben sich oft von Jahr zu Jahr Änderungen bei teilnehmenden Theatern ergeben, mal fehlt ein Haus, mal kommt eins dazu; gelegentlich scheinen auch Daten zu spät abgegeben worden zu sein, sodass einzelne Veranstalter oder Sparten manchmal nicht berücksichtigt werden. Auch lebt die Theaterlandschaft: Häuser werden geschlossen (selten), neue Theater kommen hinzu. Insofern ist die Grundgesamtheit der Daten über die Jahrzehnte nicht gleichgeblieben (Abb. 2.7). Die Theaterstatistik bietet daher m. E. Näherungswerte, ist aber keine exakte Wissenschaft.

Abb. 2.7
figure 7

Theaterstatistik 2000/01, Anmerkungen zu einer Summentabelle

Auch für diese Untersuchung gilt: Nicht alle Summen innerhalb der Theaterstatistik sind nachvollziehbar. Die tabellarische Übersicht der letzten vergleichenden Statistik von 1987 für die Jahre 1949 bis zur Spielzeit 1984/85 enthält Besuchszahlen, die abweichen von den Besuchszahlen, die in den einzelnen Jahresstatistiken enthalten sind (im Zweifel wurden die Zahlen für die Analysen in diesem Text aus den Vergleichsstudien übernommen).

2.1.2 DDR

Auch die DDR führte eine Theaterstatistik. Die Datenlage für die Theater der DDR ist nicht ganz so gut dokumentiert wie die der bundesdeutschen Theater in der Theaterstatistik. Das Zahlenmaterial ist eher sparsam im Vergleich, über ökonomische Faktoren oder Personalstärken wird nicht berichtetFootnote 27. Inwieweit die dort abgebildeten Zahlen der Realität entsprechen, lässt sich heute natürlich nicht mehr feststellen. Ich halte es für denkbar, dass diese Zahlen zumindest teilweise ideologisch aufgeladen wurden.Footnote 28 Da aber die Besuchszahlen in der DDR ebenso abnehmen wie in der Bundesrepublik, ist ihnen ein gewisser Erkenntniswert sicher nicht abzusprechen.

In den Statistischen Jahrbüchern der DDR sind Zahlen zu Veranstaltungen und Besuchen in Theatern und Konzerten enthaltenFootnote 29. Eine ausführliche Darstellung bezogen auf die SBZ von 1945–49 aber durchaus mit einer Gesamteinschätzung der Entwicklung auch in der späteren DDR findet sich bei Achten-Gozdowski Footnote 30 und Schiller.

Grundsätzliche Probleme mit der DDR-Statistik beschreibt 2022 Thomas Rahlf in „Deutschland in Daten – Zeitreihen zur historischen Statistik“ in einem Buch der Bundeszentrale für politische Bildung im Kapitel zur DDR:

„Nicht zu unterschätzen ist außerdem die politische Funktion der Statistik: Sie hatte die Erfolge des sich als Alternative zum marktwirtschaftlich-liberalen System des Westens verstehenden Staatssozialismus zu dokumentieren und öffentlich zu propagieren. Dabei führte politische Opportunität dazu, dass Unliebsames, wie zurückbleibende Produktionsentwicklungen, seltener unmittelbar gefälscht als eher geheim gehalten wurde. […] Wegen dieser Probleme stößt auch die Einordnung der DDR-Daten in die langfristige statistische Darstellung sowie der synchrone Vergleich mit der Statistik der Bundesrepublik auf kardinale Schwierigkeiten vielfältiger Natur, die nur partiell zu lösen sind.“Footnote 31

Allerdings heißt es in einer Aufarbeitung der DDR-Statistik insgesamt durch das Statistische Bundesamt auch:

„Unter den gegebenen Voraussetzungen kann die Gesamtheit der vorliegenden Datenmassive der DDR-Statistik, die im Verlaufe einer vierzigjährigen Arbeit entstand, im wesentlichen als reale Widerspiegelung der jeweils erfaßten wirtschaftlichen und sozialen Prozesse angesehen werden. Dies schließt nicht aus, daß es in einzelnen Teilbereichen nur unzulänglich gelang, die Realität zu reflektieren bzw. einige erfaßte statistische Daten nur momentanen politischen Interessen dienten und für eine langfristige analytische Arbeit unbrauchbar waren.“Footnote 32

Dominik Frank hat sich in seiner Dissertation „Hinter dem Vorhang: Oper- und Musiktheaterdiskurse in der DDR“Footnote 33 ausführlich mit dem Thema Diskursfreiheit beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass es eine hohe Diskursfreiheit gab und Diskussionen über missliebige Stücke durchaus öffentlich geführt wurden:

„Der ‚Konstruktionsfehler‘ eines sozialistischen totalitären Staates […] war, dass er beides wollte: Ein konformes ‚Staats-Theater‘ und eine lebendige, diskursive Kunst, die mithelfen sollte, den Sozialismus zu einer idealen Zukunft fortzuentwickeln. Dieser Widerspruch führte dazu, dass Künstler*innen die Möglichkeit gegeben wurde – sofern sie die Bausteine der sozialistischen Rhetorik geschickt anzuwenden wussten – jede Art von Werk- und Regiekonzept als ‚sozialistisch‘ auszuweisen. Spätestens seit der Liberalisierung der Kulturpolitik war damit Tür und Tor für eine wirkliche Avantgarde geöffnet: Wurden in den ersten Jahrzehnten der DDR die weitreichenden Versuche zwar ermöglicht, dann aber verboten, war seit den 1970er Jahren praktisch alles möglich, wie die Musiktheater-Performance Missa Nigra sowie die das Werk in die Entstehungszeit versetzende Inszenierung des Ring des Nibelungen durch Joachim Herz zeigen. Da die staatliche Subventionierung und das öffentliche Interesse an Oper, Musiktheater und den damit verbundenen Diskursen gleichbleibend hoch war, wurden ideale Bedingungen für eine Weiterentwicklung dieser Kunstform geschaffen, die auch großen Einfluss über die Staatsgrenzen der DDR hinaus hatte: zuerst auf Westdeutschland (beispielhaft sei der sogenannte Bayreuther „Jahrhundertring“ genannt, der drei Jahre nach der Leipziger Inszenierung große Teile der dortigen Konzeption wiederholte); später auf die wiedervereinigte BRD und das internationale Musiktheater.“

2.2 Zur Methodik der Datenerfassung

„Ich bewundere Menschen, die sich in Regeln und

Gesetze investieren, in Excel-Tabellen und Finanzen.“

Thalia-Theater Intendant Joachim Lux.Footnote 34

Sowohl die Theaterstatistik als auch die vorliegenden Berechnungen sind sicher nicht fehlerfrei, aber alle erfassten Daten wurden nach bestem Wissen und Gewissen überprüft.

Mit diesen Methoden wurden die Daten aus den Theaterstatistiken übernommen:

  • Abtippen

  • Copy & Paste aus Summentabellen, sofern sie als PDFs vorliegen (der DBV hat vor einigen Jahren begonnen, die Summentabellen als PDFs zu veröffentlichten, allerdings wurden bisher immer nur die Summentabellen der letzten veröffentlichten Statistik veröffentlicht)

  • Scannen und OCR: Manche Daten wurden eingescannt und über ein OCR-Programm (Optical Character Recognition) ausgelesen. Nur wenige OCR-Programme können spaltenbasierte tabellarische Daten erkennen und entsprechend verarbeiten. Liegen dann die Daten im maschinenlesbaren Format vor, müssen ev. die Tausender-Trennpunkte entfernt werden, die in Excel zu Fehlern führen würden. Zusätzlich müssen falsch erkannte Zahlen, (doppelte) Leerzeichen, Dezimalzeichen usw. manuell korrigiert werden.

  • Übernahme der Daten in Excel, Prüfung auf Plausibilität und Prüfung der Summenspalten durch eigene Quersummen.

2.3 Wichtige Hinweise zum Verständnis der Theaterstatistik

  • Gezählt werden Besuche, nicht Besucher:innen, auch wenn die Spaltenüberschrift über viele Jahrzehnte „Besucher“ hieß. Wie viele unterschiedliche Menschen die Theater besuchen, kann aus den vorhandenen Daten nicht abgelesen werden.

  • Demographische Merkmale wie Alter, Geschlecht, Einkommen etc. sind aus den Daten nicht herauszulesen.

  • Für 2004/5 fehlen einige Zahlen, in manchen Statistiken sieht man daher eine Lücke. Die Fehler in dieser Statistik sind dem DBV bekannt und lassen sich nachträglich nicht mehr reparieren.

  • Während der Pandemie hat es Vorschriften gegeben, wie viele Zuschauer:innen sich im Saal aufhalten dürfen, die Anzahl der Plätze ist durch den Ausbau von ganzen Reihen oder die Belegung von Plätzen im Schachbrettmuster reduziert worden. Die Auslastung in Prozent reflektiert diese Beschränkung. Das Theater Bremen gibt z. B. für 2020/21 an, dass „baukonzeptionell“ 878 Plätze vorhanden sind, aber nur 125 „dem Publikum angeboten“ werden. Es sind also Plätze gesperrt worden – auf der Basis gesetzlicher Vorgaben.

Tab. 2.2 (Simulation Besuche bei Abonnent:innen) zeigt in einer Simulation beispielhaft, wie aus 1600 Besucher:innen (hier: Paare) 32.000 Besuche für die Statistik werden können (und umgekehrt).

Tab. 2.2 Simulation Besuche bei Abonnent:innen

2.4 Sperrungen: Gefahr der Manipulation

Sperrungen sind von ganzen Bereichen im Theater sind gängige Praxis. Gelegentlich werden für Produktionen Plätze im Zuschauerraum gesperrt, wenn die Schauspieler:innen z. B. den Zuschauerraum bespielen (oder: im 2. Rang tritt der Chor auf). Aber auch wenn Produktionen nicht oder nur schlecht laufen, werden schon mal ganze Bereiche wie die Ränge gesperrt. Diese gesperrten Plätze werden dann möglicherweise bei der Berechnung der Auslastung weggelassen, was die Quote der prozentualen Auslastung erhöht.

Ein Rechenbeispiel (Tab. 2.3):

Tab. 2.3 Beispielrechnung für Sperrungen

Abb. 2.8 zeigt ein Beispiel für einen Saalplan mit Sperrungen: im Beispiel ist im Großen Haus der Orchestergraben (Reihen A-E) gesperrt, weil es sich wohl um eine Schauspielproduktion handelt (der Orchestergraben ist dann überbaut). Beide Ränge sind gesperrt.

Abb. 2.8
figure 8

Beispiel für gesperrte Plätze bei einer Produktion im Theater Bremen

Sperrungen können auch künstlerische Gründe haben, wenn z. B. ein Chor im 2. Rang auftritt, wie im Theater Bremen bei der Musiktheaterproduktion „Dr. Atomic“Footnote 35.

Auch Röper widmet sich in seinem Handbuch dem Thema „Sperren“ (s. o.).Footnote 36

Die Theaterstatistik beschäftigt sich mit der Vergangenheit, das liegt in der Natur der Sache. Für die Aufbereitung benötigt der DBV bis zu eineinhalb Jahre. Gerade zu einer Zeit, in der viel über PublikumsschwundFootnote 37 berichtet wird (quod erat demonstrandum), braucht es eigentlich aktuelle Zahlen.

Zu den Entwicklungen 2022 hat der Bühnenverein im Februar 2023 eine Umfrage veröffentlicht. Die Besuchszahlen stiegen wieder. Allerdings hatte sich nur ca. ein Drittel der Mitglieder an der Umfrage beteiligt, was die Aussagekraft der Untersuchung schmälert. Die Pressemeldung des DBV findet sich hierFootnote 38, mein Blogbeitrag dazu hierFootnote 39.

2.5 Kritische Befunde zur Theaterstatistik der BRD

Die Theaterstatistik ist immer wieder mal im Visier zeitgenössischer Autoren. So schrieb Curt Riess 1970 in seinem Buch „Theaterdämmerung“:

„‘Theater heute‘ hat vor einigen Jahren versucht, die Statistiken des Deutschen Bühnenvereins zu deuten. […] In den Statistiken des Deutschen Bühnenvereins gibt es nur Zahlen. Zahlen der Aufführungen, Zahlen der Inszenierungen oder der Theater, säuberlich getrennt nach Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz. Aber diese Zahlen sind trügerisch. Das Lesen von Statistiken ist eine Wissenschaft für sich. Um sie zu verstehen, muß man einiges wissen – zum Beispiel, wie groß die einzelnen Theater sind. Ein Stück wird an einem Theater mit 500 Plätzen hundertmal gespielt; vielleicht ist es nicht einmal ausverkauft, aber selbst dann sehen es nur 50.000 Zuschauer. Ein anderes Stück wird nur dreißigmal gespielt, aber an einem Theater mit tausend Plätzen, und so können es 30.000 Zuschauer sehen.“Footnote 40

Das Meinungsforschungsinstitut Infratest hat 2000 eine Untersuchung veröffentlicht, die sich nicht auf Zeitreihen bezog, sondern versucht hat, aus den Zahlen der Theaterstatistik 1997/98 diverse Rankings abzubilden. Dazu schrieb damals Prof. Dieter Haselbach:

„Vielleicht ist das Projektteam bei Infratest Opfer einer Statistik geworden, die gegenüber jedem Interpretationsansatz recht sperrig ist. Die Studie kann beanspruchen, dass ihre Kennzahlen nur anders darstellen, was in der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins auch schon steht. Und trotzdem verfehlt sie die Sache. Mit diesem Scheitern demonstriert Infratest, wie schwierig es ist, die Theaterstatistik sachangemessen zu interpretieren.“Footnote 41

Henning Röper hat 2000 mit seiner DissertationFootnote 42 ein umfangreiches Handbuch für ein neues Theatermanagement vorgelegt. Im Kapitel „Durchführung von Betriebsvergleichen“ widmet er sich dem genannten Thema und schaut sich dazu die Theaterstatistik des Bühnenvereins genau an. Er konstatiert:

„Leider bringen die Daten der Theaterstatistik für einen Vergleich aber auch einige gewichtige Probleme mit sich.“

Er bemängelt die Schwierigkeit der Verknüpfung von Daten wegen unterschiedlicher Bezugsgrößen, die mangelnde Aufschlüsselung z. B. bei Werkstätten und technischen Diensten, Unklarheiten über nicht enthaltene Ausgaben (bei Regiebetrieben sind häufig Aufgaben ausgelagert an die Träger) und die fehlende Aktualität.

Röper macht dann sehr konstruktive Vorschläge für eine vereinfachte, aussagekräftigere Theaterstatistik mit folgenden Kennzahlen: erreichte Besuche, Zuschauerbetrag je Besuch, Angebotene Vorstellungen, Zuschussbetrag je Vorstellung, Anzahl Neuproduktionen, Eigenfinanzierungsquote. Damit ließe sich ein wirtschaftlicher Betriebsvergleich besser realisieren als mit der bisherigen Struktur der Theaterstatistik.

Insbesondere Auslastungsquoten hält er für problematisch, da sie eben keine absoluten Zuschauerzahlen, sondern die Quoten in Bezug auf vorhandene Plätze bringt. Er erläutert es am Beispiel Hamburg: Wenn das Thalia-Theater zu 100 % ausgelastet ist, handelt es sich um 998 Besuche. Diese Anzahl von Besuchen im Deutschen Schauspielhaus in der Nähe würde „nur“ eine Auslastung von 71 % bedeuten bei den 1.397 Plätzen des Schauspielhauses (Anm.: Ähnlich argumentieren auch immer die drei Berliner Opernhäuser bei AuslastungsvergleichenFootnote 43).

Hervorzuheben ist der konstruktive Ansatz mit Vorschlägen für eine Neugestaltung der Theaterstatistik.

In seiner Dissertation „Kosteneffizientes Theater? – Deutsche Bühnen im DEA-Vergleich“Footnote 44 kritisiert Stefan Tobias 2003:

  • „Viele Theater liefern nur lückenhafte Daten. (Man fragt sich, ob sie sie womöglich selbst nicht kennen oder aber einfach für zu unbedeutend für eine Veröffentlichung halten.)

  • Rund 60 % der öffentlichen Theater rechnen ihre Ausgaben per Kalenderjahr ab und nicht per Spielzeit (vgl. 4.1.1). Bei ihnen ist also die zeitliche Abgrenzung von Inputs und Outputs verschieden. Dies macht es nicht nur für das Theater selbst schwierig, sich über das Input–Output-Verhältnis und seine Entwicklung Klarheit zu verschaffen, sondern behindert auch den Vergleich mit anderen Theatern. (Die anteilige Approximation der Ausgaben in einer Spielzeit wie gemäß 4.1.1 ist nur als Behelf zu werten.)

  • Die laufenden Personalausgaben dürften den laufenden Personalaufwand kaum vollständig erfassen, da sie künftig fällig werdende Ansprüche (Pensionen etc.) nicht berücksichtigen. Die periodisch saubere Abgrenzung der Aufwendungen dürfte eine doppelte Buchführung durch die Theater voraussetzen. […]

  • Für die Orchester fehlen Angaben über die Anzahl einstudierter Programme. Ein Vergleich allein anhand der Anzahl von Konzerten (und ggf. weiterer Outputs wie der Anzahl geleisteter Operndienste) muss daher unterstellen, dass die Anzahl einstudierter Programme nichts zählt oder aber dass sie sich proportional zur Anzahl von Konzerten verhält.

  • Generell fehlen wesentliche Angaben zu Privattheatern, nämlich zu ihren Ausgaben und zur Anzahl ihrer Inszenierungen in einer Spielzeit.“Footnote 45

Der Kulturwissenschaftler Tillmann Triest hat sich in seinem Buchbeitrag „Kennzahlen der Theater als legitime Entscheidungsgrundlage?“ ganz aktuell ebenfalls kritisch mit der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins auseinandergesetzt. Seine Motivation:

„Ausgehend von diesen Überlegungen verfolgt der Beitrag das Ziel, für ein kritisches Verständnis im Umgang mit den Theaterstatistiken des DBV zu sensibilisieren und der Frage nachzugehen, welchen Zugriff die Statistiken insbesondere als Instrument zur Legitimationsgenese erlauben beziehungsweise erfordern. Nach Einführung in Logik und Aufbau der Statistiken werden anhand ausgewählter Beispiele Ungereimtheiten, Widersprüche und Problemfelder analysiert. Die Erkenntnisse werden somit nicht nur von methodischem Interesse sein, sondern ermöglichen auch, eine kulturpolitische Tragweite aufzuzeigen, die die Verantwortung des DBV an dieser Stelle zumindest teilweise infrage stellt.“Footnote 46

Für sechs Bereiche zeigt Triest an Beispielen auf, wie problematisch die Theaterstatistik sein kann (Tab. 2.4):

Tab. 2.4 Problembereiche der Theaterstatistik nach Tillmann Triest

Die Beispiele sind schlüssig und zeigen auf, dass viele Daten der Theaterstatistik mit Vorsicht zu betrachten sind (s. auch Kasten „Einschränkungen“). Einen Teil seiner Einwände behandelt auch dieser Text.