Die digitale Transformation ist zu einem kritischen strategischen Imperativ für Organisationen in nahezu allen Branchen geworden. Der Erfolg von Digitalisierungsinitiativen geht jedoch über die reine Technologieimplementierung hinaus; er hängt maßgeblich von der Unternehmenskultur ab. Die Bedeutung der Unternehmenskultur bei der digitalen Transformation ist elementar. Dieses Kapitel zielt darauf ab, eine eingehende Analyse der Rolle und des Einflusses der Unternehmenskultur während der digitalen Transformation zu liefern. Vor, während und nach konkreten Projekten zur digitalen Transformation müssen spezifische kulturelle Aspekte gezielt adressiert werden, damit diese umfassende Veränderung gelingen kann. Zudem erfordern die unterschiedlichen Phänomene von Präsenz- und Digital-Kulturen eigene Schwerpunkte und Ansätze.

Bei der Gestaltung der immer virtueller werdenden Unternehmenskultur stellt sich für die Unternehmen eine dreifache Herausforderung:

  • Wie kann die Präsenzkultur entwickelt werden?

  • Wie kann die digitale Unternehmenskultur gefördert werden und

  • wie können diese Formen integriert synergetisch als ein harmonisches Ganzes funktionieren?

Zum Schluss werden Wege zu einer erfolgreichen virtuellen Unternehmenskultur skizziert, die eine Synthese zur hybriden Unternehmenskultur ermöglichen: eine Kombination von Präsenz- und digitaler Kultur.

3.1 Verständnis von Unternehmenskultur

Unternehmenskultur bezieht sich auf die gemeinsamen Werte, Überzeugungen, Normen, Verhaltensweisen und Artefakte, die die kollektive Denkweise und Handlungen der Individuen in einer Organisation prägen. Sie dient als Grundlage dafür, wie Mitarbeiter Veränderungen, einschließlich der digitalen Transformation, wahrnehmen und interpretieren. Die Kultur spiegelt die Geschichte der Organisation, den Führungsstil und die geteilten Annahmen wider, die Entscheidungsfindung und Verhalten lenken. Die Unternehmenskultur manifestiert sich aus dem vorherrschenden Mindset und dem aktuellen Verhalten. Unternehmenskulturen sind zwar in der Regel sehr stabil („Culture eats strategy for breakfast“), sie können dennoch systematisch entwickelt und verändert werden. Methoden zur Gestaltung der Unternehmenskultur können dabei sowohl das Mindset mittelbar, als auch das Verhalten unmittelbar beeinflussen (Herget 2020).

Unternehmenskultur ist omnipräsent – man kann sich ihr nicht entziehen. Sie definiert den Möglichkeitsraum dessen, was im Unternehmen gefördert oder behindert wird. Sie stellt die Wegweiser dar, nach denen wir unser Verhalten ausrichten. Unternehmenskultur wird vor allem durch informelle Lernprozesse angeeignet. Es sind nicht die offiziellen Manifestationen wie das Leitbild, die Mission, die Vision oder die Werte, sondern es ist das tatsächlich gelebte Verhalten der Organisationsmitglieder. Sie repräsentiert die von einer Mehrheit geteilten Erwartungen an das Verhalten von Mitarbeitern.

 Die Unternehmenskultur repräsentiert Normen, Werte und Verhalten, die in einer Organisation von einer Vielzahl von Mitarbeitern akzeptiert und geteilt werden. Die Unternehmenskultur stellt somit eine soziale Norm dar, die erwünschtes Verhalten belohnt und unerwünschtes Verhalten sanktioniert. Sie wird als Erwartungshaltung an das Verhalten von Organisationsmitgliedern betrachtet (Herget 2020, S. 4).

Die Wichtigkeit und Bedeutung der Unternehmenskultur für den Unternehmenserfolg ist weithin anerkannt. Allerdings fehlt es oftmals an Wissen, welche Unternehmenskultur adäquat wäre, wie diese entwickelt und wie sie im täglichen Leben verankert werden kann. Nur die wenigsten Unternehmen kennen ihre eigene Unternehmenskultur und ebenso finden nur die wenigsten Mitarbeiter, dass die herrschende Unternehmenskultur überhaupt eine Bedeutung für sie im täglichen Arbeitsalltag entfaltet. Die empirischen Befunde senden eine klare Botschaft (siehe zur Synopsis der Studien Herget 2020):

  • 94 % der Führungskräfte gehen davon aus, dass eine gute Unternehmenskultur wichtig für den Unternehmenserfolg sei;

  • 88 % der Mitarbeiter gehen ebenfalls davon aus, dass eine gute Unternehmenskultur wichtig für den Unternehmenserfolg sei;

  • 82 % von Managern betrachten die Unternehmenskultur ebenso als Wettbewerbsfaktor;

  • 28 % der Manager verstehen die eigene Unternehmenskultur gut, also fast drei von vier (!) Managern verstehen ihre eigene Unternehmenskultur nicht gut;

  • 19 % gehen davon aus, die richtige Unternehmenskultur zu besitzen, mehr als vier von fünf (!) Managern gehen also nicht davon aus, die richtige Unternehmenskultur zu besitzen;

  • 87 % der Mitarbeiter glauben nicht an die propagierte Unternehmenskultur ihres Unternehmens;

  • 90 % der Mitarbeiter fördern mit ihrem Verhalten nicht die gewünschte Unternehmenskultur.

Wenn also schon in normalen, analogen Umgebungen die Gestaltung der Unternehmenskultur für die meisten Unternehmen eine große Herausforderung darstellt, so wird die gezielte Entwicklung der Unternehmenskultur im zunehmend digitalen Raum noch eine viel größere Herausforderung.

3.2 Kompetenzanforderungen in der digitalen Welt

Zunächst dient ein Blick auf einige relevante Studien zu benötigten Kompetenzen im Digitalisierungsprozess zur Identifikation von Ansatzpunkten, die es im Kulturentwicklungsprozess besonders zu berücksichtigen gilt.

3.2.1 Individuelle Kompetenzanforderungen

In den seit 2011 durchgeführten Untersuchungen von Hays,Footnote 1 die als HR-Reports publiziert werden, wurden 2017 als die drei wichtigsten Themen im Rahmen der Digitalisierung eruiert:

  • die Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen,

  • die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur und

  • die Vorbereitung der Mitarbeiter auf die digitale Transformation.

Diese Themen dominieren nach wie vor die Diskussion, wie auch im letzten Kapitel verdeutlicht wurde.

Die vier genannten wichtigsten persönlichen Herausforderungen für Mitarbeiter, bei denen ein hoher Handlungsbedarf besteht, finden sich in Tab. 3.1.

Tab. 3.1 Kompetenzen mit hohem Handlungsbedarf. (Quelle: Hays 2017, S. 16)

Auch diese genannten Kompetenzen bedürfen zur Ausprägung eine fördernde Unternehmenskultur, sonst können sie im betrieblichen Alltag überhaupt nicht entwickelt und gelebt werden.

Welche Maßnahmen, mit der Digitalisierung umzugehen, werden von den Befragten als vordringlich eingeschätzt? Die drei wichtigsten Herausforderungen sind in Tab. 3.2 genannt.

Tab. 3.2 Herausforderungen in Bezug auf Kompetenzvermittlung und -erwerb. (Quelle: Hays 2017, S. 17)

Damit wird deutlich, dass von den Unternehmen auch einzelne Mitarbeiter in die Pflicht genommen werden, die digitale Transformation aktiv zu gestalten. Eine zunehmende Individualisierung der Verantwortung sollte jedoch wesentlich von den Führungskräften gefördert und auch in der Unternehmenskultur verankert werden.

Information, Kommunikation, Transparenz, Vertrauen, Kompetenzvermittlung, Partizipation und Mit-Entwicklung avancieren zu zentralen Faktoren erfolgreicher Transformationsprozesse.

Die vorgestellten Ergebnisse zeigen deutlich: Die digitale Transformation muss bereits vor konkreten Digitalisierungsmaßnahmen entsprechend vorbereitet und begleitet werden. Wichtige Initiativen sind bereits in der Vor-Phase zu setzen, um eine gelungene Transformation überhaupt zu ermöglichen.

3.2.2 Organisationale Kompetenzanforderungen

Werfen wir jetzt einen Blick auf die Unternehmen als betrachtetes System. Welche Anforderungen werden in der Praxis an die Unternehmenskultur als Rahmen für Digitalisierung gestellt? Die Top-5-Themen im Bereich Kommunikation finden sich bezüglich ihrer Wichtigkeit in Tab. 3.3.

Tab. 3.3 Wichtigste Themen im Bereich Kommunikation. (Quelle: Hays 2017, S. 21)

Unternehmenskulturellen Aspekten kommt – wenig überraschend – eine zentrale Bedeutung bei der Bewältigung der sich durch die Digitalisierung stellenden Herausforderungen zu. Führung ist dabei besonders notwendig, um vorbildhaft den Wandel aktiv anzugehen sowie die Mitarbeiter „mitzunehmen“.

Proaktives und offenes Klima, aufbauend auf Vertrauen in die eigenen Kompetenzen, sind die Schlüsselfaktoren, um die Transformationserfordernisse angemessen zu meistern.

3.2.3 Anforderungen an die Führung

Schließlich sollen hier noch die Anforderungen an die Kompetenzen der Führungskräfte skizziert werden, wie sie im digitalen Zeitalter gesehen werden. Die Metastudie (2019) stellt folgende drei Kompetenzen als die wichtigsten dar, wie in Tab. 3.4 dargestellt.

Tab. 3.4 Wichtigkeit von Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter. (Metastudie 2019)

Mit diesen Einschätzungen werden die vorherigen Aussagen eindrücklich bestätigt: Digitale Transformation stellt die Mitarbeiter, die Organisation und die Führungskräfte gleichermaßen vor einige Veränderungsanforderungen. Digitale Transformation ist kein „Business-as-Usual“.

Die Führungskräfte müssen als aktive Change Agents wirken.

3.3 Ausprägungen der verschiedenen Unternehmenskulturen

Unternehmenskulturen sind zunehmend hybrid, sie kommen zunehmend in verschiedenen Ausprägungen vor, sowohl in der Präsenzkultur als auch in der digitalen Umgebung mit ihren Eigenheiten. Das Bestreben muss es sein, den Mitarbeitern ein einheitliches Kulturerlebnis zu ermöglichen, um einen sicheren und verlässlichen Raum für die vielschichtige betriebliche Tätigkeit zu liefern. Dies ist Gegenstand der folgenden Ausführungen.

3.3.1 Merkmale der Präsenzkultur

Unternehmenskultur ist überall – sie bedarf jedoch neben dem konkreten Verhalten vor allem der Kommunikation und Interaktion, damit sie sich etablieren kann. Soziale Systeme werden durch Kommunikation manifestiert (Luhmann 1994), dabei ist der Kommunikationsbegriff sehr weit gefasst: Neben der direkten persönlichen Kommunikation umfasst sie alle Symbole und Artefakte, die Botschaften übertragen können. Das fängt bereits bei der Parkplatzorganisation an, geht über den Gebäudestil, die Inneneinrichtung, die Arbeitsanweisungen, den gepflegten Umgang der Unternehmensangehörigen untereinander und natürlich umfasst Kommunikation vor allem die Narrative, die vorherrschen und ausgetauscht werden.

Die Unternehmenskultur kann, wie in Abb. 3.1 dargestellt, charakterisiert werden (Herget 2020, S. 5). Jede Ebene wirkt auf die nachfolgende und wird wiederum auch von dieser beeinflusst.

Abb. 3.1
figure 1

Charakterisierung der Unternehmenskultur in ihren verschiedenen Ebenen

Unternehmenskultur entsteht immer dynamisch, sie ist das Resultat eines gelebten Verhaltens, das in einem geteilten Narrativ entsteht. In den meisten Unternehmen gibt es parallel mehrere teils unterschiedliche Unternehmenskulturen, die sich von anderen Teams, Abteilungen, Standorten oder auch zwischen Berufsgruppen unterscheiden können. Dies gilt es stets zu berücksichtigen. Das Vorbildverhalten der Führungskräfte und die Orientierung an Peer-Groups stellen dabei zentrale Faktoren für die Entwicklung von Unternehmenskultur dar. Die Gestaltung der Unternehmenskultur ist dabei immer als ein komplexer Prozess zu begreifen, dessen Bedeutung jedoch kaum unterschätzt werden kann.

Bereitet bereits die aktive Veränderung der Unternehmenskultur in präsenten Umgebungen den meisten Führungskräften immense Probleme, so scheint die Gestaltung der digitalen Unternehmenskultur noch weiter außerhalb des eigenen Machtbereichs zu liegen. Unternehmenskultur sollte allerdings nicht dem Zufall überlassen bleiben, dieser Prozess lässt sich systematisch planen und gestalten. Zu Beginn dieses Prozesses steht stets die Frage: Welche Unternehmenskultur wollen und sollten wir eigentlich haben, um einer erfolgreichen Zukunft entgegenzugehen? Welche Kulturfaktoren sollen gelebt werden, welche Prioritäten bestehen, wie fördern wir die „richtigen“ und wie sanktionieren wir die „falschen“ Kulturfaktoren im Alltag? Und natürlich auch: Wie kommen wir von der gegenwärtigen Unternehmenskultur zur gewünschten zukünftigen Unternehmenskultur? Diese Fragen werden in Kap. 6 wieder aufgegriffen. Doch zunächst noch zu den verschiedenen Ausprägungen von Unternehmenskultur.

3.3.2 Merkmale der digitalen Unternehmenskultur

Bei der Betrachtung der digitalen Kultur erscheint ein Perspektivenwechsel notwendig und hilfreich: Wie stellt sich die Unternehmenskultur für Mitarbeiter dar, wenn sie im Home-Office sind, ohne unmittelbaren persönlichen Kontakt, ohne sich am gleichen physischen Ort aufzuhalten und die zahlreichen wahrnehmbaren Artefakte der Unternehmenskultur zu teilen? Alle diese Symbole und Repräsentanten sind nunmehr allenfalls am heimischen Schreibtisch im Computer abgebildet. Welche Kultur-Faktoren sind nun für digitale Arbeiter wichtig, wenn sie über diverse Kommunikationsmittel mit Kollegen und dem Unternehmen verbunden sind? Wie können persönliche Beziehungen im digitalen Raum gelebt werden? Es erscheint also wichtig, zunächst diese Perspektive zu sehen und die Herausforderungen der digitalen Unternehmenskultur aus ihr heraus zu begreifen. Natürlich spielt es eine große Rolle, ob das Home-Office einen Tag pro Woche in Anspruch genommen oder ob nur ein Tag im Monat am traditionellen Arbeitsplatz im Büro verbracht wird.

3.3.2.1 Zur Charakteristik des digitalen Arbeitsplatzes

Die Kennzeichnung der Situation eines Mitarbeiters am digitalen Arbeitsplatz lässt sich folgendermaßen beschreiben:

  • physische Isolierung am Arbeitsplatz;

  • Selbstdisziplin wird wichtiger, da gemeinsame Strukturen (Arbeitsbeginn, Pausenregelung, Arbeitsende) aufgeweicht sind;

  • Kommunikation erfolgt eher nicht mehr ad hoc, sondern häufig vorab geplant mit der wahrscheinlichen Folge einer Reduktion der Frequenz;

  • informelle Kommunikation entfällt oder wird zumindest drastisch reduziert;

  • Gruppendynamik in Arbeitsprozessen wird vermindert;

  • gegenseitige Bestätigung, Unterstützung, Aufmunterung und generell die Erwartungshaltung, die einen selbst antreiben kann, erscheinen reduzierter;

  • Feedback zur eigenen Arbeit erfolgt eher geplant, nicht mehr spontan;

  • der Raum für missverständliche Interpretationen von Kommunikationssituationen wird größer (besonders bei unsicheren oder wenig selbstbewussten Mitarbeitern);

  • betriebsexterne Störquellen behindern den Arbeitsalltag (Familie, Räumlichkeit, soziales Umfeld);

  • gegenseitige Korrektive entfallen, was zur erhöhten Arbeitsbelastung, Beeinflussung der Grundstimmung, zu unbefriedigtem Kommunikationsbedarf, zum Aufschaukeln von Konflikten, zum Verschleppen von Problemen etc. führen kann.

Der Mitarbeiter im Home-Office verlässt zahlreiche gewohnte Strukturen und von ihm wird weitaus mehr Autonomie in der Aufgabenerledigung verlangt. Dadurch stellen sich mannigfache Herausforderungen, die den Mitarbeiter in seiner neuen, vielleicht noch ungewohnten Rolle fokussieren, gleichzeitig aber auch die Führungskräfte betreffen, die nunmehr virtuelle, verteilte Teams zu führen haben. Auch das ist eine anspruchsvolle Umstellung, die andere Rollenmuster verlangt. Ein Lernprozess für beide Seiten ist unumgänglich, vieles muss ausprobiert und im Zeitablauf optimiert werden.

Die beschriebenen Konsequenzen stellen sich nicht nur im Home-Office ein, die digitale Transformation führt vielfach zu automatisierten Vorgängen, die die persönliche Interaktion am Arbeitsplatz reduzieren und dadurch ebenso zu ähnlichen Auswirkungen führen können, wenngleich im geringeren Umfang.

3.3.2.2 Zur Charakteristik der Rahmenbedingungen des Unternehmens

Die andere Herausforderung ist aus der Sicht des Unternehmens zu beleuchten: Wie können die im Unternehmen vorherrschenden Werte auch dann gelebt werden, wenn viele der kulturellen Transportmittel, die sich herausgebildet haben, wie etwa Geschäftsräume, Büroeinrichtung, Kleidung, Besprechungsablauf, zahlreiche geplante und ungeplante Begegnungen mit ihren Ritualen und vieles weitere, nurmehr durch eine reduziertere Form der Präsenz wahrgenommen werden können?

Die Situation der Unternehmen kann wie folgt umrissen werden:

  • Führung über Distanz stellt die Führungskräfte vor neue und ungewohnte Herausforderungen;

  • Synchronität der Verfügbarkeit der Mitarbeiter ist erschwert;

  • Transparenz und Stand des Arbeitsfortschritts sind schwerer zu beurteilen;

  • Kontrolle und Feedback sind nur eingeschränkt möglich;

  • gruppendynamische Prozesse sind reduziert, der Energielevel einer Gruppensituation eingeschränkt;

  • Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Informationsstandes, vor allem mit informellen Inhalten, ist nicht gewährleistet;

  • die Motivationslage und das Engagement der Mitarbeiter sind schwerer zu beurteilen und zu fördern;

  • Arbeitsbelastung und eine gesunde Work-Life-Balance (auch durch zusätzliche Belastungen im Haushalt) können kaum eingeschätzt werden;

  • niederschwellige Kommunikationswege fehlen.

Die Unternehmen müssen umdenken: Der Raum der Wertschöpfung verändert sich und geht über bisherige physische Grenzen hinaus. Prozesse sind zu überprüfen und Anpassungen vorzunehmen, damit das Gesamtergebnis möglichst produktiv ist. Gute Lösungen bedürfen der Überführung bewährter Konzepte in den neuen digitalen Raum und gleichzeitig die Schaffung neuer Kollaborationsformen.

Die digitale Unternehmenskultur bezieht sich auf die kulturellen Aspekte einer Organisation im Zusammenhang mit der Nutzung und Integration digitaler Technologien in alle Bereiche des Unternehmens. Sie repräsentiert die Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen der Mitarbeiter im Umgang mit digitalen Technologien zur betrieblichen Wertschöpfung in individuellen und kollaborativen Arbeitsprozessen.

3.3.3 Merkmale der virtuellen Unternehmenskultur

Die virtuelle Unternehmenskultur stellt eine Synthese der beiden vorgestellten Ausprägungen dar. Es geht dabei darum, hybride Arbeitsformen, also das parallele Bestehen von Remote Work und das Arbeiten im Präsenzraum, miteinander zu verzahnen. Dieses wird die Arbeitsform der Zukunft sein. Viele Mitarbeiter sehen und spüren, dass beim Home-Office viele der mit der Arbeitswelt verbundenen Erwartungen nicht befriedigt werden. Die Arbeit ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens, sie ist ein Raum sozialer Erfahrung und bietet viele Möglichkeiten, sich persönlich zu entwickeln und zu wachsen. Gleichzeitig weist das Home-Office auch zahlreiche Vorteile auf, die man künftig auch nicht missen möchte. Für viele Unternehmen und Mitarbeiter stellt sich also die Herausforderung, beide Welten miteinander zu kombinieren und nach Möglichkeit die jeweiligen Vorteile zu integrieren.

Deutlich geworden ist jedenfalls, dass die Herausforderung der virtuellen Zusammenarbeit nicht primär ein technisches Problem ist, das sich mit entsprechenden Tools lösen lässt. Allerdings geht es ohne unterstützende Tools auch nicht, die Anforderungen an die technologische und digitale Kompetenz wachsen beträchtlich.

Eine virtuelle Unternehmenskultur bezieht sich auf die kulturellen Aspekte einer Organisation, die durch den Einsatz digitaler Kommunikations- und Kollaborationstechnologien geprägt ist. Sie entsteht in Unternehmen, in denen Mitarbeiter räumlich verteilt arbeiten, sei es von zu Hause aus, in Satellitenbüros oder an verschiedenen Standorten. Eine virtuelle Unternehmenskultur fördert über digitale Plattformen und Kommunikationskanäle die Zusammenarbeit, den Wissensaustausch und die Teamarbeit. Sie schafft eine Arbeitsumgebung, in der die räumliche Distanz überwunden wird und in der Mitarbeiter effektiv zusammenarbeiten können.

Spezifika einer virtuellen Unternehmenskultur umfassen:

Virtuelle Kommunikation

Die Kommunikation erfolgt hauptsächlich über elektronische Kommunikationsmittel wie E-Mails, Instant Messaging, Video- und Telefonkonferenzen. Face-to-Face-Interaktionen sind begrenzt oder finden über digitale Plattformen statt.

Virtuelle Zusammenarbeit

Mitarbeiter arbeiten an gemeinsamen physischen Orten, aber auch über räumliche Grenzen hinweg zusammen und teilen Informationen, Ressourcen und Ideen über gemeinsame Dokumenten- und Kollaborationstools.

Vertrauensbildung

Vertrauen spielt eine zentrale Rolle, die Mitarbeiter sind häufig nicht physisch anwesend. Es ist daher wichtig, Vertrauen aufzubauen, um eine effektive Zusammenarbeit zu ermöglichen.

Flexibilität

Eine virtuelle Unternehmenskultur ermöglicht den Mitarbeitern Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeiten und -orte. Dies kann eine bessere Work-Life-Balance und eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit fördern.

Die virtuelle Zusammenarbeit stellt – je nach bisherigen Vorerfahrungen – einen Transformationsprozess für die Unternehmen und Mitarbeiter dar. Das Gelingen dieser hängt von der Akzeptanz und Motivation, diesen Weg zu gehen („Wollen“), dem Verfügen über die notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen („Können“) und schließlich förderlichen Strukturen und Prozessen („Dürfen“) ab. Unabdingbar ist dabei auch das Vorhandensein von Vorbildern, sowohl Vorgesetzten als auch Kollegen, damit das Momentum der Veränderung jeden Mitarbeiter im positiven Sinne erfasst und jeder ein Teil dieser Bewegung und Veränderung wird.

3.3.4 Digitale und präsente Unternehmenskultur – eine Verschmelzung zur Ko-Existenz

Das integrierte Zusammenwirken der unterschiedlichen Ausprägungen der jeweiligen Kulturen ist in Abb. 3.2 veranschaulicht.

Abb. 3.2
figure 2

Die unterschiedlichen Unternehmenskulturen im Zusammenwirken

Nun soll noch ein integrierender Blick auf die jeweiligen Spezifika der beschriebenen Unternehmenskulturen geworfen werden. Eine Synthese dieser beiden Ausprägungen von Unternehmenskultur im Arbeitsalltag erweist sich als essenziell. Obwohl sie ähnliche Konzepte repräsentieren, gibt es Unterschiede im jeweiligen Erleben und ihrem Fokus.

Dabei sind auch spezifische Unterschiede zwischen der virtuellen und der digitalen Unternehmenskultur zu berücksichtigen, die durchaus Auswirkungen auf die Gestaltung von digitalen Projekten innehaben:

  • Eine virtuelle Unternehmenskultur bezieht sich speziell auf die räumliche Verteilung der Mitarbeiter und den Einsatz digitaler Kommunikationstools; eine digitale Unternehmenskultur bezieht sich auf den digitalen Arbeitsplatz.

  • Eine virtuelle Unternehmenskultur kann auch in nicht-digitalen Unternehmen existieren, in denen räumlich verteiltes Arbeiten stattfindet. Eine digitale Unternehmenskultur hingegen ist eng mit digitalen Technologien verbunden.

  • Eine virtuelle Unternehmenskultur betont die Überwindung von räumlichen Barrieren, während eine digitale Unternehmenskultur den Fokus auf die Nutzung digitaler Technologien als dominante Konstellation zur Arbeitsdurchführung mit den sich ergebenden Implikationen für die Zusammenarbeit legt.

Vor allem die digitale Unternehmenskultur ist in vielen Unternehmen noch ein wenig beschriebenes Blatt. Sie ist keinesfalls unabhängig von bisher erfahrener Kultur im Unternehmen, dennoch lässt sich eine digitale Kultur unbelasteter und ohne historische Altlasten und verfestigte Gewohnheiten aufbauen und diesen Vorteil sollte man durch gezielte Maßnahmen fördern. Zwar bleiben die Führungskräfte und die Mitarbeiter dieselben, sensibilisiert man sie jedoch für die Potenziale einer produktiven digitalen Unternehmenskultur und qualifiziert sie für die gewünschten kulturellen Belange, kann sogar der bewusste Aufbau einer digitalen Unternehmenskultur positive Resonanzen auf die Präsenzkultur ausstrahlen. Denn was sich bewährt hat und von den Mitarbeitern geschätzt wird, kann sich auf die Unternehmenskultur insgesamt positiv auswirken. Das ist jedenfalls ein mögliches positives Szenario, die vertiefte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Kulturrepräsentationen in unterschiedlichen Sphären lohnt sich jedenfalls. Die hierzu notwendigen Investitionen können sehr hohe Renditen erbringen, nicht nur für die Produktivität im digitalen Raum, sondern für das gesamte virtuelle oder auch physisch lokale Unternehmen. Die Gestaltung der digitalen Unternehmenskultur kann den Treiber bilden, um die Kulturarbeit im gesamten Unternehmen anzugehen, und die eingangs beschriebene, unbefriedigende empirische Realität robust zu verändern.

Insgesamt sind sowohl eine virtuelle als auch eine digitale Unternehmenskultur für Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung von großer Bedeutung. Sie schaffen die Grundlage für effektive Zusammenarbeit, innovative Ideenentwicklung und erfolgreiche Nutzung von Technologie zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und des Erfolgs. Durch die Gestaltung einer angemessenen virtuellen oder digitalen Unternehmenskultur können Unternehmen die Vorteile der Digitalisierung optimal nutzen und sich den Herausforderungen einer digitalen Wirtschaft stellen.

3.4 Kulturfaktoren in der Digitalisierung – einige Beispiele

Die meisten Unternehmen verfügen über definierte Leitbilder, eine Mission, eine Vision und Werte, die die Grundlage des täglichen Handelns darstellen sollten. Auf dieser Basis werden dann wichtige Unternehmenskultur-Faktoren gefördert. Neben spezifischen Kulturfaktoren eines Unternehmens wie beispielsweise Kundenorientierung, Agilität, Innovation und Zusammenarbeit mit Partnern sind viele weitere Kulturfaktoren in der Praxis anzutreffen. All diese Kulturfaktoren gilt es in die digitale Welt zu transformieren. Eine 1:1-Übertragung wird nicht in allen Fällen ohne Adaption möglich sein.

Im digitalen Bereich gibt es jedoch einige generische Kulturfaktoren, denen eine besonders wichtige Bedeutung zukommt, unabhängig davon, ob sie nun im individuellen Unternehmenskultur-Modell vorkommen oder nicht – diese stellen sich stets in der digitalen Sphäre und sollten immer adressiert werden:

Zugehörigkeit

Der motivierte und engagierte Mitarbeiter bedarf der Zugehörigkeit, einer Identifikation und Identität mit dem Unternehmen. Das Bedürfnis, einer Gemeinschaft anzugehören, der man sich freiwillig anschließt, dabei Bindungen zum Unternehmen und zu den Kollegen aufbaut, ist eines der Grundbedürfnisse von Mitarbeitern. Häufig werden diese Motive nicht offen benannt und sind vielleicht auch nicht immer bewusst, aber das Fehlen oder Kappen dieser Bindungen, wie sie etwa bei Mobbing durch einen Ausschluss aus der Gemeinschaft praktiziert werden, belegen nachdrücklich ihre Bedeutung. Teambuilding und Teamspirit gelten zu Recht als wesentliche Faktoren einer leistungsbereiten und -fähigen Unternehmenskultur. Diesem Kulturfaktor muss daher besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, allzu schnell können durch unbedachte Prozesse, Kommunikationsstile oder gar Kommunikationspannen die Bindungen zum Team, zur Abteilung oder zum ganzen Unternehmen belastet werden.

Wertschätzung und Anerkennung

Der Mitarbeiter ist ein soziales Wesen, er will „gesehen werden“. Die Lebenssituation der Mitarbeiter in der digitalen Sphäre wird sich sehr unterschiedlich darstellen, daher sind auch hier individuelle Ansätze wichtig. Wertschätzung und Anerkennung kommen aber nicht nur von den Führungskräften, sondern auch von Kollegen und anderen Mitarbeitern, vor allem auch von hierarchisch unterstellten. Gerade die Führungskräfte dürften häufig aus dieser Sicht vernachlässigt werden – sie haben dafür zu sorgen, dass ihre Mitarbeiter anerkannt und wertgeschätzt werden, sie erfahren jedoch selbst unter Umständen diese Wertschätzung nicht.

Vertrauen

Für viele Unternehmen stellt das Vertrauen eine große Herausforderung dar. Vertrauen hat dabei mehrere Komponenten, die hier relevant sind. Zum einen Vertrauen in das System Unternehmen und Vertrauen zu den Vorgesetzten und zu den Kollegen. Beide Aspekte sind von den Unternehmen zu berücksichtigen und bedürfen einer breiteren Abstützung durch unterschiedliche Formate und Maßnahmen. Das Vertrauen in das Unternehmen wird nur zu einem geringeren Teil unmittelbar durch die Vorgesetzten transportiert. Hier kommt es auf die Botschaften des gesamten Unternehmens an, vor allem auf die Kommunikation und die Maßnahmen der Unternehmensspitze und der relevanten Abteilungen, etwa der HR-Abteilung. Dabei kann nicht genug um das Vertrauen der Mitarbeiter geworben werden. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist eine umfassende Orientierung über die weitere Entwicklung des Unternehmens für die Mitarbeiter wesentlich.

Zum anderen darf nicht vernachlässigt werden, dass viele erlassene und praktizierte Regeln und Maßnahmen für die Mitarbeiter als Misstrauensbeweise interpretiert werden können, beispielsweise das Messen der Anwesenheit, Antwortzeitverhalten und viele weitere Regelungen. Bei allen Aktivitäten sollte immer zuerst überprüft werden, ob diese dazu geeignet sind, das Vertrauen in das Unternehmen zu erhöhen – oder dieses zu reduzieren. Vertrauen ist immer ein Vorschuss und wird in der Regel durch Vertrauen zurückgezahlt. Dieser Zusammenhang gilt auch bei Misstrauen.

Das Vertrauen zu Vorgesetzten und Kollegen weist vor allem eine persönliche Komponente auf, die sich insbesondere in Kommunikationssituationen dokumentiert. Gerade die Aufrechterhaltung oder gar Verstärkung der Vertrauensbeziehungen zwischen Kollegen sollte beleuchtet und durch entsprechende Maßnahmen unterstützt werden. Vertrauen wächst in authentischen Situationen und reflektiert die gemachten Erfahrungen. Besonders gravierend stellt sich diese Frage, wenn neue Mitarbeiter in das Unternehmen und das Team eintreten, zu denen bislang keine persönlichen Beziehungen aufgebaut werden konnten.

Persönliches Wachstum und Entwicklung

Der Arbeitsort ist immer ein wichtiger Lebensort für alle Mitarbeiter, schließlich verbringen wir alle einen großen Teil unseres aktiven Lebens in Arbeitskontexten. Das Streben nach sozialen Kontakten, eigener persönlicher Erfahrung und Weiterentwicklung ist häufig nur ein unbewusster Begleitprozess des Arbeitslebens. Dieses Streben wird allerdings oftmals mit einer Karriereorientierung gleichgesetzt, was nur zu einem geringen Anteil stimmt, vielmehr ist die Entwicklung einer Meisterschaft ein grundlegender und wichtiger Motivator unseres Handelns (Pink 2020).

In isolierten digitalen Räumen finden viele gruppendynamischen Effekte nicht im selben Ausmaß statt. Das Sich-Vergleichen, Imitieren, Lernen bedarf häufig der Anwesenheit mehrerer Sinne, um unbewusst abzulaufen. Dem informellen Lernen kommt nicht zuletzt deswegen eine immense Bedeutung zu – all dies ist im Home-Office eingeschränkt, die Chancen auf eine persönliche Reflexion und Weiterentwicklung im Kontext täglicher Begegnungen finden nur reduziert statt. Diesen Aspekt gilt es gezielt aufzugreifen und zu substituieren.

Sinnstiftung

Das berühmte Why als die Grundlage einer intrinsischen Motivation bedarf im digitalen Raum ebenso einer vertieften Berücksichtigung. Das Finden des individuellen Grundes für eine ausgeübte Tätigkeit verbleibt zwar beim Individuum, ist aber von einem kollektiven Prozess der gemeinsamen Etablierung, Kommunikation, Erfahrung und vor allem Vergewisserung nicht zu lösen. Der Sinn der Existenz eines Unternehmens, der Beitrag zur Gesellschaft ist zumeist ein gemeinschaftlicher Prozess, der die anderen unmittelbar benötigt. Es sind vor allem die vielen unbewussten Signale, die wahrgenommen werden, die zu einer vertieften Überzeugung und Ausstrahlung der Mission eines Unternehmens beitragen. Der Sinn wird auch in vielen Artefakten an physischen Orten vermittelt und gelebt. Hier gilt es, digitale Äquivalente zu schaffen. Das ist wichtiger als Hochglanzbroschüren.

Der Prozess zur Überprüfung und Neujustierung von Faktoren der Unternehmenskultur sollte bewusst eröffnet werden. Die Wünsche und bisherige Erfahrungen der Mitarbeiter sind dabei elementar und sie sollten zur Neuausprägung einer gewünschten digitalen Unternehmenskultur durch umfassende Beteiligung berücksichtigt werden. Aber dieser Prozess entsteht nicht von allein, er muss geplant und betreut werden. Eines ist dabei gewiss: Eine gute Unternehmenskultur wird durch Loyalität, Engagement und gute Kollaboration bezahlt – für Unternehmen der unverzichtbare Lohn, um nachhaltig erfolgreich zu werden und zu bleiben.

Nutzen Sie die Chance! Falls Sie noch nicht digital arbeiten oder erst damit beginnen, gestalten Sie die Unternehmenskultur so, wie Sie es sich wünschen. Es muss keine Fortschreibung der Vergangenheit oder Gegenwart sein. Ergreifen Sie die Chance des Neuen! Solange sich noch keine lähmende Routine eingestellt hat, ist der Raum für Veränderung besonders günstig.

3.5 Gestaltungsempfehlungen – Wo liegen die Verantwortungsbereiche?

Kulturgestaltung wurde bereits als ein komplexes Unterfangen charakterisiert. Wichtig ist es, zunächst die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche mit den jeweiligen Aktionsbereichen zu benennen. Kulturentwicklung ist zwar eine gemeinsame Aufgabe, erfordert jedoch unterschiedliche Beiträge der verschiedenen Adressaten.

Im Folgenden werden auf drei Ebenen die Gestaltungsspielräume und die Verantwortung verortet:

  • Domäne Unternehmen

  • Domäne der wechselseitigen Verantwortung

  • Domäne Mitarbeiter

Basierend darauf können den jeweiligen Verantwortungsbereichen Empfehlungen zugeordnet werden, die sich natürlich nicht immer strikt trennen lassen, dennoch aber eine Zuordnung erlauben.

3.5.1 Domäne: Verantwortung der Unternehmen

Das System Unternehmen ist primär für das Setzen folgender Rahmenbedingungen zuständig:

  1. 1.

    Die virtuelle Zusammenarbeit erfordert neue Spielregeln: Nicht alles lässt sich ohne Weiteres von den bisher praktizierten und bewährten Arbeitsweisen in den virtuellen und digitalen Raum übertragen. Eine Inventur ist angesagt: Wie arbeiten wir derzeit zusammen, was möchten wir unbedingt so beibehalten, was kann modifiziert und was sollte neu eingeführt werden?

  2. 2.

    Zielorientierung und Nachverfolgbarkeit wird wichtiger: Sowohl die größeren Ziele als auch die unmittelbare Aufgabenerledigung müssen richtig getaktet werden. Kürzere Zeiträume dürften die Regel werden, neuere Verfahren wie das Objectives and Key Results (OKR) (Kudernatsch 2020) als Orientierung können hierbei gute Dienste leisten.

  3. 3.

    Inklusion, Zugehörigkeit, Identifikation: Dem Problem der emotionalen Distanz und möglicher Isolierung muss mit wirkungsvollen Maßnahmen begegnet werden. Das Recht auf Zugehörigkeit und Identifikation mit dem Team und dem Arbeitgeber sollten verstärkt wahrgenommen und durch geeignete Maßnahmen unterstützt werden.

  4. 4.

    Die Führungskraft als Orientierungskompass des betrieblichen Geschehens: Im virtuellen Raum verlieren sich oftmals die kurzen, informellen Kommunikationswege und -verbindungen auch zu Kollegen anderer Abteilungen, die Deutungsmuster bleiben oftmals aus, hier muss die Führungskraft für den Kontext sorgen und dem einen breiteren Raum geben, um Gerüchten und dem Flurfunk nicht allzu viel Raum zu lassen. Eine stärkere Kommunikationsoffensive dürfte durchaus konstruktiven Nutzen entfalten.

  5. 5.

    Gemeinschaft stiften, Teamspirit unterstützen: Gemeinsame Rituale, die Kraft und Energie des Kollektivs spüren, Synergieeffekte des Zusammenwirkens herausstellen – all das unterstützt den gemeinschaftsstiftenden Geist. Neue Rituale wie Check-Ins, Check-Outs, Huddle (Kurzmeetings) sollten ausprobiert und eingeführt werden.

  6. 6.

    Ängste und Unsicherheiten ernst nehmen: Der Sensibilitätsradar der Führungskräfte sollte geschärft werden, um Ängste und Sorgen der Mitarbeiter rechtzeitig wahrzunehmen und gegensteuern zu können. Für Unternehmen ist es ebenso wichtig, die Manager in der Sandwichfunktion zu unterstützen. Auch diese wurden in das digitale Führen in der Regel ohne entsprechende Qualifizierung hineingeworfen. Es handelt sich folglich um ein kaskadenhaftes Verantwortung-Zeigen für die jeweilig nächste Ebene.

3.5.2 Domäne: gemeinsame Verantwortung

Viele der zu ergreifenden Maßnahmen bedürfen der gemeinsamen Abstimmung und Vorgehensweise. Dazu zählen insbesondere:

  1. 1.

    Klarheit und Struktur nehmen in der Bedeutung zu: Die Orientierung über Vorgaben, Erwartungshaltungen, gegenseitige Informationen, Kommunikationsregeln, -frequenzen, -modi und -nachbereitung sollten verbindlich vereinbart werden und allen bekannt sein.

  2. 2.

    Feedback erhält eine noch wichtigere Funktion: Auch abgeschwächte Formen wie Stimmungsbarometer (Pulse-Checks), Stimmungsverlaufskurven und ähnliches sollten bewusst gepflegt werden.

  3. 3.

    Wertschätzung, Respekt: Diese beiden Kulturfaktoren sind extrem wichtig und erhalten im virtuellen Raum eine noch größere Bedeutung. Die bisherigen tradierten Formen müssen durch virtuelle persönliche Ansprache komplementiert werden, neue Formen der Öffentlichkeit im digitalen Raum nehmen an Bedeutung zu.

  4. 4.

    Vertrauen wird elementar: Führungskräfte müssen lernen, den Mitarbeitern mehr zu vertrauen, es zählt das Ergebnis und nicht die abgesessene Arbeitszeit. Die Mitarbeiter müssen ebenso lernen, ihren Führungskräften zu vertrauen und nicht sogleich alle Interventionen als Kontrolle misszuverstehen.

  5. 5.

    Hol- und Bringschuld klar definieren: Wer ist für die Weitergabe von Informationen verantwortlich, wer muss dafür sorgen, über die richtigen Informationen zu verfügen? Auch diese Punkte sollten verbindlich unter Anerkennung der beidseitigen Verantwortungen vereinbart werden. Sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter sind dafür zu sensibilisieren, für eine funktionierende Arbeitsumgebung und die notwendigen Informationen für die eigene Aufgabenerledigung zu sorgen.

  6. 6.

    Technik- und Digital-Kompetenz sollten aufgebaut und jede Unterstützung sollte gewährt werden, damit die Zusammenarbeit nicht daran scheitert oder gestört wird. Entsprechende Schulungen und Qualifizierungen sowie ein Supportservice sollten dieses gewährleisten.

  7. 7.

    Storytelling pflegen, Erfolgsgeschichten kreieren und weitertragen: Erzählungen mit positiven Erfahrungen, die die Machbarkeit unterstreichen und das wiederholte Bestätigen des richtigen Pfades ist in diesem auch von Unsicherheit geprägten Prozess wichtig. Selbstbestätigung und Konkretisierung des eingeschlagenen Weges hilft, das Momentum aufrechtzuerhalten und das Mitwirken, das Einbringen von Ideen und die Verbesserungen zu fördern.

3.5.3 Domäne: Verantwortung der Mitarbeiter

Schließlich obliegen einige Gestaltungsparameter insbesondere der direkten Verantwortung von Mitarbeitern, die sie vor allem zu erbringen haben. Entsprechende Angebote der Unternehmen sollten diesen Prozess gleichwohl unterstützen:

  1. 1.

    Transparenz ist essenziell: Der Stand der Aufgabenerledigung, die Pain-Points, hindernde Faktoren und der Unterstützungsbedarf müssen klar artikuliert werden. Regelmäßige Besprechungen zum Stand der Arbeiten sind essenziell.

  2. 2.

    Autonomie den Mitarbeitern gewähren: Die individuellen, familiären Arbeitsumstände werden verschieden sein. Die Arbeitszeit muss sich nicht mehr auf feste Uhrzeiten (neben vereinbarten Kernzeiten) beschränken, sondern wird häufig auch die Abende und Nächte umfassen können.

  3. 3.

    Achtsamkeit der Mitarbeiter unterstützen: Das betriebliche Gesundheitsmanagement muss häufig in Eigenregie durchgeführt werden. Die Führungskräfte haben dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter die notwendigen Rekreationszeiten erhalten, und diese müssen ihre Leistungsgrenzen und überfordernde Anforderungen, die sich auch aus dem familiären Umfeld ergeben können, selbstverantwortlich wahrnehmen.

  4. 4.

    Zu spielerischem und experimentellen Ausprobieren ermuntern: Neue Tools, neue Zusammenarbeitsformen, neue Formate – all das sollte einen Raum finden, die Freude an neuen Einsichten und Kompetenzen sollte spürbar werden.

  5. 5.

    Informalität pflegen: Virtuelle Kaffeemeetings, gemeinsame Spaziergänge, gemeinsame virtuelle Mittagessen etc. sollten gepflegt werden. Aber auch bilaterale, ungeplante Gespräche sollten Raum finden.

  6. 6.

    Keine Perfektion erwarten: durchaus selbst als Vorbild Fehler praktizieren. „Nobody is perfect“ und schon gar nicht in neuen, wenig geübten Arbeitskontexten. Betrachtet man die digitale Ergänzung als eine Lernreise, gehören Fehler selbstverständlich dazu. Das Konzept des Kaizen – des schrittweisen, inkrementellen Verbesserns – erweist sich hier als ein guter Weg. Das Arbeiten in physischen Räumen wurde über viele Jahrzehnte praktiziert und gelernt, die digitale und virtuelle Herausforderung stellt sich mit allen Konsequenzen für die meisten erst seit kurzem. Der Verzicht auf die eingeübte Attitüde aus dem Qualitätsmanagement „Do it right the first time, every time“ ist zunächst fehl am Platze. Es bedarf vieler Wiederholungen, um neue Routinen und Selbstverständlichkeiten zu entwickeln.

  7. 7.

    Mit Humor auch schwierige Situationen meistern: Unsicherheiten, das Verlassen bewährter Routinen, sich unkompliziert Rat holen – all das ist im digitalen Raum erschwert. Ein experimenteller Geist kann sich hier gut bewähren, Probieren und Lernen sind die Maximen. Und dazu gehört eben auch, über Unzulänglichkeiten und Fehler mit einer Großzügigkeit und Humor hinwegzusehen – aber auch dafür zu sorgen, dass Fehler als Lernquelle genutzt werden.

3.6 Warum wird der Frage der Kultur in Projekten zur digitalen Transformation bislang (zu) wenig Beachtung geschenkt?

Zahlreiche Digitalisierungsprojekte scheitern. Die kolportierten Zahlen verschiedener Studien gescheiterter Projekte sind beachtlich: Eine Studie von McKinsey im Jahr 2018 ergab beispielsweise, dass nur etwa 16 % der digitalen Transformationsprojekte ihre gesteckten Ziele vollständig erreichen (McKinsey 2018, 2021). Ein Beitrag im Harvard Business Review aus dem Jahr 2019 gibt an, dass viele digitale Transformationsinitiativen scheitern oder nicht die erwarteten Ergebnisse erzielen (HBR 2019). Eine frühere Studie referiert in Nohria und Beer (2000) berichtet von 70 % aller Veränderungsinitiativen, die scheitern.Footnote 2

Wenn die Unternehmenskultur eine so hohe Bedeutung einnimmt, stellt sich natürlich die Frage, warum sie bei der digitalen Transformation oft nicht ausreichend beachtet wird, obwohl sie eine so entscheidende Rolle spielt. Dies kann verschiedene Gründe haben, einige davon lassen sich wie folgt skizzieren:

Technologie-Fokus

Bei der digitalen Transformation liegt der Fokus häufig auf technologischen Aspekten wie der Implementierung neuer Systeme, Tools und Plattformen. Die technologischen Komponenten sind sichtbar und greifbar, während die kulturellen Aspekte abstrakter und schwerer zu quantifizieren sind. Daher werden sie manchmal vernachlässigt oder als weniger wichtig angesehen. Auch besteht viel weniger Wissen darüber, wie Kulturentwicklungsprozesse initiiert und betrieben werden. Das Change-Management ist weit weniger greifbar und die Ergebnisse sind weniger sichtbar als beim technologisch zu realisierenden Systemen. Diese werden sofort gesehen, Kulturveränderungen zeigen sich nur indirekt.

Mangelnde Sensibilität für Kultur

Manche Führungskräfte und Entscheidungsträger haben möglicherweise keine ausreichende Sensibilität für die Bedeutung der Unternehmenskultur oder wissen nicht, wie sie kulturelle Veränderungen gezielt angehen können. Sie konzentrieren sich eher auf strategische und operative Entscheidungen und unterschätzen die Auswirkungen der Kultur auf den Erfolg der digitalen Transformation.

Mangelnde Kompetenzen bei der Projektleitung

Diese kann vor allem bei technisch ausgebildeten Fachkräften vorliegen, in deren bisheriger Qualifizierung unternehmenskulturelle Aspekte und das Change-Management keinen besonders hohen Stellenwert eingenommen haben. Durch ihren Blick auf das technologisch Machbare werden die „weichen“, sozio-kulturellen und psychodynamischen Faktoren zu wenig berücksichtigt. Hier sollten diese Kompetenzen durch geeignete zusätzliche Partner ergänzt werden.

Zeit- und Ressourcenmangel

Die digitale Transformation erfordert in der Regel beträchtliche Investitionen in Technologie, Infrastruktur und Expertise. Dadurch kann es dazu kommen, dass die Ressourcen für die kulturelle Veränderung begrenzt sind. Unternehmen sind oft bestrebt, schnell Ergebnisse zu erzielen, und fokussieren sich daher eher auf die technologische Umsetzung als auf langwierige kulturelle Veränderungsprozesse.

Widerstand gegen Veränderung

Kulturelle Veränderungen sind oft mit Unsicherheit und Widerstand verbunden. Bestehende Strukturen, Hierarchien und Routinen werden in Frage gestellt, was zu Ängsten und Ablehnung führen kann. Dieser Widerstand kann wiederum dazu führen, dass die kulturelle Komponente der digitalen Transformation vernachlässigt wird, um Konflikte und Störungen zu vermeiden.

Komplexität und Unvorhersehbarkeit

Kulturelle Veränderungen sind komplex und schwer vorhersehbar. Es gibt keine standardisierten Lösungen oder vorgefertigten Pläne, die in jedem Unternehmen gleichermaßen funktionieren. Jede Organisation hat ihre eigene Kultur, die von zahlreichen internen und externen Faktoren beeinflusst wird. Dies kann zu einer gewissen Unsicherheit führen, wie man kulturelle Veränderungen angehen soll, und dazu führen, dass sie vernachlässigt werden.

Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass die Vernachlässigung der Kulturfrage bei der digitalen Transformation ein enormes Risiko darstellt. Die Kultur eines Unternehmens prägt die Denkweisen, Werte und Verhaltensweisen der Mitarbeiter, beeinflusst deren Motivation, Zusammenarbeit und Bereitschaft zur Veränderung. Eine Kultur, die nicht auf die Anforderungen der digitalen Transformation ausgerichtet ist, kann den Erfolg der Initiativen behindern, Mitarbeiter demotivieren und Innovationsprozesse erschweren.

Kulturwandel bezeichnet den tiefgreifenden Prozess, bei dem eine Organisation ihre grundlegenden Werte, Normen, Verhaltensweisen und Denkmuster bewusst verändert. Es geht darum, die bestehende Unternehmenskultur zu überdenken und anzupassen, um den sich verändernden Anforderungen und Herausforderungen der internen und externen Umgebung gerecht zu werden. Der Kulturwandel zielt darauf ab, eine Kultur zu schaffen, die eine offene, kooperative und innovative Arbeitsatmosphäre fördert. Dies beinhaltet oft die Förderung von Veränderungsbereitschaft, Teamarbeit, Lernorientierung und Kundenfokus. Der Kulturwandel ist ein langfristiger Prozess, der die Beteiligung aller Organisationsmitglieder erfordert und von der Unternehmensleitung aktiv unterstützt und gefördert werden muss. Das Ziel des Kulturwandels besteht darin, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die die gewünschten Werte und Verhaltensweisen verkörpert und die Organisation dabei unterstützt, erfolgreich und zukunftsfähig zu sein.

3.7 Leitplanken zur Entwicklung einer Kultur für eine erfolgreiche digitale Transformation

Nach dem Aufzeigen der Bedeutung einiger Kulturfaktoren für digitale Transformationsprojekte stellt sich die Herausforderung für Unternehmen, wie eine förderliche Unternehmenskultur systematisch entwickelt werden kann. An welchen Stellschrauben kann angesetzt werden, um die gewünschte Unternehmenskultur zu entfalten und zu befördern? Dazu können ebenso exemplarisch einige generelle Ansätze aufgezeigt werden, die natürlich stets auf ein konkretes Unternehmen adaptiert werden müssen.

3.7.1 Engagement der Führungskräfte

Die Führungsebene spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Unternehmenskultur. Führungskräfte müssen eine uneingeschränkte Verpflichtung zur digitalen Transformation zeigen und deren Bedeutung in der gesamten Organisation kommunizieren. Sie sollten die gewünschten kulturellen Merkmale vorleben, Mitarbeiter befähigen und digitale Initiativen aktiv unterstützen und mit Ressourcen ausstatten.

3.7.2 Strategische Vorgehensweise

Welche Herausforderungen soll die Digitalisierung lösen? Diese Frage verdeutlicht die enge Verzahnung der Digitalisierung mit der strategischen Ausrichtung des Unternehmens. Dabei ist die Wechselwirkung zwischen Strategie und Digitalisierung ins Kalkül zu ziehen: Digitalisierung darf nicht nur in ihrer unterstützenden Rolle für die existierenden Strategien betrachtet werden, sie kann vielmehr neue strategische Optionen eröffnen. Die möglichen verfolgten Ziele und Strategien wurden in Abschn. 1.3 ausführlich dargestellt.

Die Abstimmung bedarf der Integration von fachlichem Know-how der Mitarbeiter, denn sie verfügen über das Prozesswissen – und werden von den Resultaten der Transformation betroffen sein. Dabei gilt es auch zu ermitteln, welche konkreten Auswirkungen die digitale Transformation auf die Mitarbeiter haben wird. Das stellt die Grundlage der Argumentation, wie eine spezifische Digitalisierungsinitiative der Belegschaft, den Kunden und der Wettbewerbsposition zugutekommt. Dadurch werden eine größere Akzeptanz und ein besseres Verständnis erreicht, im Gegensatz zu Situationen, in denen die Digitalisierung selbst das Ziel zu sein scheint. Die Digitalisierung ist folglich das Instrument, um konkrete strategische Ziele zu erreichen, die klar und deutlich dargelegt werden sollten.

3.7.3 Klare und offene Kommunikation

Transparente und konsistente Kommunikation ist entscheidend, um Bewusstsein, Verständnis und Zustimmung für die digitale Transformation zu schaffen. Führungskräfte sollten die Vision, die Begründung und die Vorteile der digitalen Transformation kommunizieren und dabei auf Bedenken oder Widerstände eingehen. Regelmäßige Updates und ein offener Dialog fördern eine Kultur des Vertrauens und der Beteiligung.

3.7.4 Qualifizierung der Mitarbeiter

Die Befähigung der Mitarbeiter zur aktiven Teilnahme an Digitalisierungsinitiativen fördert Eigenverantwortung, Kreativität und Innovation. Organisationen sollten Schulungen, Ressourcen und eine unterstützende Umgebung für die Weiterbildung und Qualifizierung bereitstellen. Die Einbeziehung der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse fördert ein Gefühl der Mitverantwortung und führt zu einem höheren Engagement im Transformationsprozess.

3.7.5 Beteiligung der Mitarbeiter

Die Einbindung von Mitarbeitern aus allen Bereichen, die von einer Digitalisierungsinitiative berührt werden, kann als einer der bedeutendsten Erfolgsfaktoren digitaler Transformation überhaupt gewertet werden. Dies stellt auch immer dann eine besondere Herausforderung dar, wenn – wie so häufig – externe Berater eine wichtige Rolle bei Digitalisierungsprojekten einnehmen. Hier muss ganz besonders auf eine gute Consulting Governance (Bodenstein und Herget 2022) geachtet und eine Repräsentation in begleitenden Gremien (wie etwa Sounding Board) sichergestellt werden. „Was Menschen mitgestalten, werden sie mittragen“ (Mader 2023, S. 37).

3.7.6 Förderung von experimentellem Lernen

Eine Kultur, die Experimente, Risikobereitschaft und das Lernen aus Fehlern fördert, ist von großer Bedeutung. Unternehmen sollten sichere Räume schaffen, in denen Mitarbeiter ausprobieren, Erkenntnisse teilen und Ideen entwickeln können. Die Wertschätzung und Anerkennung von Innovations- und Lerninitiativen stärken den angestrebten kulturellen Wandel.

3.7.7 Anpassungsfähigkeit und Flexibilität

Die digitale Transformation ist ein fortlaufender Prozess. Eine Kultur, die Veränderungen annimmt, sich schnell anpasst und neue Technologien und Praktiken übernimmt, ist entscheidend. Unternehmen sollten eine Wachstumsmentalität („Growth Mindset“ (siehe Abschn. 6.4)) fördern, Mitarbeiter zur Anpassung befähigen und Ressourcen für kontinuierliches Lernen und Entwicklung bereitstellen.

Diese Anforderungen werden in den späteren Kapiteln erneut aufgegriffen und in den vorgeschlagenen Methoden berücksichtigt.

3.7.8 Veränderungsimperative auf einen Blick

Erfolgreiche Digitalisierung erfordert das Zusammenspiel von Unternehmen und Mitarbeitern, beide sind zu adressieren. Dabei müssen die Mitarbeiter von den Unternehmen umfassend unterstützt werden, erst dann kann dieser Prozess erfolgreich bewältigt werden. Weichen Faktoren der Persönlichkeitsentwicklung (Adaptierungsbereitschaft und -kompetenz, Eigenverantwortung und Autonomie) kommt künftig eine noch höhere Bedeutung zu als harten Faktoren im Sinne einer erlernten Fähigkeit und Fertigkeit. Eine verstärkte Übernahme von Verantwortung sollte allerdings wesentlich von den Führungskräften gefördert und damit in der Unternehmenskultur verankert werden.

Rechtzeitige Information, offene Kommunikation, Transparenz, Vertrauen, Kompetenzvermittlung, Partizipation und Mit-Entwicklung werden zu zentralen Faktoren erfolgreicher Transformationsprozesse.

Unternehmenskulturellen Aspekten kommt entsprechend eine essenzielle Bedeutung bei der Bewältigung der sich durch die Digitalisierung stellenden Herausforderungen zu. Führung steht dabei besonders im Fokus, um den Wandel vorbildhaft aktiv anzugehen sowie die Mitarbeiter „mitzunehmen“. Proaktives und offenes Klima, aufbauend auf einem Vertrauen in die eigenen Kompetenzen, sind Schlüsselfaktoren, um die Transformationserfordernisse angemessen zu meistern.

Der Umgang mit Komplexität, Unsicherheit und Risiko sowie das Denken in Zusammenhängen entwickeln sich zu wichtigen Ingredienzen erfolgreicher Unternehmenskulturen. Die digitale Transformation verändert die Qualifikationsprofile der Mitarbeiter sowie der Führungskräfte gleichermaßen.

Diesbezüglich herrscht große Einigkeit, so bestätigt auch die Studie von etventure (2017, S. 21) resümierend die obigen Schlussfolgerungen: „Der CEO muss die Mitarbeiter für die Notwendigkeit des Wandels sensibilisieren und zum größten Fürsprecher der Digitalisierung im Unternehmen werden. Durch klare Kommunikation auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern können Verständnis erzeugt und Ängste abgebaut werden. Neue Formen der Führung und der Zusammenarbeit sind die logische Konsequenz. Auf das Unternehmen bezogen ist mit dem Erfolg bei der Digitalisierung gleichzeitig ein Wandel in der Unternehmenskultur untrennbar verbunden.“

Diese Einschätzung wird auch in einer weiteren aktuellen Studie (Hamacher et al. 2023, S. 11) bezüglich der zentralen Bedeutung der Unternehmenskultur für den Transformationserfolg geteilt: Die Bedeutung einer auf die Digitalisierung ausgerichteten Unternehmenskultur ist entscheidend für den Erfolg der digitalen Transformation. Eine solche Kultur, die eine hohe Fehlertoleranz und eine ausgeprägte digitale Affinität fördert, ist von zentraler Bedeutung. Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter gezielt instruieren und schulen, damit sie Fehler offen kommunizieren können. Das traditionelle Verständnis von Fehlern als etwas Negatives muss einem Wandel unterzogen werden. Stattdessen sollten Mitarbeiter ihre Fehler als Chance begreifen, sich selbst und ihre Kollegen durch das Lernen aus diesen Erfahrungen weiterzuentwickeln und den Prozess der digitalen Transformation voranzutreiben. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Unternehmen gezielte Maßnahmen ergreifen, um breites Wissen über digitale Technologien bei ihren Mitarbeitern zu verankern und sie dazu motivieren, dieses Wissen in ihren täglichen Arbeitsablauf zu integrieren.

Auch die Studie von Jackwerth-Rice et al. (2022) skizziert den Weg zu einer förderlichen Unternehmenskultur für die Digitalisierung im Mittelstand und zeichnet folgende Faktoren als essenziell heraus:

  • Die große Mehrheit der Fach- und Führungskräfte steht digitalen Innovationen offen gegenüber und unterstützt aktiv den damit verbundenen Transformationsprozess.

  • Neue digitale Technologien werden kontinuierlich daraufhin geprüft, wie sie die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens stärken können, und es werden entsprechende organisatorische Veränderungen in Betracht gezogen.

  • Die Betriebe verfügen über die Fähigkeit, neue digitale Lösungen zu adaptieren und erfolgreich in ihre Abläufe zu integrieren.

Wie der hier besprochene Change und Kulturwandel systematisch erfolgen können, wird in Kap. 6 ausführlich diskutiert.

3.7 [Fazit]

Die Bedeutung der Unternehmenskultur bei der digitalen Transformation darf nicht unterschätzt werden. Sie prägt die Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter und letztendlich die Fähigkeit der Organisation, digitale Technologien zu nutzen und für nachhaltigen Erfolg einzusetzen. Durch das Verständnis des Einflusses der Kultur auf die digitale Transformation und gezielte Schritte zur Entwicklung etwa einer Kultur der Innovation, des Vertrauens, der Zusammenarbeit und der Kundenorientierung können Organisationen Hindernisse überwinden, das volle Potenzial digitaler Technologien nutzen und in der digitalen Ära florieren. Die Initiierung eines kulturellen Wandels ist ein komplexer Prozess, aber er ist entscheidend, um eine solide Grundlage für eine erfolgreiche digitale Transformation zu schaffen. Aktuelle Studien zum Thema bestätigen den Ansatz dieses Buches: Unternehmenskultur stellt den zentralen Faktor für erfolgreiche Digitalisierung dar.

3.8 Key Points

  1. 1.

    Unternehmenskultur wird vor allem durch konkretes Verhalten, Kommunikation und Interaktion geformt, sie wird tradiert und entzieht sich einer unmittelbaren direktiven Gestaltung.

  2. 2.

    Digitale Transformationen tangieren stets organisationale Verhaltensweisen – im Inneren und Äußeren. Die gewünschten kulturellen Verhaltensweisen lassen sich adressieren und gestalten.

  3. 3.

    Transformationen verändern die gewohnte Unternehmenskultur. Es gibt bestimmte Kulturfaktoren (etwa Offenheit, Zusammenarbeit, Lernbereitschaft), die im Vorfeld geschaffen werden sollten, um den Erfolg der digitalen Transformation zu ermöglichen.

  4. 4.

    Es gibt einige Kulturfaktoren (etwa Zugehörigkeit, Wertschätzung), die im Rahmen der digitalen Unternehmenskultur eine hohe Bedeutung erhalten, die daher als generische Kulturfaktoren immer wirken.

  5. 5.

    Die digitale Sphäre weist viele Gestaltungsparameter auf, von denen sich zahlreiche der unmittelbaren Einwirkung der Führungskräfte und Mitarbeiter entziehen. Gleichzeitig erlaubt die digitale Arbeitsumgebung die Einführung neuer Standards, Erwartungshaltungen und Kollaborationsformen.

  6. 6.

    Die Integration der Präsenzkultur mit der sich herausbildenden digitalen Kultur wird als hybride oder virtuelle Unternehmenskultur bezeichnet. Sie stellt eine aktuelle Herausforderung dar, die mit einer Systematik und den richtigen Werkzeugen gelingen kann.