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Mundhygiene

Symptomatische Merkmale von Allgemeinerkrankungen in der Mundhöhle

Zahlreiche Allgemeinerkrankungen manifestieren sich im Bereich der Mundhöhle und des Rachens. Um diese einordnen zu können, ist die genaue Kenntnis der physiologischen Situation aller Gewebe im Bereich der Mundhöhle unabdingbar. Die Physiologie dieser Gewebe wird daher im folgenden Beitrag zunächst dargestellt; darauf folgt die Vorstellung eines „Instrumentenkastens“ für die Diagnostik oraler symptomatischer Merkmale von Allgemeinerkrankungen sowie eine Veranschaulichung einer zielführenden diagnostischen Vorgehensweise in drei Fallbeispielen.

Tröltzsch

Die Vielseitigkeit der Strukturen in der Mundhöhle ist vielen Zahnärztinnen und Zahnärzten nicht bewusst [1]. Viele Praktikerinnen und Praktiker haben aufgrund von Zeitmangel gar keine Gelegenheit, die Anatomie und Physiologie der Mundhöhle, der Schleimhaut und des Rachenrings wahrzunehmen.

Um allerdings pathologische Veränderungen zu erkennen, müssen die physiologischen Erscheinungsbilder und deren Normvarianten auch als solche erkannt werden. Das (zahn-)ärztliche Auge erkennt v.a. die Abweichungen von der Norm [2].

Physiologie der Mundhöhle und Technik der klinischen Untersuchung

Die zahnärztliche Allgemeinuntersuchung (01) ist eine komplexe und technisch anspruchsvolle diagnostische Maßnahme [3]. Sie beginnt im perioralen Bereich (Lippenweiß/Lippenrot), setzt sich durch die Mundspalte nach intraoral fort und muss alle Bereiche der Mundhöhle umfassen: Vestibulum des Oberkiefers und Unterkiefers, Planum buccale beidseits, Gaumenschleimhaut im Hart- und Weichgaumenbereich inklusive Uvula, Zungenschleimhaut (Rücken, Ränder und Unterseite), Mundboden, Sulcus glossoalveolaris und Gaumenbögen.

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Dabei ist zwischen dem feuchten und glatten Erscheinungsbild der Mukosa und der leicht gestippelten Oberfläche der „attached Gingiva“ zu unterscheiden (Abb. 1). Der Mundboden ist mit glatter Mukosa ausgekleidet, die allerdings oft relativ dünn ist. Daher sind Gefäßzeichnungen als violett-rötliche Aspekte und die Unterzungenspeicheldrüse (Glandula sublingualis) als gelblicher Anteil oft sichtbar (Abb. 2).

Die Glandula sublingualis kann eine physiologische, kammartige Aufwerfung im Bereich des Mundbodens bedingen. Es handelt sich hierbei nicht um eine Raumforderung (Abb. 2).

Problematisch ist die Beurteilung der Zunge, da sie ganz unterschiedliche Gewebequalitäten umfasst [4]. Die histologische Grundlage für den rauen Zungenrücken liegt in den sogenannten Papillae filiformes, die für die Zerkleinerung der Nahrung zwischen Zunge und Gaumen ein mechanisches Widerlager bilden. Durch die Rauigkeit können sich Speisereste und Farbstoffe zwischen den Papillen einlagern und von Bakterien verstoffwechselt werden. Eine weißlich-gelbliche Verfärbung des Zungenrückens kann daher durchaus normal sein. Völlig anders stellen sich die Zungenränder und die Zungenunterseite dar. Je weiter auf der basalen Seite der Zunge, desto glatter und dünner wird das unverhornende Plattenepithel der Zunge (Abb. 3).

Eine große Herausforderung im dorsalen Mundboden-Zungenbereich ist die Beurteilung des Sulcus glossoalveolaris, einer Rinne zwischen dem Alveolarfortsatz und dem dorsolateralen Zungenrand. Die Inspektion dieses Bereichs ist für Patientinnen und Patienten häufig störend und schmerzhaft und für den Zahnarzt mit erhöhtem Zeitaufwand verbunden. Aufgrund der Häufigkeit pathologischer Veränderungen in diesem Bereich ist dessen sorgfältige Inspektion jedoch unerlässlich (Abb. 4).

Tröltzsch
Abb. 5: Physiologische Gaumenschleimhaut eines zahnlosen Oberkiefers. Durch den Abdruck des dorsalen Prothesenrandes wird die A-Linie gut sichtbar. Auch im Bereich des Gaumens sind unterschiedliche Rot-/Rosatöne sowie punktförmige Farbunterschiede als normal anzusehen.

Direkt kranial der dorsalen Zungenanteile kommt der weiche Gaumen zu liegen. Der weiche Gaumen ist auf der oralen Seite von beweglicher Schleimhaut bedeckt – wesentlich glatter als die Schleimhaut des harten Gaumens. Die beiden Teile des Gaumens werden durch eine deutlich erkennbare Furche, die sogenannte A-Linie, voneinander getrennt. Die Inspektion des weichen Gaumens gelingt oft nicht durch direkten Einblick. Das Herunterdrücken der Zunge zusammen mit der Bitte an den Patienten „A“ zu sagen (dabei wird der weiche Gaumen nach kranial gezogen), ist zur Beurteilung zumeist notwendig (Abb. 5).

Erst nach der Inspektion sämtlicher Schleimhautanteile sollte die Beurteilung der Zähne erfolgen. Eine Gefahr für Zahnmediziner besteht darin, sich nach Erkennen einer dentalen Pathologie (parodontaler Knochenabbau, Karies, endodontische Pathologie etc.) auf diesen Bereich zu konzentrieren und dann möglicherweise die übrigen Anteile der Mundhöhle nicht mehr zu berücksichtigen.

Der Kieferknochen entzieht sich unseren Möglichkeiten der klinischen Untersuchung. Auftreibungen, Resorptionen und Formveränderungen des Knochens können wir im klinischen Blick zwar erahnen, aber die genaue Einschätzung ist nur mithilfe der Röntgendiagnostik möglich [5,6]. Deren Einsatz sollte der klinischen Untersuchung indikationsgemäß folgen.

Welche Allgemeinerkrankungen zeigen Symptome in der Mundhöhle?

Im Wesentlichen können sich nahezu alle Allgemeinerkrankungen im Bereich der Mundhöhle manifestieren. Eine Rolle spielen Dabei v.a. gastroenterologische Erkrankungen (z.B. Morbus Crohn, Ernährungsstörungen) [7], Erkrankungen des blutbildenden Systems (Leukämien, Lymphome) [8], solide Tumoren (z.B. Mamma- und Prostatakarzinom) [9], Infektionen (z.B. Kinderkrankheiten, Herpes, COVID, HIV) [10 bis 13], Medikamentennebenwirkungen (z.B. Antirheumatika, onkologische Therapeutika, Antihypertonika etc.) [14,15], Dermatosen (z.B. Pemphigus, Pemphigoid) [16], aber auch neurologische und psychiatrische Erkrankungen (z.B. Depression, Anorexie, Bulimie) [17].

Der Weg zur Diagnosestellung

Der Algorithmus zur Diagnosestellung folgt immer einem Schema und gleicht somit einem „Handwerk“. Dabei ist es selbst für Experten nicht immer möglich, „auf den ersten Blick“ die korrekte Diagnose zu stellen. Je größer die Erfahrung der Untersucherin bzw. des Untersuchers, desto wahrscheinlicher ist die erfolgreiche „Blickdiagnose“. Allerdings muss diese zur Einleitung einer korrekten Therapie immer gesichert werden, da die Irrtumswahrscheinlichkeit auch bei erfahrenen Oralmedizinern grundsätzlich bestehen bleibt.

Der Instrumentenkasten besteht aus vier großen Bausteinen: Anamnese, klinische Untersuchung (v.a. Inspektion und Palpation), weiterführende diagnostische Maßnahmen (apparative Diagnostik und Labormedizin) sowie histologische Untersuchungen. Die ausführliche Inspektion aller Bereiche der Mundhöhle ist die Grundlage für die Diagnostik und die spätere Therapie von Allgemeinerkrankungen, die sich in diesem Bereich manifestieren können.

Klinische Anwendung des „Instrumentenkastens“

Kurz vor oder zumindest zeitgleich mit der klinischen Untersuchung sollte die Anamnese erfolgen. Aus dem Gespräch mit der Patientin bzw. dem Patienten geht schnell hervor, ob Krankheitsmerkmale neu sind oder bereits erfahren wurden, ob an anderer Körperstelle Veränderungen vorliegen oder ob z.B. Medikamente neu angesetzt wurden. Die Patientinnen und Patienten berichten auf Nachfrage auch genau über eventuell vorliegende Beschwerdequalitäten, wie Schmerzen, Brennen, Jucken etc. Die Anamnese sollte immer folgende Aspekte umfassen: Art der Beschwerden (Schmerzen, Drücken, Ziehen etc. bzw. Schmerzqualität und z.B. die auf einer visuellen Analogskala darstellbare Intensität des Schmerzes), Dynamik der Beschwerden (langsam schleichend versus rasch progredient), Allgemeinanamnese (wichtige Fragen nach Allgemeinerkrankungen, auch wenn diese möglicherweise Jahre zurückliegen, Beschwerden an anderen Körperstellen, unklare Ausschläge, Fieber, Gewichtsverlust, psychischer Zustand, Allergien, Risikofaktoren etc.) sowie die Medikamentenanamnese.

Manifestationsorte von Systemerkrankungen in der Mundhöhle

Ohne Zweifel ist die Mundschleimhaut einer der häufigsten Manifestationsorte für Erscheinungsbilder von Allgemeinerkrankungen in der Mundhöhle. Allerdings sind nicht alle Veränderungen der Mundschleimhaut wegweisend. Die Veränderungen der Mundschleimhaut müssen systematisch eingeteilt werden. Es können Volumenveränderungen der Schleimhaut, Farbveränderungen, Veränderungen der Oberflächenintegrität und Widerstandsfähigkeit sowie Störungen der Gefühlsempfindung unterschieden werden (Tab. 1).

VolumenveränderungenFarbveränderungenOberflächenintegritätGefühlsempfindung
SchwellungRötung (Erythroplakie)Blase, Ulkus, AphtheDysästhesie
Atrophieweißliche Veränderung (Leukoplakie)TrockenheitHypästhesie
Tab. 1: Möglichkeiten von pathologischen Veränderungen im Bereich der Mundschleimhaut.

Veränderungen im Bereich der Zähne/des Parodonts können ebenfalls Symptome von Allgemeinerkrankungen anzeigen. Dabei geht es v.a. um nicht behandelte Karies, Erosionen, Wurzelresorptionen und Zahnlockerungen.

Im Bereich des Alveolarknochens können nur umfassende Volumen- oder Formveränderungen klinisch diagnostiziert werden. Für alle anderen Veränderungen wie Osteolysen oder Osteosklerosen ist die Röntgendiagnostik unabdingbar.

Alle genannten Veränderungen können noch näher eingegrenzt und genauer beschrieben werden. So können bei Schleimhautveränderungen die Begrenzungen von Läsionen, die Verletzlichkeit der Oberfläche, die Symmetrie bzw. das bilaterale Auftreten und die exakte Lokalisation weitere Anhaltspunkte liefern. Bereits nach wenigen Minuten Gespräch (Anamnese) und einigen geübten Blicken (klinische Untersuchung) sind wichtige Fakten klar. Es kann nun bereits eine erste Verdachtsdiagnose oder aber die Indikation für weiterführende diagnostische Maßnahmen gestellt werden [18].

Weiterführende diagnostische Maßnahmen

Nur wenn es dem Zweck der weiteren Diagnostik dient, sollten apparative diagnostische Maßnahmen gewählt werden. So ist genau zu prüfen, ob und welche radiologischen Untersuchungen sinnvoll sein können. Einen ersten Überblick kann das Orthopantomogramm liefern, das z.B. Osteosklerose, Osteolysen und Wurzelresorptionen gut erkennbar darstellt [6]. Wenn nötig sind Schnittbilduntersuchungen anzufertigen. Immer wenn ein hauptsächlich weichgewebiges Problem vermutet wird, ist an die MRT als diagnostische Methode der Wahl zu denken [19].

Zur Diagnosebestätigung oder Diagnosestellung ist in vielen Fällen eine histopathologische Untersuchung des betroffenen Gewebes angezeigt. Allerdings ist zu beachten, dass bei bestimmten symptomatischen Merkmalen von Allgemeinerkrankungen die Histologie nicht wegweisend sein kann. Daher liegt die Verantwortung zur Stellung der richtigen Diagnose immer beim klinisch tätigen Arzt, der das Gesamtbild einschätzen kann. Die Verantwortung darf nicht auf den Pathologen allein übertragen werden. Für die Planung der Biopsie sind die Ausdehnung, die Oberfläche und die Begrenzung von Schleimhautläsionen entscheidend. Natürlich kommen hier auch Fragestellungen des Allgemeinzustandes der Patientin bzw. des Patienten und komplexe Faktoren der Chirurgie hinzu. Die Biopsie muss immer ausreichend Gewebe umfassen und repräsentativ sein [20].

Der Instrumentenkasten des Oralmediziners erscheint nach diesen einführenden Worten sehr theoretisch aufgebaut. Erst durch Patientenfälle kann das Vorgehen plastisch dargestellt werden.

Fall 1: Ulkus und Farbveränderung der Mundschleimhaut

Anamnese

Eine 71-jährige Patientin stellt sich mit starken Schmerzen beim Schlucken in der Sprechstunde vor. Sie gibt an, dass die Beschwerden plötzlich vor einigen Tagen begonnen hätten und sich stetig verschlechterten. Initial hätte nur ein Brennen der Mundschleimhaut vorgelegen. Aktuell leide sie allerdings unter starken Schluckbeschwerden und starken Schmerzen der Mundschleimhaut, die sie auf einer visuellen Analogskala bei einer Stärke von 7/10 lokalisiert. Die Nahrungsaufnahme sei unmöglich. Sie leide seit mehreren Jahren unter rheumatoider Arthritis. Ansonsten habe sie keine Allgemeinerkrankungen. Sie sei unter Therapie mit Methotrexat (MTX) aufgrund ihrer rheumatoiden Arthritis. Die Dosis sei kürzlich von 10mg pro Woche auf 20mg pro Woche gesteigert worden (Tab. 2).

Art der Beschwerdenzuerst Brennen, dann Schmerzen
Dynamik der Beschwerdenschnelle Entwicklung
Allgemeinanamneserheumatoide Arthritis (RA)
MedikamentenanamneseMethotrexat (MTX) zur Therapie der RA
Tab. 2: Kurze strukturierte Zusammenfassung der zentralen anamnestischen Angaben.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung zeigt massiv gerötete Schleimhaut mit Ulzera, Blasenbildung und Pseudomembranen. Die Veränderungen umfassen die gesamte Schleimhaut sowie den Pharynxbereich (Abb. 6). Bei Berührung blutet die Schleimhaut leicht. Die Patientin beklagt deutliche Schmerzen (Tab. 3).

Tröltzsch
Abb. 6: Deutlich gerötete Mundschleimhaut mit weißlichen, pseudomembranösen Auflagerungen (Nachdruck mit Genehmigung des Elsevier Verlags aus: Troeltzsch et al. „Oral Mucositis in Patients receiving low-dose Methotrexate therapy for rheumatoid arthritis”. Oral Surgery, Oral Medicine, Oral Pathology and Oral Radiology 115.5 (2013): e28-e33 [14]).
Farbveränderung der Schleimhautdeutliche Rötung
Oberflächenintegritätgestört, Ulzera und Blasen sowie Pseudomembranen
Neurologiemassive Schmerzen bei Berührung
Tab. 3: Kurze strukturierte Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der klinischen Untersuchung.

Klinisch stellt sich also die Schleimhaut als stark geschädigt dar. Es handelt sich um ein generalisiertes Problem, da die gesamte Schleimhaut sowie der Pharynx betroffen sind. Bekannt ist bereits, dass die Patientin mit MTX behandelt wird, dessen Dosis erhöht wurde. Das klinische Bild der Schleimhaut ähnelt einer Chemotherapie-induzierten Mukositis. Da MTX ein Zytostatikum ist und hier das Einnahmeschema verändert wurde, liegt ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der MTX-Medikation nahe.

Diagnose

Die Patientin wird nochmals eingehend im Hinblick auf das Einnahmeschema von MTX befragt. Nach intensiver Nachfrage räumt sie ein, die Dosiserhöhung vergessen und die fehlenden Tabletten in den letzten Tagen nachgenommen zu haben. Dies bestätigt den initialen Verdacht auf eine Zytostatika-assoziierte Mukositis [14]. Zur erweiterten Diagnostik ist eine Probebiopsie nicht erforderlich. Sollte sie aber doch erwogen werden, wäre das Ergebnis „akute und chronische Entzündung, Plasmazellreichtum und Granulationsgewebe“. Das Ergebnis wäre nicht wegweisend und würde keine Therapie ermöglichen.

Therapie

Die Therapie besteht bei der Patientin aus dem sofortigen Absetzen der Medikation mit MTX und der supportiven Gabe von Folsäure als Antidot [14]. Zur Schmerztherapie müssen mitunter stärkere Analgetika wie Tilidin/Naloxon eingesetzt werden. Die Symptomatik klingt nach ca. 10 bis 14 Tagen vollständig ab.

Fall 2: unklare Schwellung im Bereich der Gingiva

Anamnese

Eine 76-jährige Patientin stellt sich mit einer seit mehreren Wochen leicht progredienten Schwellung im Bereich des Oberkiefervestibulums rechtsseitig in der Sprechstunde vor. Sie war bereits beim zahnärztlichen Notdienst. Dort sei ein Abszess vermutet und eine Inzision durchgeführt worden. Zunächst sei ein Streifen gelegt worden. Nach Entfernung des Streifens kam es nicht zu einer Regredienz der Schwellung.

Die Patientin berichtet, im Bereich des Oberkiefervestibulums zu keinem Zeitpunkt Schmerzen gehabt zu haben. In diesem Bereich seien vor einigen Jahren Implantate inseriert worden. Die Schwellung habe sie erst vor Kurzem bemerkt. Die Dynamik der Schwellung sei ihr unbekannt. Bei der Frage nach Vorerkrankungen berichtet die Patientin zunächst über Hypertonie und Diabetes mellitus Typ II. Sie stehe unter Therapie mit einem Betablocker sowie Metformin. Bei der dezidierten Nachfrage nach Tumorerkrankungen merkt sie an, vor ca. 15 Jahren aufgrund eines Lymphoms im Halsbereich eine Radiatio erfahren zu haben (Tab. 4).

Art der BeschwerdenSchwellung Vestibulum Oberkiefer rechts, keine Schmerzen
Dynamik der Beschwerdenunklar, wahrscheinlich langsam
AllgemeinanamneseHypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, Lymphom im Halsbereich vor über 10 Jahren mit Radiatio
MedikamentenanamneseBetablocker, Metformin
Tab. 4: Kurze strukturierte Zusammenfassung der zentralen anamnestischen Angaben.

Klinische Untersuchung

Tröltzsch
Abb. 7: Raumforderung im Bereich des Oberkiefervestibulums rechtsseitig mit
gereizter Gingiva.

Die klinische Untersuchung zeigt eine nicht gerötete, harte, nicht druckdolente Schwellung im Bereich des Oberkiefers rechtsseitig. Es besteht bei Zustand nach Inzision eine gingivale Reizung (Abb. 7, Tab. 5).

Farbveränderung der Schleimhautkeine Rötung, leichte gingivale Reizung
Oberflächenintegritätnicht beeinträchtigt
Neurologiekeine Schmerzen
Tab. 5: Kurze strukturierte Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der klinischen Untersuchung.

Apparative Diagnostik

In diesem Fall ist bereits bekannt, dass im Bereich des Oberkiefers rechtsseitig Implantate inseriert wurden. Um den Status der Implantate beurteilen zu können, wird als Übersichtsröntgenaufnahme zunächst die Durchführung eines Orthopantomogramms empfohlen. Im Orthopantomogramm zeigt sich eine auf mehreren, sehr eng stehenden Implantaten befestigte Brücke im Bereich des Oberkiefers rechtsseitig. Ein periimplantärer Knochenabbau kann vermutet werden. Die erneute klinische Untersuchung in diesem Bereich zeigt auch periimplantär erhöhte Sondierungstiefen (Abb. 8, Tab. 6).

Orthopantomogrammv.a. Periimplantitis im Bereich des Oberkiefers rechtsseitig, keine weiteren Osteolysen
Tab. 6: Kurzbefund des Orthopantomogramms (Abb. 8).
Tröltzsch
Abb. 8: Orthopantomogramm zu Fall 2. Es zeigen sich sehr eng stehende Implantate im Bereich des Oberkiefers rechtsseitig sowie ein horizontaler sowie interimplantär vertikaler Knochenabbau im Sinne einer Periimplantitis. Nebenbefundlich zeigt sich eine sehr enge anatomische Nachbarschaft zwischen den
Implantaten regio 47 und der distalen Wurzel des Zahnes 46.

Histologische Untersuchung und Diagnose

Klinisch zeigt sich eine schmerzlose Schwellung im Bereich des Oberkiefers rechtsseitig. Zusätzlich besteht eine Periimplantitis im Bereich der Implantate regio 14/15 und 16/17. Eine Assoziation der Befunde mit infektiöser Ursache der Schwellung war vermutet worden. Allerdings sind entzündlich bedingte Schwellungen ohne Schmerzen und ohne wesentliche Dynamik eine außerordentliche Rarität. Daher hätte die Verdachtsdiagnose hinterfragt werden müssen. Die Inzision im Bereich des Oberkiefers rechtsseitig hatte keinen klinischen Erfolg, und die Raumforderung bestand weiter.

Anamnestisch hatte die Patientin bereits auf ein Lymphom im Halsbereich hingewiesen, welches vor über 10 Jahren diagnostiziert und behandelt worden war. Eine schmerzlose, harte Schwellung mit langsam progredientem Wachstum sollte grundsätzlich als malignomsuspekt eingestuft und eine histopathologische Diagnostik durchgeführt werden. So erfolgte in diesem Fall eine operative Biopsie aus dem Bereich des Vestibulums zusammen mit einer Vestibulumplastik. Das Ergebnis der histopathologischen Untersuchung zeigte das Vorliegen eines Non-Hodgkin-Lymphoms.

Der Fall zeigt, dass Anamnese und klinische Untersuchung in den meisten Fällen bereits zur korrekten Verdachtsdiagnose führen. Schmerzlose Schwellungen sind nur extrem selten durch entzündliche Veränderungen bedingt und sollten bis zum Beweis des Gegenteils als malignomsuspekt betrachtet werden [21].

Fall 3: Schmerzen und Ulzera der Gesichtshaut und Mundschleimhaut

Anamnese 

Ein 33-jähriger Patient stellt sich in der Sprechstunde vor. Er gibt Schmerzen im Bereich des Gaumens beim Essen an, die seit einigen Tagen bestünden und progredient seien. Er bemerke weiterhin ein Jucken im Bereich der rechten Wange und eine Trockenheit des rechten Auges. Die Schmerzen im Bereich des Gaumens bestünden dauerhaft und seien mitunter sehr stark (visuelle Analogskala 8–9/10). Auf Nachfrage gibt der Patient an, bereits einen Therapieversuch mit Analgetika begonnen zu haben. Er habe Ibuprofen 400mg Tabletten bis zu 3-mal täglich eingenommen. Jedoch hätte dies nur wenig geholfen. Er sei der Meinung, dass er unter einer Zahnfleischentzündung leide. Auf Nachfrage verneint er die Frage nach vorhandenen Allergien. Er nehme keine Medikamente (zusätzlich zum Ibuprofen der vergangenen Tage). Er sei grundsätzlich gesund, habe allerdings in den vergangenen Wochen unter beruflichem Stress und einer schweren Erkältung gelitten (Tab. 7).

Art der Beschwerdenmitunter sehr starke Beschwerden im Bereich des Gaumens, Jucken im Bereich der Wange, trockenes Auge
Dynamik der Beschwerdenseit einigen Tagen bestehend und zunehmend
Allgemeinanamnesekeine Allgemeinerkrankungen
Medikamentenanamnesekeine Medikation
Tab. 7: Kurze strukturierte Zusammenfassung der zentralen anamnestischen Angaben.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung des Kopf- und Halsbereichs zeigt eine leichte Rötung im Bereich der Konjunktiva des rechten Auges (Abb. 9). Lateroorbital sowie im Bereich des Oberlids zeigen sich kleine, punktförmige Rötungen. Intraoral besteht eine deutliche Rötung der Schleimhaut des harten und weichen Gaumens sowie zahlreiche, teilweise gruppierte aphthöse Läsionen, die bei Berührung leicht bluten und schmerzhaft sind (Abb. 10). Die klinische Untersuchung der Zähne zeigt eine absolut kariesfreie Dentition, gute Mundhygiene und regelrechte Taschentiefen (Tab. 8). Bei zahnärztlich weitgehend blandem Befund wurde zunächst keine Röntgendiagnostik durchgeführt.

Farbveränderung der Schleimhautdeutliche Rötung, aphthöse Läsionen, periorbital punktförmige Rötungen
OberflächenintegritätSchleimhaut an mehreren Stellen beschädigt (aphthöse Läsion/Ulzera)
Neurologiestarke und zunehmende Schmerzen
Tab. 8: Kurze strukturierte Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der klinischen Untersuchung.

Diagnose

Klinisch zeigt sich in diesem Fall eine schmerzhafte Veränderung der Mundschleimhaut im Bereich des Gaumens (Hart- und Weichgaumen) rechtsseitig. Die Veränderungen sind zahlreich und gruppiert. Zusätzlich bestehen Hautläsionen periorbital und eine Reizung der Konjunktiva.

In diesem Fall muss sich der behandelnde Arzt die Physiologie der Mukosa bewusst machen. Bläschen und Ulzera sind an Haut und Schleimhaut eng miteinander vergesellschaftet, da geplatzte Bläschen sich als Ulkus darstellen [22]. Da die Schleimhaut mit unverhornendem Plattenepithel weniger mechanisch belastbar ist als die äußere Haut, kommt es schneller zum Platzen von Bläschen und zur Entstehung von Ulzera im Bereich der Schleimhaut. In diesem Fall zeigen sich zwar keine Bläschen der Mundschleimhaut, jedoch zahlreiche gruppiert aphthöse Läsionen [23]. Bei genauer Betrachtung der Läsionen fällt auf, dass sich diese auf den Bereich des Oberkiefers rechtsseitig beschränken und keine anderen Bereiche der Mundschleimhaut betreffen. Zusätzliche Veränderungen bestehen im Bereich des mittleren Gesichtsdrittels rechtsseitig. Allen Regionen gemeinsam ist die Innervation durch Äste des Nervus infraorbitalis.

Der Patient hat im Rahmen der Anamnese angegeben, jüngst unter beruflichem Stress und einer Erkältung gelitten zu haben. Daraus kann sich eine vorübergehende immunologische Beeinträchtigung ergeben haben.

Die Kombination aus starken Schmerzen, gruppierten Ulzera (als möglicherweise rupturierte Bläschen) und segmentalem Befall entlang des Ausbreitungsbereichs eines Nervs (in diesem Fall N. infraorbitalis) lässt auf die Verdachtsdiagnose eines Herpes Zoster schließen [23].

Anamnestisch wäre die Frage nach einer im Kindesalter durchgemachten Windpockenerkrankung oder einer Impfung gegen Varizellen zu diesem Zeitpunkt wichtig, um die Verdachtsdiagnose zu erhärten. Zusätzlich wäre die Frage nach einer stattgehabten Impfung gegen Herpes Zoster denkbar, jedoch ist im Alter von 33 Jahren eine solche Impfung unwahrscheinlich, da diese in Deutschland erst ab 60 Jahren empfohlen wird.

Eine histologische Untersuchung der aphthösen Läsionen wäre nicht wegweisend, da sich hier Granulationsgewebe mit Debris von Epithelzellen und Entzündungszellen zeigen würden. Der Befund ist unspezifisch und führt nicht zur richtigen Diagnose. Außerdem wäre der Zeitverzug bis zum Ergebnis sehr von Nachteil für den Patienten, da die Therapie unmittelbar beginnen sollte. Die Blutentnahme könnte die Verdachtsdiagnose durch erhöhte Entzündungswerte, erhöhte Lymphozytenwerte und (später) spezifische Antikörper bestätigen.

Ein Herpes Zoster im Gesicht sollte schon bei klinischem Verdacht einer Therapie mit Aciclovir zugeführt werden. Dabei steht die systemische Therapie mit Aciclovir (z.B. 800mg, 5-mal täglich) im Vordergrund [24]. Die Lokaltherapie mit Aciclovir-haltigen Rezepturen ist ausschließlich symptomatisch und kann eine weitere Ausbreitung der Erkrankung kaum begrenzen. Die Therapie des Herpes Zoster erfolgt zunächst ambulant, ist jedoch streng zu überwachen. Gerade bei Beteiligung der Konjunktiva ist frühzeitig ein Augenarzt zu konsultieren. Bei kompliziertem Verlauf kann eine stationäre Therapie notwendig werden [24].

Fazit

Die Fallpräsentationen zeigen, dass die Mundhöhle tatsächlich ein Spiegel von Systemerkrankungen sein kann. In allen präsentierten Fällen konnte durch sehr einfache Methoden (Anamnese, klinische Untersuchung) bereits eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. In der Anamnese sollte grundsätzlich immer persönlich nachgefragt werden. Sich auf einen ausgefüllten Aufnahmebogen zu verlassen, kann zu Informationsverlust führen. In manchen Fällen kann aus der Medikamentenanamnese auch auf vorliegende Grunderkrankungen zurückgeschlossen werden. Wie die Fälle der Methotrexat-Überdosierung und des Lymphoms zeigen, war die Anamnese für die Verdachtsdiagnose der entscheidende Schritt. Im Fall des Herpes Zoster waren die klinische Untersuchung der Gesichtshaut in Zusammenschau mit der Mundhöhle und ein wenig neuroanatomisches Grundwissen wegweisend.

Auch ein Experte kann nicht immer eine „Blickdiagnose“ stellen. Der Experte wendet allerdings alle hier beschriebenen Tools an, um dann im Ausschlussverfahren die korrekte Diagnose zu stellen und zu bestätigen. In unklaren Fällen kann ein Therapieversuch unternommen und dessen Scheitern bzw. Erfolg für die weitere Einschränkung der Differenzialdiagnose herangezogen werden. Der Ausschluss von Malignität ist in jedem Fall zentral. Daher sollte regelmäßig eine histologische Untersuchung – sofern indiziert – durchgeführt werden. Ein vereinfachender Erklärungsversuch von Symptomen, die unklar sind, sollte bis zur Diagnosestellung unterbleiben.

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